Elite für Essen!

Einige Zeit schon läuft die Gerüchteküche heiss, doch der Zeitpunkt „zwischen den Jahren“ war gut gewählt, um die neuesten Neuigkeiten aus Essen nicht ganz so laut herauszuposaunen – man war ja auch noch damit beschäftigt, das Kulturhauptstadtjahr ausklingen zu lassen. Mittlerweile jedoch veröffentlicht die Lokalpresse bereits Namen zu den Neuigkeiten, denen mancher angstvoll entgegenblickt: Die Stadt Essen möchte Oper und Philharmonie – betrieblich bereits seit Längerem zusammengeschlossen in der TuP GmbH – einen „Superintendanten“ verleihen. Wer sich bei diesem Begriff an die Ära von „Superminister“ Clement erinnert, weiß: zwei super Intendanten sind wahrscheinlich besser als ein Superintendant.

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Andererseits scheint die Philharmonie Essen, dieses akustische Juwel unter den deutschen Konzertsälen, wo Gustav Mahler einst seine Sechste uraufführte, auch nach der wirtschaftlichen Konsolidierung, die unter dem Intendanten Johannes Bultmann dem Vernehmen nach geglückt ist, noch immer nicht ganz „angekommen“ zu sein. Trotz spannender, hochkarätiger Programmplanung gelingt es noch nicht einmal mit einem Auftritt der Wiener Philharmoniker und Daniele Gatti, die lichten Reihen im Zuschauerraum vollständig zu schließen – dass dies wirtschaftlich bei solchen Gästen notwendig wäre, bedarf keiner tieferen Einblicke in die Bücher. Und wie es bei avancierten Programmen mit neuen Tönen gelegentlich aussieht, brauche ich nun niemandem mehr auszumalen. Programmliches Niveau und finanzielle Ausstattung hin oder her: Unter den Konzerthäusern im Ruhrgebiet hat Benedikt Stampa sein Haus früher in Position gebracht und besser verankert. (Was das für Bochum heißt, das nun tatsächlich endlich wirklich ein Konzerthaus bauen will, kann sich bitte auch jeder selber denken.)

Die Philharmonie ist also gewissermaßen ohnehin der Luxuskonzertsaal des Aalto Theaters Essen, der Oper, die seit vielen Jahren das Opernflaggschiff Nordrhein-Westfalens ist. Unter der künstlerischen Leitung von GMD und Intendant Stefan Soltesz erntete sie überregionalen künstlerischen Erfolg, der sie eigentlich zum herzlich herbeigesehnten „Staatstheater Nordrhein-Westfalen“ prädestinierten. (Anders als viele andere Bundesländer unterhält NRW diese Form des paritätischen Unterhalts eines Theaters durch Land und Stadt nämlich nicht.) In Soltesz hat man also ein lebendiges Beispiel für eine funktionierende „Doppelfunktion“. Doch ist es noch etwas anderes, wenn man einen Laden wuppen will, der bei gleichzeitigem Sparzwang weiterhin zu den ersten Konzerthäusern des Landes zählt und das künstlerische Niveau der Oper hält, wenn nicht gar steigert.

Ein Traumjob, mag sich mancher junge, heiße Kulturmanager denken. Ein Horror, scheint sich Johannes Bultmann gedacht zu haben, der die „Superintendanz“ ausgeschlagen hat – ihm hatte man sie zuerst angetragen. Wer also könnte für diese herkulische Aufgabe bereit stehen? Intuitiv ist klar: Nur ein Intendant universellen Zuschnitts, ja, mit Weltformat, ein global player kann diese Aufgabe lösen, einer, der bereit stünde, die Salzburger Festspiele, das Festival d’Aix oder das Edinburgh Festival zu übernehmen. Jemand mit Visionen, Weitblick, Charme. Zugleich jemand, der Bob Wilson anrufen würde, wenn er darüber nachdenkt, sich eine neue Lampe ins Klo zu hängen, der Jonas Kaufmann um ein Wiegenlied bittet, wenn sein Kind nicht einschlafen kann und bei dem Bill Viola den Videorekorder repariert. Daneben sollte er wenigstens einmal auf Zollverein Riesenrad gefahren, auf der „Rü“ einkaufen gewesen und am Baldeney inline skaten gewesen sein. Denn Essen war Cultural Capital, aber Essen ist halt Essen, you know!

