Aufruf zu einem FAIR PRACTICE CODE für das professionelle Musikleben

Fair Practice Code Zeichen der Niederlande

Das Musikleben ist ein an Lebendigkeit weltweit einzigartiger Ausdruck kulturellen Schaffens und Erbes in Deutschland. Musik aller Genres und Sparten ist die Visitenkarte der Bundesrepublik und trägt zur globalen Wahrnehmung unserer Kultur bei. Insgesamt ist der Kultur- und Kreativbereich einer der stärksten deutschen Wirtschaftsbereiche. Auch das Musikleben profitiert wie andere Bereiche des Kulturlebens von miteinander arbeitenden Freiberuflichen, öffentlichen und privaten Institutionen auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen. Jede beteiligte Seite, insbesonders die freiberuflich Tätigen, haben einen Anspruch auf gerechte und beste Honorierung, auf ein würdevolles und sicheres Leben auf sozialen Schutz in allen Lebenslagen.

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Die Krisen unserer Tage seit 2020 haben uns eins gezeigt: freiberuflich arbeitende Musiker:innen, Autor:innen, Veranstalter:innen, Kurator:innen, Pädagog:innen, Vermittler:innen, etc. werden für ihre Arbeit seltenst so honoriert, dass sie hiervon unbesorgt leben und arbeiten und am sozialen Leben uneingeschränkt teilhaben können. Viele arbeiten immer wieder unter den in ihrem Bereich üblichen Honorarrichtlinien. In einzelnen Bereichen sollen auf Lizenz- und Urheberrechte verzichtet werden, öffentliche Musiktheater verweigern die Beteiligung an der Abendkasse oder nutzen Berufanfänger:innen mit Dumping-Aufträgen oder Honoraren aus. Oder faire Honorare und eine Verpflichtung bedeuten nicht zugleich Erweiterung der Förderbudgets, um eine breite Förderung zu erhalten oder den status quo vor der Verpflichtung zu erhalten, wenn nicht Budgets nun im Zuge der öffentlichen Sparmaßnahmen oder erhöhten Betriebskosten gekürzt, gar gestrichen werden.

Dazu kommen die verschiedenen Förderebenen für das Musikleben: der Bund, die Länder, die Kommunen, übergreifende Fördermodelle, Stiftungen, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, im weiteren Sinne dann noch die Unterscheidung zwischen professioneller Musikausübung, diese interdisziplinär, Bildungssektor und professionelle Leitungstätigkeit in der Amateurmusik. Es besteht eigentlich ein Chaos an Ebenen, an sechzehn Hoheitsbereichen in der Kultur der Bundesländer als Ausdruck ihrer Existenz, dazu Bundes- und Landesverbände und überall doch signifikante strukturelle Unterschiede. Was der Politik als Stärke gilt, ist gegenüber den Partnern des Musiklebens und dessen freiberuflich Tätigen ein unübersichtliches Feld, was eben auch immer wieder zu Honorardumping, Machtmissbrauch, Intransparenz, Nicht-Solidarität und Nicht-Nachhaltigkeit führt. Dazu treten dann Einzelregelungen: schnell einigt man sich auf Mindeststandards für z.B. Musiker:innen, ist aber ganz verwundert, dass Autor:innen tatsächlich höhere Einzelhonorare in einer Produktion verlangen, da sie eben nicht nur in der Probenzeit, sondern Monate, Jahre an dem Werk sitzen und beharren dann sogar noch auf Lizenzgebühren und Urheberrechten. Das eine Land oder der eine Verband oder die eine Kommune oder Stiftung bietet Beratungsbüros oder Workshops für Förderanträge an, die anderen beschränken sich auf Kleingedrucktes oder wimmeln einen bei Nachfrage oder als Neuling sogar barsch ab.

Daher ist es vonnöten ähnlich z.B. der Niederlande einen „Fair Practice Code/Codex“ mit allen betroffenen Seiten im Musikleben zu schließen. Das geht dann über Appelle des Deutschen Musikrats und Honorarempfehlungen einzelner (Dach-)Verbände hinaus, da solch ein Code bzw. Codex eine gegenseitige Selbstverpflichtung aller Akteur:innen darstellt. Je breiter und tiefer im Musikleben das angesiedelt ist, um so wirksamer wird das insgesamt sein. Natürlich kann man das auch nur für einzelne Bereiche auf Landesebene oder im Bereich einer Sparte oder eines Genres vornehmen. Je mehr Ebenen aber umfasst sind, umso schlagkräftiger, transparenter, gleicher und solidarischer dürfte das Ergebnis sein.

