ABBA
Tagebuch der Wörter
ABBA
Wenn irgendein Thema auf der Hand liegt, solange man in Schweden weilt, dann ist es das neue Album von ABBA. Das Lustige ist nur: hier scheinen die Menschen wesentlich entspannter damit umzugehen als meine Freunde einer gewissen Altersgruppe auf Facebook, die das Ganze für ungefähr so gewichtig wie das Erscheinen des Messias halten.
Ich muss gestehen, dass ich kein besonderer ABBA-Fan bin. Als Komponist kann ich anerkennen, dass diese Gruppe qualitativ immer sehr hochwertige Popsongs hinbekam, Lieder die auch mal mehr als einen Akkord oder bloß Refrain besitzen, durchaus auch „klassisch“ beeinflusst, mit hochwertigeren Arrangements und liebevoller Produktion. Aber diese ganzen Glitzerfummel und diese kitschige Discoseligkeit, bei der man immer an peinliche Kaschemmen mit billigen Tanzflächen und fummelnde Bierbäuche denken muss, repräsentierte für mich immer das, was ich schon als Kind in den 70er Jahren als ästhetischen Weg in eine vollkommen unnötige Peinlichkeit der Schlaghosen und schlechten Frisuren empfand. Dennoch: Respekt. Anders als bei Bob Dylan ist das Anhören der Musik von ABBA auch keine physische Qual, weil Agnetha und Frida ihre Töne immer super treffen. Und nett sind die glaube ich auch alle, selbst nach den Scheidungen sind sie sich alle noch grün geblieben und immer wieder gemeinsam aufgetreten, das will was heißen.
Nun also ein neues Album. Zwei neue Songs sind schon draußen, mit Videos vermarktet, in denen die neuen geplanten Shows mit „ABBAtaren“ schon angekündigt werden. Obwohl alle Bandmitglieder milde und sympathisch gealtert sind, wollen sie hier dennoch lieber an ihre jungen „energiegeladenen“ Jahre erinnern und gar nicht mehr als alte Menschen auftreten, das sollen lieber künstliche Avatare machen. Die Mimik ist eine Kopie der Originale, die Dance Moves werden von jungen Akteuren aufgenommen. Damit soll dann auch eine Show gestaltet werden, für die man bald Tickets kaufen kann (die dann sicherlich innerhalb von Sekunden verkauft werden). Käufer werden all die Menschen sein, die ABBA in ihrer Jugend gehört hatten, und jetzt auch wieder jung sein wollen, so funktioniert es in der Popmusik mit dem „Relaunch“.
Es ist also das erste Mal in der Popgeschichte, dass eine gealterte Band nicht nur so tut, als sei sie jung geblieben (so wie die Stones), sondern sich komplett durch junge Kopien ersetzen lässt. Kraftwerk hat auch schon Roboter spielen lassen, quasi idealisierte Versionen ihrer selbst, aber das war postmoderne Ironie, auf dem Höhepunkt ihres Ruhms. ABBA, einer Band, der schon immer etwas Bekenntnishaftes und gleichzeitig Schlichtes anlastete (wer erinnert sich nicht an unsterbliche und auch unfreiwillig komische Zeilen wie „Waterloo, knowing my fate is to be with you Wa-Wa-Wa-Wa-Waterloo Finally facing my Waterloo Woo, Waterloo…usw.“) ist es aber ganz ernst damit.
Nun sind wir erst am Anfang dieser Art von Technologien. Was wird also in Zukunft sein? Schickt dann eine 100+jährige Bille Eilish immer noch ihr tranig nölendes junges Emo-Selbst durch die Stadien dieses Planeten? Hört das dann überhaupt nie mehr auf?
Seien wir mal ehrlich: so etwas wie ein interessantes reifes „Spätwerk“ ist in der Popmusik extrem selten, und kommt eigentlich nur bei dezidierten Solokünstlern vor. Der Grund darin liegt in der Unvereinbarkeit von sich unterschiedlich entwickelnden Lebenslinien. Popmusik ist größtenteils Kollaboration, vor allem kommerzielle Popmusik. Ganz unterschiedliche Menschen kommen zusammen und kreieren – manchmal eher zufällig – einen erfolgreichen „Sound“. Dieser geht so lange gut, bis sie sich in zu verschiedene andere Richtungen weiterentwickelt haben und die Gegensätze nicht mehr immer größere kreative Schübe hervorrufen (so wie bei den späten „Beatles“) sondern einfach nur noch alle anstrengen.
Ganz wenige Bands schaffen es (wie die schon genannten Stones) dieses gegenseitige Angenervtsein in eine Art Zweckgemeinschaft des einander Duldens umzuwandeln. Man liefert dann immer weiter „das Produkt“, weil es eben funktioniert und weiterhin die Stadien füllt. Das haut aber dann auch meistens niemanden mehr vom Hocker, außer man wird zur dezidierten Liveband, die einfach Spaß auf der Bühne vermittelt, wie die „Grateful Dead“.
