In Memoriam Hans-Ulrich Engelmann

Hans-Ulrich Engelmann (rechts) mit Henri Bok, Foto: J. Broerse

Hans-Ulrich Engelmann (rechts) mit Henri Bok, Foto: J. Broerse

Nachrufe sind oft vor allem Betonung des Geleisteten. Dies ist im Falle Hans-Ulrich Engelmanns nur richtig, denn er hat sehr viel als Komponist geleistet und ein großes, wichtiges Werk geschaffen, dessen längst fällige Neubeurteilung z.B. Gerhard Rohde zu Recht gefordert hat.

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Aber Hans-Ulrich Engelmann war für mich mehr als das: er war mir ein lieber Freund, ein Förderer, ein wunderbarer Kollege. Und ganz sicher jemand, der ganz entscheidend dazu beigetragen hat, dass ich diesen Beruf gewählt habe, denn niemand verkörperte für mich im positivsten Sinne das Idealbild eines „modernen“ Komponisten so sehr wie er.

Auf diesen Seiten spreche ich oft ironisch von der „Altavantgarde“, die nur noch um sich selbst kreist. Aber natürlich haben wir der Avantgarde auch viel zu verdanken, vor allem echten „Typen“ wie Hans-Ulrich Engelmann, der diesen Traum von der Avantgarde immer voll lebte, diesen aber mit seiner unnachahmlichen hessischen Art mit Wärme und Menschenfreundlichkeit füllte, und sich bis ins hohe Alter eine erstaunliche Neugier auf Musik aller Art bewahrte. Es war ihm unmöglich, das gesteigerte, manchmal aggressiv messianische Sendungsbewusstein z.B. eines Stockhausen anzustreben, da ihm die Intaktheit anderer Individuen immer zu viel bedeutete. Letztlich hatte er dazu auch zu viel Humor – weder sich selbst noch irgend ein Dogma oder eine Idee konnte er auf Dauer ernst nehmen. Deswegen war selbst die streng serielle „Darmstädter Schule“ – die ihn sicherlich Zeit seines Lebens beeinflusste – nie eine Sackgasse für ihn, denn für ihn, den architektonisch Hochbegabten, waren die Auswege immer leicht zu finden. Und diese bestanden im Hereinlassen des Lebendigen – Zeit seines Lebens bewahrte er sich eine Liebe für gut gemachte Unterhaltungsmusik (vor allem Jazz) und zu später Stunde konnte er durchaus eindrucksvoll das Klavier „rocken“, zur Bewunderung seiner vielen Schüler. Auch das Lustfeindliche, Spröde war ihm fremd – auch wenn er selber gerade gegen Ende seines Lebens mit düsteren Gedanken zu kämpfen hatte und sich immer wieder auch in kühlere musikalische Konstruktionen hineinsteigerte, so blieb er doch im Grunde seines Herzens ein zutiefst barocker Mensch, der das Leben liebte und der die Vielfalt in seiner musikalischen Sprache schätzte.

Und so möchte ich mich an ihn erinnern, an Hans-Ulrich, der einen immer in tiefstem hessisch mit „moin Froind“ anredete, und gerne „Komponast“ anstatt „Komponist“ sagte, weil er gerne die Zähne beim Sprechen zusammenliess.
Ich erinnere mich an unsere erste Begegnung: mein damaliger Lehrer Claus Kühnl (sein Student, wie viele andere großartige Komponisten, die die „Engelmannsche Schule“ durchliefen) hatte mich ihm empfohlen und ich klopfte schüchtern in seinem Zimmer am Ende des Ganges neben dem großen Saal an, wo es immer stark nach Linoleum roch (direkt daneben befand sich das Zimmer meines lieben Klavierprofessors Leonard Hokanson, auch nicht mehr unter den Lebenden). Engelmann wirkte fast aristokratisch in seinem Auftreten, was durch seinen Dialekt stark unterminiert wurde. Ganz besonders erinnere ich mich an den starken Duft seines Eau-de-Cologne, in vielerlei Hinsicht eines seiner ewigen Markenzeichen. So stellte ich mir einen modernen Komponisten vor – ich war zutiefst beeindruckt. Engelmann war immer schick gekleidet. Er hatte alles erlebt und kannte alle. Seine Anekdoten über Stravinsky („der war wahnsinnig eitel, sage ich Dir. Und immer eine Flosche Whiskey beim Komponieren!“), den jungen Stockhausen („Der Korlhoinz, der war immer schnell beloidigt“), Boulez („der hatte eine gonze Schor von Assistentinnen dabei, oine schöner als die andere, aber er hat sich nicht für sie interessiert“) sind unvergessen und werden von mir jetzt an meine Studenten weitergegeben.

