Der drohende Niedergang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks am Beispiel des SWR

Der Niedergang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks am Beispiel des SWR

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Vielleicht haben wir inzwischen einen Zustand erreicht, in dem man sich mehr im Internet über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufregt, als ihn tatsächlich noch zu konsumieren. Kein Wunder – es gibt ja immer weniger Gutes zu hören und zu sehen, da man in den Chefetagen anscheinend die Hörerschaft komplett aufgegeben hat oder senil im Altersheim wähnt. Kultursendungen allerorten? Weg damit, meistens mit ominösen Versprechungen, es käme jetzt „irgendetwas im Netz“.  Gerade heute demonstrierte die wunderbare Nora Gomringer mit namhaften Kolleg:innen vorm BR gegen das „Schleifen“ seiner Kulturprogramme. „In Zukunft sollen – es heißt – 3:30 Min pro Beitrag für Kultur der Richtwert sein. Weniger Expertise, weniger Vertiefung, weniger Glanz. Aber jeder weiß doch, dass Kultur funkeln muss. Dafür muss sie an – und ausgestrahlt werden!“ (Nora Gomringer)

3:30 Minuten für einen Kulturbeitrag, das reicht nur noch für Banalitäten wie „Ich freue mich, bei Ihnen im Studio zu sein“, „Danke“ und „Tschüs“. Vielleicht noch nicht einmal für das.

Die natürlich friedlichen Demonstrant:innen (man würde jetzt nicht erwarten, dass z.B. Doris Dörrie Molotov-Cocktails wirft) wurden hinter das Gebäude geführt, damit es kein Aufsehen auf der Straße gibt und von 4 Polizisten bewacht (!!!). In Russland wäre es nicht beim Bewachen geblieben, aber der BR deutet schon einmal an, wie es mal gehen könnte.

Kotz.

Aber ich will heute gar nicht vom BR sprechen, sondern von einem Sender, der wie kein anderer gerade vormacht, was uns bald blühen könnte, wenn wir nicht wehrhaft sind: dem SWR.

Es ist mir sehr wichtig, bei meiner Kritik die Institution von den Menschen zu trennen. Wenn die Institution inkompetent (wie momentan der SWR) agiert, heißt es natürlich nicht, dass die vielen angestellten und freien Mitarbeiter:innen des SWR (oder des BR) inkompetent sind, das sind sie natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Überhaupt missfällt mir an der ganzen momentanen Entwicklung, dass zunehmend Gräben aufgerissen werden zwischen Menschen, die eigentlich aufeinander angewiesen sind und gerne zusammenarbeiten.

Es ist ja nun wirklich nicht so, dass Kunstschaffende und öffentlich-rechtliche Institutionen natürliche Feinde sind. Die einen (wir) haben Kunstkompetenz, die anderen (sie) haben Medienkompetenz. Im Grunde passt das wunderbar zusammen. Kulturauftrag – war da nicht mal was? Aber im Moment werden Kunstschaffende zunehmend wie nervige Bittsteller, manchmal sogar wie Störenfriede behandelt. Und das zerstört nicht nur die Zusammenarbeit, sondern auch die Qualität des Programms.

Liebe Öffentlich-Rechtliche:  wir sind ein natürlicher Teil von dem, was ihr präsentiert. Gemeinsam mit den wunderbaren Talenten in euren Reihen: den großartigen Klangkörpern, Tonmeister:innen und Mitarbeiter:innen. Wir brauchen euch, und ihr braucht uns. Ich arbeite gerne im öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen, aber wie lange wird das noch möglich sein, wenn es so weitergeht?

Mit jeder Kultursendung, die ihr kürzt, mit jedem Kulturbeitrag, den ihr auf verf****te 3:30 Minuten zusammenpresst, schafft ihr euch selbst ab – ihr vernichtet das, was euch eigentlich ausmacht.

Doch nun zum SWR: Der momentane Umgang mit der Person Axel Brüggemann und seiner Kolumne ist symptomatisch für das, was im Moment im Rundfunk passiert. Denn es ist eine Geschichte der Verdrängung, der Verdunkelung und auch der unverhohlenen Drohgebärden. Ein komplettes Versagen der Kommunikation auf höchster Ebene, für die man auch diese höchste Ebene (und nicht etwa die scheinbar zunehmend eingeschüchterten Mitarbeiter:innen des SWR) verantwortlich machen muss, namentlich die Leiterin des SWR-Symphonieorchesters, Sabrina Haane, und den Intendanten Kai Gniffke.