Spätwerk in der Klassik ist tatsächlich etwas anderes. Es mag einige Komponisten geben, die irgendwann nur noch dasselbe Kunstgewerbe abliefern, aber die meisten bleiben doch bis fast zuletzt neugierig und werden oft mit dem Alter immer besser und freier. Das „Spätwerk“ großer Komponistinnen und Komponisten ist fast immer besonders interessant, da sich alles, was an ihnen individuell und speziell ist, immer mehr vom Ballast des sich Beweisenmüssens befreit. Und das ist meist sehr spannend.
Wie das bei einer Popgruppe mit mehreren Individuen dauerhaft funktionieren kann, kann ich nicht sagen, mir fallen tatsächlich kaum prominente Beispiele ein außer „King Crimson“, aber das war ab einem bestimmten Punkt immer ein Privatprojekt von Peter Fripp mit immer wechselnden befreundeten Musikern. Ist auch kein „Pop“ und Peter Fripp blieb und ist nach wie vor neugierig, und das ist auch gut so.
Sind ABBA noch neugierig? Ich nehme ihnen ab, dass sie Spaß am Musizieren haben. Und ja, dem eingefleischten ABBA-Fan wird ein Schauer über den Rücken laufen, wenn er die Stimmen der beiden Damen wieder hört (inzwischen eine Oktave tiefer, wahrscheinlich können Agnetha und Frida inzwischen tiefer sprechen als Björn und Benny). Aber wenn ich mir die beiden neuen Lieder anhöre, denke ich mir ein bisschen „so what?“. Interessant immerhin, dass es sich bei beiden Liedern um recht ausufernde Kompositionen mit mehreren Teilen und verschiedenen Refrainvariationen handelt, die immer noch das meiste von dem in den Schatten stellen, was so bei uns als „Schlager“ läuft. Da haben die Schweden uns eindeutig etwas voraus.
In diesem Sinne: auf die Fischcreme und auf die legendäre schwedische Band. Aber wenn die ABBAtare jetzt unsterblich werden, und uns noch im Jahre 2400 „Fernando“ vorsingen, kriege ich schon ein bisschen Angst, das muss ich zugeben.
Göteborg, 6.9.2021
Nachdem der Versuch in Bohuslän so etwas total Verrücktes wie ein Taxi zu bestellen kläglich gescheitert war, schob ich meinen Koffer über endlose Kilometer Landstraße zum nächsten Bushalt. Ein vorbeifahrender Schwede bekam Mitleid und nahm mich die letzten 2000 Meter mit dem Auto mit. In der App der schwedischen Verkehrsbetriebe wird man genau gewarnt, wie voll der jeweilige Bus ist. Es herrscht zwar keine Maskenpflicht (dafür sind anders als in Deutschland nach wie vor keinerlei Großveranstaltungen erlaubt, was auch streng kontrolliert wird), aber man kann deutlich sehen, wie alle Schweden sofort Masken aufziehen, wenn der Bus voller wird. Seit meinem letzten Besuch hat sich also nicht viel geändert – nix „schwedischer Sonderweg“, that’s bullshit. Überall Desinfektionsgeräte, Absperrungen, Warnhinweise…genau wie bei uns. Nur halt noch weniger Konzerte und Party als momentan in D möglich ist. Und darauf ist man „neidisch“? In Göteborg langes Mittagessen mit einer schwedischen Bekannten, die Sportreporterin ist und mir von ihren letzten Ultralauferlebnissen erzählt. Von der ABBA-Wiedervereinigung hat sie nur flüchtig „gehört“, es ist ihr auch relativ schnuppe. Göteborg wie immer urban, weitläufig und architektonisch sehr reizvoll. In einem Café (Alkemisten Kaffebar, Lindholmspiren) bekomme ich den angeblich „besten Kaffee Götheborgs“. Stimmt. Ansonsten ging der Rest des Tages mit dem vergeblichen Versuch einher, irgendwo mit dem gewechselten Bargeld zu bezahlen. Lustig: in Deutschland beschwören Verschwörungsheinis den Untergang des Abendlandes herauf, wenn Bargeld abgeschafft wird, Schweden hat das aber schon lange getan und steht noch. Kurz vor dem Untergang scheint mir das Land auch nicht zu sein.
Moritz Eggert
https://youtu.be/N5UjJRi9nHo
Komponist
Die beiden Songs sind gefällig komponiert und kommen im zeitgemäßen Breitband-Sound. Aber sie sind auch anbiedernd.
Noch kurz zu „Bands mit relevantem Alterswerk“: da möchte ich doch z.B. Radiohead anführen.
Und natürlich Solokünstler, die auch späte, bemerkenswerte Alben heraus gebracht haben: Peter Gabriel, Sting, McCartney (Chaos and Creation in the Backyard!), Kate Bush, Björk ….
Aber es stimmt schon: die Künstlerische Reibungsfähigkeit der meisten Protagonisten im Pop ist begrenzt. Aber warten wir mal ab ..