Ganz besonders beeindruckend fand ich seine Geschichte, wie er als junger Mann in der Nazizeit (unter der er sehr litt) immer wieder aufs Neue begeistert mit einem Freund die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ besuchte. Der wahre Grund: Nur dort konnte man bestimmte moderne und von ihm heißgeliebte Stücke von Hindemith und Stravinsky hören, nämlich auf einer Schallplatte, die auf Wunsch von einem Museumswächter vorgespielt wurde. Als Engelmann und sein Freund zum xten Male hintereinander scheinheilig ein Anhören dieser Musik forderten, um sich erneut deren „Schrecklichkeit“ zu vergewissern, wurde der Wächter langsam mißtrauisch, wie man sich denken kann…

Bald besuchte ich – der ich ja eigentlich noch zu jung war und gar nicht offiziell bei ihm studierte – regelmäßig Engelmanns „Kolloquien“ an der Frankfurter Musikhochschule, wo man eine wilde Mischung unterschiedlichster Komponisten vorfand. Für mich damals eine aufregende und faszinierende Welt, in der ich viel gelernt habe. Und immer wenn es hoch her ging und sich die ambitionierten Jungkomponisten zu streiten drohten, ergriff Engelmann schnell das Wort, erzählte eine Anekdote oder einen Witz und schon war die schlechte Stimmung verflogen. Engelmann konnte durchaus kritisch zu Gericht gehen mit Musik von Studenten, aber man nahm es ihm nie übel, denn er betrachtete sich immer als „Kollegen“ nicht als „Professor“, und seine Ratschläge waren immer im besten Sinne freundschaftlich.

Ihn zu Hause (im Ehrenviertel für verdiente Darmstädter Künstler, dem wunderschönen Park Rosenhöhe) zu besuchen bedeutete ein Museum moderner Kunst zu betreten. Nicht zuletzt durch den Einfluss seiner lieben Frau Roma, selber Künstlerin, waren dort die tollsten Bilder, Zeichnungen und Skulpturen zu finden, aber auch prachtvolle Bände über Architektur, Literatur und Theater. Engelmann liebte alle Künste, und kannte sich überall aus, von seiner Prägung fühlte er sich aber im Theater und im theatralischen Affekt am wohlsten. Man war bei ihm immer gerne zu Gast, und das Haus der Engelmanns war offen für alle. Ich erinnere mich an ein Treffen von „Ehemaligen“ bei dem Engelmann erst traurig über das Fernbleiben seines von ihm sehr geschätzten Schülers Hans-Jürgen von Bose war, dann aber einfach ein Bild von von Bose aufstellte und so tat, als sei er anwesend, fast wie im Sketch „Dinner for One“.

Von Hans-Ulrich stammt auch einer der klügsten Sätze über Kunst, den ich kenne:

„Am Überragenden erkennen, daß über Fleiß und System hinaus letztlich das große Nichtwissen im Schöpferischen wirkt, wäre vor allen organisatorischen Fragen und handfesten Entschlüssen bedenkenswert.“

Es sind die „handfesten Schlüsse“, die kalte Abkanzelung des Ungebändigten, die Chancenminderung des Individuums, die Engelmann – Kind des 20. Jahrhunderts – zutiefst fürchtete. Bei ihm (und bei Claus Kühnl) lernte ich das Wort „abartig“ schätzen, das bei ihm Ausdruck höchsten Lobes war, denn was aus der Art schlug, wurde für ihn gerade interessant. Wenn etwas „abartig“ war, fand er es besonders gut!
Das Zitat stammt übrigens aus seinem wunderbaren Buch mit Lebenserinnerungen, das ich jedem ans Herz legen kann, der etwas über Komponisten im 20. Jahrhundert erfahren will (leider nur noch antiquarisch erhältlich).

Ich schließe mit meiner Lieblingsanekdote von Hans-Ulrich, über den mit einem sehr großen Bauch ausgestatteten Bruno Maderna (den er sehr schätzte):

Maderna dirigiert die Probe eines neuen Orchesterstückes. Plötzlich ist er zornig und bricht ab. „Hier keine Kontrabässe, meine Herren, bitte nicht spielen“. Die Kontrabässe schauen ihn verwirrt an. Man spielt die Stelle erneut, die Kontrabässe setzen wieder ein, Maderna bricht wieder ab. So geht das zwei, dreimal. Schließlich des Rätsels Lösung: Madernas über die Partitur hängender Bauch hatte die untere Partiturzeile (Kontrabässe) verdeckt!

