Klug, klüger, am klügsten

KIs oder Algorithmen (die Grenzen sind fließend) sind nichts Neues – sie kommen schon seit viel längerer Zeit zum Einsatz, als die meisten ahnen. Und dies so massiv, dass eine Verschwörungserzählung wie die „Dead Internet Theory“ zumindest ansatzweise wahr scheint, wenn sie behauptet, dass seit ca. 2017 die Anzahl von automatisiertem Content größer ist, als der von Menschen produzierte Output, und damit das Internet eigentlich gar kein Ort für Menschen mehr sei.

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Uns fallen nur die „Quantensprünge“ der Entwicklung auf – immer dann, wenn etwas plötzlich viel besser funktioniert, als es vorher wahrgenommen wurde. Ein populäres Beispiel ist ChatGPT, aber selbst Menschen mit minimaler Internetnutzung wird aufgefallen sein, dass zum Beispiel KI-Sprachübersetzungen jedes Jahr besser werden und immer weniger nachredigiert werden müssen. Dass diese Entwicklungen längst noch nicht an einem Endpunkt sind, sollte klar sein. Irgendwann wird hier eine Perfektion erreicht werden, die sofortige Übersetzungen in alle Sprachen ermöglichen wird. Die KIs lernen hier gar nicht unähnlich, wie z.B. ein Kind eine Muttersprache lernt – sie sammeln einfach Daten über die Arten und Weisen, wie etwas gesagt wird und lernen die Sprachen intuitiv, ohne jemals Grammatikregeln studieren zu müssen. Nur dass die Kapazitäten zum Lernen im Gegensatz zu der eines Kindes unerschöpflich sind.

Ein Großteil des Contents (man kann sogar sagen, der GESAMTE Content, da ja auch Suchmaschinen KI-Algorithmen benutzen) den wir in Internetmedien benutzen, zu Gesicht bekommen oder scheinbar „zufällig“ finden, wird in irgendeiner Form von künstlichen Intelligenzen bestimmt, die immer besser unsere Vorlieben und Interessen lesen, analysieren und in eine Richtung lenken, die sich kommerziell nutzen lässt. Und das ist noch eine relativ harmlose Nutzung – wir sehen immer mehr, wie leicht die Manipulation einer zunehmend uninformierten Masse mit ein paar Telegram-Accounts möglich ist. Idiotischste Propaganda wird sofort auf unzähligen Kanälen verbreitet, und wenn wir Menschen es nicht tun, dann tun es Millionen von Bots, die dabei wesentlich fleißiger und effizienter sind als es je ein Mensch sein könnte. Gerade die, die am meisten vor der angeblichen Manipulation von „Mainstream-Medien“ warnen, sind am leichtgläubigsten, wenn es um angeblich „wahre“ Informationen aus dem Internet geht, die keinerlei Redaktion oder kritische Kontrolle kennen.

Es sollte offensichtlich sein, dass die Kriterien „wahr“ oder „unwahr“ bei KIs keinerlei Rolle spielen können, denn diese kennen nur Daten und keinerlei Moral oder Schuldgefühl, das einen Menschen vielleicht noch beschleichen könnte. „Wahrheit“ und „Lüge“ zu unterscheiden, ist kein Kriterium beim Sammeln von Klicks und Aufmerksamkeit. Wer die Algorithmen bestimmt und kontrolliert, kann auch die Wahrheit nach seinem Willen definieren.

Aber auch das klingt schon wieder wesentlich ominöser, als es in Wirklichkeit ist – dass überhaupt noch irgendjemand die Fluten an Informationen kontrollieren kann, die sich zum größten Teil selbst generieren, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Wenn Information als Waffe benutzt wird, dann meistens wie eine Art Wasserwerfer. Man flutet einfach Medien mit so viel Information wie möglich – egal ob unwahr oder wahr – und schürt automatisch Dissens und Panik.

Inzwischen wird demokratischen Regierungen genauso misstraut wie einer Diktatur, egal wie sehr man sich um Transparenz und Offenheit bemüht. Nicht nur in den USA kann man erleben, wie sich Hysterie und gesellschaftliche Spaltung wie von selbst hochschaukeln, Algorithmen und soziale Medien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Man adressiert eine vollkommen gläserne Bevölkerung mit offen liegenden Vorlieben und Sehnsüchten.

