Konkurrenz mit der (Musik)Maschine (2)

Konkurrenz mit der (Musik)Maschine (2)

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Wir können nun beginnen, darüber nachzudenken, wie genau die Konkurrenz mit den KIs aussehen könnte, die nun langsam Realität wird. Man könnte meinen, dass es zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte eine solche Konkurrenz mit von uns erzeugten Maschinen gibt, aber ist das wirklich so?

Tatsächlich haben Menschen schon seit langer Zeit Maschinen, die Dinge besser können als wir selbst. Dieser Prozess begann schon mit einfachen Werkzeugen: eine Axt ist wesentlich besser darin, ein Stück Holz zu spalten, als jede menschliche Hand, ein Hammer wesentlich besser darin, einen Nagel einzuschlagen. Mit der Industrialisierung wurde die Effizienz dieser Werkzeuge ins Unermessliche gesteigert. Ein Traktor mit Pflug kann wesentlich schneller und effizienter einen Acker bearbeiten als Menschen. In dem Moment, in dem es Traktoren gab, entstand eine Konkurrenz: Die Bauern, die Traktoren besaßen, konnten ihre Felder effizienter und mit weniger Arbeitskraft bestellen als die Bauern ohne Traktoren. Irgendwann gab es dann keine Bauern ohne Traktoren mehr.

Auf einem modernen Bauernhof kommen viele weitere solcher Maschinen zum Einsatz, und zwar dort, wo es um Effizienz und Schnelligkeit geht. Für eine Hobbygärtnerin dagegen würde sich der Einsatz dieser Maschinen nicht lohnen, denn sie betrachtet das Gärtnern als Genuss und als Erholung. Sie gibt sich also bewusst der „Ineffizienz“ hin, da ihr der großflächige Einsatz von lauten und teuren Maschinen in ihrem Schrebergarten genau das verderben würde, was sie eigentlich sucht, nämlich Ruhe und Entspannung. Mal abgesehen davon, dass es für sie keinerlei ökonomischen Grund gäbe, hier eine Konkurrenz zu übertrumpfen. Es gibt viele ähnliche Beispiele: hier industrielle und kapitalistisch motivierte größtmögliche Effizienz mittels Maschinenkraft, dort Entschleunigung und der bewusste Verzicht auf solche Methoden wenn es um menschliche Freizeit und Selbstverwirklichung geht.

Mit Transportmitteln sieht es ähnlich aus: schon ein Fahrrad ist deutlich schneller als ein rennender Mensch, Züge, Autos und Flugzeuge sind es um ein Vielfaches. Sind Gehen und Laufen daher ausgestorben? Keineswegs, denn auch hier suchen Menschen nicht die größte Effizienz, sondern die Erfahrung. Wer auf einen Berg wandert, will meistens nicht unbedingt so schnell wie möglich oben ankommen, sondern den Ausblick genießen, pausieren, nachdenken und frische Luft schnappen. Für die Ungeduldigen gibt es Bergbahnen. Hier sehen wir also, wie Maschinennutzung und menschliche Bedürfnisse ohne direkte Konkurrenz nebeneinander existieren: wenn es um Effizienz, Schnelligkeit oder die Überwindung riesiger Distanzen geht, nutzt man die Transportmittel, ansonsten ist man weiterhin gerne „langsamer“ Mensch, ohne deswegen täglich frustriert zu sein, weil uns gerade die Straßenbahn überholt.

Auch die Nutzung von Computern für meistens „langweilige“ Aufgaben ist keineswegs neu. Schon seit vielen Jahrzehnten nutzen wir alle Tabellenkalkulationen und verschiedenste Dienstprogramme auf unseren Home-Computern, die uns lästige Aufgaben erleichtern sollen. Als damals im Schulunterricht Taschenrechner eingeführt wurden (die ersten aufwändigeren Taschenrechner waren übrigens die direkten Vorläufer heutiger PCs), fürchteten viele Pädagogen den Niedergang der Mathematik und eine gigantische Verdummung der jungen Generation. Tatsächlich ist der Mathematikunterricht heute wesentlich komplexer geworden und man nutzt die Taschenrechner, die heute Teil jedes Handys sind, für aufwändige Kalkulationen, die früher nicht möglich gewesen wären. Und jede Bibliothek ist sehr früh, dass sie nicht Berge von Karteikarten verwalten muss, sondern ein digitales Inventar.

Wenn es um reine Leistung geht, sind wir also von Gegenständen, Maschinen und natürlich auch Rechnern umgeben, die schon seit vielen Jahrzehnten Dinge wesentlich besser und schneller können als wir selbst. Wir sind deswegen nicht frustriert, weil wir unsere eigenen Kategorien festlegen, in denen wir konkurrieren. Sprich: wir „schummeln“ ein bisschen.

