Amerikanisches Tagebuch, 11. und 12. Tag (letzte Folge)

Diesen Sommer verbrachte ich im August 2 Wochen in den USA, diesem seltsamen Land der Widersprüche, Abgründe und dennoch immer wieder auch Hoffnung. Der Grund: Musik. Ich besuchte sowohl die Musikfestivals in Tanglewood als auch in Staunton, Virginia, nur eine halbe Stunde von Charlottesville entfernt. Diese Aufzeichnungen sind eine Fortsetzung meines Komponistentagebuchs, Tag für Tag aufgezeichnet, nun schon in der Vergangenheit, aber nicht sehr weit entfernt von der Gegenwart.

Tag 11 und 12

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Picknick

Nach dem Mittagskonzert mit 1-händiger bis 8-händiger Klaviermusik habe ich zum ersten Mal ein bisschen „frei“. Rich Evans – einer der Gönner wie auch Verantwortlichen des Festivals, der mich auch schon aus Washington DC abgeholt hatte – nutzt die Gelegenheit, um mich zu einem kleinen Ausflug in den Shenandoah Valley mitzunehmen. Dort hat er seiner Schwester ein Weingut übertragen, das er selber viele Jahre als „Hobby“ führte. Rich ist ausgebildeter Arzt und hat lange in einer Notaufnahme gearbeitet, worüber er ein Buch geschrieben hat, das anscheinend so brisant ist, dass er es nicht veröffentlichen durfte solange er dort arbeitete. Inzwischen ist er aber pensioniert und überlegt, es doch zu publizieren. Rich spricht gewählt und langsam, stellt wohlüberlegte Fragen, hört dann höflich und aufmerksam zu, stellt eine neue Frage…alte Schule eben.
Seine Schwester hat zusammen mit ihrem Mann einen kleinen Pavillon aufgebaut, der von einer Anhöhe auf das riesige Gut hinabschaut. Das Anwesen ist so groß, dass man von hier noch nicht einmal den äußeren Zaun sehen kann. Wir trinken Champagner und – natürlich – Wein. Und wieder einmal kommt die Rede auf Trump. Auch Richs Schwester und sein Schwager sind im Hass auf Trump vereint. Anscheinend gibt es inzwischen ehemalige Freunde, mit denen man aus politischem Dissens nicht mehr spricht und umgekehrt. Einige wenige schämen sich, Trump gewählt zu haben, geben das aber nicht zu. Mit dem einen Nachbarn kann man noch reden, mit dem anderen nicht. Ein Riss geht durch das Land.
Man erzählt mir, dass man sich jedes Mal schämt, wenn Rednecks vorbeifahren, die amerikanische Flaggen auf ihrem Pickup-Truck montiert haben. Überhaupt ist in den USA das sogenannte „Flaggezeigen“ keineswegs wie früher eine geradezu unschuldige Bekundung eines gewissen Nationalstolzes sondern fast sicheres Zeichen für eine eher rechte und nationalistische Gesinnung. Die toleranten Amerikaner (und in Staunton bekommt man den Eindruck, dass fast nur solche dort wohnen) hängen amerikanische Flaggen in Regenbogenfarben auf, als Statement für Toleranz gegenüber Herkunft und sexueller Ausrichtung. Aber selbst mein megatoleranter Gastgeber Carl versteht keinen Spaß, wenn es um Bevormundung welcher Art auch immer geht. Er gibt zu, auch eine Schusswaffe zu besitzen. Falls irgendein „religiöser Idiot“ käme um ihm zu verbieten, am Sonntag eine kurze Hose zu tragen, würde er „shoot their ass“. Na dann Prost.

Der Stachel

Egal wie nett es ist, egal wieviel Zuspruch man von Konzertbesuchern bekommt (und ich habe fürwahr sehr, sehr viel netten und herzlichen Zuspruch bekommen in diesen Tagen), es gibt immer irgendeinen Miesnickel, der die ansonsten gute Stimmung verdirbt. So auch am Abendkonzert – ich habe gerade „Maple Leaf Rag“ von Joplin gespielt, ein wirklich zu Tode genudeltes Stück, daher mein Wunsch, es ein bisschen anders als sonst zu machen – variable Tempi von langsam bis abgedreht wild, laut stampfend um an die Herkunft des Ragtime als Bordell-und Kneipenmusik zu erinnern, und den A und B-Teil nach dem „Trio“ wiederholend, wie es vermutlich damals Usus war.
Nach dem Konzert kommt wie ein kleiner Panzer eine dicke alte Frau mit hasserfüllt verzerrtem Gesicht auf mich zu und bedroht mich mit ihren zwei Stöcken, die die als Gehhilfe benutzt. Anscheinend haben ihr weder meine Hämmerklavierstücke noch meine Joplin-Interpretation gefallen. „The piano is not your slave!“ brüllt sie. „It has to be treated with respect. The piano will still be there, when you’re dead in your damned grave!“. Das ist schon einmal ein freundlicher Anfang!
Dann geht es weiter, über Joplin: „This music has been played in brothels…“ (klar, ich weiß) „…by a poor, depressed man“ (muss ich deswegen seine Musik auch „depressed“ und langweilig spielen? Das wäre ja noch deprimierender). In diesem Moment möchte ihr sagen: „Ma’am, please take all your hate, your spite, envy and anger and shove it up your fat ass!“, aber stattdessen sage ich natürlich einfach nur „I wish you a fine evening, ma’am“, wende mich ab und gehe. Später höre ich, dass diese „Lady“ stadtweit berüchtigt ist und so ziemlich jeden beschimpft, der ihres Weges kommt, inklusive der Hydranten.
Manchen Menschen kann man es halt nie recht machen, daher sollte man es auch gar nicht versuchen.

Abschied

Es ist Zeit, Auf Wiedersehen zu sagen und ich werde etwas melancholisch. Auf Wiedersehen zu Beverly Street, der einzigen zentralen Straße in Downtown Staunton, mit ihren netten Cafés, Weinbars, Antiquitätenläden und dem wunderbaren Eissalon mit dem fantastischen Espresso. Auf Wiedersehen zu meinen überaus reizenden „Hosts“ Carl und Linda, zwei der gastfreundlichsten und herzlichsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte. Auf Wiedersehen zu meinem alten Freund Carsten Schmidt und seinem liebenswürdigen Partner, dem hervorragenden Cellisten Jim. Auf Wiedersehen all den lieben Menschen und herorragenden Menschen, die ich hier kennengelernt habe, mit denen ich nach dem Konzert zusammensaß und feierte. Das Staunton Music Festival habe ich als einzigartig, ungewöhnlich und faszinierend erlebt, in seiner Mischung aus alter und neuester Musik, eklektischen und zum Teil völlig abgefahrenen Programmen, ein Konzert-und Ereignismarathon, das sich nie als ein solches anfühlt, weil man unter Freunden ist und für Freunde spielt. Danke, lieber Carsten, ich komme gerne wieder!
Morgens um 6 Uhr klingelt das Telefon. Ich drehe mich noch einmal im Bett um und gehe noch nicht dran. Später höre ich die Mailbox ab – mein lieber Lehrer Wilhelm Killmayer liegt im Sterben. Unter der Dusche kommen mir die Tränen.
Es gibt immer einen Stachel.

ENDE des Tagebuchs

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