Aber ein Aspekt kommt in der momentanen Diskussion noch zu kurz. Wenn Menschen (mit Recht) um ihre Arbeitsplätze fürchten, weil KI voraussichtlich noch großflächiger auch in der Arbeitswelt zum Einsatz kommen wird, reklamieren sie meistens immer noch ihre eigene Überlegenheit als menschliches, fühlendes und emotionales Wesen. Den Maschinen wird mit antiquiertem romantischem Vokabular eine „Seele“ abgesprochen, was gleichzeitig die Qualität ihrer Entscheidungen in Frage stellen soll. Es wird immer wieder als Tatsache dargestellt, dass Intelligenz nur dann einen qualitativen Wert hat, wenn sie „menschlich“ ist. Oder man „korrigiert“ KI-Bilder, indem man auf die üblichen Schwächen (Perspektivfehler, 6-fingrige Menschen) hinweist, dabei aber unterschätzt, dass Maschinen im Lernen aus Fehlern keinerlei Grenzen nach oben haben und sich erst am Anfang dieses Prozesses befinden.

Schon längst ist es so, dass Computer in vielen Bereichen intelligentere Entscheidungen treffen, als es Menschen je können. Ja, sie machen auch Fehler, aber die machen Menschen ganz sicher auch, und meistens mit wesentlich katastrophaleren Konsequenzen. Menschen wiederholen immer dieselben Fehler, KIs müssen es keineswegs so halten, denn sie haben gegenüber Menschen einen ganz entscheidenden Vorteil: sie hören nicht auf zu lernen und sich zu verbessern.

Wir sind als biologische Wesen an einem ganz bestimmten Punkt der Evolution, den wir nicht so schnell verlassen können, selbst wenn wir transhumanistisch unsere physischen Kapazitäten erweitern. Unser Gehirn hat eine fixe Größe und eine begrenzte Kapazität, die sich zwar evolutionär verändert hat, aber dies extrem langsam und über unendlich viele Generationen hinweg. Computer-„Gehirne“ dagegen wachsen mit einer atemberaubend schnellen Geschwindigkeit, die noch lange keine Obergrenze kennt, und die mit Quantencomputern in Dimensionen vordringen können, die wir uns noch nicht einmal ansatzweise vorstellen können.

In diesem Wettrennen werden wir über kurz oder lang den Kürzeren ziehen, so viel ist sicher. Oder anders gesagt: wir bleiben gleich dumm, während die Computer immer klüger werden. Und wem überlasst man dann lieber Entscheidungen von großer Tragweite? Dem „dumm“ gebliebenen Menschen oder einer Maschine, deren Lernkapazitäten gen unendlich geht? KIs sind nicht triebgesteuert, sie kennen keinen Neid und keine Eifersucht, sind nie beleidigt oder reizbar, sowie unendlich geduldig und immer fokussiert. Sie treffen sachliche und nüchterne Entscheidungen, die rein auf Daten basieren. Je größer die Datenmengen sind, die ihnen zur Verfügung stehen, desto qualitativ hochwertiger werden auch ihre Entscheidungen. Schon jetzt sind viele komplexe Systeme für uns Menschen gar nicht mehr verständlich und überhaupt nur noch mit Algorithmen beherrschbar, zum Beispiel der Aktienmarkt. Wir sind zu langsam, um noch mitzukommen. Dass Computer uns nun leicht in Spielen wie Schach besiegen können, bedeutet auch, dass wir nie wieder gegen sie siegen werden. KIs in Computerspielen werden künstlich limitiert und „verdummt“, damit wir Menschen überhaupt noch Spaß empfinden. Würden sie ihre ganzen Möglichkeiten ausschöpfen, hätten wir keinerlei Chance gegen sie.

Nicht nur, dass wir aus der Perspektive der Maschinen relativ beschränkt sind, wir werden auch täglich noch beschränkter, da wir immer mehr verlernen, selbstständig unsere Kapazitäten zu nutzen und uns stattdessen auf Hilfsmittel verlassen.

Diese Hilfsmittel mögen erst verlockend wirken. Die KI kann schon jetzt schnell eine Melodie anbieten, oder einen Textanfang generieren, um den horror vacui beim Schreiben eines Artikels zu überwinden. Aber je mehr wir uns auf diese Hilfsmittel verlassen, desto mehr verlernen wir, unsere eigenen Fähigkeiten zu trainieren. Wir werden zunehmend zu hilflosen Kleinkindern, die an der Hand einer KI unbeholfen herumpatschen.

