The Beatles: Get Back

The Beatles: Get Back

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Ich habe mir tatsächlich auf Disney+ die gesamte Dokumentation „Get Back“ angeschaut, die Peter Jackson in jahrelanger Arbeit aus Michael Lindsay-Hoggs umfangreichen Filmmaterial (56 Stunden Film, 140 Stunden Audio) für den damaligen Film „Let it Be“ zusammengestellt hat.

„Let it Be“ hat einen umstrittenen Ruf. Einerseits dokumentierte der Film den legendären Auftritt der Beatles auf dem Dach des Apple-Studios, andererseits zeigt er auch eine Band die langsam auseinanderbricht und hat vermutlich für immer das Klischee-Bild von Yoko Ono als böser Zicke, die Schuld am Untergang der Beatles hat, zementiert.

Als Peter Jackson die einmalige Chance bekam, das Filmmaterial neu zu sichten und zu editieren, nahm er als Beatles-Fan diese Aufgabe sehr ernst. Ihn interessierte es, einen wirklich ausführlichen Blick auf die verschiedenen menschlichen Konstellationen zu werfen, die im Hintergrund dieser Sessions abliefen. Nach einer vier Jahre lang dauernden Arbeit an dem Material und vielen kreativen Lösungen, in denen er zum Teil nur als Audio vorhandene Dialoge unter passendes Filmmaterial legte (das zum Teil aus Not repetiert wird, da mehr Audio als Film vorhanden war), gibt er uns damit einen ungewöhnlich intimen Einblick in künstlerische Arbeitsprozesse, wie es ihn vielleicht in dieser Form noch nie gab. Das sind immerhin 6 Stunden Film, genauso lang wie das berüchtigte 2. Streichquartett von Feldman also.

Auch aus der Perspektive der zeitgenössischen Musik sind diese Aufnahmen von großem Interesse, denn wie kaum eine andere Band repräsentierten die Beatles nicht nur erfolgreiche Popmusik, sondern auch den Avantgarde-Zeitgeist. Und mit George Martin – der für die berühmtesten Alben der Beatles nicht nur Arrangeur, sondern auch eine Art Ko-Komponist war, man denke nur an die Orchesterteile legendären Song „A Day in the Life“ oder den Streichquartettpart in „Eleanor Rigby“ – hatten die Beatles über einen Großteil ihrer Laufbahn einen ausgebildeten klassischen Komponisten an ihrer Seite, der diese Fähigkeiten auch einsetzte.

George Martin taucht auch in „Get Back“ mehrmals auf, meistens still und geduldig zuhörend, vermutlich immer wieder auch genervt von den zum Teil erstaunlich dilettantischen Versuchen der Fab Four, ihre harmonischen und melodischen Ideen zu beschreiben.

Das Ganze ist eigentlich wie eine Art Beckettsches Kammerspiel. Wie in „Warten auf Godot“ sitzen die Beatles zuerst einmal wochenlang in einem viel zu großen Studio herum und warten darauf, dass ihnen irgendetwas einfällt (meistens nichts, da sie entweder zu bekifft oder zu albern sind). Am Ende plant man irgendein Event, weiß aber noch nicht genau wo. Alle möglichen verrückten Ideen werden durchdiskutiert, auch Konzerte in Afrika oder Indien sind darunter. Die Kamera hält gnadenlos drauf, während die Beatles eine existentialistische Krise durchmachen und sich währenddessen noch untereinander zoffen.

Die Rollen sind klar verteilt. Es ist klar, dass Lennon und McCartney eine Art tiefer Symbiose verbindet, die auf ihre gemeinsame Jugendzeit zurückgeht. Zum größten Teil reden sie untereinander in Codes, die man kaum versteht, da sie sich auf irgendwelche gemeinsamen Inside-Jokes beziehen. Aber diese Symbiose ist auch am Bröckeln, da sich ihre Persönlichkeiten unterschiedlich entwickelt haben. Vereinfacht gesagt ist McCartney der „Fleißige“, der am Erhalt der Band interessiert ist und automatisch alle Sessions dominiert, weil er immer zu einem Resultat kommen will. Er ist auch derjenige, der immer vorbereitet ist und konkrete Ideen hat. Man sieht ihn vielleicht mal an einem Weinglas nippen, aber im Gegensatz zu den anderen ist er erstaunlich fokussiert, vor allem, wenn er im Mittelpunkt ist.

Lennon dagegen war damals in einer Art Abnabelungsprozess, der sicherlich auch mit seiner Beziehung zu Yoko Ono zu tun hat. Gerade da wird es aber für uns interessant, denn in dieser Phase seines Lebens war Lennon mit einer Künstlerin zusammen, für die der ganze Kommerz-Pop vollkommen unbeeindruckend war, weil sie sich als eigenständige Fluxus-nahe Avantgardekünstlerin sah.

