Alles dicht machen: Reaktionen von der Corona-Front und Einordnung

Die 53 allesdichtmachen-Videos der Schauspieler:innen um J.J. Liefers, U. Tukur bis H. Makatsch, letztere zog ihres wieder zurück wie U. Folkerts und M. Becker, erhielten auch Reaktionen durch mindestens zwei Gegenvideos von Personen, die sich in ihrer Arbeit und ihrer Lebensrealität nicht ernstgenommen fühlten. Sie waren vielleicht gar nicht Adressaten der „53“, wurden es aber dennoch. Genauso waren Rechtspopulisten nicht Adressaten, aber da ging der Applaus noch vor jeglicher Kritik durch die Decke. Damit hat man eigentlich bereits verloren. Reagieren dann zwar künstlerische Laien, aber Profis des Lebens, so hilft auch die Mächtigkeit der Zahl „53“ nicht mehr, insbesondere wenn mehr oder minder grob betrachtet fünf Narrative nur verzehnfacht werden. Hätte man ein Gesamtbild des deutschen Absurdistan abgeben wollen, hätte man auch den sich die Treppe hinauf quälenden Longcovid-Patienten mit 20 Jahren zeigen können, der sich über seine Corona leugnenden Nachbarn sarkastisch auslässt oder den Musiktheorie-Dozenten vorführen, der nicht verstehen kann, warum er mit Mund-Nasen-Schutz unterrichten sollte. Zugegeben wäre hier das Leben echter als die 53 Schauspieler mit ihren „echten Anliegen“ und der gespielten Satire, die handwerklich nicht hinhaut.

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Erste Reaktion

Das erste Reaktionsvideo stammt vom Twitter-User Nellski. Er gibt darin zu einer ähnlichen Fahrstuhlmusik an, dass er André heiße und als Community Manager und DJ arbeite, genauso wie alle Künstler:innen ohne Auftritte dastehe. Sarkastisch meint er, wie toll es sei, dass Schauspieler_innen mit ihren Videos gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung protestieren. „Denn sonst hätte ich in meinem Home-Office-Hamsterrad völlig vergessen, wie schmerzhaft der Verlust meiner Mutter und ihrem Freund war, die beide innerhalb von einer Woche an Covid 19 verreckt sind“. Er fährt sarkastisch fort: „Wenn es doch nur weniger Corona-Maßnahmen gäbe, dann hätten vielleicht viel mehr Menschen die Gelegenheit einen solchen schweren Verlust ebenso zu spüren wie ich. Deswegen bitte ich jeden, sich nicht an die Corona-Maßnahmen zu halten, denn Todesfälle in der Familie sind die Erfrischung im grauen Lockdown-Alltag.“

Irgendwer meinte, Nellski habe die Botschaft der „53“ nicht logisch erfasst. Das mag sein. Wie oben gesagt, spielt das aber keine Rolle. Jede auf große Internet-Öffentlichkeit angelegte künstlerische Aktion wie die der „53“ wird eben nicht nur durch die Künstler:innen interpretiert, sondern eben auch durch den Rezipienten – dies gehört ja laut mancher Klagender von Aufstehen für die Kunst ganz besonders zum Werk- und v.a. Wirkbereich von Kunst.

Nellski erhielt auf das Video durchaus auch grobe Kritik. Die meisten drückten ihr Beileid aus. Zwei User outeten sich auch als Personen, die Angehörige und Freund verloren. Fantasieben schrieb: „Mein tiefes Mitgefühl. Ich habe im Oktober meinen Sohn Dominik verloren. Er wurde nur 30 Jahre alt. Es wird wirklich Zeit, dass die Opfer einen Namen und ein Gesicht bekommen.“ Userin Annette Pillé Flagge schrieb: „So traurig es ist, aber Deine Worte passen auf den Punkt! Mein herzliches Beileid für Deinen Verlust. Enttäuschtes, aber erleichtertes Gesicht. Ich beklage den Verlust von zwei sehr guten Freunden und bange derzeit mit um das Leben einer weiteren Freundin an der Beatmung.“

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Wir reden hier die gesamte Zeit immer nur darüber, wie schlecht es unserer Zunft geht, wie Kinder leiden, was wer wie wann wo verbockt habe, was wer wie wann wo total viel besser fände und machen würde. Herr Liefers zeigt sich bockig, Herr Restle rettet die ARD-Tatort-Schauspieler im Tagesthemen-Kommentar und mahnt zur Abrüstung, womit er Recht hat. Und so fort.

