Die Abschaffung des Kulturradios – Folge 10 Was passiert ab dem 2. April? Oder: Klassiksender ohne Klassik

Das ist tatsächlich das mehr oder weniger einzige (und völlig unbrauchbare) Foto, das ich in meiner Zeit beim rbb gemacht habe. Es stammt vom 30. September 2008.
Das ist tatsächlich das mehr oder weniger einzige (und völlig unbrauchbare) Foto, das ich in meiner Zeit beim rbb gemacht habe. Es stammt vom 30. September 2008.

[*Klassiksender ohne Klassik: … jedenfalls, was die Zeitschiene von 6 bis 10 Uhr anbelangt.]

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Im Dezember 2020 begann ich, an dieser Stelle über »Die Abschaffung des Kulturradios« zu schreiben. Dabei nahm ich »meinen« ehemaligen Sender – heute: rbbKultur – besonders in den Fokus. Denn dieser Sender liegt allein räumlich nahe – und die Menschen, die dort (frei oder festangestellt) arbeiten: am Herzen.

Manch einen Redakteur habe ich angegriffen, ohne den Namen zu nennen. Teilweise zu Unrecht. Das tut mir leid und ich habe mich intern entschuldigt. (Die Entschuldigung wurde angenommen.) Wie sich herausstellte, waren die dort arbeitenden Redakteurinnen und Redakteure im Grunde machtlos, was den herbeigeführten Niedergang dieses Senders angeht.

Jetzt scheint sich aber doch zu bewahrheiten, was ich von Anfang an – allein im Titel dieser Blog-Serie – angedeutet hatte: Das Kulturradio des Rundfunk Berlin-Brandenburgs steht kurz vor der Abschaffung. Beziehungsweise vor der Fusionierung mit radioeins, dem coolen Popsender des rbb.

Ab 2. April 2024 wird der Journalist und Moderator Jörg Thadeusz, bekannt vor allem auch durch seine TV-Präsenz, das Morgenprogramm von rbbKultur übernehmen. Und zwar, man höre und staune, von 6 bis 10 Uhr. Und zwar für die meisten Tage im Monat. Außerdem wird der Sender in »radio3« umbenannt.

Hinzu kommt: Von 6 bis 10 Uhr wird in dem (dann im Grunde in Teilen »einstigen«) Klassiksender keine (!) Klassik mehr gespielt.

Intern hört man, dass es einigen Führungskräften des rbb wohl daran gelegen ist, den Sender erstens zu marginalisieren (und damit die E-Musik »als solches« für das Sendegebiet von Berlin und Brandenburg). Das ist in Teilen ja schon durch wenig geglückte Programmreformen, gegen die selbst der Protest von außen nichts half, eingeleitet worden, nein, im Grunde schon 2003. Damals begann man, auf unglückliche Weise den Pop-Sendern im Tagesprogramm nachzueifern. Kleine Häppchen, lustlos und auf »Präsenz« und, ja, Harmlosigkeit zielende Klassik (nichts gegen Kozeluch und Cannabich, aber …), die die Wort-Beiträge, Frühkritiken, fünfminütige Einschätzungen zur Kulturpolitik, Nachrufe und so weiter umspülen/umspielen. Im Grunde ging man offensiv dazu über, Klassik als Nebenbei-Hör-Musik verkaufen zu wollen. Entsprechend gab es in großen Teilen des Tagesprogramms von 6 bis 18 Uhr fast nie ganze Werke zu hören.

Zunächst muss man sagen, dass die Programmreformen, mit denen Neoklassik und seichter Pop vor ein paar Jahren ins rbbKultur-Programm einzogen, modifiziert worden sind. Neulich habe ich mal reingehört. Und das klang besser als noch vor vielen Monaten. Auch ist endlich so etwas wie Subjektivität von Moderatorinnen und Moderatoren endlich wieder am Werke, nämlich in der Sendeschiene »Meine Musik«. (Die Sendung »Musikstadt Berlin« allerdings vermisse ich immer noch schmerzlich.)