Was das für die Beatles hieß? In diesem Moment war Lennon – der musikalisch deutlich weniger Versierte aber keineswegs weniger Talentierte als McCartney – sicherlich damit näher an John Cage und Stockhausen als am Kommerz und Erfolg. Und er lässt das McCartney spüren – kommt entweder zu spät oder vollkommen bekifft in die quälend endlosen und unergiebigen Proben. Anstatt sich auf die ausgefeilten, oft aber auch konventionellen Arrangement-Ideen von McCartney einzulassen, sabotiert er sie durch bewusst verrückte Ideen, die der ursprünglichen Intention oft zuwiderlaufen.

Seine Freundin Ono hält sich zwar zurück, ist aber als Präsenz sehr stark. Und ja, manchmal singt sie auch (leider) und verwandelt das Ganze damit dann sofort in eine Avantgardeperformance, was natürlich nicht immer passt. Man merkt, dass Lennon sie sehr liebte und auch ihr Urteil sucht. Nach dem berühmten Dachauftritt geht er als erstes zu ihr, um sie zu fragen, wie sie es fand und ob „alles ok“ ist. Sie schmollt in diesem Moment ein bisschen und wird ihm sicherlich irgendetwas gesagt haben, aber das hört man nicht, weil sie kein Mikro hat.

George Harrison hatte in dieser Konstellation die undankbare Rolle des dritten Rads am Wagen. Man kann seine Frustration durchaus verstehen, als er irgendwann entnervt die Band verlässt und erst nach langen Entschuldigungen und dem Versprechen, mal wieder einen kurzen Song auf dem Album zu bekommen, wieder zurückkehrt. Vom Temperament her sehr ähnlich wie Lennon (manchmal kann man die beiden von ihrer Stimme kaum auseinanderhalten, da sie exakt denselben Dialekt sprechen) war Harrison einerseits vermutlich der beste Instrumentalist der Band und sicher sehr begabt auch als Komponist, aber es fehlte ihm ein direktes Gegenüber, dass ihn forderte.

Während Lennon und McCartney davon profitieren, dass sie gewohnt sind, sich gegenseitig zu kritisieren aber auch zu Höchstleistungen zu bringen, fehlt ihm eine gleichwertige Herausforderung. Er war halt immer „der Junge“, erst später Dazugestoßene. Aber mit seinem immer interessanten Gitarrenspiel eben auch eine wichtige Bereicherung. Es heißt übrigens, dass er bei den vielen Konzertreisen der Beatles immer die meisten Verehrerinnen hatte.

Einen interessanten Ruhepol bildet tatsächlich Ringo Starr, dem wir vermutlich dank seiner unerschütterlichen stoischen Haltung und grundsätzlichen Liebenswürdigkeit zu verdanken haben, dass es die Beatles überhaupt so lange gab. Er sagt fast nichts, ist aber immer präsent, sofort den Trommelstock zu schwingen, wenn er gebraucht wird. Der damalige Kameramann behauptet in einem Interview, dass man Starr nie etwas sagen musste und er immer den richtigen Beat fand, aber das stimmt nicht ganz, denn an einer Stelle meckert McCartney sogar an ihm rum. Aber Starr ist das halt egal, er hört sich einfach alles an und lässt sich sein Wässerchen nicht trüben. Am Ende der Doku möchte man ihm einen Orden überreichen ob seines ewigen Understatements.

Im Hintergrund dieser quälenden Kammerspielsituation laufen auch noch verschiedene Geschäftsdramen ab. Die Beatles suchen in dieser Zeit einen neuen Manager, misstrauen sich aber auch untereinander ob verschiedener Beziehungen zu anderen berühmten Bands der Zeit, zum Beispiel den Stones. Einmal werden sogar McCartney und Lennon bei einem privaten Gespräch über Harrison belauscht, man hatte heimlich ein Mikro in der Kantine platziert, ohne ihr Wissen!

Zudem schlurfen immer wieder neue Gestalten ins Studio, die dort eigentlich nichts zu suchen haben, hängen ein paar Stunden oder ein paar Tage dort ab, und verschwinden wieder. An einem Punkt taucht sogar der Komiker Peter Sellers (damals ein Weltstar) auf und schafft es, mehrere Stunden keinen einzigen witzigen Satz zu sagen (was auch nicht zur Stimmung beiträgt).

Irgendwann beendet man das Trauerspiel und entscheidet sich, in die Apple-Studios umzuziehen, weil man dort auf etwas mehr Konzentration hofft. Es geht aber genauso weiter, inzwischen sitzen auch die Ehepartnerinnen der anderen ständig bei den Proben dabei, Kinder kriechen beständig über Keyboards und Schlagzeuge, es tauchen immer wieder neue Personen auf, die eigentlich nur stören (irgendwann sogar Paul McCartneys Bruder, der dann auch noch filmt), und die Situation wird immer absurder, da den Beatles eindeutig zu wenig einfällt und man sich nur noch in Albernheiten ergeht.

