Do it yourself (Bots just wanna have fun 2)
Do it yourself (Bots just wanna have fun 2)
Es gibt noch einen weiteren Aspekt, über den man sprechen muss, wenn es um die Veränderungen durch das Aufkommen komponierender KIs geht.
Werden Menschen überhaupt noch komponieren wollen, wenn Ihnen Maschinen die Arbeit abnehmen? Die Antwort ist sicherlich: Ja. Wir haben nicht aufgehört, zu Fuß zu gehen, nur weil es Autos und Fahrräder gibt. Mit dem Flugzeug können wir in höchste Höhen fliegen, dennoch steigen Menschen auf Berge oder quälen sich einen mühsamen Wanderpfad hinauf. Auch das Aufkommen der Fotografie hat nicht die Malerei als Betätigung zerstört, es hat sie aber entscheidend verändert.
Und genau solchen Veränderungen wird auch das Komponieren zunehmend ausgesetzt sein. Und da stellt sich vor allem die Frage nach der Definition: Was ist überhaupt „Komponieren“?
Ich habe einen Freund, der mir ganz stolz alle paar Wochen Dateien schickt, die er nach seinen eigenen Worten „komponiert“ hat. Dieser Freund hat keine musikalische Ausbildung und kann keine Noten lesen, kann auch kein Instrument spielen. Aber heute gängige Apps (die man auf jedem Mobiltelefon zum Laufen bringen kann und die maximal ein paar Euro kosten) erlauben ihm, aus ein paar vorgegebenen Beats und Melodieschnipseln kleine Songs zu basteln. Er ist also ungefähr so viel „Komponist“ wie ein guter „Guitar Hero“ – Spieler ein echter Gitarrist ist. Er komponiert nicht, er spielt. Im Grunde sind solche Apps nichts anderes als eine heutige Version des Mozart zugeschriebenen „musikalischen Würfelspiels“, nur, dass sie einem auch noch das Würfeln und Notenschreiben abnehmen.
Ich mache mich über meinen Freund nicht lustig. Diese Apps machen ihm Spaß und er nutzt sie gerne. Sicherlich wäre es auch müßig, mit ihm eine Diskussion über echtes „Komponieren“ zu führen, denn für ihn ist das nur spielerische Betätigung. Er hält sich nicht für Beethoven. Aber es sollte klar sein, dass Welten zwischen ihm und einem „Hobbykomponisten“ in der Vergangenheit liegen.
Friedrich der Große, einer der berühmtesten „Hobbymusiker“ der Geschichte, konnte leidlich Flöte spielen, komplexe Partituren lesen und verstehen und daher die Musik seiner Zeit auf eine Weise durchdringen, die meinem Freund ganz sicher nicht möglich wäre. Aber würde der „Alte Fritz“ sich heute noch so viel Mühe geben, wenn ihm ein iPad schnell eine Flötensonate zusammenflicken könnte?
Die Hausmusik im 19. Jahrhundert war auf einem Niveau, das heute kaum noch vorstellbar ist. Noch mein Großvater (der im vorletzten Jahrhundert geboren wurde) spielte sehr zum Entsetzen seiner Familie täglich aus schwierig zu spielenden Klavierauszügen von Wagneropern und sang dazu. Er war kein Profimusiker, konnte aber Partituren lesen und spielen und das machte zumindest ihm Spaß (meiner Oma nicht).
Schon im Profibereich wäre dies heute selten. Es gibt professionell Komponierende, die inzwischen größtenteils geliehene Algorithmen und vorgefertigte Patterns benutzen, um zum Beispiel schnell eine Musik zusammenzubasteln. Nicht alle davon können noch Noten lesen oder ein Instrument spielen. Schon ein Profiprogramm wie „Sibelius“ bietet einem unter dem „Ideas“-Menü lauter verschiedene Drum-Patterns an, deren man sich bedienen kann, ebenso Melodien und Harmonisierungen. Ein Alleinunterhalter kann auf seiner Orgel inzwischen einen Großteil der Begleitungen komplett automatisieren und muss allenfalls noch dazu singen und maximal eine Basstaste drücken, damit die richtige Tonart erklingt (so wie Max Richter in diesem Video), früher musste man dazu richtig gut spielen können und sich hunderte von Songs merken.
Da Notenprogramme zunehmend in der Lage sind, MIDI-Files oder aufgenommene Improvisationen in Notenschrift umzuwandeln, verschwindet auch langsam das Wissen darum, wie man Noten überhaupt noch richtig aufschreibt. Ich habe als Pianist schon Noten vorgelegt bekommen, die nicht nur ansatzweise in irgendeiner Form spielbar waren und einfach nur ein direkter und unkorrigierter Ausdruck der Soundfiles waren, ausgespuckt vom Notenprogramm in ein paar Sekunden. Und die Urheber waren keineswegs Amateure, sondern galten als Profis, zum Beispiel im Bereich elektronische Musik.
Nur noch ganz wenige Musikverlage leisten sich noch ein professionelles Lektorat, die meisten drucken einfach alles ab, was ihnen geschickt wird. Insgesamt ist das Niveau des Notensatzes deutlich gesunken, obwohl man im Grunde alles viel besser machen könnte als früher. Das Wissen um die Feinheiten geht langsam verloren. Wer auf den gängigen Plattformen zum Beispiel Bearbeitungen für Soloklavier von gängigen Songs herunterlädt muss damit rechnen, unsäglich Zusammengschlunztes zu bekommen, mit falschen Harmonien, falschen Melodien und unspielbaren Begleitungen. Hinter einigen dieser „Kompositionen“ steckt vermutlich kein Mensch mehr, sie sind automatisiert.
