Ich fordere das Erste Staatliche Internetorchester

Ich frage mich ob Peter Boudgoust ein glücklicher und zufriedener Mensch ist (Ausgesprochen wird er übrigens, laut Wikipedia: „Buddgusst“, so dass man sich den Namen am besten merken kann, wenn man sich Bud Spencer vorstellt, wie er irgendwas kaputt haut).

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Also: Ist Bud Gusst glücklich darüber, dass er gerade ein komplettes Rundfunkorchester vernichtet hat mit seiner nun beschlossenen Fusion der Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg und Stuttgart? Gibt es ihm ein Gefühl der Zufriedenheit? Oder sieht er sich als Vollstrecker einer ohnehin nicht aufzuhaltenden Entwicklung, die vermutlich die deutsche Orchesterlandschaft einer radikalen Umwälzung unterziehen wird?

Ich vermute mal letzteres. Ich kenne Boudgoust nicht. Ich weiß nicht, ob er ein sympathischer oder unsympathischer Mensch ist. Die Entwicklung, deren ausführendes Organ er in diesem Fall nun eben mal ist, ist natürlich zutiefst unsympathisch: für die deutsche Kultur, für die klassische Musik und natürlich auch für die Neue Musik, handelt es sich doch bei beiden Orchestern um höchst verdienstvolle Klangkörper mit einer sehr wichtigen Rolle, was Uraufführungen und Förderung von zeitgenössischen Komponisten angeht.

Was mich an Aktionen wie dieser Orchesterfusion ärgert, ist nicht allein die Tatsache, dass dies letztlich die Konsequenz einer immer größeren Sparpolitik bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ist (mit Auswirkungen auf die Programmqualität, die wir in den nächsten Jahren zunehmend verspüren werden). Nein – es ist die für unsere Zeit typische Mut- und Einfallslosigkeit, die dahinter steht.

Auch dem größten Verfechter der Rundfunkorchester dürfte klar sein, dass der Kampf um deren Erhalt immer schwieriger und härter werden wird. In der momentanen Situation muss man kein Hellseher sein, um weitere Orchesterfusionen oder gar komplette Streichungen vorherzusehen, im schlimmsten Fall so lange, bis nur noch ein einziges repräsentatives Orchester übrig bleibt. Einige Orchester werden sich im besten Falle erfolgreich privatisieren, andere werden vielleicht noch eine Weile eine Art Gnadenbrot bekommen, bis man auch die letzte Stelle langsam auslaufen lässt, eine Art öffentlich-rechtliche Abschiedssymphonie a la Haydn, der letzte Geiger macht das Licht aus.

Was diese Entwicklung für die Ermöglichung von Orchesteraufträgen in der zeitgenössischen Musik bedeuten wird, kann man sich denken – die Gelegenheiten werden auf jeden Fall nicht mehr werden. Aber das sollte nicht unsere einzige Perspektive sein, auch hochschultechnisch wird man dann immer fordernder die Frage stellen, wie viele Orchestermusiker man eigentlich noch ausbilden muss, wenn es immer weniger Plätze für sie gibt. Ganz abgesehen von den Einzelschicksalen der hervorragenden und nun nicht mehr erwünschten Orchestermusiker.

Die Nachricht die das alles sendet ist klar: Unser Staat fühlt sich immer weniger verantwortlich für die kulturelle Grundversorgung seiner Bürger. Fast ist es so, als würde man dem Internet kampflos das Feld überlassen, sich aber keine Gedanken darüber machen, was eigentlich ursprünglich die Aufgabe unserer nach dem Krieg zahlreich gegründeten oder wiederbelebten Rundfunkorchester war, nämlich den Deutschen die lange vermisste Vielfalt einer musikalischen Weltkultur nahezubringen.
Klar, die Zeiten von Omas Dampfradio sind vorbei -. Das Radio und noch nicht einmal mehr das Fernsehen können als Medien je wieder die allgemein verbindliche Präsenz erlangen, die sie einmal hatten. Das heißt aber nicht – und das ist ganz wichtig,- dass die Inhalte, die diese Medien vormals vermittelten, selber obsolet geworden sind. Der Bedarf nach diesen Inhalten ist weiterhin da, die Orchester werden weiter gebraucht. Das Problem ist nur, dass sie dort spielen, wo sie immer weniger wahrgenommen werden, nämlich in den langsam überholten Medien.

