Unentspannt Deutsch

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Als kürzlich ein Ladenkettenbesitzer mit Filialen in Thüringen und Sachsen in Werbeprospekten den Aufruf „Für Demokratie – gegen Nazis“ benutzte, erntete er für diesen Spruch von seinen Kunden und Mitarbeitern so viel Kritik, dass er ihn zurücknehmen und sich entschuldigen musste.

Das ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Sogar AfD-Politiker bringen stets Demokratie ins Spiel, wenn sie ihre Forderungen stellen, und dass Nazis nie auch nur einen Hauch des Guten in dieses Land gebracht haben, ist unbestritten. Das heißt: der Spruch sollte auch für AfD-Wähler unbedenklich sein, wenn sie sich mit Werten der Demokratie identifizieren und sich von echten Nazis fernhalten (was die AfD stets zumindest offiziell vorgibt).

Aber das scheint schon lange nicht mehr der Fall zu sein. Das Erschreckende ist: Über den Spruch kann man nur beleidigt sein, wenn man sich insgeheim für einen Nazi hält. Ansonsten ist man nicht angesprochen. Hätte der Spruch geheißen „Für Freiheit ohne Arschlöcher“ (was essenziell dasselbe bedeutet), hätte es vermutlich kein Problem gegeben, denn niemand fühlt sich mit der Bezeichnung „Arschloch“ angesprochen.

Und das kann wiederum nur bedeuten, dass die Bezeichnung „Nazi“ von vielen nicht mehr als negativ, sondern als identifikationsstiftend empfunden wird.

Immer wieder werden rechtsradikale Tendenzen mit Begriffen wie „Protesthaltung“, „Wählerfrust“ oder einem „Gefühl des Abgehängtseins“ quasi entschuldigt, aber ich fürchte, dass die Gründe eher in einer perversen psychologischen Umkehr zu suchen sind. Man hat das Konzept „Nazi“ so oft als negatives Bild vorgehalten bekommen, das man es in der Assimilation zu überwinden sucht, ganz ähnlich, wie zum Beispiel die afroamerikanische Community das N-Wort ausgiebig untereinander benutzt, um sich darüber zu ermächtigen. Wenn aber dann eine Person, die nicht zu dieser Community gehört, das Wort benutzt, ist es ein Affront. Siehe das Beispiel oben. Mit dem Unterschied, dass es sich bei dem einen N-Wort um eine Beleidigung, bei dem anderen um eine menschenverachtende Ideologie handelt, aber nun denn.

Der Niedergang des Dritten Reichs war ein tiefes Trauma für Deutschland. Die Nazis hatten mit ihrer Propaganda systematisch ein pervertiertes Heimatgefühl propagiert, in dem besonders unsichere und sich nach dem Ersten Weltkrieg zu kurz gekommen fühlende Menschen Trost fanden. Die Symbole dieser Propaganda erwiesen sich als sehr beständig in der Populärkultur – Leni Riefenstahl wurde trotz ihrer offensichtlichen Propagandafilme für ihre Ästhetik weiterhin bewundert. Und Hollywood zeigte Nazis zwar als Bösewichter, schien aber gleichzeitig fasziniert von ihren Uniformen, ihren Symbolen und ihrer technischen Überlegenheit (womit man sich als Sieger natürlich auch besser aussehen ließ).

In den Nachkriegsjahren stillten harmlose Heimatfilme und schmuddelige Landser-Heftchen diese dunkle Sehnsucht nach diesem Zerrbild des „Deutschseins“, welches man sich nicht mehr wirklich offen zugestehen wollte. Die erfolgreichsten deutschen Schlagersänger der 70er Jahre trugen dagegen fast alle ausländische Phantasienamen und sangen mit Phantasieakzenten. All dies, um möglichst nicht zu „deutsch“ herüberzukommen, denn das galt als uncool.

Die „Neue Deutsche Welle“ war dann die erste Hinwendung zu einem neuen Konzept der Selbstidentifikation. Da sie aus der eher als links wahrgenommenen Punk und New Wave-Bewegung hervorging, übersah man gerne, dass sich schon damals gelegentlich seltsame Ansichten in der Szene tummelten (Immerhin schrieb z.B. ein Jürgen Elsässer für damalige Szene- Magazine, heute ist er das Sprachrohr der Neuen Rechten). Zum Teil wurde auch offen mit Nazi-Ästhetik unter dem Deckmantel der Provokation kokettiert, übrigens nicht nur von Deutschen, wie ein Interview mit David Bowie zeigte (eine genaue Analyse von dem, was Bowie wann und wie über Hitler sagte ist hier zu finden)

Dieser Trend setzte sich auch später in z.B. Techno und Rave fort – einerseits sind diese Musikrichtungen erst einmal unpolitisch, es gab aber immer wieder Protagonisten, die sich einer dezidiert übertriebenen teutonischen Ästhetik bedienten, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Der gesamte Erfolg einer sich betont martialisch und „deutsch“ gebenden Band wie „Rammstein“ beruht auf der Tatsache, dass sich ein Teil des Publikums anscheinend dringend danach seht, wieder mit ihrem Deutschsein „relevant“ zu sein. Aber nein, natürlich wollen sie keine Nazis sein. Oder vielleicht inzwischen doch.