Heute kann jede Person mit geringster Einarbeitung zum „Hobbykünstler“ werden. Das Anschauen von ein paar youtube-Videos lässt einen in kürzester Zeit mit dem iphone Fotos machen, für die eine Fotografin früher vielleicht wochenlang gearbeitet hätte. Wir alle sind plötzlich Filmregisseur:innen (mit iMovie), Sänger:innen (mit autotune) und Maler:innen (mit einer „Malen nach Zahlen“-App). Aber wir lernen nicht mehr das essenzielle Handwerk, sondern bedienen Applikationen, die die Arbeit für uns erledigen.
Diese Entwicklungen sind unaufhaltsam und die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Ich sehe das auch nicht negativ – früher war nicht alles „besser“ und ich bin kein Nostalgiker, der sich endlos die Vergangenheit zurücksehnt. Mit der nötigen Geduld und dem richtigen Enthusiasmus kann man sich zum Beispiel heute ein Wissen aneignen, das früher unvorstellbar gewesen ist. Wir werden alle zunehmend zu Universalisten, denen ein gigantisches Wissen im Netz zur Verfügung steht.
Die Frage ist nur, mit welcher Haltung wir dieses Wissen benutzen. Ob wir immer noch unterscheiden können zwischen einer naturgemäß oberflächlichen Beschäftigung mittels Apps oder der echten Durchdringung eines Fachgebiets. Leider halten sich inzwischen viele zu schnell für Kenner und treffen voreilige Urteile über alles Mögliche. Oder anders gesagt: Solange Hobbykomponist:innen genau erkennen, was der Unterschied zwischen ihnen und Profis ist, ist eigentlich alles gut. Aber die Grenzen werden unklarer werden.
Ich glaube daran, dass es auch in Zukunft Menschen geben wird, die selbst komponieren wollen, ohne dies einer App zu überlassen. Und zwar aus einem einfachen Grund: weil es Spaß macht, etwas selbst zu können. Und weil dieses Können auch frei macht. Wenn ich in der Lage bin, Musik vollkommen autark erfinden und zum Beispiel im Kopf hören zu können, mache ich mich frei von den vorgefertigten Wegen, die mir die Apps vorgeben. Es geht also um Grade von Freiheit: je mehr man kann, desto unabhängiger wird man, desto weniger wird man gegängelt.
Aber die Herausforderung bleibt: wenn etwas sehr leicht wird, ist es nichts Besonders mehr. Früher konnten allein Maler die Wirklichkeit abbilden, heute kann jeder ein beeindruckendes Foto machen. Die Malerei als Kunstform hat darauf reagiert, indem sie die Abbildung von Wirklichkeit nicht mehr in den Fokus stellte, sondern sich zunehmend für Abstraktion oder „Hyperwirklichkeiten“ interessierte. Es ist kein Zufall, dass Abstraktion und Surrealismus ungefähr zeitgleich mit der Fotografie entstanden, man ging neue Wege, um sich von der simplen Darstellung abzusetzen.
Mit den heutigen technischen Möglichkeiten lassen sich aber inzwischen auch problemlos „Hyperwirklichkeiten“ und unmögliche virtuelle Realitäten realisieren. Dies ist eine neue Herausforderung für die bildende Kunst, genauso wie das Aufkommen von Kompositions-KIs eine Herausforderung für uns Komponierende ist.
Was sicherlich passieren wird ist eine Besinnung auf das, was die Kis nicht können. Sie können Möglichkeiten durchrechnen und zufällige Permutationen erstellen, aber sie können schwer vorausplanen oder einen längeren Spannungsbogen erzeugen, denn dies würde ein denkendes und planendes Wesen voraussetzen. So weit sind wir noch nicht (auch wenn ich überzeugt davon bin, dass es einmal so weit sein wird). Form und Inhalte werden also wieder wichtiger werden, ein reines Klanggespinst ist zu leicht zu erzeugen. Zündende und ungewöhnliche Ideen, Überraschungen und Fallhöhen setzen sich ab vom notgedrungenen Manierismus der Maschinen, die vor allem gut darin sind, Zeit mit endlosen Permutationen zu füllen. Aber Musik ist nicht einfach nur ein Zustand des interessanten Klangs – wir haben auch Erwartungen und sind gelangweilt, wenn nie etwas Unerwartetes passiert.
Wir werden sehen, wie sich die Musik in den kommenden Jahrzehnten verändern wird. Eine genormte Musik, die immer ähnlich klingt und sich stets im Kreis dreht, weil immer dasselbe Material verwendet wird, wäre unerträglich. Neue Tendenzen in zum Beispiel der Popmusik werden sich daher vielleicht auf eine Art „Do it yourself“ – Ästhetik besinnen, oder die vorgegebenen Muster in irgendeiner Form anarchisch durchbrechen oder zersetzen. Vielleicht entsteht eine neue Form des Punks – schrille Songs, die postmodern und komplex von Stilistik zu Stilistik springen und sich stets einer Erwartungshaltung verweigern. Man wird mit holpernden Beats, plötzlichen Abbrüchen und extremen Dynamiken experimentieren. Eine Antiästhetik wird entstehen, weniger clean als die Mainstream-Musik der Kis. Oder man programmiert Gegen-Kis, nach den eigenen kreativen Vorstellungen und ohne Bedienung gängiger Muster (auch dies könnte eine Art „Komponieren der Zukunft“ sein), denn wer die KI programmiert, ist kreativer als die, die sie nur benutzen.
Wie auch immer: es geht weiter.
Immer weiter.
Moritz Eggert
Komponist