Wie kann es eigentlich sein, dass ich fantastische Sendungen wie die »Blindverkostung« bei rbbKultur als völlig singulär höre? Wie kann es sein, dass Moderatoren wie Kai Luehrs-Kaiser und Peter Claus (Offenlegung: ich kenne beide persönlich) noch keine eigene Sendung haben? Im Morgenprogramm trafen sie eher zufällig aufeinander (nämlich bei Opernkritiken, die Luehrs-Kaiser abliefert, wenn Claus Dienst hat). Jedes Mal habe ich Tränen gelacht und war ganz berührt, wie diese beiden alten Haudegen geflirtet, kritisiert und erzählt haben. Das atmete etwas von der Luft ganz alten Radios. Und zwar im besten Sinne. In dem Sinne, dass klar wurde: Mit solchen unschlagbaren Alt-Tier-Duos dürfte ein Kultursender und auch im Speziellen rbbKultur nie wieder infrage gestellt werden. Aber der Sender soll ja jetzt auch radio3 heißen. »Wir schreiben uns klein« – so könnte das Motto dazu gleich lauten. Und, wenn man ehrlich ist/wäre: »Wir tun alles für künftige Intendanz- und Direktions-Karrieren! Und wenn es die AfD in Brandenburg bestärkt: so what?!« (Und, ja, das hängt zusammen. Aber dazu lese man die vergangenen Blog-Beiträge dieser Serie.)

Es ist aber so: Die rbb-Führungsriege ist klassik-, und, ja, sagen wir das ruhig so: kulturfern. Dort, wo ein Bildungsauftrag auch tief in den Statuten steht, fehlt es an Bildung. An Mut und Innovationskraft sowieso. Das wissen wir. Man wurde als Hörer quasi dazu gezwungen, sich daran zu gewöhnen. Durch langsame Verschlimmbesserungen. Man könnte so viel richtig machen. Mit Diskussionssendungen, beispielsweise aus vielen Orten in Brandenburg, wo so viel regionales Kultur-Andock-Potential schlummert. Aber all das will man nicht.

Ein paar Personen vom rbb schielen auf ihre Karrieren. Weil die Parole der (zweitens!) sendermäßigen Abschaffung von Musik, die Zeit braucht, die auch mal als Werk ganz gespielt werden will, die zumindest aber, unterbrochen durch Wort-Beiträge, doch wenigstens für ein, zwei Stunden pro Tag einmal ästhetisch einheitlich und dadurch umso ausdifferenzierter, interessanter wirken könnte, ausgerufen wurde.

Ab 2. April moderiert also ein Mann von 6 bis 10 Uhr, der – und das ist nicht böse gemeint – eher aus der Talk-Kultur kommt. Alles soll offenbar so klingen wie radioeins. Aber radioeins gibt es nun einmal schon! Also ist letztlich nichts anderes zu erwarten, als dass radio3 von radioeins geschluckt wird. (Das Ganze klingt ja schon sehr ähnlich.) Und zwar in nicht allzu vielen Monaten.

Ich wünsche mir wenigstens die Zeiten herbei, in denen man teilweise halbstündlich mit seriösen Nachrichten und aktuellsten Kulturmeldungen versorgt wurde. Ich will Individualistinnen und Individualisten vor dem Mikro, die von E-Musik auch entsprechend Ahnung haben. Ich will keine Gleichschaltung. Ich will Konzerte und Diskussionen und so weiter aus Eberswalde, Spremberg, Cottbus und Neuruppin. (Und Berlin, klar. Aber Berlin ist immer dabei. Gefühlt aber nur die Berlinale und, wenn Andreas Dresen einen neuen Film gemacht hat. Also: wenn Berlinale ist.)

Jetzt ist die Frage, ob wir das gemeinsam verhindern können. Außerdem fragt sich, ob Jörg Thadeusz das durchhalten wird. Jeden Tag moderieren, von 6 bis 10 Uhr? Für eine wohl dann immer noch weiter schwindende Hörerschaft?

Wer will das schon? Die wichtigste Frage aber ist: Was wollen WIR? Und was können die Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker im Brandenburger Landtag und im Berliner Abgeordnetenhaus tun?

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

Eine Antwort

  1. Klaus Bartel sagt:

    Lese das erste Mal Ihre Artikelserie zum Kampf um rbb-Kultur und bin voll und ganz Ihrer Meinung! Hoffentlich kommt etwas davon da oben beim Sender an.
    Jetzt droht den Hörern eine weitere unendliche Berieselung mit fremdsprachlichen Lied-/ Songprodukten der Popindustrie, deren Inhalt die wenigsten Hörer, auch mit Abitur, wahrnehmen können, denn rein instrumentale Musikbeiträge gibt es scheinbar im Pop nicht mehr. Konsum der vokalen Lautmalerei wird dem Hörer aufgezwungen.
    Eine Beschränkung des Klassikprogramms ist nicht hinzunehmen. Ich drohe mit Hörerblockade, obwohl mich der Verlust des Hörgenusses klassischer Musik schmerzt.
    K. Bartel

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