Das lässt uns vergessen, dass es doch immer wieder mal Momente deutscher Lässigkeit in der Kultur gab und gibt. Künstlerinnen und Künstler, die so richtig „deutsch“ sind, bei denen man aber nie Angst bekommt, dass sie gleich eine Hakenkreuzfahne schwenken (eine Angst, die mich bei so ziemlich jedem Video von „Rammstein“ befällt).

In einer idealen Welt wäre die Band „Die Heiterkeit“ das erfolgreichere Gegenkonzept von „Rammstein“.  „Die Heiterkeit“ ist in jeder Hinsicht – Musik, Texte, Protagonistinnen – das absolute Gegenteil von „Rammstein“. Dennoch singt die wunderbare Sängerin Stella Sommer mit ihrer ungewöhnlich tiefen Stimme deutsche Texte, die ein deutsches Lebensgefühl ausdrücken, begleitet von Musik, die sich in Akkord-wie auch Melodiestruktur in einer Tradition irgendwo zwischen deutschem Kunstlied und ambitioniertem deutschem Schlager bewegt. Warum ist diese Band nicht erfolgreicher? Der Text drückt perfekt eine traurige Sehnsucht der Deutschen aus „Du willst an die Mündung, Du kennst diesen Ort, Man merkt es Dir an, Du warst lange fort“. Und wenn Stella Sommer dann mit ihrer an die Schwedin Zarah Leander gemahnenden Stimme tröstend singt „Oh, ich will dir helfen“ ist das definitiv kein Aufruf dazu, einen Baseballschläger in die Hand zu nehmen, sondern ein melancholisches Anerkennen eines Schmerzes. Das ist etwas völlig anderes als die martialischen Posen von „Rammstein“. Es ist eine künstlerische Beschäftigung mit einem deutschen Lebensgefühl, die wir dringend brauchen. Stella Sommer singt inzwischen Englisch, vermutlich, weil sie sich in ihrer Heimat nicht genug verstanden fühlt.

 

 

Warum scheint es uns nur so selten zu gelingen, einfach mal wieder entspannt „Deutsch“ zu sein? Ist unser Selbstvertrauen so gering? Wir dürfen nicht vergessen: die Ästhetik des Dritten Reichs beruhte auf instrumentalisierter Aneignung und brutaler Ausgrenzung, sie war so wenig „deutsch“ wie die Schrecken der Kulturrevolution authentisch „chinesisch“ oder die stalinistische Repression wirklich „russisch“ war. Es gibt eine chinesische Kultur jenseits von Mao und eine russische Kultur jenseits von Stalin oder Putin, also müsste es auch eine deutsche Kultur jenseits von Hitler geben können. Nur weil eine gewachsene Kultur von Diktaturen missbraucht wurde, heißt es nicht, dass die Kultur selbst missbräuchlich ist oder den Missbrauch will. Es gilt ein Deutschsein wiederzuentdecken, das nicht von Idioten vergewaltigt wurde.

Dass es da eine Leerstelle gibt, eine diffuse Sehnsucht nach Heimat, die leider im Moment von Populisten und Idioten gefüllt wird, ist offensichtlich. Natürlich ist es nicht schlimm, Deutsch zu sein. Es kann sogar cool sein, ohne dass man gleich mit schwarzen Lederstiefeln herummarschieren muss. Edgar Reitz‘ „Heimat“-Serie ist zum Beispiel rundum „Deutsch“, aber gerade deswegen so authentisch und gut. Das wurde zum Teil im Ausland wesentlich mehr anerkannt als bei uns, warum eigentlich?

 

 

In Deutschland dominieren zwei Extreme: entweder eine übertriebene Selbstverneinung aus Scham oder ein Auftrumpfen aus Dummheit. Dazwischen scheint es fast nichts zu geben.