Und so kommen wir zum Titel dieses Artikels, den ich ganz ernst meine. Warum gibt es nur so öde Schmonz- und Publicityorchester im Internet wie das youtube-Orchester? Wo ist das erste deutsche staatliche Internetorchester, das alle Vorzüge des Mediums (will sagen: flächendeckende und umfassende Präsenz in Bild und Ton und Wort, via podcast, video stream, apple und android app, usw.) nutzt, kulturell bildend, fördernd und ja – auch unterhaltend. Warum denkt man nicht in ganz neue Richtungen, reformiert die Bürokratie und die oft auch unnötigen Kosten dieser Orchester (zum Beispiel für teure Publicity-Tourneen) und versucht stattdessen wieder, den staatlichen Bildungsauftrag ernst zu nehmen, und klassische wie auch zeitgenössische Musik auf eine professionelle Weise im Internet zu präsentieren, wie es bisher nur ganz selten geschieht?

Ich weiß, ich weiß, das ist alles rechtlich nicht ganz einfach, wie man an dem Streit um die hervorragende und von allen heiß geliebte Tagesschau-App sieht, die viele als Konkurrenz zu kommerziellen Nachrichtenversorgern sehen. Die CD-Firmen werden aufschreien, wenn plötzlich alle Beethoven-(oder hoffentlich auch Henze-) Symphonien in umfassenden und hervorragenden Aufnahmen in Bild und Ton umsonst ins Internet gestreamt werden, aber der Musiklehrer wird sich freuen, wenn er seinen Schülern klassische Musikkultur präsentieren kann, die nicht wie aus dem letzten Jahrhundert daher kommt und sich absolut auf der Höhe der Zeit präsentiert. Und ganz ehrlich – letzteres wird für die Zukunft vielleicht wichtiger sein, als irgendeinen empfundenen Status Quo aufrecht zu erhalten. Ich bin auf jeden Fall froh, wenn meine GEZ-Gebühren in sinnvolles Weiterdenken in die neuen Medien investiert werden, wie es zum Beispiel die Tagesschau-App macht, die ja die Tagesschau im Fernsehe keineswegs ihres Sinnes beraubt, sondern stattdessen deren Inhalte auf eine reichhaltigere Weise (und sogar schneller, weil sie sich nicht an Sendezeiten halten muss) verfügbar macht.

Dieses Denken in die Zukunft muss irgendwann ohnehin beginnen, warum also nicht schon jetzt damit anfangen? Musikverlage, Rechteinhaber, kommerzielle Musikproduktionen, öffentlich-rechtliche Anstalten: Alle müssen sich an einen Tisch sitzen und gemeinsam darüber nachdenken, wie man unsere reichhaltige und international bewunderte Musikkultur am Leben erhalten kann, ohne dass sich die jetzt schon aufgestellten Fronten zwischen diesen Interessengruppen noch mehr verhärten. Es muss doch bei auch nur ansatzweise vorhandenen gesundem Menschenverstand irgendeinen Weg geben, sinnvolle und alle zufrieden stellende Finanzierungsmodelle aufzustellen, die auch dem Steuerzahler das Gefühl geben, dass mit seinen Geldern etwas Gutes geschieht, und die dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche wieder mehr Musik hören, mit der jetzt nicht irgend ein anonymer Musikkonzern vor allem nur Geld verdienen will.

Damit hätten zum Beispiel ein gewisser Herr Boudgoust anfangen können, anstatt sich einfach nur den „Verhältnissen“ zu ergeben, wie es Peachum in der „Dreigroschenoper“ besingt. Und dann wäre er vielleicht auch wirklich ein glücklicher Mensch.
Ich hätte es ihm gewünscht. Und uns.

