Wir sind doch alle nur Hobbymusiker

Schon seit Wochen bekomme ich quasi jeden Tag irgendeine Mail, in dem es um einen Aufruf zur Verhinderung der drohenden Umsatzsteuer für private Musikschulen geht. Am 19. September endete die Petition beim Bundestag, mit 55523 Unterzeichnern verlief diese wohl erfolgreich und erreichte das Quorum.

Werbung

Der Grund der ganzen Aufregung? Es geht eigentlich nicht nur um die drohende Umsatzsteuer. Tatsächlich würde diese die ohnehin nicht gerade überbezahlten privaten Musiklehrer zwingen, ihre Honorare um 19% zu erhöhren, oder eben auch nicht, um konkurrenzfähig zu bleiben…und natürlich würden auch die Klavierstunden für die eigenen Kinder deutlich teurer werden.

Nein, es geht vor allem um die Definition davon, was Musikunterricht eigentlich ist – Hobby oder Beruf? Freizeit oder Berufung? Als Hobby, so nämlich die Argumentation der Gesetzesbefürworter, wäre nämlich die USt durchaus berechtigt. Und da inzwischen jeder Teenie im Fernsehen sieht, wie viele halb- oder viertelbegabte Altersgenossen es in die Castingshows schaffen, ohne jemals mehr gemacht zu haben, als zuhause ohne Anleitung mit der CD mitzusingen, wird das Bild des Musikers als „Hobbymusiker“ immer mehr in den Köpfen der Menschen (und Piratenparteianhänger) zementiert.

Ja: Hunderte von Jahren europäischer Musikgeschichte von Monteverdi bis Stockhausen waren eigentlich nur das Geträllere von ein paar Freizeitmusikern, die nach der Arbeit die Klampfe rausgeholt haben. Musik macht doch Spaß, das ist doch kein Beruf! Berufe müssen hart sein, langweilig sein!

Und genau wegen dieses Paradigmenwechsels sollen die Musiklehrer jetzt Umsatzsteuer zahlen.

Nun pochen die Musiklehrer aber – natürlich nicht zu Unrecht – darauf, dass es sich bei ihrer Ausbildung ja eben doch um ganz, ganz harte Arbeit handeln würde, denn:

„Der Stand der Privatmusikerzieher hat jedoch im Bereich der Musikerziehung gerade bei der Vorbereitung auf die musikalische Berufsausbildung besondere Bedeutung. Das gilt umso mehr, als sich in den vergangenen Jahren die Zugangsvoraussetzungen zu den musikalischen Ausbildungsstätten erheblich verschärft haben, sodass praktisch ein Zugang ohne Einschaltung eines Privatmusikerziehers oder einer vergleichbaren Institution nicht möglich ist“

(Zitat von der Petitionsseite)

Und warum werden unsere Hochschulen immer strenger? Eben weil unsere Orchester immer weniger werden und die Konkurrenz immer härter wird. Das bekommt dann auch Lieschen Müller in der privaten Musikschule „Zum goldenen Notenschlüssel“ in Pirmasens zu spüren, auch wenn die vielleicht gar nicht ins Orchester will, sondern wirklich nur aus Hobby gerade Harfe lernt, einfach nur, um schöne Musik zu machen. Tonleitern muss sie dennoch üben, und zwar ganz streng!
Achtung: Das war jetzt ein erfundenes Beispiel, bitte nicht nach dieser Musikschule suchen, vor allem nicht in Pirmasens.

Das Ministerium wiederum ist über diese ganze Aufregung der privaten Musikschullehrer allerdings bass erstaunt, und antwortet:

„Die Befürchtungen sind unbegründet und überwiegend ein Sturm im Wasserglas“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums der „Frankfurter Rundschau“. Leistungen von privaten Bildungseinrichtungen, die auch im allgemeinen öffentlichen Schul- und Hochschulunterricht angeboten würden, seien auch künftig umsatzsteuerfrei. Dies gelte unter anderem für Musikunterricht. „Es stimmt daher nicht, dass beispielsweise ein Flötenunterricht nicht mehr umsatzsteuerfrei ist, denn dieser wird auch an Schulen und Hochschulen angeboten“, heißt es im Ministerium ergänzend. Auch auf Ballettstunden an Privatschulen sowie auf private Schwimmstunden werde in der Regel keine Umsatzsteuer erhoben.

(ganzer Artikel hier)

Ach, Schwimmen ist auch kein Hobby, sondern ein Beruf? Klar, nach den desaströsen Ergebnissen beim deutschen Schwimmteam in dieser Olympiade müssen jetzt einfach andere Saiten aufgezogen werden, denn ab jetzt werden nur noch BERUFSSCHWIMMER ausgebildet, ebenso wie BERUFSTÄNZER und BERUFSMUSIKER! Ist deswegen prima, weil keine Umsatzsteuer, praktischerweise. Man pinkelt ja auch nicht so einfach ins eigene Becken.

Gänzlich verwirrend ist es aber dann, die Kommentare auf der Petitionsseite zu lesen. Denn da steht dann sowas:

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe selber jahrelang Musikunterricht genossen, sowohl privat als auch an einer Musikhochschule. Trotzdem werde ich die Petition aus folgenden Gründen nicht unterzeichnen:

Punkt 1:
Sind wir doch mal ehrlich: Musikunterricht läuft doch zum größten Teil unter der Hand (schwarz) ab. Musikstudenten geben neben dem Studium Kindern Unterricht und bekommen das dann bezahlt. Dieses Phänomen ist von einer Einführung der Mehrwertsteuer also überhaupt nicht betroffen.