Wenn wir im Ausland sind, finden wir es – vorausgesetzt wir sind keine komplett zugeballerten Holzköpfe – eigentlich meistens sehr schön, wenn Länder ihre nationale Eigenart pflegen. Wenn wir an Italien denken, denken wir zum Beispiel positiv zuerst einmal an eine bestimmte Adriano-Celentano-artige Lässigkeit und Coolness, an „volare“ und Don Camillo und Peppone, an gestikulierende Redeweisen und eine geradezu pathologische Sucht nach gutem Kaffee und Essen. Das sind alles Klischees, aber im Gegensatz zu den typischen deutschen Auslandsklischees von Lederhosen, übermäßigem Ordnungssinn und Oktoberfesten empfinden Italiener in ihrem Land diese Klischees nicht als bedrückend, sondern sie erzeugen eine bestimmte positive Selbstidentifikation. Kein Italiener ist beleidigt, wenn man diese Klischees umarmt. Wir Deutschen dagegen schämen uns immer ein bisschen, wenn man unser Deutschsein gut findet. Was vor allem darin liegt, dass wir insgeheim stets irgendwie beleidigt sind, genauso wie die wunderbar getroffenen Deutschen in „Fawlty Towers“, eine Episode die sich vor allem über englischen Alltagsrassismus, nicht etwa über Deutsche lustig macht.

 

 

In amerikanischen Zeitungen wird momentan eine Rekordzahl deutscher Fremdworte benutzt, einfach, weil viele dieser Worte etwas ausdrücken, das man im Englischen so nicht sagen kann. Deutsche Kultur hat im Guten wie im Schlechten die Welt beeinflusst, sie ist international existent. Und ja, man kann und darf auch so etwas wie Stolz dafür empfinden, ohne gleich Antisemit sein zu müssen, ebenso wie wir auch akzeptieren können, dass Franzosen stolz auf die „Marseillaise“ sind, oder auf ihre Kultur und Sprache, trotz zahlreicher Kolonialverbrechen und den napoleonischen Angriffskriegen, die einst Europa verwüsteten. In Wirklichkeit beneiden wir den Franzosen diese mühelose Selbstidentifikation, da unsere eigene Identifikation zutiefst gestört und pathologisch ist. Und da wir – anders als die von der Geschichte ebenfalls gekränkten Nationen England oder Österreich – nur selten über uns selbst lachen können, wird sich das auch nicht so schnell ändern. Wer stets beleidigt ist, steigert sich irgendwann auch ohne Grund in diese Beleidigung hinein.

Mit dem Lachen aber begönne eine Form der Heilung. Es gibt vieles, mit dem man in Deutschland wesentlich besser zurechtkäme, wenn man darüber – statt ständig beleidigt oder „wütend“ zu sein –lachen könnte. Natürlich ist eine heutige Generation fern von jeglicher Kriegsschuld, sie hat nichts mit den Schrecken des Holocaust zu tun. Wenn diese Generation „Deutsch“ sein will, dann sollte sie das können, ohne dass gleich ein Vorwurf im Raum steht. Wir müssen den Wunsch nach einer eigenen Identität trennen von einem Wunsch nach irgendeiner völkischen Scheiße. Es ist nicht dasselbe.

Die Nachkriegsgenerationen haben sich zerfleischt in der Abarbeitung, vielleicht wäre es langsam mal an der Zeit, ein neues Deutschsein zu erfinden. Ein Deutschsein, dass Rechnung trägt, dass viele heutige Deutsche einen Migrationshintergrund haben, der geografisch weiter reicht als in früheren Generationen, die sich aber dennoch als „deutsch“ identifizieren. Man kann sich nicht selbst „remigrieren“, wenn man schon in seiner Heimat ist. Dieses Deutschland, dieses hier und jetzt, diese vielfältige Gesellschaft: Das ist unsere Heimat. Wir können uns nicht von uns selbst abgrenzen. Wir sind keine „Rasse“ – wir sind ein Konglomerat aus Geschichte, Zufällen, einer gemeinsamen Sprache mit unzähligen Dialekten, einer Bevölkerung mit unzähligen Herkünften. Das war schon immer so, und das wird auch immer so sein.

Die Chiffren des „Deutschseins“ sind nur so vergiftet, wie wir es selbst wollen. Wir können mitbestimmen, was „Deutschsein“ heute sein kann, und wir könnten es auf eine sympathische, einladende und freundliche Weise gestalten, wenn wir es nur wollten.

Aber wenn wir uns als „Nazis“ angesprochen fühlen, dann müssen wir uns nicht wundern, auch als „Arschlöcher“ wahrgenommen zu werden.

Denn es muss irgendwie klar sein, dass beide Worte exakt dasselbe bedeuten.

Moritz Eggert

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Eine Antwort

  1. Kleiner Hinweis: „rechtslastig“ bezieht sich in dem Youtube-Kommentar nur auf den Mix ;-)
    (Musik kommt ausschließlich auf dem rechten Stereokanal)

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