Der Stand der Dinge (6): Berufsaussichten

Manchmal ist es ganz gut, kurz innezuhalten und etwas möglichst nüchtern zu betrachten, ohne einen von Ideologien, falschen Erwartungen oder eigenen Hoffnungen verstellten Blick. Vielleicht ist das neue Design des Bad Blogs ein guter Anlass dazu.
Natürlich gibt es nie einen endgültigen „Stand der Dinge“, alles ist im Fluss. Aber gerade diese Tatsache lässt uns vielleicht manchmal Dinge erwarten, die nicht möglich sind, oder andersherum Dinge übersehen, die durchaus möglich wären.
Hier also ein möglichst emotionsloser Blick auf die Neue Musik, wie sie sich heute, am Ende des Jahres 2016, darstellt. Man möge mir massiv oder zaghaft widersprechen oder zustimmen, nichts an dieser Diskussion ist abgeschlossen oder der Weisheit letzter Schluss, es ist allein ein Versuch einer unsentimentalen Bestandsaufnahme, bei der ich natürlich von eigenen Erfahrungen geprägt bin. Wo diese von Lesern ergänzt, kommentiert oder erweitert würden, begänne es spannend zu werden.

Berufsaussichten

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Nie war der Künstlerberuf eine „sichere Bank“, das ist eine alte Weisheit. Generationen von Eltern haben ihren Kindern erfolgreich abgeraten, einen solch unsicheren Beruf zu ergreifen und nur wenige Künstler wagen es, sich ganz auf einen kreativen Beruf einzulassen anstatt ihn nur als „Hobby“ zu betreiben.
Wir müssen uns allerdings klar sein, dass die tatsächlichen Umstände des Komponistendaseins sich über die Jahrhunderte radikal verändert haben.

Die ersten Komponisten in Europa waren entweder fahrende Sänger oder „Spezialisten“ im Dienste einer religiösen Institution. Erstere waren direkt auf die Publikumsgunst angewiesen, letztere eher auf die Anerkennung oder das Fachwissen, dass sie im Rahmen einer spezialisierten Ausbildung errungen hatten.
Diese beiden Facetten des Komponistendaseins ziehen sich in zahllosen Variationen durch die Jahrhunderte europäischer Geschichte. Bemerkenswert ist aber, dass man sich zu einem Großteil dieser Zeit als Komponist als eine Art „Handwerker“ verstand, der über ein besonderes Wissen/Können verfügt, das nicht jedermann zueigen war, ähnlich also zum Beispiel wie ein Baumeister oder andere spezialisierte Handwerker. Im Selbstverständnis eines Barock-Komponisten war man also zum Beispiel als Musiker kaum weniger „abgesichert“ als in irgendeinem anderen Handwerksberuf auch. In einem Zeitalter ohne Renten- oder Krankenversicherungen, ohne Bausparverträge und organisierter Sozialhilfe konnte quasi jeder Beruf als „unsicher“ angesehen werden.

Erst mit der Klassik und der Romantik bildet sich das bis heute prägende Bild des „Künstlers“ heraus, der sich nicht mehr nur als Handwerker sondern auch als Schöpfer einer unabhängigen Kunst versteht, die um ihrer selbst Willen gewürdigt werden kann. In derselben Zeit entsteht auch erst das romantische Konzept des „missverstandenen“ oder armen Künstlers, der um seiner Kunst willen darbt, unauslöschlich als Bild in unseren Köpfen spätestens seit Spitzweg.

Mit dem Aufkommen des Bürgertums entsteht eine neue „Sicherheit“ der Mittelschicht, die diese zunehmend genießt und die dieser auch die Beschäftigung mit „schönen Dingen“ ermöglicht. Hier wird der Künstler zunehmend zum mehr oder weniger beliebten Außenseiter, der auf die Gunst verschiedener Individuen angewiesen ist. Gleichzeitig wächst aber mit dem Ideal der humanistischen Bildung auch die Anerkennung künstlerischen Schaffens. Alle Kinder sollen Kunst- und Musikunterricht bekommen, weil kreative Beschäftigung als etwas Positives und „Bildendes“ angesehen wird.