Punkt 2:
Es gibt kostenlosen Musikunterricht in der Schule. Hier kommen wir auch zu der „Bildung“ die alle hier beschreien und ihren Untergang voraussehen.
Was über diesen Unterricht hinausgeht ist ein Hobby.
Wenn also ab sofort alle Hobbys subventioniert werden (Wie Musikunterricht zu meinem erschrecken bis heute wird), möchte ich ab jetzt bitte keine Mehrwertsteuer auf meine Laufschuhe mehr bezahlen.
Oder auf die Fußballschuhe meines imaginären Sohnes, der auch in der Schule Sportunterricht bekommt.
(Was sich im übrigen bezogen auf die Gesundheitslage im Land wesentlich positiver auswirken würde als Musikunterricht)

Da wir nun also festgestellt haben, das wir über ein (zugegebenermaßen schönes) Hobby diskutieren, stellt sich auch meiner Meinung nach die Frage nicht, ob sich jeder dieses Hobby leisten können muss.
Denn diese Frage ist mit einem klaren „Nein“ zu beantworten.
Es fährt auch nicht jeder aus Spaß Motorboot, geht Golfen oder lässt sich vom Staat die Mehrwertsteuer für seinen Porsche bezahlen.

Ich denke diese Petition ist purer Lobbyismus.

Sind also die Musikstudenten die ihr Studium nebenher mit Klavierstunden für verzogene Blagen finanzieren alle Schwarzarbeiter und müssen ins Gefängnis, genau wie die illegalen Gastarbeiter auf der Baustelle nebenan? Und Musik ist zwar schön, bringt aber in der Schule gar nichts? Hier scheint der anonyme Kommentator ja der selben Meinung zu sein wie die ganzen Arschlöcher, die schon seit Jahrzehnten den Musikunterricht in der Schule zusammenkürzen wöllen. Musik – einfach nur Luxus? Überflüssig wie ein Motorboot oder ein Porsche?

Wisst ihr was? Alle diese verschiedenen Meinungen verwirren mich. Ich weiß gar nicht mehr, wer Recht hat, nur beschleicht mich das Gefühl, dass die vielen hart arbeitenden freien Musikpädagogen jetzt nicht unbedingt aus Geldgier diesen Beruf ergriffen haben, sondern wirklich aus einer Berufung heraus. Und ehrlich gesagt wünsche ich mir, dass sie bei der Arbeit nicht nur leiden sondern auch Freude empfinden, Steuer hin oder her.

Wie wird sich also diese Steuerreform auswirken? Bitte klärt mich auf, ich habe keine Ahnung.

Ich gehe jetzt wieder auf die Straße und bettele weiter als Straßenmusiker. Ist halt so ein unnützes Hobby, tut mir leid.

Moritz Eggert

5 Antworten

  1. Alexander Strauch sagt:

    Schön! Fein!! Solange „Musikpädagoge“ ein Studium verlangt, ist es neben all den Nettigkeiten Hobby, Spass und Lebenshilfe doch vorzüglich die gute alte, langweilige aber eben auch das eben genannten Trias vermittelnde Bildung“.

  2. Dear Moritz

    Your article reminded me of Karl Paulnack’s speech on becoming director of the Boston Conservatory. It has been often quoted (and used in the US to support the argument in favour of funding for the arts)…but is so good, I’ll post the link below. It’s emotional but makes valuable points about the importance of music in our society:

    http://www.bostonconservatory.edu/music/karl-paulnack-welcome-address

  3. Erik Janson sagt:

    Danke Moritz
    für diesen erfrischenden Artikel. Ich schließe mich an.
    Und dank dessen (kein Witz) dass übrigens zwei meiner Schüler, die ich an der Musikschule unterrichte LEISTUNGSSCHWIMMER sind und weil die trotzdem gern üben, deswegen muss ich wahrscheinlich in Zukunft weiter keine Ust-Erklärung machen bzw. meine Musikschule bleibt befreit.
    Ist doch TOLL!

    Bon Giorno an alle

  4. Stefan Drees sagt:

    Lieber Moritz,

    bevor du dich wieder auf zum Musizieren auf die Straße stellst: Denk bitte daran, dich zuvor bei der entsprechenden Behörde für das Casting zu melden: http://www.sueddeutsche.de/panorama/casting-fuer-strassenmusikanten-lizenz-zum-floeten-1.1471580

    Gruß
    Stefan

  5. Tamer sagt:

    Im Moment kämpfen Musikschullehrer der Bezirke Berlins um Ihre Existenz.
    Ihre schon sehr prekäre Lage wird mit den neuen Verträgen des Senats von Berlin noch mehr verschlechtert!
    Damit möchte der Senat die Situation der freien Mitarbeiter an den Berliner Musikschulen, immerhin sind es 94% der Musikschullehrer, aus der Scheinselbständigkeit herausholen. Dies geht aber deutlich zu Lasten der Musikschullehrer/innen!

    -keine vollständige Honorarfortzahlung im Krankheitsfall erhalten,
    -keinen Mutterschutz bekommen,
    -keine Alterssicherung zu erwarten haben,
    -ohne Angabe von Gründen kündbar sind,
    -nahezu keinen arbeitsrechtlichen Schutz genießen,
    -gegenüber angestellten Lehrkräften erheblich schlechter bezahlt werden und
    -durch bezirkliche Willkür bei Aufnahmestopps oft monatelange Honorarausfälle hinnehmen müssen.

    Aus diesem Grund habe die Musikschullehrer eine online Petition gegründet und brauchen Unterstützung!
    Die Petition ist unter folgendem Link zu finden:
    http://www.openpetition.de/petition/online/diese-vertraege-fuer-die-nicht-festangestellten-musikschullehrer-berlins-wollen-wir-nicht

    Ich finde, dies sollten angehende Musikschullehrer auch wissen.

    Grüße aus Berlin
    Tamer