Der Schock folgt beim Blick in die Lokalpresse, Links siehe unten. Man habe in den zweiten Reihen der Opernhäuser zwischen Hamburg und Lyon angerufen und daraus einen Kandidatenkreis von drei Personen rekrutiert. Die aussichtsreichste Kandidatin ist dem Vernehmen nach Franziska Severin. Franziska who? Franziska Severin, die Operndirektorin in Leipzig. Eigentlich Nummer 3 hinter von Maravic und Konwitschny. Man bescheinigt ihr als besonderen Vorteil, dass sie als Gründerin eines Off-Theaters „keine Berührungen mit der freien Szene scheut“. Essen? Freie Szene? Meinen die etwa ihr Grillo-Theater? Das, nachdem man Anselm Weber geschasst hat, erfolgreich in die Unbedeutendheit abgeglitten ist? Ist das also der geheime Plan der Kulturpolitik? In Essen endlich „freie Szene“ zu ermöglichen, indem man die erstklassigen Häuser herunterstuft? Nachdem man die Bezüge des TuP-Geschäftsführers Berger Bergmann um zehn Prozent heraufstuft, „damit der Abstand zum Intendanten nicht so groß ist“.

Unter den drei genannten Kandidaten scheint mir allein einer, der wohl kühn und gewitzt, abgekocht und ausgebufft genug wäre, das Wunder zu schaffen und „aus der zweiten Reihe“ die „Super-TuP“ nicht zum Tupperware-Treff, sondern zum Kraftwerk der Kultur zu machen, das das Revier braucht. Guess who. Noch ist er nicht der Sieger, aber man kann ja noch hoffen.

Doch sollte es so kommen, wie es die Spatzen von den Dächern pfeifen und Essen es wie mit dem Schauspiel machen und seine TuP kleinkriegen, dann freuen sich die Häuser in Dortmund, Hagen, Gelsenkirchen, Wuppertal, Duisburg, wenn niemand mehr die 30 Min. S-Bahn auf sich nimmt, um in Essen etwas zu sehen, was man „daheim“ nicht zu sehen bekäme. Und selbst hier zu Köln am hochwässrigen Rhein lacht man sich vielleicht schon ins Fäustchen: Sollte sich das Land eines Tages doch einmal dazu durchringen, einen Kulturetat aufzubringen, der seiner Einwohnerzahl angemessen ist, darf man sich wohl hier, falls der geplante Umbau jemals stattfinden und jemals abgeschlossen werden sollte, falls man also jemals wieder zu einer echten Spielstätte zurückkehren würde, gute Chancen ausrechnen, zu einem Staatstheater NRW gekürt zu werden. Und in Essen wird man sich dereinst erzählen: „Weißt Du noch, damals, 2010?“ „Wat dann?“ „Da waren wir Kultur.“ „Kultur?“ „Na Du weißt doch, dat mit dem Singen und so.“ „Ach, Du meinst Oper!“ „Nä. Wenn ich doch sage: Kultur.“

http://www.emsdettenervolkszeitung.de/nachrichten/kultur/kudo/art1541,1151954
http://www.derwesten.de/staedte/essen/kultur/Drei-Kandidaten-im-Rennen-um-Intendanten-Amt-id4152818.html
http://www.derwesten.de/staedte/essen/kultur/Zeitenwende-fuer-Essener-Oper-und-Philharmonie-id4125561.html

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Musikjournalist, Dramaturg

Eine Antwort

  1. eggy sagt:

    Ja, wenn ich mich mir die drei Kandidaten so anschaue, dann weiß ich GENAU wen Du meinst :-)

    Jemand mit Visionen, Weitblick, Charme. Zugleich jemand, der Bob Wilson anrufen würde, wenn er darüber nachdenkt, sich eine neue Lampe ins Klo zu hängen, der Jonas Kaufmann um ein Wiegenlied bittet, wenn sein Kind nicht einschlafen kann und bei dem Bill Viola den Videorekorder repariert. Daneben sollte er wenigstens einmal auf Zollverein Riesenrad gefahren, auf der “Rü” einkaufen gewesen und am Baldeney inline skaten gewesen sein. Denn Essen war Cultural Capital, aber Essen ist halt Essen, you know!

    Hut ab vor diesem „rant“ :-)