op. 111 – Eine Analyse in 335 Teilen – Takt 27
Jeder einzelne Takt von Ludwig van Beethovens Sonate für Klavier c-Moll op. 111 aus dem Jahr 1822 wird an dieser Stelle von Bad-Blogger Arno Lücker unter die Lupe genommen. Ein Versuch, dieser Musik irgendwie „gerecht“ zu werden, was natürlich, dafür aber fröhlich, scheitern muss.
Die bisherigen Folgen:
Takt 1 Takt 2 Takt 3 Takt 4 Takt 5 Takt 6 Takt 7 Takt 8 Takt 9 Takt 10 Takt 11 Takt 12 Takt 13 Takt 14 Takt 15 Takt 16 Takt 17 Takt 18 Takt 19 Takt 20 Takt 21 Takt 22 Takt 23 Takt 24 Takt 25 Takt 26
Aha! Das uns in der letzten Folge fast irritiert habende Sforzato auf der ersten 16tel der vierten Zählzeit von Takt 26 wird hier also kurzzeitig zum Prinzip gemacht. Denn in unserem heutigen Takt 27 beginnt jede 16tel-Gruppe mit einem Sforzato.
Schauen wir uns die Abfolge der Töne genau an, so stellen wir wieder – selbst hier im vordergründig nur virtuos-dramatischen Gestöber – noch strukturell Interessantes fest. Denn im Grunde genommen handelt es sich hier gar nicht um 4 x 4 brav gegliederte 16tel-Gruppen!
Gehen wir mal von der letzten Note der dritten 16tel-Gruppe des Vortaktes aus, so erkennen wir, dass Beethoven hier mit einer geschickten Art von Diminution aufwartet. Denn aus den vermeintlichen Vierer-16tel-Gruppen werden – melodisch gesehen – eigentlich Dreier-16tel-Gruppen. Denn immer drei große oder kleine Sekunden erscheinen hintereinander, nicht also vier.
Was aber einmal mehr genial ist: Beethoven notiert die Sforzati trotzdem zu Beginn jeder Vierer-Gruppe, so dass die tonlich eigentlich entstehenden Dreier-Gruppen unregelmäßige, überraschende, jähe Betonungen bekommen. Wenn man die jeweils durch ein Sforzato herausgehobene Note markiert, dann sehen die entstehenden Ton-Gruppen wie folgt aus: d – c – h / f – es – d / as – g – f (hier gibt es also folglich keinerlei Betonung!) / d – c – h / f – es – d / as – g – f / d – c – h… Und vermutlich so weiter…
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.