Wenn allerdings Gegenvideos, so klein und elend und laienhaft das Häuflein dieser sein mag, dieser Art erscheinen, gewinnt man den Eindruck, was Covid 19 eben bedeutet. Da kann Herr Tukur noch so schön vom Tode in Worten von Heinrich Heine rezitieren und die Schliessung der Lebensmittelläden als best paid öffentlich-rechtlich finanzierter Schauspieler im Homeoffice vorschlagen.

Wenn Dein 30 Jahre alter Sohn stirbt oder Deine Mutter samt ein paar Tage später deren Partner, dann ist das Leben einfach größer als misslungene Videos über den Daheimbleiben-Tod, das dazu aus einer honiggoldenen Wellness-Perspektive formuliert, künstlerisch eng wie eine S-Jeans am XXL-Körper.

Der Macher der Videos ist ein Herr Bernd K. Wunder, der 2020 Maskenträger als „Maskenträgerknappen“ bezeichnet haben soll. Er setzt sich mit einem „FCKNZS“ zwar von der Rechten ab. Allerdings sind die rechtsoffenen Querdenkenden ja auch im linken Spektrum unterwegs. Es ist also keine Frage der politischen Haltung, sondern der Vernunft und gesellschaftlichen Verantwortlichkeit, die man als weit bekannte Gestalt des öffentlich-rechtlichen TV leider, leider hat.

Jetzt rührt man Unverständnis über Ausgangssperren und gestoppte Modellkommunen mit ihren nun eingestellten Theaterbetrieben von der Kultur-Seite mit hinein, um die „Wut“ der „53“ irgendwie noch zu rechtfertigen. Laut NDR wurzeln die Pläne aber nicht in den Entscheidungen des Spätmärz 2021, sondern des Frühfebruars 2021: die Idee sei „‘in persönlichen Gesprächen einer Gruppe Filmschaffender’ bereits im Februar entstanden. Sie hätten das Gefühl geteilt, dass kritische Stimmen zur Corona-Politik nicht ausreichend gehört wurden. Man habe gewollt, ‚dass diese Debattenkultur nicht verloren geht“ und überlegt, wie man sich dazu äußern könne‘.“

Das Ergebnis ist bekannt: Schauspieler:innen erzählen nun 53-mal, wie sie die Verschärfung der Maßnahmen bis in die Ewigkeit verlangen, ihre Angehörige verprügeln, Nachbarn anzeigen, etcpp. 53-mal wird die Tapferkeit, Mühsal und auch die Dramen von Menschen und Familien im Lockdown hochgepusht und 53-mal ohne ein Wort in Richtung anderer Perspektiven durch dekliniert.

Zweite Reaktion

Ein weiteres Video dagegen erlaubte sich die Covid-19 Quarantäne-Stationspflegerin Julia C. Seidl. Auch sie habe die „53“ nicht verstanden. Na ja, die „53“ haben vielleicht auch sie nicht verstanden. Sie begründet ihre Reaktion: „Es geht nicht darum, Leid miteinander zu vergleichen. Das Pflegepersonal trifft es anders als eine/n Gastronomen/in. Und für alle ist es furchtbar. Ich liebe die Kunst, ich liebe das Theater. Meine Antwort war eine direkte Reaktion auf den Zynismus der Schauspieler/innen.“

Jede:r sehe sich das Video an und lasse es auf sich wirken. Es ist Zynismus am Rande des Erträglichen, allerdings erlebt Frau Seidl eben immer wieder die massive Verschlimmerung von Corona-Quarantäne-Fällen, die dann auf die Intensivstationen müssen, deren Atmung immer angstvoller wird, die eben vielleicht auch mit hoher Wahrscheinlichkeit sterben werden und froh sein dürfen, wenn sie in ihrem Heimatlandkreis noch aufgenommen werden können.

