Wir Kinder vom Kleistpark

Wenn wir schon mal bei Musikpädagogik sind…heute mal ein Artikel für Eltern und solche, die es werden wollen!

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Man kennt das Problem: Kaum sind die Kleinen in einem bestimmten Alter, begreifen sie, dass sich die Musik aus dem CD-Spieler oder Kassettenrekorder auch auswählen lässt. Und zwar von ihnen selber. In diesem Moment beginnt eine subtile Elternfolter, denn ab dann ist das Kinderzimmer musikalische Katastrophenzone.

Ich kann nicht beschreiben, welche entsetzlichen Machwerke ich als Vater manchmal ertragen muss, während mein Sohn glücklich auf seiner Springmatratze dazu hopst und mitsingt. Kompositionen von grauenhaften, hirntoten Zombies, deren Unmusikalität nur durch ihre Geschäftstüchtigkeit übertroffen wird… und ihre Fähigkeit jeden, aber auch wirklich jeden Mist auf unschuldige Kinderseelen loszulassen und sich daran auch noch zu bereichern. Da furzen unsägliche Synthesizersounds, die schon in den 70er Jahren als altmodisch gegolten hätten. Es trällern abgesunge Musicalstars, die man noch nicht mal mehr für die „Cats“-Inszenierung einer Pirmasenser Sonderschule anheuern würde. Es nudeln unfähige Mucker lustlose Melodien ab, die sich durch monotone Repetition ins Gehirn bohren wie ein Ceti-Aal . Selbst ein Dixieland-Swing-Frühschoppen (vielleicht die niedrigste aller musikalischen Veranstaltungsformen auf diesem Planeten) wirkt gegen diese Verbrechen an der Musik wie ein Fanal der Kreativität und Spielfreude.

Aber mein Sohn singt mit: „Wie schön, dass du geboren bist“. „Kleiner Eisbär“. All diesen entsetzlichen Kitsch, wer kennt ihn nicht! Dagegen ist Pumuckl Shakespeare (nichts gegen Pumuckl übrigens).

Irgendwann hatte ich genug: Aus lauter Verzweiflung machte ich mich auf die Suche nach diesem seltensten aller Güter: Guter Musik für kleine Kinder. Und wurde fündig: bei amazon stieß ich auf diese CD.

Cover der CD

Cover der CD

Beim Thema KiTa-Musik war ich natürlich ein wenig mißtrauisch, vor allem was die Instrumentalisierung dieser als Kürzungsgrund von Jugendorchestern (siehe Marzahn) angeht. Natürlich ist es richtig, Kinder schon früh mit Musik vertraut zu machen, sie früh singen zu lassen. Aber wenn dann später die Möglichkeiten fehlen, die erlernten Talente weiterzuentwickeln (eben mit gutem Musikunterricht oder dem Spielen in Jugendorchestern oder -bands), ist das relativ sinnlos. Auch der von der TAZ in einer Kritik über diese CD gepriesene Multikulti-Aspekt machte mich nicht unbedingt an, denn das Wort „Multikulti“ ist oft nur Alibi für schlimmsten Betroffenheitskitsch, in dem Unterschiedlichkeit eher untermauert als überwunden wird. Aber ich war bereit alles zu probieren, und bestellte todesmutig die CD, die von der Musikpädagoging Elena Marx und dem Musikproduzenten Jens Tröndle ursprünglich als Weihnachtsgeschenk für die Eltern ihrer KiTa gedacht war, und dann irgendwie den Weg in den Laden fand.

Beim Abspielen der CD dann gleich die erste Überraschung: es geht los mit Schumanns „Kinderszene“: „Von fremden Ländern und Menschen“. Einfach so, ohne irgendeinen schleimigen Quatschtext darüber, gut gespielt. Dann „Bruder Jakob“, Kinderklassiker schlechthin. Zuerst wurde ich ein bisschen nervös bei der Wahl der Synthesizer-Stringsounds – vielleicht doch wieder Kitsch? Aber nein: Die Kinderstimmen singen charmant, rau und ungeschliffen, und ganz unvermutet wird es im Kanon dann sogar richtig harmonisch toll und alles macht plötzlich Sinn. Und – das ist ganz Kinderrealität – das Stück endet natürlich mit „ding dang dong, Lutschbonbon“ …oder doch nicht, denn dann kommt nochmal eine Version, von einem ganz kleinen Kind gesungen (2 Jahre?) die einfach hinreißend ist.

Und nun beginnt ein Reigen von wirklich ausnehmend schönen Stücken der unterschiedlichsten Genres, die die Vielfältigkeit von musikalischen Stilen zelebrieren, ohne sie künstlich für Kinder herunterzustufen. Zum Teil von Kindern gesungen, zum Teil von Erwachsenen, zum Teil von beiden zusammen. Aber garantiert nie spießíg, mit dem Zeigefinger oder brav. Sogar mögliche Peinlichkeiten wie der „Kleistpark-Rap“ sind nicht nur vollkommen ok, sondern sogar richtig gut und lustig. Es gibt deutsche, französische, jiddische, türkische, afrikanische und sogar Maori-Volkslieder, und wenn man die CD zu Ende gehört hat, versteht man auch, wie genial die Platzierung von Schumann am Anfang den thematischen Reigen eröffnet hat, denn zum Teil stellen sich die Kinder aus der Kleistpark-KiTa selber vor und man ahnt, welche Geschichten „von fremden Ländern und Menschen“ sie selber mitgebracht haben. Da wird nichts geglättet oder auf Weichspüler gemacht, die mitmachenden Erwachsenen musizieren alle auf höchstem Niveau und man merkt einfach allen an, Kindern wie Erwachsenen, dass sie bei der Aufnahme viel Spaß hatten. Dieser Spaß ist auch auf dem schönen Coverfoto von Jim Rakete (!) zu sehen. Was mir persönlich am besten gefallen hat: es ist nicht nur alles Grinse-La-La mit Stampfrhythmus und eingfrorenem Grinsen, sondern es gibt auch ausnehmend traurige und melancholische Lieder, wie zum Beispiel der von den Münchener Kreusch-Brüdern komponierte „Wolkenkanon“. Im Gegensatz zu GEMA-Geschäftsmodellern handelt es sich nämlich bei Kindern durchaus um fühlende und liebenswerte Wesen!