Diese Ideale bestehen in unserem Bildungssystem bis heute fort. Tatsächlich hat ein junger Komponist mehr Ausbildungsperspektiven als jemals in der Geschichte der Menschheit. Wurde früher das zum Komponieren notwendige musikalische Fachwissen entweder innerhalb einer Familie oder einer exklusiven „Schule“ weitergetragen, stehen heute z.B. in Deutschland zahllose Förderprogramme bereit, die schon 5-Jährigen eine ansehnliche Ausbildung als Komponist ermöglicht. Es gibt Musikkindergärten, in der schon Vorschulkinder mit dem Komponieren vertraut gemacht werden, es gibt „Jugend komponiert“, Musikschulen, Komponierkurse für jedes Alter. Natürlich interessieren sich nicht alle Kinder für den Beruf des Komponisten, aber wenn sie es tun, werden sie aufs Liebevollste gefördert, angeregt und unterstützt. Allerdings braucht es auch das nötige soziale Umfeld, das diese Art von Ausbildung unterstützt. So sind bis heute praktisch alle „Neue Musik“- Komponisten auch Gymnasiasten und Abiturienten, kommen aus einem Umfeld, das entweder schon ohnehin künstlerisch affin ist, oder zumindest für die Kinder etwas „besseres“ will oder sich schlicht und einfach auch einen „brotlosen“ Beruf bei den Kindern leisten kann.

Ein heutiger Komponist Neuer Musik tritt dann mit fast 100% Wahrscheinlichkeit eine akademische Ausbildung an. Meistens als Kompositionsstudent, oft schon als Jungstudent an einer Hochschule, oft auch als Schulmusiker (an den Lebensunterhalt denkend), oft auch über den Umweg eines anderen universitären Studiums wie zum Beispiel Medizin, Philosophie, Musikwissenschaft, etc.. Während dieses Studiums sind Komponisten weiterhin – ein gewisses Talent oder gute Selbstorganisation vorausgesetzt – hochgefördert. Es gibt Stipendien zuhauf, Meisterkurse, „Call for Scores“ und zahllose Wettbewerbe. Ein durchschnittlicher Kompositionsprofessor bekommt pro Woche durchschnittlich 3-5 Ausschreibungen zugesandt, die er an seine Studenten weiterleiten kann. Auch innerhalb der Hochschulen werden den jungen Komponisten zahllose Projekte ermöglicht, die in der freien Wildbahn so nicht realisierbar wären. Damit wird das Hochschulstudium fast zu einem „Muss“ bei einer heutigen Komponistenlaufbahn.

Wenn das Studium endet, sind Komponisten weiterhin nicht alleingelassen. Bis zum Alter von ungefähr 35 Jahren steht ihnen ein weitgefächertes Netz von Stipendien und Ausschreibungen zur Verfügung. Besonders beliebt und begehrt sind hierbei die sogenannten „Aufenthaltsstipendien“ wie zum Beispiel Villa Massimo, Schloss Solitude, etc. die bei Erhalt sorgenfreies Leben für längere Zeit ermöglichen, da den Stipendiaten fast immer eine Art „Grundgehalt“ gezahlt wird, das sie von Aufträgen unabhängig macht.

So weitgefächert (auch international) dieses Stipendiensystem ist, so umkämpft ist es auch. Auf nicht immer allein künstlerisch begründbare Weise trennt sich hier ein wenig die Spreu vom Weizen. Komponisten, die widerständig sind oder stilistisch in keine Schublade passen, haben es dabei schwerer als diejenigen, die sich einer bestimmten „Schule“ verschreiben, deren „Mentor“ (=Lehrer) z.B. in vielen Gremien und Jurys sitzt. Da diese Lehrer wiederum ihre Reputation aus erfolgreichen Studenten beziehen, sind diese ihren eigenen Schülern gegenüber meistens gnädiger gestimmt als fremden. Dennoch ist die Zahl der Möglichkeiten so hoch (im Vergleich zu Künsten wie Bildender Kunst oder Literatur ist das Verhältnis der Bewerber zu tatsächlichen Stipendienplätzen im Fach Komposition sehr günstig), dass die meisten es schaffen, diese Jahre nach dem Studium gut über die Runden zu bringen, auch wenn sie nicht zu den Allererfolgreichsten gehören.