Welche Freiheit in der Pandemie will man eigentlich?

Die Perspektive dieser Betroffenen hat die Macher:innen und schauspielenden Beteiligten in ihrem Denk-, Erlebens- und Produktionsprozess jedenfalls nicht begleitet, fiel ihnen diese nicht ein oder interessierte sie diese schlichtweg nicht. Denn das dumme ist ja: nur durch konsequente Maßnahmen lässt sich das Erkranken und Sterben eindämmen. Die Maßnahmen müssten eigentlich viel härter sein, als dieses Aua-Geschrei um die Ausgangssperre, die wir im Südosten und Südwesten schon länger kennen. Blickt man auf Großbritannien, dann müsste dazu noch neben deren Impfkampagne eine Kontaktverbot ausserhalb der Familie kommen sowie ein Reiseverbot für Alle. Oder wenn man Öffnungen propagiert und wieder „Spanien, Spanien, Spanien“ ruft – das neue Maßnahmenaufweicher Schweden – dann gibt’s dort fast durchgehend seit März 2020 Ausgangssperre, Verbot den Kreis zu verlassen und dafür ein paar Lockerungen wie Gastronomie und Kultur. Die Wellness-Schauspieler:innen allerdings wenden sich diffus gegen die Maßnahmen an sich, wie man es von Querdenken diffus kennt. Sie reden im Nachgang von der geschlossenen Kultur, von der Ausgangssperre. Alles gut, aber man eben nicht alles haben. In dieser pandemischen Situation muss man irgendwas einschränken, wenn was Anderes geöffnet haben will.

Kultursenator Brosda, der den Verlust der Modellprojekte beklagt – mich als Münchner hätte das sowieso nie ereilt, da die Stadt zu groß für solch ein Projekt – sagt immerhin richtig: nur ein jetzt konsequenter Lockdown würde uns am besten helfen, insbesondere der Kultur. Man brambassiert in den „53“ zwar vom Dauerlockdown, meint aber dessen Gegenteil. Man kann nur sagen: alle Bemühungen von Kulturverantwortlichen, um Verbände und Exekutive von der Not vieler Kulturschaffender zu überzeugen, wird durch diese „53“ auch konterkariert, da man eine Lösung, eine Teil-Lösung nicht formuliert, ausser eben den überspitzten Dauerlockdown und im Umkehrschluss eben das Ende des Locksdowns und eine schnellstmögliche Theateröffnung.

Nun bringt man die Zusage Bayerns gegenüber der UEFA ins Spiel, 14.500 Leute in der Allianz-Arena zuzulassen. Und vor allem die Freundinnen und Freunde der Kultur überlesen, dass das unter infektiologischen Vorbehalten steht, also wir irgendwo stabil unter der Inzidenz 100 liegen müssen. Und das ist eben nun auch die Perspektive für die Kultur: keine Extrawürste fordern, sondern gemeinsam runter mit den Zahlen. Solidarität mit den Infizierten einfordern, mit den Isolierten und als Lösung auch für Kultur: runter mit den Zahlen. Sowie die Einsicht: es geht leider nur mit Einschränkungen. Und wie wären diese Videos im britischen Lockdown geworden, wo man nicht einmal eine haushaltsfremde Person treffen durfte? Wie wäre es in Spanien geworden, wo nur an den ganz wenigen Theatern die dort Spielenden profitieren, der Kreis nicht verlassen werden darf, die ewige Ausgangssperre? Oder doch lieber leidliche deutsche Streamings mit leidlich niedrigeren Zahlen als in jenen Ländern? Bitte entscheide Dich jetzt, auf welches Feld Du hüpfst, eins, zwei oder drei.