Man stelle sich ein Kind vor, das Laufen lernen soll, dem aber ein kleiner Roboter zugeteilt wurde, der stets verhindert, dass es fällt. Dieser Roboter stützt das Kind in jedem Moment, korrigiert sein Gleichgewicht und hilft ihm in jeder Beziehung, aufrecht zu stehen. Würde das Kind laufen lernen? Ganz sicher nicht. Alle Eltern wissen, dass Kinder irgendwann fallen müssen, um das Laufen zu lernen, ansonsten funktioniert das nicht.

Unsere Fähigkeiten drohen also auf eine ähnliche Weise zu verkümmern, wenn wir uns zunehmend auf KIs verlassen. Und das ist keine moralische oder romantisch idealisierte Frage. KIs sind das perfekte Werkzeug, das für fast alles einsetzbar ist, quasi wie der „Sonic Screw Driver“ in der Fernsehserie Doctor Who. KIs können navigieren, uns beraten, unsere Langweile vertreiben, uns in schwierigen Fragen weiterhelfen, die richtigen Produkte für uns aussuchen und unsere Einsamkeit vertreiben. Und je mehr wir diese Werkzeuge benutzen, desto mehr werden wir selbst zum Werkzeug, zu einer statistischen Masse, deren Vorlieben und Sehnsüchte präzise gesteuert und verändert werden kann.

Wir finden in der Menschheitsgeschichte tausende von Beispielen für das Zusammentreffen von Zivilisationen auf unterschiedlichen technologischen Entwicklungsstufen. Für diejenigen, die die niedrigere Stufe hatten, gingen diese Begegnungen nie gut aus und endeten immer mit dem Untergang oder der kompletten Assimilierung dieser Zivilisation.

Zum ersten Mal in der Geschichte kolonisieren wir aber uns selbst – wir haben eine Kolonialmacht erzeugt, die uns technologisch weit überlegen ist und diese quasi in unser Wohnzimmer eingeladen. Wird das gut ausgehen?

Wer solche Argumente heute vorbringt, wird schnell als „gestrig“ oder „fortschrittsfeindlich“ diffamiert. Und natürlich ist klar, dass jegliches Mahnen nicht helfen wird – die Entwicklungen sind nicht mehr zu bremsen und bieten zu viele kurzfristige Vorteile, die sie erst einmal unendlich attraktiv machen werden. KI-Aktien werden steigen, und kurzfristig werden die Aktienmärkte Gewinne machen. Wir werden uns als Meister dieser Entwicklung sehen und uns an den neuen Möglichkeiten erfreuen. Aber schon jetzt sind wir nicht mehr am Ruder – die KI wird immer klüger, und wir werden – je mehr wir sie nutzen – immer dümmer.

Dass eine Zukunft mit uns überlegenen KIs nicht unbedingt eine Dystopie sein muss, hat Iain M Banks in seinen „Culture“-Romanen beschrieben. Darin haben die Menschen einer fernen Zukunft schon längst akzeptiert, dass ihnen KIs in allen Bereichen überlegen sind, und leben in einer scheinbar idyllischen und mangellosen Gesellschaft, deren Entscheidungen größtenteils von KIs getroffen werden. Die stets unerbittlich logischen und empathielosen Handlungen der KIs bringen jedoch auch immer wieder Probleme, die Menschen sind Erfüllungsgehilfen für komplexe kosmische Spiele, die sie nur noch ansatzweise verstehen.

Im „Dune“-Universum von Frank Herbert geht die Menschheit einen anderen, radikaleren Weg. Nach dem „Butlerian Jihad“ ist die Verwendung von künstlichen Intelligenzen verboten und geächtet, die Menschen erweitern daher ihre begrenzten Fähigkeiten durch Drogen und verschiedenste geistige Disziplinen.

So weit sind wir noch nicht. Aber wir müssen definitiv darüber nachdenken, welche Rolle wir in der Zukunft spielen wollen. Wir müssen unser Menschsein zum ersten Mal vollkommen neu definieren, wobei uns weder Religion noch traditionelle Philosophie weiterhelfen werden.

Darin liegen auch Chancen.

Moritz Eggert

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