Der Stand der Dinge (2): Wo spielt die Musik?

Der neue Konzertsaal in Bochum (Foto: Moritz Eggert)

Manchmal ist es ganz gut, kurz innezuhalten und etwas möglichst nüchtern zu betrachten, ohne einen von Ideologien, falschen Erwartungen oder eigenen Hoffnungen verstellten Blick. Vielleicht ist das neue Design des Bad Blogs ein guter Anlass dazu.
Natürlich gibt es nie einen endgültigen „Stand der Dinge“, alles ist im Fluss. Aber gerade diese Tatsache lässt uns vielleicht manchmal Dinge erwarten, die nicht möglich sind, oder andersherum Dinge übersehen, die durchaus möglich wären.
Hier also ein möglichst emotionsloser Blick auf die Neue Musik, wie sie sich heute, am Ende des Jahres 2016, darstellt. Man möge mir massiv oder zaghaft widersprechen oder zustimmen, nichts an dieser Diskussion ist abgeschlossen oder der Weisheit letzter Schluss, es ist allein ein Versuch einer unsentimentalen Bestandsaufnahme, bei der ich natürlich von eigenen Erfahrungen geprägt bin. Wo diese von Lesern ergänzt, kommentiert oder erweitert würden, begänne es spannend zu werden.

Der neue Konzertsaal in Bochum (Foto: Moritz Eggert)

Der neue Konzertsaal in Bochum (Foto: Moritz Eggert)

2. Wo spielt die Musik?

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Wo findet „Neue Musik“ heute statt? Über die Hilflosigkeit des Begriffes an sich habe ich in der letzten Folge geschrieben, werde ihn fortan aber mangels Alternativen in Zukunft als Platzhalter für die Benennung einer „spezialisierten zeitgenössischen Musik klassischer Prägung verwenden, die größtenteils in einem von akademischer Ausbildung geprägtem Umfeld stattfindet“.

Es gibt immer wieder Versuche, die Neue Musik als eine von der akademischen Ausbildung unabhängige Gattung zu begreifen oder sogar zu etablieren. Hierzu gehört eine Hinwendung zu Musik für Laien, Kinder, Ensembles von „Enthusiasten“ (Laienchöre, Zupforchester, Akkordeonorchester etc.). So ehrenhaft und individuell erfolgreich solche Initiativen sein können, letztlich sind es gar nicht die angewendeten Töne oder Spieltechniken sondern die Ästhetik der Neuen Musik die immer ein Fremdkörper bleiben wird in einem Kontext der „Spielmusik“, die vor allem den Mitwirkenden Spaß, Freude und Geselligkeit bereiten soll (eine wichtige und ganz elementare Funktion von Musik, die von den gängigen Ästhetiken der Neuen Musik meist komplett vernachlässigt wird).

Dieser Querstand lässt sich leicht erklären: die gesamte akademische Ausbildung der Komponisten Neuer Musik ist ja keineswegs auf die Würdigung dieser vornehmend subjektiven Kriterien angelegt, sondern auf größtenteils „objektive“ Kriterien wie Handwerklichkeit, Komplexität und Qualität der „Fertigung“, da die entstandenen Werke mit Noten bewertet und in dem seit vielen Jahrzehnten gewachsenen System der Wettbewerbe und Förderungen miteinander verglichen werden müssen. Der Hobbymusiker dagegen will vornehmlich in der Musik aufgehen, die Musik positiv „erleben“ – er will nicht beeindruckt oder belehrt werden.

Die Komponisten „Neuer Musik“ kommen also sprichwörtlich aus einer komplett anderen Welt, einem komplett anderen Umfeld. Um in der nichtakademischen Szene der Hobbymusiker erfolgreich sein, müssen sie also genau die Werte ignorieren und „herunterbrechen“, die ihnen ein ganzes Leben lang eingetrichtert wurden. Das erklärt auch die Trostlosigkeit und Traurigkeit vieler solcher Kompositionsversuche – sie wirken als hätte ein imaginärer Prokrustes sie zurechtgestutzt.

Authentische Laienmusik (zu der auch Popmusik in all ihren Formen gehören kann) dagegen entsteht aus den Fähigkeiten der Spieler, sie wächst natürlich anstatt zurechtgestutzt zu werden. Das sagt natürlich nichts aus über die Qualität dieser Musik, sorgt aber für deren sichere Verankerung in ihrer jeweiligen Szene.

