Offener Brief an die Deutsche Phonoakademie

Offener Brief an die Deutsche Phonoakademie

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Nun haben Sie es tatsächlich getan – Sie haben den „Echo“ abgeschafft. Das finde ich eine gute Entscheidung! Schon lange hatte dieser Preis unter uns Musikern einen eher zweifelhaften Ruf – meist dröge und lustlose Preisverleihungen mit Auftritten von Künstlern, die entweder den Preis gar nicht brauchen, da sich ihre Platten eh gut verkaufen, oder die ihn als eine Art Alibi kriegen, damit es nicht ganz so aussieht, als ob es nur die Labels es unter sich ausmachen.

Das Beste, was man über den nun wohl letzten „Pop-Echo“ sagen kann, ist, dass es wohl so schien, als ob manche Künstler richtig erleichtert waren, den Preis endlich zurückgeben zu können. Manche taten es nicht, da sie einen praktischen Nutzen davon haben.
Aber keine Sorge, bald ist die ganze Häme und die ganze Aufregung vorbei (und auch der verschämt unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindende „Jazz-Echo“ – Mann, da wäre ich nicht gerne Moderator, die Stimmung wird am Kochen sein!). Dann müssen Sie auch keine schrecklichen alptraumerzeugenden Selfies von tätowierten Grinse-Models wie Sophia Thomalla mehr ertragen. In der Phono-Akademie kehrt dann Ruhe ein, und man kann endlich über den „Neuanfang“ und die „Neuausrichtung“ nachdenken – so hatten Sie es ja verkündet!
Als ehemaliger Mit-Echo-Klassik-Preisträger (nämlich Solo-Pianist bei der von Ihnen ausgezeichneten „Pollicino“ – CD, einer Oper von Hans-Werner-Henze, die von Marzahner Kindern unter der Leitung von Jobst Liebrecht eingespielt wurde) darf ich mir erlauben, ein paar Anregungen auf diese Weise in Ihre Richtung zu schicken. Vielleicht finden Sie ja Gehör, worüber ich mich freuen würde!

Zuerst einmal: bei einem Musikpreis sollte es an allererste Stelle um zwei Dinge gehen. Erstens: Natürlich um Musik, davon gehe ich jetzt mal aus. Und zum zweiten um Qualität. Dann kommt eine ganz lange Liste von weiteren Dingen, aber ich denke Mal der „kommerzielle Erfolg“ eines Künstlers kommt erst relativ weit hinten, denn der sollte NACH dem Preis kommen, nicht zwingend vorher.

Das finden Sie zu radikal? Doch, ich meine das genauso. Mir ist klar, dass Sie als Musikindustrie natürlich zuerst einmal daran interessiert sind, Geld zu verdienen, sonst wären Sie keine „Industrie“. Aber ich fände es großartig, wenn Sie das größere Ganze nicht aus den Augen verlieren. Ist nämlich die Musikszene insgesamt in einem guten Zustand (würde heißen: sie kommt ohne gerappten Nazisprüche aus, um Aufmerksamkeit zu heischen), verkaufen ALLE mehr Tonträger, Streams, Abos oder was auch immer.

Und mal ehrlich: sind jemals Horden von Teenies in den nächsten Plattenladen gestürmt, um die neue Helene-Fischer-CD zu kaufen, nur weil diese gerade den ECHO gewonnen hat? Ist der ECHO wirklich je ein Kaufsignal gewesen? Das glauben Sie sicherlich auch nicht wirklich. Aber klar, man will auch feiern, berühmte Künstler auftreten sehen, Glamour haben. Aber kann man doch auch so, dafür braucht man doch keine Preise vergeben?

Schauen wir doch mal, wie es andere machen. Zum Beispiel die Brettspielbranche, die seit vielen Jahren in Deutschland beständig wächst und bei ihren internationalen Messen (zum Beispiel in Essen und Nürnberg) locker mit den Musikmessen mithalten kann, was die Besucherzahlen angeht.

Brettspieler spielen gerne gute Spiele. Hierbei ist es ihnen eigentlich ziemlich egal, ob es sich um das Spiel eines „berühmten“ Autoren handelt, oder eines weniger berühmten, das Spiel sollte vor allem eines: Spaß machen.
Auch in der Spieleszene gibt es einige Preise. Der bedeutendste hiervon ist der sogenannte “Spiel des Jahres”-Preis, von dem Sie vielleicht auch schon Mal gehört haben. Dieser Preis wird alljährlich von einer Fachjury vergeben, die wochenlang nichts anderes tut als Spiele auszuprobieren. Der Preis wird vollkommen unabhängig von kommerziellen Gedanken vergeben, es geht allein um das beste Spiel, ganz unabhängig davon, ob es sich um einen kleineren oder größeren Verlag handelt, einen schon bekannten oder gänzlich unbekannten Autoren.