Was passiert ist? Brüggemann hat wie auch dieser Blog unermüdlich über die unübersehbaren Verflechtungen des (noch) SWR-Chefdirigenten Currentzis und einigen seiner Mitmusiker mit dem menschenverachtenden Kriegsregime von Putin recherchiert und berichtet. Hierbei ist er keineswegs der Einzige – diese Kritik wird von allen geäußert, die noch daran glauben, dass es sich zum Beispiel bei Schostakowitschs „Babi Yar“-Symphonie um ein Werk handelt, das durch die Mitwirkung eines kriegsverherrlichenden Sängers und direkte finanzielle Unterstützung durch VTB-Bank und Gazprom in den Schmutz getreten und pervertiert wird. Oder anders gesagt: die noch irgendwie an das Gute glauben. Und daran, dass Kunst und Musik nicht einfach nur Aushängeschilder für irgendwelche Machenschaften sind, sondern mehr bedeuten als z.B. der Opportunismus von Individuen.

Brüggemann hat – oder vielmehr hatte – aber auch eine Kolumne beim SWR. Darf er das? Selbstverständlich – der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat eine Verpflichtung zur Transparenz und zur Ausgewogenheit, er muss sich selbst kritisch befragen können und dürfen.

Brüggemann hat nichts anderes gemacht, als berechtigte Fragen zu stellen. Und er bekam eine überraschende Quittung, mit einer Methodik, die eher an das „Staatsradio“ einer Diktatur erinnert:

„Der SWR hat meine monat­liche Kolumne, die ich beim Sender hatte, „pausiert“. Der Grund: Ich hätte die Gesamt­lei­terin des SWR Sympho­nie­or­ches­ters, Sabrina Haane (Foto), an dieser Stelle „herab­ge­wür­digt“ – worin genau die „Herab­wür­di­gung“ bestanden haben soll, wurde mir nicht mitge­teilt. Ich hatte regel­mäßig über die befremd­liche Öffent­lich­keits­ar­beit des Orches­ters berichtet und, ja, in Frage gestellt, ob es nicht gerade im öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk wichtig sei, offen und trans­pa­rent mit Recher­che­er­geb­nissen (in diesem Fall zur Causa Teodor Curr­entzis) umzu­gehen. Bereits nach Ausbruch des Krieges hatte ich beim Inten­danten des SWR, bei Kai Gniffke, nach­ge­fragt, wie sich kritisch-jour­na­lis­ti­sche Recher­chen um die Russ­land-Geschäfte des Chef­di­ri­genten des Sympho­nie­or­ches­ters mit dem redak­tio­nellen Selbst­ver­ständnis des SWR vertragen. Es kam damals keine Antwort. Auf meine Frage, warum die kriti­sche Diri­genten-Perso­nalie in den Programmen des SWR nicht (oder kaum) thema­ti­siert würde, erklärte mir Frau Haane persön­lich in einer Mail, dass sie darauf keine Antwort geben könne, da die Redak­tion unab­hängig vom Orchester operiere.“ (Axel Brüggemann)

Man merke sich den letzten Satz, denn genau dies ist nun nicht mehr der Fall, denn anscheinend haben Redaktion und Orchester sehr wohl gemeinsam Druck ausgeübt und den unbequem gewordenen Brüggemann zum Schweigen gebracht. Zumindest beim SWR.

Und das ist schon ein Skandal. Nicht nur Brüggemann, auch andere kritische Fragensteller wie zum Beispiel unser Blogger Alexander Strauch werden seit nun schon einiger Zeit bei jeder Anfrage mit kryptischen kurzen Statements abgespeist, die Kafkas „Das Schloss“ in ihrer Hermetik und Rätselhaftigkeit nicht fernstehen. Kurzum: Kai Gniffke und auch seine Programmchefin Anke Mai wollen das exakt so. Sie wollen nicht antworten. Sie wollen nicht, dass diese Fragen gestellt werden. Leider wäre es aber Ihre Pflicht, darauf zu antworten, denn zu dieser notwendige Transparenz verpflichtet Sie unser Rundfunkbeitrag.

Zur Person Currentzis beim SWR gibt es sehr, sehr viele Fragezeichen, die noch weit über seine Putinnähe hinausgehen, das wissen alle Insider. Das Problem ist: niemand traut sich, dass offen auszusprechen. Und wenn man journalistisch Mitarbeiter befragt, will man nicht, dass die wegen der Preisgabe pikanter Details ihren Job verlieren (wie es – wenn auch im kleinen Umfang einer Kolumne – Axel Brüggemann geschehen ist).