Institutionen und Organisationen müssten sich gesondert auf einen Standard von Good Governance Richtlinien gegenseitig verpflichten, die einzelne Betriebsregelungen in einem übergeordneten Regelwerk festlegen.

Davon abgesehen verpflichten sich alle Akteur:innen auf Fair Pay, Fair Share und Fair Chain. Fair Pay bedeutet immer angemessene Honorierung und Vergütung. Fair Share bedeutet Barrierefreiheit von Kunstwerk bis Förderung sowie meint es eine gleiche Behandlung von Akteur:innen z.B. unabhängig von Geschlecht und Herkunft. Fair Chain bedeutet in der Entstehung und Honorierzng einer Produktion oder eines Kunstwerkes auf allen Ebenen, Stationen und Prozessen eine Garantie fairer Bezahlung, respektvollen Umgangs und Austauschs sowie Transparenz dieser Prozesse und Entscheidungsfundungen. Das mündet zusammen in eine faire, nachhaltige, transparente, respektvolle und solidarische Betriebsführung und setzt alle künstlerischen und wirtschaftlichen Potenziale gleichartig und gegenseitig gewinnbringend aller Beteiligten frei.

Daher verpflichtet man sich gegenseitig freiwillig auf folgende Werte:

Solidarität

a) Aufgeführte Werke werden angemessen vergütet.

b) Tarifvertäge und Honorarrichtlinien finden so viel als möglich ihren Platz, wenn nötig für jede Sparte/Diziplin gesondert. Lizenzen und Urheberrechte werden angemessen vergütet.

c) Honorarkräfte wie Festangestellte werden möglichst gleich behandelt.

d) Nachgeordnete Vertragsbehmer:innen bzw. Subunternehmer:innen sind auch auf den Fair Practice Code zu verpflichten.

e) Projektvorschläge und Projektvorplanung sollten auch angemessen vergütet und honoriert werden.

f) Alle Akteur:innen bauen gemeinsam ein starkes Berufsfeld auf und erhalten dieses.

 

Transparenz

a) Das Management von beteiligten Institutionen und Organisationen ist maximal transparent, die Betriebsführung wird öffentlich gemacht und der Fair Practice Code intern wie extern offensiv angewendet.

b) Öffentliche wie private Institutionen werben für den Fair Practice Code und erklären ihn offensiv.

c) Alle Beteiligten berichten in ihren Produktions- und Jahresberichten über ihre Anwendung des Codes.

d) Good Governance wird propagiert und eingehalten.

e) Wissen wird kontinuierlich weitergegeben.

 

Nachhaltigkeit

a) Gemeinsam wird qualitätsorientiert und auf längere Frist im Sinne der Gleichheit der Akteur:innen gearbeitet und gewirtschaftet.

b) Organisationen und Institutionen bieten Möglichkeiten zu Weiterbildung an.

c) Die Zusammenarbeit der Beteiligten wird gegenseitig gleichrangig evaluiert.

d) Alle verpflichten sich darauf, psychische und physische Überlastungen zu verhindern.

e) Gegenseitig verpflichtet man sich gegen jegliche Art von Missbrauch, gerade wenn Über-/Unterordnungssituationen entstehen.

f) Niemand bietet seine Arbeit unter Selbstkostenpreis an.

g) Alle gehen konstruktiv mit den materiellen und immateriellen Vermögenswerten des Musiklebens um, auch gerade deshalb, da alle persönlich sich in ihren Bereich einbringen und das wertzuschätzen ist.

h) Gemeinsam sucht man Wege, kooperativ Ziele zum Erhalt einer positiven ökologischen Klimabilanz zu definieren.

 

Diversität

a) Alle Akteur:innen verbessern die Inklusion und Barrierefreiheit, das betrifft den kulturellen, ethnischen Hintergrund, Geschlecht, Gender, sexuelle Orientierung, Alter, Kenntnisse und Fähigkeiten und den sozioökonomischen Hintergrund.

b) Alle Beteiligten stehen intern wie extern für kulturelle Vielfalt ein und übernehmen dafür Verantwortung, alle verpflichten sich nach ihren Möglichkeiten auf Diversität im Aussenauftritt, im Programm, Personal und in politischen Entscheidungsprozessen.

c) Diversität bedeutet auch Rücksichtnahme auf Traditionen und besondere Bedürfnisse und Belange und besonderen Unterschiedlichkeiten der einzelnen Kunstformen, Sparten und Genres, um diese eben gemeinsam zu stärken, nicht aber auf Kosten des jeweils anderen Gegenübers.

d) Die interne Organisation wird bei Bedarf entsprechend der Diversität angepasst.