Über viele Jahrzehnte hat die Jury so kluge Entscheidungen getroffen, dass das Siegel “Spiel des Jahres” inzwischen eine international anerkannte Größe ist, die tatsächlich Verkaufszahlen erzeugt, anstatt sich auf schon vorhandene Verkaufszahlen zu setzen. Deswegen gewinnt auch nie die neue “Star Wars Monopoly”-Ausgabe von Hasbro, sondern stattdessen vielleicht das wirklich gute Spiel eines bisher wenig etablierten Verlages, der hiermit nun eine Chance bekommt.

Wir sehen also: Qualität kommt zuerst, und von der Qualität des Preises profitiert nicht nur der Gewinner, sondern die ganze Branche. Daher ist die Spielebranche auch seit Einführung des “Spiel des Jahres” immer gewachsen, und ja, da gibt es auch einen nachweislichen Zusammenhang.

Und genauso ist es bei Musik: Wenn ich Musik höre, dann ist es den Hörern in Wirklichkeit vollkommen egal, ob dieser Künstler gerade “in” ist, oder ob diese Geigerin gerade etwas berühmter oder etwas weniger berühmt ist. Die Hörer hören, was sie in diesem Moment gerade gut finden. Niemand stellt ständig Ranglisten im Kopf auf oder ordnet seine CDs nach “Berühmtheit”, eben weil Berühmtheit ein so flüchtiger Begriff ist, auch in der Popmusik, wo man das meiste angeblich so großartige und angeblich von so vielen Menschen geliebte dann auch wieder sehr schnell vergisst, und zwar komplett.

Selbst beim Eurovision-Song-Contest geht es nicht um vorherige “Berühmtheit” (sonst würde nie ständig irgendein Isländer gewinnen) sondern tatsächlich noch irgendwie um Sympathie – als dieser Wettbewerb tatsächlich noch künstlerisch bedeutend war (lange ist’s her), machte er Karrieren, anstatt schon vorhandene Karrieren zu bestätigen.

Und so sollte es auch beim neuen “ECHO” sein, wie auch immer der heißen wird.

Und das geht so: Heuern Sie ein paar wirklich musikbegeisterte Menschen an, die Lust haben, Neues und Außergewöhnliches zu entdecken. Diese Menschen sollten weder bei einem Label arbeiten noch irgendeinen Verband repräsentieren. Sie sollten einen Überblick über das von ihnen kuratierte Genre haben, und sich wirklich leidenschaftlich damit beschäftigen, sprich: viel Zeit haben.

Diese Menschen sollen dann Aufnahmen hören und in Konzerte gehen, und hierbei sollte es egal sein, ob diese Konzerte in einer Arena oder in einem kleinen Club stattfinden, es sollte allein das Talent der Künstler zählen. Ähnlich wie die „Oscar“- Jury sollte sie versuchen, so gut wie alle Neuerscheinungen irgendwie abzudecken.
(apropos: es sollte auch nicht nur um die darbietenden Künstler gehen, sondern vielleicht auch wieder mehr um die Schöpfer der Musik, also die Komponisten und Texter. Hier ist noch großes Potential für neue Preiskategorien, aber das nur nebenbei)

Dann machen Sie bitte gerne einmal im Jahr eine große Show, die man sich nicht anschaut, weil man möglichst schnell kotzen möchte, sondern die man sich anschaut, weil man überrascht und angeregt werden will. Präsentiert von kundigen Moderatoren, die sich nicht ständig dafür entschuldigen, keine Ahnung zu haben.

Ganz ehrlich, das könnte funktionieren. Sie müssen es nur mal versuchen! Und wenn dann das Siegel “von der deutschen Phonoakademie empfohlen“ auf einer CD klebt, könnte dies ja tatsächlich wieder einmal ein Kaufsignal werden, und zwar dann, wenn man der Jury vertraut, Qualität vor Hype zu setzen.

Und so könnten wir einen neuen Preis haben, auf den wir alle stolz sein können, und der nicht ideologisch oder taktisch missbraucht werden kann. Und wenn Sie Glamour wollen, dann vergeben sie weiterhin Ehrenpreise an langverdiente Künstler, denn wenn man die schon so lange kennt, ist die Chance nicht schlecht, dass sie es auch verdient haben.

Also, ganz einfach: Quality first, Musikindustrievorgaben zuletzt. Es geht, Haben Sie Mut dazu!

dafür dankt Ihnen schon im Voraus Ihr

Moritz Eggert

3 Antworten

  1. uli.l (arts) sagt:

    OMG … schon wieder so’n eggystyle Kommentar im absoluten, totalen Asolutheitsgestus; ein Pop(p)er kommentiert Pop … wie cool!

