Die 24 Tonarten und ihre bekanntesten Werke – Folge 24: h-Moll

Ich hatte mal die Idee, wie man Johann Sebastian Bachs beiden Bänden des „Wohltemperierten Claviers“ „nacheifern“ könnte. Nämlich mit einer Playlist, die das jeweils bekannteste Stück jeder einzelnen Tonart abbildet. Also im Quintenzirkel „vorne“ angefangen von C-Dur bis nach „hinten“ (h-Moll). „Bekanntheit“ ist natürlich kein wirklich wissenschaftlicher Begriff. Mit „Bekanntheit“ meine ich – in Bezug auf Werke klassischer Musik – mehr ein „Gefühl“. Ist zum Beispiel ein Stück in einem Film einer/eines berühmten Regisseurin/Regisseurs sehr prominent verwendet worden, dann rückt dieses Werk jeweils natürlich gefühlt „nach oben“ im Ranking. Den ersten Satz von Beethovens Fünfter beispielsweise habe ich schon in Filmen iranischer Regisseur:innen verarbeitet gesehen/gehört (besonders eindrücklich in dem Film „Die Stille“ von Mohsen Makhmalbaf aus dem Jahr 1998). „Welthaftigkeit“ geht also als Überlegung hinsichtlich der „wirklichen“ („globalen“) Bekanntheit mit in die jeweilige Entscheidung ein. Meine Artikel-Serie zu den Tonarten ist insbesondere eine Einladung zum Mitdiskutieren! (Jeder „endgültigen“ Entscheidung füge ich einen Link und eine entsprechende Interpretation des jeweiligen Tonarten-Stückes bei. Auch hierbei darf in den Kommentaren gerne – freundlich – interveniert werden.)

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Die bisherigen Folgen: C-Dur, c-Moll, Des-Dur, cis-Moll, D-Dur, d-Moll, Es-Dur, es-Moll, E-Dur, e-Moll, F-Dur, f-Moll, Ges-Dur, fis-Moll, G-Dur, g-Moll, As-Dur, gis-Moll, A-Dur, a-Moll, B-Dur, b-Moll, H-Dur.

H-Moll ist olivgrün und wahnsinnig traurig, kommt aber manchmal als Schilderung von Gewässern fast kühlend angenehm daher. H-Moll schließt unsere kleine Serie hier ab. H-Moll ist dabei geisterhaft und jederzeit imstande, kurz und schmerzvoll „Adé“ zu sagen.

Bachs „Badinerie“, der erste Satz von Schuberts „Unvollendeter“ und eigentlich noch viel mehr Wagners „Walkürenritt“ hatten Chancen (und Wagners „Walkürenritt“ ist mir einfach zu spät eingefallen…). Doch meine Entscheidung ist nun eingemeißelt in Moses Gesetzestafel, ist bergpredigtähnlich bedeutsam eingeritzt in das Markstück (und Bein) der Geschichte – sprich… (Damit hat Grieg übrigens als Einziger gleich – nach dem „Frühlingsmorgen“ in E-Dur – zwei Siege mit demselben Zyklus eingefahren. Beeindruckend!)

Das für Arno Lücker bekannteste Werk in h-Moll:
Edvard Grieg (1843-1907)
Peer-Gynt-Suite Nr. 1 op. 46 (1888)
Nr. 4: I Dovregubbens hall (In der Halle des Bergkönigs). Alla marcia e molto marcato
Bjarte Engeset (Leitung)
Malmö Symphony Orchestra

Andere über h-Moll…

H.MOLL. […] ist BIZARRE, unlustig und MELANCHOLISH; deswegen er auch selten zum Vorschein kommet / und mag solches vielleicht die Ursache seyn / warum ihn die Alten aus ihren Clöstern und Zellen so gar verbannet haben / daß sie sich auch seiner nicht einmahl erinnern mögen.

(Johann Mattheson: Das neu-eröffnete Orchestre, Hamburg 1713, S. 250 f.)

H moll. Ist gleichsam der Ton der Geduld, der stillen Erwartung seines Schicksals, und der Ergebung in die göttliche Fügung. Darum ist seine Klage so sanft, ohne jemahls in beleidigendes Murren, oder Wimmern auszubrechen. Die Applicatur [der Fingersatz] dieses Tons ist in allen Instrumenten ziemlich schwer; deßhalb findet man auch so wenige Stücke, welche ausdrücklich in selbigen gesetzt sind.

(Christian Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, Wien 1806, S. 379 f.)

H moll [G moll ?], Mißvergnügen, Unbehaglichkeit, Zerren an einem verunglückten Plane; mißmuthiges Nagen am Gebiß; mit einem Worte, Groll und Unlust.

(Christian Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, Wien 1806, S. 377)

Beiden gleich ist H an starker Färbung in Dur, an Innerlichkeit in Moll. In Dur dient es der heftigen Leidenschaft, und drückt ein trotziges, seiner Kraft gewisses Selbstgefühl aus; in Moll ist es ruhige Erwartung und Ergebung. Das Angreifende beider Tonarten hat die Erfahrung gelehrt. Von einem Violoncellist Hoffmann in Dresden erzählt man, daß er durch ein Spiel in H moll stets krank wurde. So sehr nimt diese weichste Tonart die ganze Seele ein und kann sie zerknirschen. Für H moll und dur möge als Beispiel abwechselnder Form das Quartett für Pianoforte von Mendelssohn Bartholdy Op. 3 genannt werden; für H moll Beethovens Agnus dei in der zweiten Messe Op. 123 ein Gesang der zartesten Frömmigkeit. In langsamer Bewegung eignet diese Tonart vorzüglich für Todtengesänge. Umgesetzt in die Unnatur gewährt diese Tonart im ironischen Hohn auch Töne der Hölle. So in Webers Freischätz Caspars teuflisches Lied, mit dem er, allem Heiligen spottend, Max den Trank reicht. Ries schrieb den dreifachen Chor seines Siegs des Glaubens in H moll, in welchem, den Gläubigen gegenüber, eine Schaar frecher Ungläubigen der Gottheit Hohn spricht.

(Ferdinand Gotthelf Hand: Aesthetik der Tonkunst, Erster Theil, Leipzig 1837, S. 221 f.)

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.