 

Vertrauen

a) Qualität ist der Ausgangspunkt für alle Beteiligten.

b) Für jeden Bereich muss es massgeschneiderte Ansätze zu Förderung und Zielen geben.

c) Transparenz und Bürokratie einerseits und die Interessen einer Organisation/Institution andererseits müssen sich in einem angemessenen Gleichgewicht gegenseitig verhalten.

d) Alle achten auf gewissenhafte Darstellungen und Verweise und halten dabei Eigentum, Quellenangabe und Urheberrechte ein.

e) Streitigkeiten müssen in Zukunft niederschwellig geschlichtet werden können, auch in Hinblick auf Arbeitsbedingungen und Vergütungen, Honorare und Urheberrechte.

Inspiriert ist dieser Aurfuf durch den Fair Practice Code der Niederlande, wie ihn z.B. Nieuw Geneco propagierte und dort implementierte. Kennenlernen durfte ich ihn durch meine Mitarbeit in der Fair Practice Workgroup der European Composers and Songwriters Alliance als Delegierter für die Fachgruppe E-Musik im Deutschen Komponist:innenverband.

Fair Practice Code Zeichen der Niederlande

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5 Antworten

  1. Ulrich Ludat sagt:

    Danke für diesen absolut überfälligen und damit TOLLEN Beitrag! An dieser Stelle müssen wir weitermachen… es kann nicht so weiter gehen, wie die Dinge seit Jahrzehnten vor sich hin gedümpelt haben.

  2. k. sagt:

    Interssante Ansätze!

    Es würde mich interessieren:

    1) Funktioniert das in den Niederlanden?
    a) In dem Sinne, dass die Beteiligten (Komponisten, ausführende Musiker, Veranstalter) sich daran halten.
    b) In dem Sinne, dass die Folgen nicht so aussehen, dass Konzerte abgesagt werden müssen, weil zu angemessenen Konditionen nicht durchführbar.
    c) In dem Sinne, dass nicht zu Laienmusikern gegriffen werden (weil Hobbymusiker sich nicht an Kodex halten müssen) oder zu instituionierten Musikern (weil vom Orchester oder von der Hochschule bezahlt)?

    2) Ist das eher aus der Sicht der Komponisten gedacht, die sich im Rahmen der subventionierten/geförderten Märkte bewegen (Neue Musik Festivals, Jazz Festivals usw.) oder hat man auch an Musiker gedacht, die in Kneipen, auf Hochzeiten, auf Firmenfeiern usw. aufspielen (also Verträge direkt mit Kunden machen)?

    Ich kenne es nämlich z.B. so, dass z.B. ein Veranstalter (z.B. Komponistenverein) ein Programm macht, mit Finanzierungsplan, und versucht, dafür Fördergelder aufzutreiben. Für die Anträge müssen auch ausübende Musiker und deren Honorare feststehen. Das ist der Zeitpunkt, wo man als ausübender Musiker angefragt wird. Dann wird die Förderung zur Hälfte genehmigt, aber dafür muss das ganze Programm gespielt werden, weil das halt so im Antrag stand. Sprich, die Musiker bekommen alle die Hälfte der vereinbaren Gage, und man kann es so machen oder Nein sagen. Wobei es schon schwierig ist, da Nein zu sagen, denn die Komponisten freuen sich auf die Aufführung. Aber wenn man Ja sagt, spielt man unter Selbstkostenpreis, denn gerade Neue Musik muss geübt werden.

    Oder: der Veranstalter sagt, entweder soll das Programm GEMA frei sein, oder die GEMA Gebühr wird vom Honorar abgezogen. Als ausübender Musiker hat man aber keinen Einfluss auf die Eintrittspreise (wovon die GEMA Gebühr abhängt).

    Um sich an Kodex zu halten, kann man also nur Chopin, Kreisler, Bach usw. spielen, außer, man ist in top-finanzierten Staatsopern, renommiertesten Festivals, größten Konzerthäusern unterwegs.

