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op. 111 – Eine Analyse in 335 Teilen – Takt 64

Jeder einzelne Takt von Ludwig van Beethovens Sonate für Klavier c-Moll op. 111 aus dem Jahr 1822 wird an dieser Stelle von Bad-Blogger Arno Lücker unter die Lupe genommen. Ein Versuch, dieser Musik irgendwie „gerecht“ zu werden, was natürlich, dafür aber fröhlich, scheitern muss.

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Die bisherigen Folgen:
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Nun fließt die zwischendurch noch durch Auslassung der ersten Note zerhackstückte 16tel-Begleitung der linken Hand ungebrochen durch. Aber grollig. Im Bass.

Darüber werden die thematische Oberstimme (aus fes2 – as2 hervorgehend: es2) und die vorherige Begleitung der rechten Hand in einem As-Dur-Akkord zusammengefasst. Mit Sforzato-Bumms. Alles bis einschließlich zur zweiten Zählzeit strukturiert wie in Takt 60 im Bass – nur mit der schon angesprochenen rhythmischen Versetzung des thematischen Materials durch zwei Viertel.

Anders und gleichsam wirklich überraschend: die Zählzeiten „drei“ und „vier“. Stand die erste korrespondierende es-Oktave in Takt 60 auf der „Eins“ (linke Hand) noch als Viertel allein, worauf – ganz viertelregelmäßig – die untere Es-Oktave folgte, so werden hier beide es2-und-es3-Töne quasi diminuiert, also rhythmisch verkürzt – und zwar um genau die Hälfte. Wobei der Unterschied freilich darin liegt, dass das es3 „solistisch“ erklingt. Denn die untere Oktave wird weggelassen; und zwar aus Technik- und Stimmführungsgründen, schließlich geht es auf der „Vier“ mit einem einstimmigen Triller weiter.

Auf Zählzeit „vier“ von Takt 64 setzt nun dieser Triller – ebenfalls auf dem Ton es3 – mit anschließender d3-es3-Schleife nach oben ein. Eine weitere Verdichtung, eine erneute Überraschung – ein Takt, der die Pianist*innen der Welt ins Schwitzen und immer mal wieder zu einem drängenden – halb unabsichtlichen – Forcieren bringt…

Oder?

Hören wir doch mal, wie große Beethoven-Interpreten diesen Takt spielen…

https://youtu.be/p-gwqkiGs

Artur Schnabel (1932, Takt 64 erklingt bei ihm in Minute 3.16) haut sich voll rein, wählt ein ohnehin gnadenlos wahnsinniges Tempo. Für seine Verhältnisse erwischt er den Triller sogar relativ sauber.

Bei Solomon Cutner (1951, Trillerstelle bei 3.39) klingt das Ganze kontrollierter, aber auch weniger aufregend.

Friedrich Gulda (1953, bei 3.24) spielt wie immer makellos, sehr gut sind bei ihm die rhythmisch-kontrapunktischen Strukturen zu hören, selbst angesichts der wilden Trillerstelle.

Wilhelm Backhaus (1953, bei 2.56) verspielt sich bei Minute 2.51 – und prompt klingen die sich dem Triller nähernden Takte plötzlich zu kontrolliert, zu akademisch. Auch die Wirkung des Trillers verpufft dadurch.

Edwin Fischer (1954, bei Minute 3.18) nimmt die Passage etwas hudelig, etwas ungenau. Ich weiß gar nicht, ob das im Sinne der Dramatik ist. Oder ob bei Beethoven Dramatik vielleicht gerade aus Deutlichkeit (das Lieblingswort Gustav Mahlers) heraus entsteht…

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.