Aber es passiert eben auch nicht nichts, und das ist das eigentlich Faszinierende an dieser Doku: die Musik. Und wie geprobt wird. Die endlosen Sessions laufen immer ähnlich ab – Lennon und McCartney reißen endlose Witze oder erzählen Anekdoten. Dann fangen sie an, ihre alten Songs (oder irgendwelchen alten Schnulzen) zu „spielen“, wobei man das eher „massakrieren“ nennen müsste. Großer Teil der Doku sind zum Teil grauenhafte Versionen ihrer größten Hits, die sie bewusst durch den Kakao ziehen, fast so, wie um sich komplett gegen irgendeine Form von Selbstverliebtheit oder Abgehobenheit zu immunisieren. Dann macht man sich an ein neues Stück. Es gibt dann kurze Momente der konzentrierten Arbeit, dann wird auch das neue Stück zum Witz.

So geht es tagelang. Wenn die neuen Stücke geprobt werden, dann nur in komplett verhohnepiepelten Versionen, wobei vor allem John Lennon mit verschiedenen Stimmparodien und bewusst blödsinnigen Begleitstimmen als eine Art Clown die Proben einerseits ruiniert, aber andererseits auch in immer verrücktere und interessantere Richtungen treibt. Der Arbeitsprozess ist also nicht unähnlich wie bei Janacek, von dem bekannt ist, dass er seine Melodien endlos auf dem Klavier herunterhämmerte, um die Teile herauszufinden, die sich bei vielen Wiederholungen nicht abnutzen oder nervig werden. Die Beatles gehen ähnlich vor – sie klatschen ihre eigenen Songs so lange aggressiv gegen die Wand, bis irgendetwas übrigbleibt, das tatsächlich genial ist. Eine Art „Survival of the Fittest“ sozusagen, musikalische Auslese bis zum bitteren Ende.

Viele Songs sind in dieser Zeit nicht entstanden, aber man hat dann irgendwann ein Programm zusammen, das man auf dem Dach der Apple-Studios spielen kann, wobei etwas versteckt der musikalisch hochkompetente Billy Preston am Fender Rhodes mitwirken darf (der sicherlich der fünfte Beatle geworden wäre, hätte es die Band noch länger gegeben). Natürlich war dieses kurze Konzert (bei dem man manche der wenigen Songs sogar wiederholt werden, da es immer wieder Tonprobleme gab) ein legendäres Ereignis, nur war das den damals Beteiligten kaum bewusst. So kann man sich heute unter anderem im Film an den verzweifelten Versuch eines tapferen Bobbies ergötzen, der aufgrund der Lärmbeschwerden versucht, dem Treiben Einhalt zu gebieten und fast wie in „The Raid“ erst durch mehrere Stockwerke mit diversen Ablenkungen aufs Dach kommen muss.

An einer anderen Stelle fragt das Filmteam einen älteren, sehr konservativ und streng aussehenden Passanten, wie er denn das Ganze fände. Dieser holt dann überraschend zu einer großen Eloge auf die wunderbaren Beatles aus und sagt, wie sehr er sich freuen würde, wenn seine Tochter einen der „Langhaarigen“ heiraten würde, denn dann hätte sie immer genug Geld.

Insgesamt sieht man viel mehr von diesem Konzert und was hinter den Kulissen passierte als in „Let it Be“, und allein das ist das Anschauen der Doku wert.

Am Ende hat man dann einiges gelernt über den kreativen Prozess und wie tatsächlich in einer ganz besonderen Gruppendynamik Musik entstehen konnte, die mehr als die Summe ihrer Teile war. Und das hat ganz besonders damit zu tun, dass es sich bei den Beatles im Grunde um echte Freunde handelte, die sich gegenseitig aufziehen konnten, ohne gleich beleidigt zu sein. Und zumindest damals hielten sich Produzenten und Majors zurück und erzählten ihnen nicht ständig, was „sich verkauft“ oder was das Publikum will. Was „das Publikum will“, entschieden damals allein die Beatles selbst, und das ist auch der Grund, warum sie gut waren.

Im Herzen ihrer Kunst ist aber – bei allen menschlichen Schwächen, die wir alle selbst auch kennen – etwas zutiefst Liebenswertes und Menschenfreundliches. Es ist ein Zelebrieren des Spielens, des Kindlichen und der Möglichkeiten von Kreativität. Und das macht den besonderen Reiz der Beatles aus. Auch für die Ewigkeit.

Es ist daher nicht falsch, sie als Kollektiv gemeinsam mit George Martin zu den großen Komponisten des 20. Jahrhunderts zu zählen.

Moritz Eggert

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