Aber auch in der „klassischen“ Musik bleibt die Neue Musik ein Fremdkörper. Einerseits finden die Komponisten nur hier die hochspezialisiertem Musiker, die ihre Musik überhaupt spielen können, genau diese Musiker wollen aber diese Musik meistens nicht spielen, weil sie deren für sie fremde Ästhetik auch überfordert. Durch die rigide und stellenweise auch komplett stupide Ausbildung (z.B. Üben von Orchesterstellen für Probespiele, bei dem man auf keinen Fall „zu individuell“ spielen darf, sondern exakt „abliefert“) sind viele klassische Musiker schlicht und einfach verbildet. Neugier, ausgeprägte Individualität und Eigeninitiative spielen bei heutigen klassischen Musikerkarrieren keine Rolle, genau diese Eigenschaften wären aber notwendig, um bisher unbekannte Musik erforschen und erlernen zu wollen. Das trifft übrigens auch auf andere Spielarten von Musik als Neue Musik zu, oder auf ganz elementare musikalische Fähigkeiten wie improvisieren.

Auch dies – nicht irgendwelcher ominöser „Publikumsgeschmack“, von dem gerne geredet wird – ist der Grund, warum Neue Musik in gängigen Programmen klassischer Musik eine fast erzwungene und „geduldete“ Exotenrolle hat. Das typische „Neue Musik- Stück vor der Pause“ ist ein bis heute gültiges und weit verbreitetes Klischee aller Konzertprogramme. In den Opernhäusern ist Neue Musik noch seltener anzutreffen als im Konzertsaal, was auch mit der langjährigen Ablehnung des Genres Oper als „zu bürgerlich“ durch bestimmte Ästhetiken der Neuen Musik zusammenhängt – ironisch, da die Neue Musik in ihren Strukturen selber fest im Bürgertum verankert ist.

Dieser schon lange anhaltende Zustand ist der einzige Grund für die Existenz der zahlreichen „Neue Musik-Festivals“, in denen die Komponisten nach Verlassen des geschützten Studienraumes (in dem es natürlich auch Aufführungen gibt) „unter sich“ sind, und wo sie sich die endlosen Erklärungen für den „Sinn“ Neuer Musik sparen können, die überall dort notwendig sind, wo Neue Musik ein Fremdkörper ist.

Die Geschichte dieser Festivals ist in gewisser Weise ein Spiegel der deutschen und internationalen Kulturpolitik und des beständigen Wertewandels in unserer Gesellschaft. Waren sie in ihrer Gründerzeit erst seltene (Darmstadt und Donaueschingen) dafür aber wichtige Fanale in einer gerade erst aus dem Dunkeln erwachenden Zeit, dann später immer weiter verbreitet in neuen lokalen Ausformungen in den „fetten“ Jahren des Wirtschaftsaufschwungs, verloren sie später zunehmend den Anschluss an die öffentliche Wahrnehmung (und damit auch die öffentliche Unterstützung einer immer kenntnisloseren Politikergeneration).

Als Höhepunkt der Festivalgründungen können die 70er-80er Jahre bezeichnet werden. Diese sorgten dafür, dass quasi jede größere Stadt in Deutschland (und viele, viele Kleinstädte) ein eigenes Neue Musik-Festival oder zumindest eine Konzertreihe mit Neuer Musik besaß. Dieser „goldenen“ Zeit folgte eine ernüchternde Phase der Schrumpfung, die bis heute andauert, trotz immer wieder erfolgreichem Aufbäumen und bewundernswerter Initiative von Individuen. Es ist inzwischen äußerst selten, dass Festivals und Konzertreihen begründet werden, viel mehr dagegen sterben einen meist leisen Tod, ohne dass ein Ersatz nachfolgt, während die großen „Schlachtschiffe“ unter den Festivals immer wieder spektakulär gerettet werden müssen oder wegen prekärer Zukunft stete Neuausrichtung und Wandel betreiben (eine oftmals erfolgreiche Strategie).

Dass es immer wieder gelingt, eine schon kurz vor dem Exitus stehende Reihe (als Beispiel mag Münchens „musica viva“ in den 80ern dienen) wieder erfolgreich zu „rebranden“ und neuem Publikumszuspruch zu verhelfen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass im selben Moment in einer anderen Stadt eine andere Reihe entweder brutal zusammengekürzt wird oder einen endgültigen Tod stirbt. Man muss kein Pessimist sein um zu konstatieren, dass dieser Zustand ohne Trendwende irgendwann – wenn vielleicht auch noch in fernerer Zukunft – zu einem so großen Schwund führen könnte, dass Neue Musik (mit großem „N“ wohlgemerkt) quasi aufhört zu existieren, so wie es zum Beispiel auch mit gehobener Salonmusik geschehen ist (mit der die Neue Musik in ihren Anfangstagen sichtlich flirtete). Dass dieser Prozess relativ wenige Depressionen verursacht, ist verwunderlich, kann aber mit dem Abbau der Opernhäuser in Italien – vormals Opernland Nummer 1 in der Welt – verglichen werden. Da es dann immer noch eine Handvoll Opernhäuser (Florenz, Mailand, Rom, Venedig) gab, konnte man sich erfolgreich einreden, dass die italienische Oper noch lebendig ist. Man vergaß sehr schnell, dass es früher anders war, und jedes kleine Dorf ein eigenes Opernhaus betrieb und auch füllte.

