Message in a bottle

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Anton Weberns Orchesterstück „Im Sommerwind“

 

Zu den ergreifendsten und erhabensten Vorstellungen, die KünstlerInnen über ihr Werk sich machen können, gehört zweifellos die von der Flaschenpost, als die das Werk in die Zukunft geschickt wird. Als berühmteste Beispiele fallen einem sofort ein, wie Felix Mendelssohn Bachs „Matthäus-Passion“ hundert Jahre später ans Licht der Öffentlichkeit brachte, oder wie Robert Schumann die große C-Dur-Sinfonie von Schubert bei dessen Bruder Ferdinand auf dem Dachboden fand. Und ist es nicht ebenso eine ergreifende und in höchstem Maße anrührende Vorstellung, dass Anton Werbern sein wundervolles Jugendwerk für Orchester „Im Sommerwind“ niemals, sein ganzes Leben nicht von einem realen Orchester gespielt zu hören bekam? Und kennzeichnet es nicht seinen ganzen, fast irre zu nennenden Enthusiasmus, dass er dieses Werk gleichwohl in seinem Kompositionsunterricht als Lehrbeispiel immer wieder mit seinen Schülern durchstudierte und -analysierte?

 

Webern schrieb „Im Sommerwind“ 1904 im Alter von 19 Jahren, bevor er Schüler von Schönberg wurde, der sogleich feststellte, er befände sich mit diesem Werk in einer Sackgasse ( a dead end road ) – ein Urteil, über das  noch zu sprechen sein wird. Angeregt wurde das Werk von dem gleichnamigen Gedicht „Im Sommerwind“ von Bruno Wille von 1904, an dem der junge Komponist sich entlang hangelte.

 

Bruckner, Mahler, Richard Strauss waren die Vorbilder im musikalischen Stil, was zur Folge hat, dass „Im Sommerwind“ sehr gern und manchmal auf kulinarische Art von Profisinfonieorchestern heute gespielt wird. Sie haben, grob gesprochen, einen Webern im Programm, der „aber sehr schön“ und „nicht 12tönig“ ist.

 

LINK zB. HR-Sinfonieorchester Im Sommerwind

 

Wenn man allerdings den Ablauf dieses Orchesterstückes mit dem eines der genannten damaligen Großkomponisten vergleicht, so fällt sofort auf die Webern so ganz persönlich eigene aphoristische Kürze in der Gestaltung, die die verwendeten Motive wie im Filmschnitt in kurz auf einander folgenden musikalischen Perioden ineinander schneidet. Ich finde diese Montagetechnik überaus bedeutsam, da sie dasjenige ist, was  absolut auf der Höhe der Zeit sich befindet, und was  wenig später zu der aphoristisch verdichteten revolutionären, freitonalen Phase von Webern und Schönberg führt.

 

Und war denn„Im Sommerwind“ wirklich eine Sackgasse? Nehmen wir das erste prägnante Oboen-Motiv in F-Dur, das wie eine Kreuzung von Beethovens Pastorale mit Richard Strauß klingt. Dieses Motiv wird in Folge nicht verarbeitet im Sinne der Tradition, sondern es blitzt gelegentlich, sofort variiert, im Orchestersatz auf. Natürlich ist es ein „Leitmotiv“ im Wagnerschen Sinne, es ist an  einzelnen Stellen der Partitur mit dem Gedichtinhalt jeweils konnotiert. Die Verwendung geschieht aber derartig pointiert, dass man eher an eine Werbestrategie, eine Werbeslogan denkt, so nach der Devise: In aller Kürze – Maggi-Würze.

 

Ebenso die Verwendung der Tonalität passiert auf eine gedrängte, gepresste, gestauchte Weise. Sicher, auch diese Ebene ist mit den Stimmungen des Gedichts konnotiert. Naturstimmung am Anfang gleich D-Dur wie bei Mahler – Filmlinsenwechsel – F-Fur für kitschige Hauptperson wie bei Richard Strauß- Filmlinsenwechsel  – und so weiter…

Diese lapidare, bei allem Sentiment doch recht unsentimentale Verwendung der Tonarten als fasslichen Markenkernen , als Stimmungskondensaten verweist viel eher auf die Film- und Pop-Musik voraus, als auf die Romantik zurück. Die Akkorde werden quasi aus der Romantik vorwärtsgewandt herausextrahiert, herausgepresst. Ich empfinde das von heutiger Sicht aus als ganz aktuell, modern und zukunftsweisend.

 

Es ist  vorstellbar, warum dieses für Schönberg, der konservativ an die ethische Kraft der musikalischen Klassik glaubte, wenn nicht latent geschmacklos, so doch fremd oder zumindest befremdlich wirkte. Und er brachte Webern auf einen anderen Weg, den der radikalen Materialerforschung bei gleichzeitig konservativem Festhalten an dem emphatischen Bekenntnischarakter der großen Tradition. Und nicht zuletzt bestärkte er Webern auch in seinem immer  schon vorhandenen Hang zum Sektiererischen, zum Esoterischen, der in Folge in seinem Schaffen schon allein in der Auswahl der vertonten  Texte immer deutlicher hervortrat.

 

Und natürlich, so gesehen geschichtlich von hinten betrachtet, musste „Im Sommerwind“ ja wohl eine Sackgasse sein, sonst hätte Webern nicht den Weg zurück und einen anderen Weg eingeschlagen. Sonst gäbe es nicht seine ganzen bahnbrechenden Entdeckungen in der seriellen Strukturierung musikalischer Phänomene. Sonst gäbe es nicht seine strenger Logik verpflichteten musikalischen Edelsteine aus blitzenden, singulären Tönen. Ja ja, das alles gäbe es nicht.

 

Doch vielleicht liegt in genau in den Elementen von „Im Sommerwind“, die er dann verlassen hat in seinem Schaffen: in dem lapidaren Gebrauch der Tonalität, in dem lapidaren Gebrauch tonaler Kurzmotive, in dem lapidaren montageartigen Formaufbau für uns  heute eine „message in a bottle“? Vielleicht sollten wir diese Sackgasse heute öffnen?

 

Der famose Chorleiter und Komponist Clytus Gottwald hat 2013 etwas davon gespürt, und eine textierte, auf dem Ursprungsgedicht basierende Fassung des Orchesterstücks „Im Sommerwind“ für Chor a cappella hergestellt Er schreibt dazu im Vorwort seiner Partitur : „Zunächst musste ich an der Vorlage alle jene Teile eliminieren, die streng instrumental gedacht sind, das Werk auf seinen, um Wolfgang Rihm zu paraphrasieren, singbaren Rest reduzieren. Das Überraschende dabei war, dass solche Reduktion keine sinnlose Reihung von Fragmenten zeitigte, sondern die Fragmente erwiesen sich, was Harmonik und Motivik betrifft, als so eng aufeinander bezogen, dass das Ergebnis als Werk im Werk imponierte. Die Reduktion brachte so etwas wie die Essenz des Werkes ans Licht.“

 

Und auch heute, über hundert Jahre später, baumelt „Im Sommerwind“ dort an der Wäscheleine und zaubert uns ein Lächeln ins Gesicht. Was aber wird eine Flaschenpost, die bereits gefunden wurde und dort an der Leine hängt? Werden ihre Zeilen unleserlich, bleicht sie aus vom Sommerlicht, wird sie von der Flaschenpost zum bloßen Flaschenfund?

 

Jobst Liebrecht 17.7.2023

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