    Daher würde mich sehr interessieren, wie man dieses Problem in der Praxis gelöst hat.

    • Alexander Strauch sagt:

      In NL sind manche Dinge anders als bei uns, Honorarrichtlinien sind in D Empfehlungen, in NL eher Tarifvereinbarungen mit Schlichtungswesen, bei uns im Bereich der Komposition eher unüblich. Ich würde empfehlen, nicht gleich ins Kleinklein abzutauchen, daran arbeitet sich noch zu sehr der „Aufruf“ auch ab, das sind eher Hinweise, natürlich auch eigene Ideen aus Gesprächen mit in D Betroffenen. Man muß manche Regelung o. Über-Regelung in NL so verstehen, dass man gerne Freiheiten schafft, indem man dafür etwas anderes besonders kontrolliert. Im Endeffekt wird dann auch viel Text verwendet im gegenseitigen Tun von Kunstschaffenden und Institution, dazu aber gibt es ja Hinweise des Ausgleichs von Transparenz und Bedarf z.B. von Beantragenden, was bewußt in meiner Lesart Entbürokratisierung und Barrierefreiheit im über Inklusion hinausgehenden engeren Sinne meint. NL bzw. Nieuw Geneco verleiht jährlich den Fair Practice Award mit einer zuvor auch interessanten Nominierungsliste, so dass weniger die Kontrolle als das Positivbeispiel den Massstab setzen soll. 2023, s. hier.

      • k. sagt:

        Ja. Aber bei dem Positivbeispiel (Preis für Good Practice) hier geht es ja laut Webseite um die Kriterien:

        angemessene Vergütung für Kompositionsaufträge
        Rechte respektieren
        klare Kommunikation und Vereinbarungen
        freier künstlerischer Raum für Komponisten
        nachhaltige Entwicklung von Publikum, Repertoire und Aufführungsmöglichkeiten
        besonderen Einfluss auf das niederländische Musikleben und die Komponisten

        Da steht nichts zur Vergütung von ausführenden Musikern usw.

        Es gibt ja bereits Initiativen für Selbstverpflichtung der Künstler wie Art but Fair (die durchaus von Verbänden wie der Deutscher Tonkünstlerverband, Deutscher Bühnenverein) unterstützt wird, oder aber unisono, und die Frage ist, warum es trotzdem nicht flächendeckend und fachübergreifend funktioniert. Bei unisono ist das Problem klar, dass die Initiative die Wurzeln in Vertretung von Orchestermusikern hat, und auch wenn sie jetzt für Freischaffende offen ist, liegt der Schwerpunkt in Vertretung von Ensemble- und Orchestermitgliedern (die vom Enselble oder Orchester engagiert und bezahlt werden). Die Selbstverfplichtung passt also für viele Freischaffende gar nicht. Und die „Selbstverpflichtung“ der Musiker nach dem Art but Fair Modell bedeutet leider de facto, dass man selber das Engagement ausschlägt, und ein anderer Kollege macht dann den Job.

        Ich finde das pragmatisch gesehen nicht so einfach. Klar gibt es Situationen, wo man Nein zu einem Engagement sagt, sagen muss, weil man sonst selber zuviel drauf zahlt und man dies auch nicht mehr leicht kompensieren kann. Und klar gibt es Situationen, wo der Veranstalter eigentlich genug Budget hat, nur die Künstler nicht genug zahlen will (hatte mal einen gehobenen Kulturreisenveranstalter, der für 45 Minuten Solokonzert für eine 50 Personengruppe 50 Euro zahlen wollte, also das Konzert sollte pro Person umgerechnet 1 Euro kosten, da muss man schon aus Prinzip ablehnen).

        Aber was tun in Situationen, wo die Alternativen entweder kein Konzert oder Konzert ohne angemessene Gage heißen. Oder wo die Alternativen 1 Konzert mit angemessener Gage (das 2. Konzert fällt aus) oder 2 Konzerte ohne angemessene Gage heißen.

        Ich denke, kein Künstler hat was dagegen, für ihr Arbeit angemessen bezahlt zu werden.

        Die Frage ist wohl, woher soll das Geld kommen?

    • Alexander Strauch sagt:

      Es meint das institutionelle Fördern & Kooperieren und soll genau solch komplettes Kürzen in Anträgen vermeiden, was aber global Usus ist. Das Vertrauen soll ja unbedingt gestärkt werden, die Wertschätzung.

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