Moritz Eggert

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6 Antworten

  1. Erik Janson sagt:

    Thx Moritz,
    Ein guter Beitrag, den ich so unterschreiben kann.

    Ich fürchte, es wird in nicht vielen Jahren hier auch so sein wie in den USA, dass Orchester primär nur noch durch Privatstiftungen bzw. Spenden der Wirtschaft und durch einzelne reiche Privatpersonen am Leben gehalten werden…

    Nun ist das sicher besser als nichts, werden einige dem entgegen halten; und sicher machen sich einige dann um den Erhalt dieses Kulturguts verdient.
    Aber Fakt ist doch auch, dass – sieht man sich mal um – dass die (nachfolgede) Generation der „Reichen und Schönen“ etc. für „klassische Musik“, für Orchester bzw. zumindest auf jeden Fall für zeitgenössische Musik JENSEITS des puren Amusements und „Chillfaktors“ immer weniger bis gar keinen Sinn hat.

    Also möchte man sich gar nicht ausmalen, wie es weiter geht. Die Zeichen stehen leider alles andere als gut.

  2. Wenn man feststellt, dass der Staat sich (in m.E. unverantwortlicher Weise) immer mehr aus der Kultur- und Bildungsförderung herauszieht, was kann dann ein *staatliches* Orchester bringen?

    Und wie soll ein einzelnes (und auch noch *Internet*-)Orchester eine lebendige, flächendeckende Orchesterlandschaft ersetzen?

    „Warum denkt man nicht in ganz neue Richtungen“ – Wie wäre es mit der (hoffentlich noch nicht) vergessenen Bewegung von unten, aus der Breite der Bevölkerung? Das hat immer wieder funktioniert. Unter anderem hat einst das Bürgertum aus den Konzerten für den Adel öffentliche Veranstaltungen gemacht, Konzerthäuser gebaut und die Musiker bezahlt.

  3. Peter Bromig sagt:

    Sehr geehrter Herr Eggert,

    wir haben die von Ihnen vorgeschlagenen Veränderungen der Arbeit eines Sinfonieorchesters mehrfach unserer Geschäftsleitung dringend empfohlen, hatten, nicht zuletzt durch unseren Chefdirigenten Francois Xavier Roth, viele Ideen, aber wie Sie selbst sehen konnten, der Diskurs wurde ökonomisch geführt, und so wird sich bei uns die Zukunft nach seiner Bezahlbarkeit und nicht nach Visionen ausrichten. Schade!

    Vielen Dank
    Peter Bromig
    SWR SO

  1. 5. Dezember 2013

    […] sie sogar modernisieren, erweitern und vergrößern können (siehe auch mein Artikel: Ich forder das erste deutsche staatliche Internetorchester). Und noch vieles, vieles […]

  2. 8. Dezember 2013

    […] Man rechne einfach mal nach – ein Euro pro Monat bei geschätzten 20 Millionen Haushalten in diesem Lande (wahrscheinlich sind es mehr) machen 20 Millionen EUR PRO MONAT. Warum nicht einfach bestimmen, dass genau dieser Euro “zu viel” NUR an die öffentlich-rechtlichen Sender geht, mit dem expliziten Auftrag, diese 20 Millionen Euro pro Monat ausschließlich für qualitativ hochwertige Kultur- und Bildungsangebote und den Erhalt ihrer vielen großartigen Orchester zu verwenden? Das wäre mit diesem Geld ein absolutes Kinderspiel, und man könnte dann sogar endlich das Erste staatliche Internetorchester gründen, das ich schon seit langem fordere. […]

  3. 28. Juli 2014

    […] Sie Mut und verfolgen Sie neue Konzepte – zum Beispiel das von mir schon lange geforderte Erste Staatliche Internetorchester. Ein solches Orchester könnte sich nämlich an genau die jenigen Hörer und Zuschauer […]