Die 24 Tonarten und ihre bekanntesten Werke – Folge 22: b-Moll

Ich hatte mal die Idee, wie man – natürlich auf recht einfache, populäre, aber irgendwie lustige Weise – Johann Sebastian Bachs beiden Bänden des „Wohltemperierten Claviers“ „nacheifern“ könnte. Nämlich mit einer Playlist, die das jeweils bekannteste Stück jeder einzelnen Tonart abbildet. Also im Quintenzirkel „vorne“ angefangen von C-Dur bis nach „hinten“ (h-Moll). „Bekanntheit“ ist natürlich kein wirklich wissenschaftlicher Begriff. Mit „Bekanntheit“ meine ich – in Bezug auf Werke klassischer Musik – mehr ein „Gefühl“. Ist zum Beispiel ein Stück in einem Film einer/eines berühmten Regisseurin/Regisseurs sehr prominent verwendet worden, dann rückt dieses Werk jeweils natürlich gefühlt „nach oben“ im Ranking. Den ersten Satz von Beethovens Fünfter beispielsweise habe ich schon in Filmen iranischer Regisseur:innen verarbeitet gesehen/gehört (besonders eindrücklich in dem Film „Die Stille“ von Mohsen Makhmalbaf aus dem Jahr 1998). „Welthaftigkeit“ geht also als Überlegung hinsichtlich der „wirklichen“ („globalen“) Bekanntheit mit in die jeweilige Entscheidung ein. Meine Artikel-Serie zu den Tonarten ist insbesondere eine Einladung zum Mitdiskutieren! (Jeder „endgültigen“ Entscheidung füge ich einen Link und eine entsprechende Interpretation des jeweiligen Tonarten-Stückes bei. Auch hierbei darf in den Kommentaren gerne – freundlich – interveniert werden.)

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Die bisherigen Folgen: C-Dur, c-Moll, Des-Dur, cis-Moll, D-Dur, d-Moll, Es-Dur, es-Moll, E-Dur, e-Moll, F-Dur, f-Moll, Ges-Dur, fis-Moll, G-Dur, g-Moll, As-Dur, gis-Moll, A-Dur, a-Moll, B-Dur.

B-Moll ist dunkelstes, traurigstes Gold. Fast braun erscheint es mir als klingende Farbe… B-Moll ist die schwerste Tonart, sie wiegt am meisten… Sie trauert, sie schreitet belastend langsam nach vorne – und blickt doch immer schmerzverzerrt zurück in die verklärte Vergangenheit. Chopins „Trauermarsch“ aus der b-Moll-Klaviersonate, ja, daher des b-Molls Ruf! Doch Tschaikowsky wurde sogar für Joghurt-Werbung missbraucht. Das adelt ihn auf gar sahnige Weise (und mit einzelnen Fruchtstückchen). Hinein ins „We-can’t-Feeling!“ (wie ich immer – in der Annahme, richtig zu liegen – als Kind und Jugendlicher hörte; statt des Claims: „Hinein ins Weekend-Feeling!“).

Das für Arno Lücker bekannteste Werk in b-Moll:
Peter Tschaikowski (1840-1893)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 b-Moll op. 23 (1875)
1. Satz: Allegro non troppo e molto maestoso – Allegro con spirito
Sviatoslav Richter (Klavier)
Jewgeni Mrawinski (Leitung)
Leningrader Philharmoniker

Andere über b-Moll…

B moll. Ein Sonderling, mehrentheils in das Gewand der Nacht gekleidet. Er ist etwas mürrisch, und nimmt höchst selten eine gefällige Miene an. Moquerien [Vorwürfe] gegen Gott und die Welt; Mißvergnügen mit sich und allem; Vorbereitung zum Selbstmord – hallen in diesem Tone.

(Christian Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, Wien 1806, S. 378)

Auch dem B moll [Anm.: im Vergleich zu B-Dur] hat man oftmals eine zu specielle Bedeutung zugesprochen. In ihr liegt ein trübes, ja finsteres Gefühl, nicht des reinen Schmerzes, welcher Thränen vergießt, sondern des mit Unmuth und jener Art von Misvergnügen verbundenen, welche mit Gott und aller Welt murrt und mit sich selbst im Streite liegt. Es kann ein heftiger Seelenschmerz darin gemalt werden, wie in Glucks Iphigenia auf Tauris da, wo Orestes die Schicksale der Seinigen berichtet und endlich die Mutter als Mörderin nennt, diese Tonart mit kenntlicher Seelenwahrheit eintritt; doch ist meistens etwas beigemischt, was den Mangel des innern Friedens und ein Zerfallen in sich selbst beurkundet. Daher haben Künstler sie zur Bezeichnung des ironischen Hohns der boshaften Intrique, der frivolen Ironie gewählt und Mephistopheles Gefühle darin dargestellt.

(Ferdinand Gotthelf Hand: Aesthetik der Tonkunst, Erster Theil, Leipzig 1837, S. 227 f.)

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.