Wenn es zum Beispiel darum geht, wer auf 1000m am schnellsten ist, würde einem sehr vieles einfallen, das schneller wäre als selbst der schnellste Läufer. Ein Pferd zum Beispiel, oder ein Fahrradfahrer, oder ein Autofahrer. Wir lösen dieses frustrierende Problem, in dem wir die Rennen streng trennen, nach unseren eigenen Regeln. Beim olympischen 1000m-Rennen herrschen also strenge Regeln: Usain Bolt muss also nicht gegen Eddy Merckx antreten, beide laufen ihr eigenes Rennen gegen selektiv ausgewählte Konkurrenten in ihrer eigenen „Kategorie“.

Ähnlich könnte es beim Aufkommen von KIs in künstlerischen Berufen sein. Denn diese sind – genau wie beim Sport – in einer grundsätzlichen Konkurrenzsituation. Um mit künstlerischer Arbeit überleben zu können, tritt man immer in Konkurrenz mit anderen, die dasselbe machen und entweder genauso gut oder sogar besser können. Wir müssen uns eingestehen, dass dies unsere künstlerische Arbeit beeinflusst. Ein Michelangelo ist nicht nur deswegen so genial geworden, weil er einfach so geboren wurde, er arbeitete sich auch an einer nicht geringen Konkurrenz von anderen Künstlerinnen und Künstlern seiner Zeit ab, die ihm jederzeit den Auftrag für die Sixtinische Kapelle hätten wegschnappen können. Er musste also besonderes leisten und stets auf der Höhe der Zeit sein.

Nun haben wir KIs die auch „besonderes“ leisten können im Bereich der Kunst, und das ist eine neue Konkurrenz, die wir bisher nicht gewohnt waren. Das heißt aber nicht, dass wir mit dieser Konkurrenz anders umgehen werden als mit den vielen ähnlichen Konkurrenzen der Vergangenheit. Wir werden nicht die Flinte ins Korn werfen und das Feld den KIs überlassen, ganz im Gegenteil. Unser grundsätzlicher kompetitiver Geist wird weiterhin bestehen.

Zukünftige Kompositionswettbewerbe könnten also mehrere Kategorien enthalten, zum Beispiel „KI-Kompositionen“ (ohne menschliche Beteiligung) „KI-assistierte Kompositionen“ und „Nicht-KI-assistierte Kompositionen“.

So wie es jetzt schon Algorithmen gibt, die von ChatGPT erzeugte Texte erkennen können, wird es auch Algorithmen geben, die Partituren nach Computerunterstützung absuchen werden. Und genauso wie es im Sport Doping und alle möglichen anderen Betrügereien gibt, wird es auch in dieser Konkurrenz Schummeleien geben, die aber geahndet und geächtet werden.

Auch die reinen KI-Kompositionen werden in einer menschlichen Konkurrenz stehen, denn hinter den KIs sind Programmierer:innen, die miteinander im Wettbewerb sind. Und Menschen werden weiterhin – wie Hobbygärtner – auch ohne KI-Assistenz komponieren wollen, einfach, weil es ihnen Spaß macht und sie darin Befriedigung empfinden.

Das Feld kompositorischer Betätigung wird sich erweitern, es wird nur einfach eine neue Konkurrenz geben, die man nicht mehr als direkte menschliche Konkurrenz empfindet, sondern als ein eigenes Feld mit eigenen Regeln.

All dies wird nicht ohne dramatische gesellschaftliche Veränderungen vonstatten. So wie zum Beispiel Autos unsere Städte dramatisch und nicht unbedingt zum Guten verändert haben, wird auch die Verwendung von KIs unser Verhältnis zu kreativer Arbeit verändern. Wenn auch Laien mit wenigen Klicks in der Lage sind, ihre eigene personalisierte Ambient-Musik fürs Heim zu schaffen oder die uninspirierte Fernsehredaktion glaubt, mit ein bisschen durchschnittlicher KI-Musik menschliche Kompositionsleistung ersetzen zu können, könnte nicht nur die grundsätzliche Wertschätzung fürs Komponieren sinken, es werden auch weniger Menschen Versuche unternehmen, selbst zu singen oder ein Instrument zu spielen, was wiederum eine sinkende musikalische Allgemeinbildung zur Folge haben wird. Da auf dieser Allgemeinbildung aber zum Beispiel ein Konstrukt wie „Neue Musik“ basiert, wird sich diese neuen Herausforderungen der Publikumsvermittlung stellen müssen.

Genau vorherzusehen ist das alles nicht, aber es würde mich sehr wundern, wenn der menschliche Drang dazu, sich ausschließlich in einer Konkurrenz mit sich selbst zu sehen, nicht auch weiterhin fortbestehen würde.

Moritz Eggert

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