Impfpatt

Keine Angst vor dem Killerkaninchen, aber Angst vor der Impfung

Tagebuch der Wörter (10)

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Manchmal frage ich mich, was eigentlich „Aufstehen für die Kunst“ jetzt so macht. Auf der Website keinerlei Neuigkeiten. Wären sie nicht jetzt gebraucht? Es bedürfte nur einer kleinen Neuausrichtung, denn nachdem ja inzwischen viele Opernhäuser schon wieder einen Spielbetrieb mit 100% Auslastung aufgenommen haben (wollen wir hoffen, dass das so bleibt), ist es vielleicht nicht mehr so ganz sinnvoll, vor dem europäischen Gerichtshof zu klagen, dass jetzt dringend die Opernhäuser wieder aufmachen müssen (was zu erwarten war, auch wenn das die Unterstützer nicht so gerne hörten damals). Warum nicht jetzt „Impfung für die Kunst“ als Kampagne?

Es ist eben nicht höchste Priorität irgendeiner ominösen „neuen Weltordnung“, Kunst und Kultur mittels Corona für immer lahmzulegen. Man muss auch nicht endlos angesichts einer Krise darüber diskutieren, wer jetzt in jedem Moment genau so wichtig genommen wurde, wie es „angemessen“ war. Wenn alles drunter und drüber geht und keiner so richtig weiß, was die nächsten Monate kommen wird, wird es keine perfekte Sonderbehandlung für jeden Fall geben können.

Das große Kulturschiff ist nicht untergegangen und nimmt zunehmend Fahrt auf, auch wenn man manchmal den Eindruck hatte, dass viele Mahner und Rufer in der Coronakrise sich insgeheim gewünscht haben, dass Merkel ein brutales Terrorregime einführt, in dem die Menschen nie mehr das Haus verlassen dürfen, täglich ausgepeitscht werden und das Spielen oder Hören von Beethoven und Mozart mit dem Tod bestraft wird – denn dann hätten sie wenigstens in ihrem Weltbild Recht bekommen! Wenn es eine Weisheit gibt, die man in den sozialen Medien lernt, dann ist es diese: Es ist erstaunlich, wie viele Menschen es gibt, denen es wesentlich wichtiger wäre, in irgendeiner apokalyptisch übertriebenen Prognose Recht zu haben, als tatsächlich ein glückliches Leben in einer Welt zu führen, in der ihre Prognose nicht eintritt.

Manchmal ist es fast rührend zu sehen (wenn man – was ich gelegentlich tue – auf den üblichen Kanälen der schlimmsten Schwurbler vorbeischaut) wie bei stetig fallenden Abonnentenzahlen immer grauenhaftere Visionen der nahen Zukunft entworfen werden, die „morgen“, nein, „übermorgen“, nein, „überübermorgen“ oder so eintreten werden. Und dann wieder doch nicht. Apocalypse not now, perhaps later.

Die meisten der Apokalyptiker lassen sich eh nie gegen Covid-19 impfen und sterben lieber daran, sind aber auch gar nicht das Problem, da in der Minderheit, sie bekommen nur überproportional viel Aufmerksamkeit, wie hier sehr gut erklärt wird. Daher geht es im Moment eher darum diejenigen zu erreichen, die noch zögern. Und da kommen wir natürlich zur Diskussion Impfen vs. Nicht-Impfen. Oder vielmehr: wie können wir eine Impfquote erreichen, bei der das Kulturleben wieder gesichert durchgehend möglich ist, bei dem die Inzidenzen nicht mehr ständig beobachtet werden müssen, bei dem man nicht ständig zittern muss, ob etwas kurzfristig abgesagt werden muss. Dieser Zustand ist zum Greifen nah, hängt wie eine überreife und heiß ersehnte Frucht direkt vor uns, und daher ist es so bitter, dass man momentan in einem Patt angekommen ist, in dem sich wenig bewegt.