Die Aufführungsmöglichkeiten Neuer Musik sind zu einem überwiegenden Teil auf staatliche Förderung angewiesen, also auf die öffentliche Hand. Diese stellt vor allem die Infrastruktur (Konzertsäle, Ensembles, Orchester, Kulturinstitutionen etc.) bereit, die die Aufführung Neuer Musik überhaupt erst ermöglicht. Fast alle existierenden Festivals werden von Kulturreferaten oder Rundfunkredaktionen betreut, mit allen Chancen und Problemen, die eine solche Förderung beinhaltet. Das bedeutet: Chance für Experiment und Freiheit sowie Wagnis sind gegeben, gleichzeitig kann aber auch Kunst finanziert werden, die sich vollkommen selbst genügt und sich nie an irgendeiner Form von Publikumsinteresse beweisen muss, was sich oft in mangelnder Relevanz und Dringlichkeit niederschlägt.

Die Fehlbeträge werden von einigen wenigen privaten Stiftungen gestemmt (bekanntes Beispiel: Die „Ernst-von-Siemens-Musikstiftung“), die mit ihren eigenen Auswahlgremien Einfluss darauf nehmen, wer und was gefördert wird. In den letzten Jahren sind diese Stiftungen zumehmend wichtiger geworden, da sie immer öfter dort in die „Bresche“ springen müssen, wo die Dinge nicht mehr so funktionieren wie früher. Das ist vor allem in einem Land wie Deutschland zu beobachten, bei dem es eine nur wenig ausgeprägte private Mäzenatenkultur gibt (vermutlich weil die „Richtigkeit“ einer öffentlichen Förderung fest in den Köpfen verankert ist…noch.)

In diesem im Grunde sehr eindimensionalen System gibt es immer auch eine gewisse Form von Dekadenz und Selbstgenügsamkeit. Musik entsteht oft nicht aus einem inneren Drang oder Müssen heraus, sondern man befeuert die „Maschinerie“ um zu überleben oder überhaupt Aufführungen zu haben. Um Stipendien zu bekommen, muss man Stücke schreiben, die in diesem System beeindrucken, all dies in der Hoffnung, dann größere „Aufträge“ zu bekommen, die einem einen bestimmten Status als Komponisten zu erlangen helfen. Hat man diesen Status erreicht, bekommt man quasi automatisch regelmäßige Aufträge, weil sich die Schaltstellen des Systems durch den wahrgenommenen „Erfolg“ der einst geförderten definieren und diesen vervielfachen. Die Komponisten werden dann zu „Erfüllungsgehilfen“ die die jeweiligen Leerstellen innerhalb des Förderungssystems ausfüllen, mit abgelieferten Auftragswerken meist vorbestimmter Länge. Nur wenige besitzen die innere Unabhängigkeit, sich diesem System ohne innnere Korrumpierung anzuvertrauen.

Das sieht in der Praxis meist so aus: ein Festival macht ein Konzept, das bei einem Kulturreferat eingereicht wird. In diesem Konzept kreiert es „Leerstellen“ mit wohlklingenden „Namen“, die dem Entscheidungsträger im Kulturreferat gefallen müssen. Wird der Plan genehmigt, ergehen „Aufträge“ an die jeweiligen Komponisten, die dann diese Leerstellen mit Stücken genau vordefinierter Länge und Besetzung füllen.

Dass dieses System nicht gerade einen Hotspot origineller und „wilder“ künstlerischer Entfaltung darstellt, versteht sich quasi von selbst. Die als unabhängiges Freigehege für Neue Musik erdachte Festivalszene erweist sich als Falle derselben: niemand ruft in diesen Wald hinein, und nichts dringt aus diesem Wald nach außen.