Früher sagte er zu mir: „Du siehst aus wie der junge Maderna, als er noch nicht dick war“. Ob er das heute auch noch zu mir sagen würde?

Hans-Ulrich – ich vermisse Dich. Ich bin traurig darüber, dass gerade Dich, den Lebenslustigen, in den letzten Lebensjahren schwere Depressionen plagten und Du manchmal lange verschwunden warst. Nur um dann plötzlich unvermutet wieder anzurufen mit den Worten „Moin lieber Froind“. Wenn man das hörte, wusste man, dass die Welt wieder in Ordnung war.
Aber jetzt….Solche wie Du – sie werden nicht mehr gemacht.

Und die Welt ist schon lange nicht mehr in Ordnung.

Dein

Moritz Eggert

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7 Antworten

  1. Sehr feiner Text, lieber Moritz. Hab Engelmann 1969 kennengelernt, bei den Tagen neuer Musik in Hannover. – Damals gabs die Uraufführung von „Ophelia 69“ mit Miriam Goldschmidt in der Titelrolle – einer seinerzeit revolutionären Kammeroper mit ganz eigenwilligen Jazz-Elementen. Es war die erste (und einzige) Oper, die je im Gustav Bosse-Verlag, der damaligen nmz-Heimat, erschien. Zum gleichen Zeitpunkt wurde die „Musikalische Jugend“ in „Neue Musikzeitung“ umgetauft. „Kein Verlags-Lobbyismus“ lautete einer unserer Redaktions-Leitsätze. Als dann der damalige Herausgeber, Verleger und Chefredakteur Bernd Bosse vorschlug, ein Foto der Hannoveraner Uraufführung auf die erste Seite zu nehmen, leisteten Rohde und ich (als Jüngling) zunächst erbitterten Widerstand. Nachdem wir das Stück gesehen und gehört – und mit dem hochintelligenten, sympathischen Ulrich Engelmann länger geplaudert hatten, brach unser Protest zusammen. Den „Aufmacher“ dieser ersten nmz schrieb übrigens ein damals seinem Namen alle Ehre machender Norbert Linke unter dem Titel: „Henze, der Funk und eine rote Fahne“: Eine superharte Kritik am NDR wegen der abgebrochenen Henze-Uraufführung von „Floß der Medusa“…
    Das war Anfang 1969…

  2. eggy sagt:

    Danke, Theo. Vielleicht wäre das auch mal wert, in die Druckausgabe zu kommen, Engelmanns wegen…
    …und Norbert Linke ist jetzt einer der schlimmsten Geschäftsmodeller der GEMA, eine Kehrtwendung um 180 Grad von links zum gierigen Kapitalismus auf Kosten anderer.

  3. …ja, Linke ist in vieler Hinsicht der Horst Mahler zeit?genössischer Musik geworden. Auch hier hat die nmz tiefe Schuld. Er wollte – ungefähr 1976 – mal den definitiven GEMA-Enthüllungsbericht schreiben. Den hat der Verleger (ich noch Student) nicht gedruckt. Das schuf tiefen Frust. (Ich suche in alten Manuskripten). Aber damals war auch Peter Ruzicka mit auf dem GEMA-Versenkungs-Torpedo-Boot. Er war schon immer ein möglichst brutaler Aufklärer…

  4. Erik Janson sagt:

    @Moritz´s @Linke (ich meine nicht DIE LINKE ;-),

    Darf man sich zu ihm so äußern?
    Ja, man darf.
    Darf man Wendehals-Tum verurteilen? Ja, man MUSS!
    Danke auch für den Engelmann-Buchtipp.

  5. Erik Janson sagt:

    @ Engelmann-Anekdote @ Maderna!

    Großartig! Dann lass ich wohl am besten die
    Kontrabässe bei meiner ersten Sinfonie gleich weg! …
    Oder vielleicht sogar den halben Streicherapparat … ;-)

  6. Malte Burba sagt:

    Danke Moritz! Ganz tolle Würdigung, die einen in alte Zeiten zurück versetzt!
    Vielleicht sollten wir mal zusammen „Epitaph“ aufführen…

  7. eggy sagt:

    @Malte: gerne! Ich bin übrigens gleich in Frankfurt für 5 Tage – vielleicht sehen wir uns?