Mir ist bewusst, dass alle Aufforderungen für die Impfzögerer nicht wahnsinnig sexy klingen. Und das ist die Crux der ganzen Diskussion, denn wenn man jemanden von etwas überzeugen will, von dem diese Person nicht überzeugt ist, so wird jedes Nachhaken die Anti-Haltung verhärten.

Gerade eben wurden wir als Musikhochschuldozenten vom Staatsministerium aufgefordert, uns doch bitte impfen zu lassen – aber wird das die wenigen Kollegen überzeugen, die hinter allem eine schreckliche Verschwörung vermuten? Die werden jetzt erst recht allen solchen Initiativen misstrauen.

Die Gründe für eine zögerliche Haltung zum Impfen sind sehr vielfältig. Viele wollen nur abwarten oder sind vorsichtig, das heißt aber nicht, dass sie grundsätzlich verblendet sind, denn das Zögern ist kein grundsätzliches Nein. Mit einem gewissen Gefühl der Sicherheit (das höchstwahrscheinlich zunehmen wird mit jedem Monat, an dem eben nicht die halbe Menschheit tot umfällt, wie beständig von Idioten prophezeit) werden sie zunehmend ihr Zögern in ein „Ja“ zum Impfen verwandeln. Aber wie können wir sie am besten erreichen, um das lange Warten auf das „Ja“ abzukürzen?

Übt man zu viel Druck aus oder schafft man zu viele Unterschiede in der Behandlung von Geimpften und Ungeimpften, wächst das Misstrauen eher. Aber leider kann man auch nicht ewig herumsitzen und warten, wenn – und da kann man sich absolut sicher sein – nur eine weitestgehende Vorsorge gegen schlimme Folgen von Covid-19 eine Rückkehr zum normalen Leben ermöglichen kann. Wenn wir darauf warten wollen, bis die weiteren dutzenden Mutationen und vielen weiteren Wellen bei einem weiter anhaltenden Impfzaudern endlich durch sind, kann eine Rückkehr zur Normalität noch sehr, sehr lange dauern. Es müsste also im Interesse der Kulturschaffenden sein, diese Zeit zu verkürzen, sprich, sich impfen zu lassen.

Allein schon, dass ich das hier schreibe, wird viele erzürnen und man wird mich als Teil der bösen Impfagenda wähnen. Denen sage ich: Nur weil jemand euch um etwas bittet, und das vielleicht mit einem gewissen Nachdruck, heißt das noch lange nicht, dass diese Person etwas Böses von euch will. Und wenn ihr nicht wollt, dann wollt ihr eben nicht, das ist eure Entscheidung. Wir können dann halt alle gemeinsam noch ein bisschen warten. Aber dann seid bitte auch nicht gleichzeitig maximal ungeduldig, wenn es um möglichst schnellen „Neustart Kultur“ geht. Denn den kann man sich nicht schnell herbeiwünschen, wenn man ihn gleichzeitig ausbremst.

Ein guter Freund von mir, der kein Coronaleugner und auch kein Schwurbler ist, sich aber momentan nicht impfen lassen will, hat es so ausgedrückt: er sieht es nicht ein, dass er jetzt etwas machen soll, für dass er sich selbst bemühen muss, wenn doch er derjenige ist, der dem Staat mit seiner Impfung einen Gefallen tut. Dass er nicht dem Staat, sondern sich selbst und der Allgemeinheit einen Gefallen tut, lassen wir mal beiseite, aber sein Argument ist eben vereinfacht so: „Ich soll für euch irgendwohin gehen und etwas tun? Nein, Danke.“

Solche Menschen könnte man damit erreichen, indem man ihnen einfach einen Impftermin ermöglicht, ohne, dass sie dafür etwas tun müssen. Viele Länder waren mit dieser Strategie sehr erfolgreich: Hausärzte rufen ihre Patienten an oder bieten einfach die Impfung ohne vorherige Terminvereinbarung beim nächsten Besuch an. Oder es gibt ein freundliches Schreiben vom Amt: hier und da ist ein Impftermin, wenn Sie es wollen. Sie müssen nicht, aber Sie können“. Genau wie bei der Wahl – da wird ja auch keiner gezwungen und hingepeitscht. Und so wie Briefwahl ermöglicht wird, könnte man ja auch eine „Heimimpfung“ beantragen, mit Formular, das einem zugesandt wird. Das Impfteam klingelt dann höflich an, alle trinken Kaffee und essen Kuchen und erledigt ist die Sache. Alles besser als ewig zu warten.