Der Stand der Dinge:
– Die Neue Musik ist Fremdkörper überall dort, wo sie nicht komplett „unter sich“ ist.
– Die Orte an denen man „unter sich“ sein kann, schwinden langsam aber kontinuierlich
– Die Neue Musik entsteht vornehmlich, um den Neue-Musik-Betrieb an sich zu befeuern und am Leben zu erhalten, nicht aus einer dringenden künstlerischen Notwendigkeit heraus.

Moritz Eggert

12 Antworten

  1. Matthias Kaul sagt:

    Immer wenn es um die staatliche Förderung Neuer Musik geht, macht sich in der Szene so eine Beklemmung breit. Peinlichkeit kommt auf, weil wir uns nicht “ selbst ernähren können „. So wird das nichts. Stolz sollten wir nicht Subventionen fordern, sondern Investitionen. In der Kultur sind mehr Menschen beschäftigt als in der Autoindustrie. Investiert in uns also mehr, als in die Autoindustrie. Wir könnten Arbeitsplatzsicherungsprogramme fordern. Wir machen Standorte attraktiver ( Hamburg wundert sich da gerade).Man stelle sich vor, wir bekämen Abwrackprämien für veraltete Partituren. Wir sind Elite. Wie teuer das ist, weiß jeder Sportsfreund. Uns wird eher vorgeworfen elitär zu sein.Geren nehmen wir den Vorwurf auf, zucken schuldbewusst zusammen und versuchen populistischer zu werden . Wozu das führt zeigt der 9. 11. . Also: ein Hoch auf die Hochkultur.

  2. @Matthias: ich gebe Dir da absolut Recht, ich finde es auch persönlich überhaupt kein Problem, dass es „Hochkultur“ gibt, und dass diese durch den Staat gefördert wird, denn Bildung und Kultur ist dessen Verantwortung (und wir tragen das mit unseren Steuergeldern mit, was auch wichtig ist, denn damit ermöglichen wir – zumindest in der Theorie – Bildung für jedermann) .
    Ich habe nur beschrieben wie die Verwendung dieser Förderungsmechanismen heute realistisch aussieht und welche Konsequenzen sie für das Komponieren hat. Und wenn alleine Leerstellen mit „passgenauen“ Stücken gefüllt werden, stimmt etwas grundsätzlich nicht, da bin ich mir ziemlich sicher. Der Berg kreißt und gebiert am Ende sich selbst, so könnte man das auch beschreiben.

  3. @Moritz: Danke für Teil 2, gefällt mir noch besser als Teil 1, weil sehr erfahrungsgesättigt. Vor 3 drei Jahren hat mich als Outsider-Komponisten mal der Musikwissenschaftler Dennis Schütze zum Thema „Neue Musik“ befragt:

  4. @Moritz: „Und wenn alleine Leerstellen mit „passgenauen“ Stücken gefüllt werden, stimmt etwas grundsätzlich nicht, da bin ich mir ziemlich sicher.“ – Johannes Kreidler hat das vor einigen Jahren hier im Bad Blog mal mit dem Slogan „Institutionen komponieren“ beschrieben.

  5. @Stefan: Und das habe ich natürlich auch gelesen – es ist eine von vielen richtigen Betrachtungen, die in diesen Artikel miteingeflossen sind. Ich erhebe da keinerlei Anspruch auf Originalität der Erkenntnis, wollte aber einmal eine Art „Gesamtsichtung“ versuchen.

  6. AM sagt:

    letztendlich funktionieren all die genres innerhalb/mit ihrer/ihren eigenen CODES – gegen aussen offener oder geschlossener. und bei allen ist der DEFAULT-modus sehr stark, als emergenz entsteht identität. diese abgrenzungen sind weder grundsätzlich positiv noch negativ, führen zu verstärkungen von weiteren inneren differenzierung, aber auch mal locker ins abseits/ins ende.

    da ist es nicht anders bei den kaninchenzüchtern, blasmusik-vereinen, laientheatern, elternräten, … also, auch wenn über ökonomie/ästhetik/millieu oder was auch immer diskutiert wird, ist es – ganz heruntergebrochen – letztendlich nicht einfach ein soziales phänomen? – was den inhalt der diskussion keinewegs uninteressanter macht.

  7. @AM: Deine systemtheoretische Betrachtungsweise ist nicht falsch, führt aber nicht wirklich weiter, da sie rein deskriptiv bleibt und keine „Tendenz“ hat. Das ist jetzt keine Kritik an dir, sondern an soziologischer Systemtheorie à la Luhmann generell, die speziell der Kunst für meine Begriffe zu wenig zutraut. So sehr ich Adornos „Messianismus“ skeptisch gegenüberstehe, auf seine Art hat er der Kunst, und natürlich speziell der Kunstmusik (ja Moritz, ich bleibe bei „Kunstmusik“!), einfach mehr zugetraut – und genau deswegen, aus keinem anderen Grund, wird er von vielen Komponisten trotz bsp.weise seiner krassen Fehleinschätzung des Jazz bis heute geliebt.

