Offener Brief an Dorothee Hackenberg (rbb)

Jörg Thadeusz © rbb/Thomas Ernst
Jörg Thadeusz © rbb/Thomas Ernst

Sehr verehrte Frau Hackenberg,

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Sie sind Leiterin der beiden Radioprogramme rbbKultur und radioeins vom Rundfunk Berlin-Brandenburg. In einem Tagesspiegel-Interview vom 14. Februar 2024 (leider hinter der Bezahlschranke, aber wir haben es gelesen) wurden Sie vom geschätzten Kollegen Frederik Hanssen zu dem neuen Programm bei rbbKultur – dann: radio3 – ab dem 2. April 2024 befragt.

Häufig wird also Jörg Thadeusz von 6 bis 10 Uhr bei radio3 – früher: rbbKultur – moderieren, wohl im Wechsel mit drei anderen Kolleginnen und Kollegen. Unter den vier genannten Namen befinden sich nur zwei, die ich kenne. Aber who am I to judge? Äußerst geschätzte Kolleginnen und Kollegen – wie Shelly Kupferberg, Marek Kalina oder Peter Claus – wurden ja schon vor längerer Zeit entweder mehr oder weniger gezwungen, als Quereinsteiger in den Schuldienst zu wechseln, »pensioniert« oder kommen einfach nicht mehr vor. Das ist sehr schade.

Jörg Thadeusz © rbb/Thomas Ernst

Jörg Thadeusz © rbb/Thomas Ernst

Vom 2. April 2024 an wird bei dem einstigen (?) Klassiksender rbbKultur (radio3) dann keine (!) Klassik mehr laufen. Sondern vermutlich seichte Popmusik und Neoklassik. Neoklassik ist aber gar keine Musik, vor allem keine Klassik, sondern nur eine hochnotpeinliche, falsch-pathetische und grauenvolle Klassik-Simulation und hat auch bei rbb-internen Evaluationen, die uns vorliegen, schlechte Bewertungen bekommen; wenn wir denn überhaupt so argumentieren wollen …. »Die viel zu oft gehörten Hits der 80er, 90er und das Schlechteste von Max Richter«, wie schon seit der letzten Programmreform von September 2020. Nur ohne die störende Klassik, nicht? Und das nur, weil ein paar Führungskräfte sogar intern vor versammelter Mannschaft Dinge gesagt haben sollen wie: »Ich will keine Orchestermusik mehr auf diesem Sender hören!«? Keine E-Musik, keine Klassik mehr also: jedenfalls von 6 bis 10 Uhr, wo die meisten Menschen diesen Sender einschalten. Dazu hat Sie der besagte Tagesspiegel-Kollege Hanssen befragt.

Im Wortlaut:

Frederik Hanssen: Wenn Sie es schaffen, statt der Hardcore-Klassikfans andere Zuhörer:innen zu finden, dann werden die wiederum verwirrt sein, wenn es ab 10 Uhr mit Klassik losgeht. Schalten die dann wieder aus? Und schalten die Stammkund:innen ab 10 Uhr wieder ein?

Ihre Antwort: Ja, das mag als doppeltes Risiko erscheinen. Aber wir wollen integrativ vorgehen. Wir gehen davon aus, dass Menschen, die sich für Klassik interessieren, sich auch für andere Dinge interessieren. Und dass Menschen, die generell kulturaffin sind, sich mehr und mehr für Klassik begeistern können. Viele sind offener, als es den Anschein haben mag. Vielleicht können wir auch Wege ebnen. Dazu planen wir übrigens neue interaktive Formate, bei denen sich die Zuhörerinnen und Zuhörer einbringen können, gerade auch im Bereich der Klassikvermittlung.

»Aha« haben wir uns gedacht. Und dann: »Wie bitte?«.

Aber wir wollen Sie natürlich gar nicht »attackieren«. Nein, ganz im Gegenteil! Wir wollen Ihnen einen fantastischen und zudem kostenlosen Vorschlag machen, der divers, vermittelnd, synergetisch bis dort hinaus, zukunftsträchtig, preiswürdig und einfach äußerst positiv ist; auch, was die möglichen Reaktionen seitens Hörer:innenschaft und Presse angehen.

Nochmal: Sie sagen, dass »[…] Menschen, die generell kulturaffin sind, sich mehr und mehr für Klassik begeistern können.« Das finden wir auch!