Aber der wichtigste Test ist natürlich: Gefällt es meinem Sohn (3)?
Und ja, er liebte diese Platte quasi vom ersten Moment an. Mindestens 4x täglich muss sie laufen, die meisten Lieder kann er schon mitsingen, und auch den Wiederholungsnervtest besteht die CD locker. Sie kann damit von Eltern zu Eltern bedingungslos empfohlen werden, als wundersame Therapie gegen all den Müll, den man sonst so hören muss.

Und das schönste ist: Elena Marx und Jens Tröndle haben noch weitere CDs gemacht, die alle genau so schön sind. Einfach unter dem Namen „Wir Kinder vom Kleistpark“ im Internet suchen, und man wird fündig werden.

Kindermusik: Es gibt noch Hoffnung! Bitte weiter so!

Moritz Eggert

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2 Antworten

  1. querstand sagt:

    Große Noten-©-Lösung im „kleinen“ Bayern, evtl. hilft dies auch dem Liederlernen der Kleistpakkids bei Imitation des bayerischen Modells im Land Berlin:

    Wellen der Empörung, Wogen heftiger Widerworte brausten zuletzt noch über die Newsticker im Streit um die GEMA-Briefe im Auftrag der VG Wort an Kindergärten zur Erhebung von Lizenzgebühren für das Kopieren von Kinderliederbüchern. Absurde Lösungen wurden zur Umgehung der Kosten ersonnen, wie das bei den Altvorderen übliche Auswendiglernen, manuelles Abschreiben, etc., was heutzutage wohl zu allseitiger Überlastung geführt hätte, würde man xerographiefreie und computerlose traditionelle Kulturtechniken einsetzen müssen. Lernkompetenzverlust und Geizmentalität sowie andere kulturkämpferische Vorwürfe wechselten die Seiten, die musische Ausbildung der ErzieherInnen und die Qualität der neuen Lieder wurde angezweifelt, Desintegration oder Raubrittertum der Gegenseite unterstellt, dann wieder freundlicher diskutiert.

    Prompt wurde diese Schlacht durch DAS freiherrliche, oberfränkische Plagiatsmenetekel überstrahlt. Das nimmt sogar heute noch einen nicht unerheblichen Platz in der Tagespresse ein. So hätte man die kleine, aber erfreuliche Meldung z.B. im Bayern-Teil der SZ überlesen, davon abgesehen, dass der seit einigen Jahren im Rest Deutschlands nicht mehr in Papierform Standard ist: Danach sollen sich unter der Ägide des Sozialstatssekretärs Markus Sackmann VG Musikedition, GEMA und die Spitzenverbände der Kommunen auf eine pauschale Übernahme der Gebühren für öffentliche, kirchliche wie private Kindergärten geeinigt haben. Die Kosten in Höhe von jährlich ca. zweihundertneunzigtausend Euro tragen die Gemeinden und Kreise. So soll der beklagte Unbill wie ein etwaiger Bürokratiewust den Kindergärten erspart bleiben. Allerdings soll wissenschaftlich exakt verfolgt werden, was so zukünftig gesungen wird – hoffentlich rollt nicht so eine Erhebungswut auf die ErzieherInnen los… Also Erleichterung in dem kleinen südöstlichen Dienstleistungsparadies. Wie sieht es im Rest Deutschlands aus? Was geschieht nun z.B. in Rheinland-Pfalz, nachdem die „Die GEMA ist unverschämt“ schreiende CDU-Spitzenkandidatin Klöckner der doch eigentlich geistiges Eigentum mit Hauen und Klauen verteidigenden berühmten Volkspartei Beck noch nicht ablöste? Bayern mal wieder als Vorbild? Oder sind die entsprechenden Wasserstandsmeldungen auch andernorts in die Lokalspalten verbannt worden und so dem bundesweiten Leserauge entzogen? Die NMZ wird’s schon richten…
    Alexander Strauch

  2. Berlin-Liebhaber sagt:

    Endlich mal Einer, der mir aus der Seele spricht:
    … ein Dixieland-Swing-Frühschoppen (vielleicht die niedrigste aller musikalischen Veranstaltungsformen auf diesem Planeten)…
    JA, „Wir Kinder vom Kleistpark“ ist das, was Eltern- + Kinderstube braucht: eine nicht-nurkommerzielle, leidenschaftlich + doch professionell arrangierte Mitsing-Gelegenheit. Mittlerweile 4 Cds. Es ist wie mit dem Erwachsenwerden: irgendwann geht die Unschuld verloren. Vielleicht wird auch das nur noch Geschäft. Aber dann wird auch schon ein neues Knösplein treiben…
    WKvKp gehört bis jetzt noch zu den 150-Gründen, warum ich diese Stadt so liebe (und sie mich irgendwie auch).