Aber vielleicht stimmt das ja alles gar nicht – vielleicht ist Currentzis ja in Wirklichkeit ein dufter Typ, der nur scheinbar so wirkt wie ein narzisstischer und hochopportunistischer Sektenführer, der sich jedem billig andient, der ihm einen Gig bezahlt. Vielleicht ist alles nur ein großes Missverständnis und es gibt nichts zu verbergen.

Aber wenn es nichts zu verbergen gäbe, könnte man das Ganze doch sehr einfach lösen. Lieber Herr Gniffke, liebe Frau Haane – ein Zeichen von Größe wäre zum Beispiel das Ansetzen einer Gesprächsrunde mit Currentzis oder zumindest den Verantwortlichen, Kritikern und Befürwortern, ganz im Sinne öffentlich-rechtlicher Ausgewogenheit. Da könnte man diese ganze ungute Atmosphäre des „Aussitzens“ und Verdunkelns endlich mal vom Tisch bekommen und Tacheles reden. Sie könnten Ihre Gründe, warum sie an jemand zunehmend Umstrittenem wie Currentzis in der momentanen Kriegssituation um jeden Preis festhalten, nüchtern und sachlich darlegen, und wenn sie gute Argumente dafür haben, würde man diese Argumente auch ernst nehmen. Versprochen!

Der Anschein ist aber ein ganz anderer. Ich glaube, Sie haben einfach gar keine Argumente und fürchten um Ihre Posten, wenn der ganze Zirkus mal auffliegt und es zu kritisch wird (das könnte – dem müssen Sie sich bewusst sein – jederzeit geschehen). Wie auch immer – Ihre Taktik bleibt unklar, Ihre Taten dagegen sprechen leider eine zunehmend erbärmliche Sprache.

Ich wäre gerne mal bei Ihnen im Hinterzimmer und würde lauschen, wie über diese Sache auf oberster Ebene diskutiert wird. Wie Sie ängstlich beobachten, wie die Kritik an Currentzis immer lauter wird und immer mehr seiner früheren Unterstützer abspringen oder sich von ihm distanzieren. Meine Fantasie malt mir die wildesten Dinge aus. Werden Sie mit Wodka und Kaviar bestochen? Gibt Ihnen Currentzis Privatkonzerte in Ihren Villen? Das kann ich mir nicht vorstellen – Es ist ja spätestens seit der Schlesinger/RBB-Affäre bekannt, dass die Honorare in den Chefetagen der Sender nicht die Allerkleinsten sind, da würde mich das doch sehr wundern.

Aber eigentlich will ich mir das alles gar nicht ausmalen. Eigentlich würde ich viel lieber an das Gute in Ihnen glauben, und mit Ihnen direkt reden. Aber leider ist es ziemlich offensichtlich, dass Sie nicht reden wollen, weder mit mir noch mit jemandem wie Axel Brüggemann. Dabei könnte ein Gespräch so viel klären!

Sie müssen wissen: Axel Brüggemann und ich lieben Sie eigentlich, wie schon oben beschrieben. Wir lieben den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wir glauben an seine mögliche Qualität und positive gesellschaftliche Wirkung. Wir glauben daran, dass Sie einen guten und wichtigen Job machen können, der auch Kommunikationsfähigkeit (Medienkompetenz!) beinhaltet, denn dafür brauchen wir Sie. Wir sollten offen miteinander reden können, denn sonst sind Sie kein „öffentlich-rechtlicher Rundfunk“ mehr, sondern zunehmend ein „heimlich-unrechtlicher Rundfunk“, der Widersacher zum Schweigen bringt.

Dass das nicht im Geringsten übertrieben ist und dass es so etwas tatsächlich gibt, beweisen die Worte des russischen Journalisten Dmitri Muratow zum Auftakt der ersten Hamburger Woche der Pressefreiheit: „Die Geschichte des unabhängigen Journalismus ist vorbei, ist abgeschlossen…In Moskau kann ich über nichts erzählen“. Ach, schon wieder Russland, welch ein Zufall. Der Mann weiß, wovon er spricht, da er es täglich selbst erlebt. Wollen Sie also diese russischen Zustände auch bei uns?

Dass so etwas auch hier möglich wäre, wenn bestimmte politische Kräfte das Ruder übernehmen, muss ich Ihnen natürlich nicht erzählen.

Daher hoffe ich sehr, dass Sie nicht schon einmal dafür üben.

 

Moritz Eggert

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