  2. Sehr geehrte Damen und Herren!

    Im Jahre 2014 haben Sie mir für unsere Produktion des “ Ensemble Blumina“, den Klassik-ECHO verliehen.
    Dieser Ehre erinnere ich mich sehr gern. Alles, was gute Musik fördert, unterstützt die Kultivierung des Geistes und der Seele.
    In den vergangenen Tagen haben viele Musiker den Echo zurück gegeben, was ich außerordentlich gut verstehe. Die Auszeichnung sogenannter Gangstarapper mit ihren gewaltverherrlichenden, antisemitischen und frauenfeindlichen Texten hat auch mich als friedliebende Frau, die Israel unterstützt, existentiell erschüttert.
    Dennoch möchte ich meinen Echo nicht zurück geben und lediglich eine Geste anderer Künstler imitieren.
    Ich möchte Sie bitten, all Ihr Augenmerk, all Ihre Kraft und all ihre Anstrengungen zu bündeln, um eine Bildungsintiative ins Leben zu rufen. Sie soll Jugendliche abholen bei ihren Gefühlen, um sie über Mitleidlosigkeit und Rohheit in der Rapperszene aufzuklären. Das funktioniert weder mit Büchern noch mit aufgezwungenem Gedenken.
    Kürzlich hörte ich einen passenden Kommentar im Radio. Den Text finden Sie hier:
    „Zehntausende von Kindern und Jugendlichen tanzen und singen zu den Songs von Kollegah und Co. Sie kennen den Text von 0815 auswendig. Cool seien die Rapper und krass gut, echte Maschinen, so die Schüler in der Klasse eines Schweizer Lehrers. Dieser Lehrer hat daraufhin nichts verurteilt, sich nicht empört. Er hat seine Schüler gefragt, ob sie Auschwitz kennen und wissen, was damals geschehen ist. Schweigen. Dann hat er einige Passagen aus Primo Levi’s Auschwitzerinnerungen vorgelesen. Stille. Er hat ihnen Fotos gezeigt von einem verhungerten KZ- Opfer und einem Bodybuilder. Was wohl der Unterschied sei? Und ganz langsam begannen die Schüler zu verstehen. Der Bodybuilder quält sich für seinen Körper. Der Auschwitzinsasse wurde gequält. „Ey,“ rief eine Schülerin, „die Rapper haben ja null Mitleid. Die sind ja krank“. Diese kleine Episode zeigt, wie sich ein empathischer Lehrer fortbewegt vom starren Curriculum hin zu den Gefühlen seiner Schüler. Kinder und Jugendliche provozieren gern, ihre Peergroups stehen auf vermeintlich starke Vorbilder. Sie orientieren sich an Rappern. Mitgefühl und Moral lernen sie nicht über verordnete KZ Besuche oder aufgezwungene Lektüre zum Dritten Reich. Moral und Empathie, wenn schon im Elternhaus nicht geformt, können Lehrer nur vermitteln dank authentischer Geschichten und mit bildhaften Appellen an die Gefühle ihrer Schüler. Über ein ehrlich empfundenes Mitgefühl entwickeln sich Anstand und Sitte von allein. Dies ist die einzige Basis, die Gangsterrappern das Geschäft ruiniert. Und ohne Geschäft kein Preis der Musikindustrie.“
    Bitte teilen Sie mir mit, wie Sie Jugendliche vor der Brutalität der Rappertexte schützen wollen. Mit einer klugen PR-Initiative? Oder mit psychologischen Workshops für Lehrer? Es gibt viele Möglichkeiten.
    Wenn Ihnen dies gelingt, wird der ECHO-Preis mir hoffentlich wieder eine Ehre sein.

    Mit freundlichem Gruß

    Ihre Elisaveta Blumina
    http://www.blumina.com

  3. Eberhard Klotz sagt:

    Dank für den Offen Brief und für den 2. Kommentar! (Was der erste Kommentar mit dem Artikel zu tun hat erschliesst sich mir allerdings nicht.)
    Wie sagte unsere Bundeskanzlerin beim Gedenken an die Morde von Solingen doch so schön: Wer mit Worten Gewalt sät, nimmt billigend in Kauf, dass Gewalt auch ausgeführt wird. Aber das ist den beiden Rappern wohl egal: Sie haben keine Empathie, können sich nicht in die Gedanken, Vorstellungen oder Gefühle anderer Menschen hineinversetzen, sie haben kein Empfinden für Unrecht, kein Mitleid oder Mitgefühl für das Leid anderer. In Kindern, Frauen und Männern sehen sie nur „Opfer“, Material, dass man nach Belieben benutzen, missbrauchen, erniedrigen, verletzen, töten oder demütigen kann. Und dieses Menschenbild vermitteln sie an die Jugendlichen in Deutschland. Kurz, ihnen fehlt es an Liebe. Letztendlich eine schwere psychische Störung im kognitiv – emotionalen Bereich, die in späteren Jahren nur noch schwer behandelt werden kann.