Und damit Ihnen niemand unterstellen kann, dass durch die Einführung von radio3 – mit entsprechenden, seien wir ehrlich: schwerwiegenden Konsequenzen – im Grunde die Marginalisierung des Kultursenders vom rbb, ja, sogar seine – baldige? – Abschaffung eingeleitet werden soll: Spielen Sie dafür als Ausgleich – aber auch, weil es wunderschön wäre – Klassik bei Ihrem Popsender radioeins! (Übrigens sind ständige Umbenennungen niemals gut für eine »Marke«, im Gegenteil; je häufiger die Umbenennungen von unliebsamen »Dingen« desto geringer die Sichtbarkeit – beziehungsweise: Hörbarkeit, die Präsenz).

Dann kann Ihnen niemand mehr unterstellen, dass durch die »Radioeinsisierung« des rbb-Kultursenders die Abschaffung eines sehr wichtigen »Kultur-Bausteins« für Berlin und Brandenburg eingeleitet werden soll!

Wir fordern also: Sofia Gubaidulina, Gustav Mahler, Clara Schumann, Johannes Brahms und Co.: von 6 bis 10 Uhr bei radioeins! Ab dem 2. April 2024. Die Hörerinnen und Hörer von radio3 – bislang noch: rbbKultur – hören radioeins-Musik, die Hörerinnen und Hörer von radioeins hören Klassik! Fair enough, nicht?

Die (E-)Musikbeiträge zwischen den Wortstrecken des radioeins-Morgenprogramms kann man dabei wunderbar thematisch vereinbaren, ja, es gäbe großartige Zusammenhangsdramaturgiemöglichkeiten, die uns allen Spaß machen würden.

So können Sie »Wege ebnen«, »[…] Menschen […] für andere Dinge interessieren« und »[…] mehr und mehr für Klassik begeistern.« Das haben Sie ja selbst – siehe oben – gesagt, oder?

Wir haben auch schon ein Motto für diese Sendestrecke auf radioeins: »Die größten Hits der 1680er und 1690er Jahre und das Beste von heute«. Kann man dann ja angleichen, je nachdem, welche wunderbare Musik Sie spielen (lassen). »Das Beste aus 1000 Jahren Musikgeschichte« weckt eventuell dabei falsche Assoziationen und lockt vielleicht Menschen an, die Feinsinnigkeit, Diversität, Kommunikation und Bildung ohnehin hassen.

Wenn Sie das realisieren – und personell wäre das überhaupt kein Problem; wir wissen: die festangestellten und freien Redakteurinnen und Redakteure, die Sie haben, könnten das sofort umsetzen –, dann hören vielleicht auch Schülerinnen und Schüler in anderen Bundesländern, in denen das Fach »Musik« überhaupt nicht mehr unterrichtet wird, radioeins. Und nach 10 Uhr können die dann ja frohen Mutes auf radio3 umschalten. Um weiter Klassik zu hören.

Auf die Quote müssen Sie dabei ja nicht schielen. Denn Sie arbeiten ja für eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt. Sie brauchen nur etwas Mut. Und den wollen wir Ihnen heute vermitteln. Wir wären dabei!

Spielen Sie ab dem 2. April 2024 bei radioeins klassische Musik!

Das wäre gelebte Kulturvielfalt, programmgewordene Diversität, die bestmögliche Art von Kulturaustausch!

Wir freuen uns, wenn Sie sich melden.

Herzliche Grüße

Ihr:

Arno Lücker

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

3 Antworten

  1. Dr. Lore Brüggemann sagt:

    Danke für diesen hervorragenden Kommentar! Ich habe ihn sofort af fb geteilt. Könnte man nicht eine Umfrage /Petition unter den Hörern starten? ich bin sicher, daß es praktisch null Zustimmung zu den geplanten Veränderungen bei den Hörern gibt.

  2. Margarete We sagt:

    Ich kann Ihrem Kommentar nur voll zustimmen! Radio eins gibt es nun mal schon! Gute Idee die Radio eins Hoerer zur. Klassik zu „bekehren“!
    Auch ich bin überzeugt, dass RBB 3 i n spätestens einem Jahr in Radio eins aufgegehen wird!!!
    Ich verstehe nur den Grund nicht, neue HoerInnen gewinnt der Sender mit dieser „Reform“ sicherlich nicht!

    Margarete Weiß

  3. Thea sagt:

    Danke für diesen Beitrag, den ich auf Facebook unter vielen Kommentaren bei rbbkultur 3 gepostet habe.
    Nach zwei geduldigen Aufwachversuchen habe ich die „Hörwaffen“ gestreckt und höre beim Aufwachen erst einmal gar kein Radio mehr.

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