Mit 35 enden die meisten Förderungen für „Junge Komponisten“ (als ein solcher gilt man bis zu diesem Alter auf jeden Fall), wobei in den letzten Jahren eine Tendenz zu beobachten ist, auch diese Grenze in Richtung 40 oder „ohne Alterslimit“ zu öffnen. Dennoch werden nun die Möglichkeiten auf jeden Fall rarer. Die ganz wenigen, die dann von ihrer künstlerischen Arbeit allein leben können (nicht mehr als eine Handvoll) können sich glücklich schätzen, dürfen sich aber auch nicht zurücklehnen, denn die freie Auftragslage ist alles andere als einfach. Die anderen werden sich in den meisten Fällen einen Zweitberuf erwerben. Viele gehen in der einen oder anderen Form in die Lehrtätigkeit, bilden also wieder neue Komponisten aus, die dann wieder neue Komponisten ausbilden werden. Andere benutzen ihre Kenntnisse, um sich anders über Wasser zu halten, werden Notensetzer, Arrangeure, Theatermusiker oder Jingle/Filmkomponisten. Wieder andere engagieren sich als Funktionäre, zum Beispiel bei der GEMA oder beim DKV, da aus den dadurch entstehenden Kontakten neue Aufführungsmöglichkeiten und Gelegenheiten entstehen können. Die ganz Armseligen werden zu GEMA-Betrügern oder „Geschäftsmodellern“, quasi zu Bettwanzen des Musikbetriebs. Viele beenden aber auch an diesem Punkt ganz einfach ambitioniertes Komponieren und gehen in einem anderen Beruf auf.

Wenn man sich die Szene anschaut, so ist für jeden „Neue Musik“-Komponisten ein Netzwerk an Kontakten von großer Wichtigkeit. Hierbei herrscht oft ein Prinzip des „wie du mir so ich dir“. Man lädt sich gegenseitig zu selbstgegründeten Festivals ein, vergibt „composer in residence“ – Posten in der Hoffnung später selber einen zu bekommen, engagiert sich für Kollegen. Die Komponistenlandschaft erweist sich im Gegensatz zum Beispiel zur Literaturszene als erstaunlich sozial, man ist auf gegenseitige Hilfe angewiesen (jedes „Konzert“, jede „Aufführung“ erfordert immer die Bündelung von vielen Interessen), also gibt man sich diese Hilfe auch gegenseitig. Soziale Kompetenz spielt hierbei eine große Rolle – ist man unkollegial, zu „pushy“ oder zu verschroben wird sich dies auch in geringeren Aufführungszahlen auswirken.

Grundsätzlich ist aber „Neue Musik“ kein ertragreiches Geschäft, da der Arbeitsaufwand zur Honorierung in keinerlei Verhältnis steht. Absolut jeder Dienstleistungsberuf steht besser da als der Komponistenberuf, es gibt keinen Stundenlohn da der Arbeitsaufwand nicht zu bemessen ist, aber gäbe es einen, wäre er sehr niedrig, vor allem bei arbeitsaufwändigen Unterfangen wie zum Beispiel Opern oder Orchesterstücken. Zudem ist zu beobachten, dass die Auftragshonorare nicht nur seit Jahrzehnten stagnieren sondern immer mehr fallen. Gerade im Bereich Kammermusik sind Aufträge selten bis nicht vorhanden, und manch ein Komponist lässt sich auf absurde Auftragshonorare ein, um endlich mal „seine“ Oper schreiben zu können, dabei die Preise für die Kollegen verderbend.

