Lars von Triers “Dogma”, angewendet auf Musik von heute (3)

Zuerst noch einige Worte zu dem Missverständnis, dass es sich bei der Umdeutung dieser Regeln in Musik um den Versuch handele, tatsächlich streng zu befolgende Regeln zu erstellen. Richtig wurde bemerkt, das Lars von Trier sich ja selber nur exakt einen Film an diese Regeln gehalten hat („Idioten“). Macht das die Regeln obsolet? Nicht im Geringsten. Allein das Aufstellen der Dogma 95 Regeln als ein Manifest ist natürlich vor allem Kritik an selten hinterfragten Klischees der herrschenden Filmästhetik. Ich verstehe sie als mögliche Grundlagen einer künstlerischen Ethik, als Diskussionsanregung und auch als satirischen Kommentar, nicht anders sind meine auf Musik angedeuteten Dogmaregeln zu verstehen. Sprich: Es ist vollkommen unerheblich, ob man sich an die Regeln hält oder nicht, weil die Regel selbst schon die Kritik sind.

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„Dogma 95“ erwies sich als extrem einflussreich für die Filmästhetik – der ganze dokumentarische und „realistische“ Filmstil in den kommenden Jahren war extrem von Dogma 95 beeinflusst, von einer Sackgasse oder einer Eintagsfliege ist also keineswegs zu sprechen, sondern tatsächlich von einem notwendigen Aufbruch aus der filmischen Künstlichkeit und Verlogenheit, der vollkommen unabhängig von der Beachtung der Regeln stattfand.

Nun aber zu Regel 2, bei Lars von Trier heißt es:

2. Musik kann im Film vorkommen (zum Beispiel als Spiel einer Band), darf aber nicht nachträglich eingespielt werden.

Dies ist natürlich keine Kampfansage an Musik im Film, sondern der Wunsch, dass diese nicht als Ebene der Künstlichkeit hinzutritt und eventuelle Leerstellen im Drehbuch oder der Schauspielerführung übertüncht. Wir kennen alle die dramatische Musik, die die Filmszenen oft unangemessen kommentiert oder eine hohl aufgebohrte Erwartungshaltung erzeugt (man denke an die dräuende Schlussmusik bei jeder Lindenstraßenfolge).

David Simon, von dessen „Tremé“-Serie gerade die Rede war, hat sich diese spezielle Dogmaregel zu Herzen genommen und verzichtet stets komplett auf „incidental music“, also hinzutretende Musik. Dies macht Musik im Film dann immer zum Liveerlebnis oder zum lebendigen Element der Szene (wenn zum Beispiel jemand das Radio einschaltet) und damit zu etwas Besonderem.

Wenn wir dies auf zeitgenössische Musik übertragen, müssen wir genau umgekehrt denken und an visuelle oder szenische Elemente denken, die natürlich Bestandteil von musikalischen Aufführungen sein können. Die Frage ist nur: wie treten diese hinzu? Als hinzugefügtes Element? Wir kennen alle Konzerte mit aufwändiger Liveshow oder eingespielten Videos. Sind diese fertig vorproduziert? Hat deren Inhalt mit dem Inhalt des Stückes zu tun?

Wenn ein Komponist wie Skrjabin seine Vision der „Farbenorgel“ beschrieb, so schwebte es ihm vor, dass der Komponist die erzeugten Farben „komponiert“, also deren Einsatz genau vorschreibt. Diese Farben stehen dann in direktem Bezug zur Musik. Anders wäre der Fall, wenn visuelle Einspielungen Musik nachträglich illustrieren, eventuell sogar von deren Erzeugung ablenken (was sehr oft der Fall ist, wenn Videos und Lightshow eingesetzt werden).

Letztlich geht es also um die Vermeidung von externen Sinnesreizen, die nichts mit der Erzählung, dem „Storytelling“ der Komposition zu tun haben. Jede, aber auch wirklich jede Komposition betreibt eine Form von „Storytelling“, erzählt also eine Form von Geschichte, da auch die Vermeidung des Erzählerischen eine Form des Erzählens ist, genauso wie Unausgesprochenes ganz konkret als etwas Ausgesprochenes wahrgenommen werden kann (auch Schweigen ist eine Antwort).

Daher könnte man diese Regel in etwa so für Musik umdenken:

2. szenische oder visuelle Elemente können im Stück vorkommen, müssen aber komplett aus den musikalischen Handlungen der Spieler entstehen und dürfen nicht als zusätzliche Ebene hinzutreten.

Gewollt ist also eine pure Form der Aufführung, die auf jegliches Effektbrimborium verzichtet. Video also ja, aber nicht mit Bildern von Wasserfällen, riesigen Mündern, Flugaufnahmen oder abstrakten Lichtspielen, die man irgendwo vorher aufgenommen oder erzeugt hat. Stattdessen wäre vorstellbar, die Musiker live zu filmen (zum Beispiel ihre auf der Tastatur spielenden Hände) und dies vergrößert zu übertragen. Ebenso vorstellbar ist es, dass Aktionen der Spieler mit bestimmten visuellen Erzeugungsformen gekoppelt sind, also z.B. ein Computerprogramm live auf Bewegungen reagiert und diese in eine Lichtinstallation überträgt. Zu vermeiden wäre dagegen jede Form von externer Lightshow, Trockeneis (im schlimmsten Fall), Bühnenzinnober… außer es handelt sich um Elemente, die auch in der Musik aufgegriffen werden, mit der Musik zu tun haben.

Klingt vage? Stimmt. Diese Ethik der Einfachheit ist schwer in eine exakte Form zu fassen, aber das entspricht durchaus der Dogma-Regel, die ebenso kreativ ausgelegt und sogar umgangen werden kann, z.B. wenn die Musik aus dem Radio plötzlich genau die emotionale Ebene schafft, die eigentlich die Filmmusik schaffen würde. Und Musiktheater bräuchte wiederum ganz andere Regeln (sonst wäre Oper nicht möglich als Zusammentreten von verschiedenen Kunstformen), wir reden hier von Konzertmusik. Festivalmusik.

Und diese Kreativität im Umgehen dieser Regel ist auf jeden Fall interessanter, als das Zumatschen des Hörers mit externen Schmonz, der nicht wirklich mit der Komposition zu tun hat, sondern einfach nur fehlende Einfälle kaschiert.

Moritz Eggert

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