Und zum Schluss: wer hat eigentlich die Musik zu den „53“ gemacht??

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Eine Antwort

  1. k. sagt:

    Die Aktion #allesdichtmachen geht gar nicht. Bewegungen wie diese oder die freien Debattenräume sind auch deswegen gefährlich, weil die Absichten und die Netzwerke nicht auf dem ersten Blick ersichtlich sind.

    Es ist auch gut, dass Herr Brosda jetzt klar gesagt hat, dass die Schließungen sein müssen, auch wenn die Kultur wichtig ist. Bisher war nicht so klar, ob Museen öffnen sollen, weil die Geschäfte auf sind, oder ob die Geschäfte schließen sollen, weil die Museen zu sind. Es ist auch nicht toll, wenn Kultur gegen Kultur ausgespielt wird, weil man mit Modellprojekten doch nur wirtschaftlich wichtige Dinge wie die Philharmonie meint.

    Zermürbend sind die Corona-Regeln schon. Ein Berufspianist darf z.B. mit seiner Kollegin im Präsenz proben (berufliche Tätigkeit und Kunstfreiheit). Ein Klavierschüler darf mit seinem geigenden Freund im Präsenz proben (Privatkontakt mit einer haushaltsfremden Person.) Der Pianist darf den Klavierschüler nicht in Präsenz unterrichten (außerschulischer Unterricht ist nur online erlaubt oder wenn der Lehrer und der Schüler auf zwei unterschiedlichen, umfriedeten Grundstücken stehen). Den geigenden Freund darf der Pianist aber im Präsenz begleiten (Korrepetion gilt nicht per se als Unterricht und ist daher nicht verboten, es sei denn der Korrepetition ist ein Angebot einer Musikschule, dann ist es verboten). Der geigende Freund darf also zum Pianisten (solange dieser nur spielt und keine Tipps gibt) aber nicht zu seinem Geigenlehrer. Privat Eis essen wäre in allen Konstellation erlaubt.

    Da weiß man nicht, ob man lachen soll (weil man als Berufsmusiker doch mehr Proben- und Übemöglichkeit hat als Amateure) oder weinen soll (ist der eine Kontakt gefährlicher als der andere?). Das Problem ist eigentlich, dass die Verordungen nur „offen“ oder „geschlossen“ kennen. Dabei wären auch andere sinnvolle Lösungen denkbar, dass man z.B. gelegentlich einen Schüler im Präsenz sieht, so einmal in einem Monat oder zwei Monaten, und die anderen Stunden online macht.

    Die Kinder merken nämlich selber, wenn sie mehrere Monate auf der Stelle treten. Und es ist schon schwierig, das Pedalspiel, das Vibrato o.ä. ausschließlich online zu erlernen, wenn man es zum ersten Mal macht.

    Meine Schüler sind nicht benachteiligt, im Gegenteil, und selbst da sehe ich, wie sie und ihre Eltern in den letzten Wochen zunehmends seelisch abgebaut haben. Ich tue mein Bestes, um gute Laune zu verbreiten und sie aufzufangen, aber es zerrt schon extrem an Kräften.

    Die Kinder sind auch grundsätzlich resilient, ich hatte sogar welche, die als Duo bei Jugend musiziert mitgemacht haben (hauptsächlich, um sich auch außerhalb des Klassenzimmers sehen zu können), die hatten noch nie Kammermusik gespielt und mussten erstmal die Grundlagen des Zusammenspiels mit Online-Anleitung lernen. Ja, es war gut, dass man nicht abgesagt hat. Aber bei so einem Grußwort fühlt man sich schon veräppelt: https://www.youtube.com/watch?v=5yW0flFVkxg. Und fragt sich, ob es dem Senator bewußt ist, dass die größte Herausforderung nicht das Aufnehmen des Wertungsvideos ist sondern die Online-Vorbereitung?

    Es sind Kleinigkeiten. Sie summieren sich aber im Laufe der Zeit. Auch deswegen müssen die Zahlen jetzt schnell runter.