    Harry Lehmann hat in seiner Musikphilosophie, von Luhmann her kommend, diesen ein wenig „adornisiert“ und kommt zu dem Schluss, die Funktion der Kunst sei die Provokation neuer gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen. Das klingt abgehobener, als es gemeint ist, denn „neue Selbstbeschreibung“ steht ja für nichts anderes die „Erfindung“ bzw. Findung einer neuen, bisher so noch nicht empfundenen und beschriebenen Identität, die sich ästhetisch, also z. B. als Kunstmusik, ausdrückt. Und das ist dann kein rein intellektueller Vorgang mehr.

  8. AM sagt:

    @stefan hetzel

    das sind keine theoretischen überlegungen (obwohl mir LUHMANN/LEHMANN vertraut sind), sondern aus der praxis entstandene.

    die „tendenz“ wäre, dass nur die SYSTEM-mitspieler – die, welche sich innerhalb des millieus etabliert haben – die CODES ändern/ändern können (und dies völlig unabhängig davon ob WIR ihrer arbeit qualität zu- oder absprechen). dies mag auf den ersten blick „desillusioniert“ klingen, ist es aber gar nicht – letztendlich bloss die frage, ob man mitspielen will (oder muss) – oder eben nicht.

  9. @AM: Mit „Tendenz“ habe ich natürlich etwas anderes gemeint, nämlich deren Fehlen in Luhmanns Theorie.

    Das, wovon du sprichst, kenne ich aber auch. Die bundesdeutsche Kunstmusik-Szene hat einfach, um es mal umgangssprachlich auszudrücken, eine besonders harte Tür. Die Zugangsvoraussetzungen sind im Verhältnis zu dem, was man in diesem Feld erreichen kann (vor allem in ökonomischer Hinsicht), geradezu unsinnig hoch, was zu massiven Frustrationserscheinungen führt, und zwar sowohl bei denen „drinnen“ wie bei denen „draußen vor der Tür“.

    Ästhetische bzw. soziokulturelle Codes kann man als Einzelperson meist nicht gravierend ändern, hier heißt es mit großer Geduld dicke Bretter bohren. Man sollte aber schon ein Projekt haben, das über die eigene Person hinausweist. Ich bsp.weise kämpfe seit Jahr und Tag um die Anerkennung der musikalischen Improvisation als vollgültige kunstmusikalische Kompositionstechnik.

  10. „Der Hobbymusiker dagegen will vornehmlich in der Musik aufgehen, die Musik positiv „erleben“ – er will nicht beeindruckt oder belehrt werden.“

    Nun, wollen das nicht die meisten Profimusiker auch? Ich kenne jedenfalls keinen, der das nicht will. Inklusive mir.

  11. Moritz Eggert sagt:

    Bitte beachte das Wörtchen „vornehmlich“ lieber Mathis – es wird in dieser Zeile keineswegs gesagt, dass Profimusiker (eigentlich sind hier „Profikomponisten“ gemeint im Kontext) nicht auch Musik positiv erleben wollen, sondern nur, dass die in der akademischen Musik ebenso wichtigen Kriterien der Anerkennung im Kollegenkreis („beeindrucken“) oder der Erweiterung von eigenen Kenntnissen („belehren“) bei Hobbykomponisten keine Rolle spielen. Die Hobbykomponisten wollen vor allem Spaß haben, im harten Konkurrenzkampf um akademische Stellen oder Stipendien oder Fördergelder bleibt aber der Spaß bei den Berufskomponisten sicherlich oft auf der Strecke, sonst wäre die Stimmung innerhalb der Neuen Musik eine ganz andere…

  12. War gar nicht als Kritik gemeint. Geht aber übrigens auch andersrum, auch wenn das sicherlich das Gegenteil von vornehmlich ist: vor kurzem habe ich einen höchst unauthistischen und der Welt zugewandten Juristen gesprochen, der die voll krassen Stücke auf seinem Fagott spielt und auch da totalen Ehrgeiz mit seinem Feierabendensemble hat. Rein als Hobby. Zum Spaß haben. Der war ziemlich enttäuscht von mir, daß er nicht auf Augenhöhe mit mir über Zwölfton etc. fachsimpeln konnte…