Ein Komponist der im Jahr Orchester-und Kammermusikaufträge in Höhe von 10.000,- EUR bekommt, würde durchaus als jemand gelten, der „es geschafft“ hat, ebenso wenn er für Wertung und Tantiemen (GEMA) jährlich 5000,-EUR bekäme (er wäre dann schon im Topbereich der E-Musik). Bei 15.000,-EUR im Jahr ist man allerdings weit davon entfernt, eine Familie ernähren zu können und liegt knapp 18.000,-EUR unter dem deutschen Durchsnittslohn..

Es ist ein bisschen ähnlich wie beim ebenfalls schlecht bezahlten Ballett/Tanztheater – es gibt viele Menschen, die diesen Job machen wollen, deswegen findet man immer jemand, der es für „noch weniger“ machen wird. Ein Ende dieses Abwärtstrends ist momentan nicht abzusehen, was auch mit der schwieriger werdenden finanziellen Situation der auftraggebenden Institutionen zu tun hat.

In den 50er bis 80er Jahren gab es sie durchaus zahlreich, die „Komponistenfürsten“, die wie weiland ein Verdi oder Strauß sehr gut vom Komponieren leben konnten. Als berühmtes Beispiel kann Hans Werner Henze gelten, der es auch liebte, dieses Image durch sein Auftreten zu kultivieren. Heute ist dieser Typus so gut wie ausgestorben, spätestens wenn es um die Ernährung einer Familie geht gibt es keinen echten „Reichtum“ und noch nicht einmal einen „Mittelstand“ in der Neuen Musik-Szene, Ausnahmen bestätigen die Regel. In den 80er Jahren rieten einem die Kompositionslehrer, kein paralleles Instrumentalstudium zu betreiben sondern sich ganz aufs Komponieren zu konzentrieren. Heute ist es genau umgekehrt, der Typus des „Nur Komponist“ ist quasi ausgestorben.

Solange man als Komponist studiert oder als „jung“ gilt, wird man im Verhältnis besser gefördert als in absolut jeder anderen Kunstsparte, danach aber kommt man in eine Situation in der es wenig Aussicht auf grundsätzliche Änderung oder irgendeine Form von Vorankommen gibt, außer als Akademiker oder Funktionär. Es mag im Vergleich dazu zahllose wenig verdienende bildende Künstler geben, aber einigen wenigen von ihnen kann es jederzeit gelingen, einen beachtlichen „Marktwert“ zu erlangen, der auch zu finanziellem Wohlstand führen kann. Auch wenn viele Künstler das – zu Recht – nicht als Hauptmotivation für ihr Schaffen sehen, gibt die Aussicht auf mögliche Erfolgssteigerung eine nicht unwichtige Motivation für die Qualität des eigenen Schaffens ab. Dass Komponisten nach ihrer Berufsausbildung meistens in einer Art (unverschuldeten, weil durch die Berufsumgebung gesetzte) Sackgasse stecken, fördert also nicht unbedingt das Niveau der Szene.

Man fragt sich angesichts der Situation ein wenig: warum wird so um die jungen Komponisten geworben, wenn es kaum eine Perspektive für sie gibt?

Der Stand der Dinge:

– Die Einstiegshürde für Komponieren als Beruf ist so niedrig wie nie, „Kreativsein“ ist schick.
– Die Ausbildungssituation für akademisches Komponieren ist reichhaltig und voller Entfaltungsmöglichkeiten.
– Mit zunehmendem Alter schwinden diese Entfaltungsmöglichkeiten und eine gewisse Ernüchterung tritt ein, die sich in zunehmenden „Ersatztätigkeiten“ manifestiert.
– Der Komponist als eine Art „Star“ oder „Fürst“ ist ein Ding der Vergangenheit, zumindest im akademischen Bereich.

Moritz Eggert

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