Denn sowohl bei der Impfung als auch bei der Wahl gilt: es wäre halt schön, wenn möglichst viele Menschen mitmachen würden.

Lech am Arlberg/ Sargans/St. Margarethen/Bregenz/Lindau Insel/München/Nürnberg/Leipzig, 10.9.2021

Die obige Liste gibt ungefähr meine Irrfahrt durch Österreich, die Schweiz und Deutschland wieder, die durch das Besteigen eines falschen Zugs in St. Anton ausgelöst wurde, der nur 2 Minuten vor dem richtigen am selben Gleis ankam, und daher eine gewisse Verwechslungsgefahr barg. Als einzige Entschuldigung kann ich nur anführen, dass mich viele Telefongespräche und gleichzeitig ankommende Nachrichten wegen diverser drängender Themen ablenkten. Man muss den Schaffnern der ungefähr 7 beteiligten Zuggesellschaften ein großes Lob aussprechen, dass sie nicht versuchten, aus meiner geistigen Verwirrung einen finanziellen Reibach zu machen. Nun besteht eine gewisse Spannung, ob ich den späteren Zug nach Nürnberg noch erwischen werden, der mir ermöglicht, doch noch mit meinen Freunden von der Münchner „Hyrox“-Crew im Auto nach Leipzig zu fahren, wo ja morgen die Weltmeisterschaft stattfindet. Es gibt Verbindungen, die einem die DB nicht vorschlägt, weil sie nur mit viel Glück oder dem Tempo von Usain Bolt funktionieren. Genau so eine habe ich nun vor mir. Wünscht mir Glück! (PS: Ich habe es geschafft)

Moritz Eggert

Keine Angst vor dem Killerkaninchen, aber Angst vor der Impfung

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Eine Antwort

  1. Daniel sagt:

    Schöner Beitrag zu dem Thema!
    Ich bin 35 (Männlich, Sportbegeistert, Gesundheitsbewusst). Habe am Samstag bei Hyrox in Leipzig mitgemacht.
    … und ich bin ungeimpft!
    Meine Familie (Eltern, Großeltern etc.) sind alle geimpft. Meine Frau und ich sind genesen (seit Dez. 20).
    Ich habe zwei Freunde (waren auch bei Hyrox mit dabei) welche ebenfalls genesen sind, aber eben in der Politik nicht mehr als genesen angesehen werden. Ich bin froh, dass meine Familie geimpft ist, werde mich selbst aber niemals impfen lassen, da eine Genesung aus medizinischer Sicht (siehe auch diverse Studien) der Impfung mind. gleichzustellen ist (und nicht nur für sechs Monate). Das Risiko für mich, durch die Impfung Schaden zu nehmen (und wenn es nur ein schlechter Tag ist) ist viel höher, als mein Risiko an COVID zu erkranken. Ansteckungsgefahr durch mich ist ebenfalls ähnlich (laut Studien sogar weniger wahrscheinlich) als bei Geimpften. Die zwei angesprochenen Freunde von mir sehen es exakt gleich!
    Die Politik macht sich mit dieser „alle lassen sich impfen, scheiß egal was medizinisch notwendig wäre“ keinen Gefallen. Das erweckt in mir ebenfalls den Eindruck von entweder „Verschwörung“ oder „Dummheit“ – Beides wird bei mir und vielen anderen Genesenen nicht zum Erfolg führen.
    Liebe Grüße.
    Daniel