Igor Levti – Grauskonzert (Vorabdruck seines neuen Buches!) – Folge 3

Solomon Cutner (1902-1988)
Solomon Cutner (1902-1988)

Folge 1.
Folge 2.

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Igor ist müde. Sehr sehr müde. So so so so müde. Vor ein paar Tagen hatte er schon wieder geweint. (Twitter: „Ich weine gerade!“) Denn sein Freund Robert „Möglichkeitsraum“ Habeck wird nicht Kanzler werden. Völlig aufgelöst heulend twittert Levti, natürlich mit einem Selfie, auf dem er mit „Robbi“ zu sehen ist, wie generös es von einem gestandenen Mann sei, einer Frau (!) die Kanzler*innenkandidatur zu überlassen. („Robert, was du da heute gemacht hast, das hätte ich nie gemacht! Dafür einfach mal ein ‚Danke‘ von meiner Seite!“)

Jetzt knetet Igor ein Stück graue Knetmasse. Was wird er als nächstes kneten sagen? Alle um ihn herum warten (grauen)voller Spannung auf das nächste Wort, was dem Munde Levtis entfleuchen wird. Es könnte ein Zitat für die Geschichtsbücher werden – und möglicherweise die nächste Talkshow-Einladung einbringen!

„Was ist mit der Knete?“ – fragt seine graumäusige PR-Beraterin voller Angst und mit einem Zittern in der Stimme. Erst gestern hatte sie die ganze Nacht geweint. Aus Angst, Levti würde sein großes Lebensziel („Über 140.000 Follower, noch vor Ende April, sonst bist du gefeuert, hahahahahaha!“) nicht erreichen. Anschließend hatte er etwas zum Thema „Menschenrechte“ getwittert – und sich auf seinem iPad Bilder von ihm selbst angeschaut. Immer und immer wieder.

„Geht schon!“, platzt es aus dem Jahrmillionenpianisten schallend heraus. Graue Wolken ziehen vorbei.

Jetzt gerade, so erzählt Levti, hätte er Lust auf einen Grauburgunder. Den hat Beethoven auch immer gerne getrunken, so Levti lächelnd. „Sehr gerne. So so sehr gerne.“

Beethoven, das ist sein Thema. Heute Nacht hat er nur drei Minuten geschlafen. „Reicht mir!“, so Levti. Mitten in der Nacht hatte er alle Beethoven-Sonaten hintereinander exakt so gespielt wie Friedrich Gulda. Gar nicht mal schlecht. Nur gröber, mit viel mehr Pedal und einigen Patzern. „Ich weiß nicht, wie lange ich Beethoven noch will!“, so Levti extrem politisch und mutig (zu sich selbst). „Ich beginne, Beethoven hinter mir zu lassen. Er begleitet mich seit meinen Kindertagen. Aber jetzt will ich mehr, weiter… Endlich habe ich es geschafft, ‚Ich‘ zu sagen!“.

Ein sehr gut aussehender dunkelblonder Mann – ungefähr 1,90 Meter groß, markantes Gesicht, vermutlich Anfang oder Mitte 30, gelassenes, aber zugewandtes Lächeln, teurer Designermantel ganz in Schwarz – kommt vorbei.

„Dann sag doch mal ‚Ich‘, wenn du es gelernt hast!“, sagt der Mann mit einem ironischen, aber irgendwie auch liebevollen Unterton.

Igor Levti lächelt. Verunsichert. Draußen ziehen graue Wolken vorbei. Es ist ungewöhnlich heiß für Anfang Februar.

„Ihc!“ fährt es aus Levti heraus.

„Chi…“

Die grauen Wolken verdichten sich zu einem saftigen Schnitzel.

„Ihc!“. Levti knetet seine Knetmasse.

Der gutaussehende Mann lächelt – und empfiehlt Levti seine Lieblings-Beethoven-Aufnahmen. Er selber hätte ein kleines Buch über die letzte Sonate geschrieben. Der Mann überreicht Levti respektvoll das Buch. Mit seiner warmen, aber sympathisch jungenhaften Stimme sagt er noch: „Du hast mich vor ein paar Jahren auf Facebook gelöscht, weil ich eine Rätselfrage, die du gestellt hattest, richtig beantwortet hatte. Vermutlich, weil du zeigen wolltest, was für eine tolle Repertoirekenntnis du hast. Tja, die habe ich halt auch… Erinnerst du dich? Und nach einem Konzert 2012 hattest du vor versammelter Mannschaft meine damalige Freundin gefragt, ob sie dir einen Kuss auf den Mund geben würde. Weißt du noch?“

Levti zittert.

Der wirklich extrem attraktive Mann fährt fort: „Ich habe dir das verziehen. Aber bitte tu in der Öffentlichkeit doch nicht immer so, als würdest du die Menschheit retten und dich zum Beispiel gegen Sexismus engagieren. Es ist okay, dass du dich einzig und allein für dich selbst interessierst. Und immerhin hast du politisch die richtige Meinung, wenn ich auch ‚gegen Trump sein‘ und ‚gegen Nazis sein‘ nicht als echte Meinung verstehe. Das ist ja erst der Ausgangspunkt vernünftiger Diskussionen, dass man so etwas verachtet. Übrigens habe ich auch schon Morddrohungen erhalten, weil ich die AfD-Mitgliedschaft eines ehemaligen Cellisten öffentlich gemacht habe. Das war… Lass mich überlegen. 2017! Über die Morddrohungen hat damals sogar der Deutschlandfunk berichtet. Aber als Menschenretter habe ich mich trotzdem nicht verdingt! Nun. Gehab dich wohl!“

Levti, der einzige politische Künstler, den es je gab und dem wir alles zu verdanken haben, nimmt ein Feuerzeug aus seiner Tasche – und zündet das Buch an. Auf offener Straße.

Grauen Wolken ziehen vorbei.

„Du widerlicher Antisemit!“ – murmelt Levti dem Mann leise hinterher!

Die graue Knete in Levtis Hand hat inzwischen den Aggregatszustand gewechselt. Von „fest“ zu „flüssig“.

Genervt ziehen die grauen Wolken weiter.

Es ist anstrengend und extrem „gefährlich“, ein Jahrmilliardenpianist zu sein.

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

Eine Antwort

  1. Safe sagt:

    Zwar sehr grau – aber sehr lustig!