Let’s be FRIENDS

Das Thema Beach Boys lässt unseren Gastautoren Jobst Liebrecht nicht los. In diesem Beitrag wirft er einen liebevollen und musikalisch analytischen Blick auf eine unterschätzte Schaffensperiode der kalifornischen Meister. Der Blick für das Ungewöhnliche im Alltäglichen, verknüpft mit einem liebevollen Sinn für Humor, ist übrigens auch Bestandteil von Jobst Liebrechts eigener (und sehr empfehlenswerter) Musik. Vielleicht sind ihm die Beach Boys deswegen auch so nah!

 

 

Let´s be FRIENDS!

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Über Freuden und Grenzen des Eskapismus und ein vergessenes Meisterwerk der Beach Boys von 1968

(von Jobst Liebrecht )

Im dritten Jahr der Pandemie liegt der taxifahrende Hippie-Vater des „Tatort“-Kommissars entspannt auf der Massagebank und wird bearbeitet von einer „ Hanna mit den heilenden Händen“. Ich kann nicht anders als eine sehnsuchtsvolle Anspielung auf „ Anna Lee, the Healer“ von der Beach Boys-Platte „ Friends“ von 1968 zu verstehen. In diesem Song werden im Stil eines Werbejingles die Fähigkeiten der indischen Masseuse der Band gepriesen, unterlegt mit luftigen Tablas und gloriosen Chorharmonien. In einer anderen Nummer dieses Albums „ Busy Doin´ Nothing “ erzählt Brian Wilson in einer jazzigen Bossa-Nova minutiös, wie er am Morgen Notizzettel sucht, wie er verlorene Telefonnummern memorisiert, um Anrufe zu tätigen und den Weg zu seinem Haus in vielen Details zu erklären. Wieder ein anderes Lied handelt lediglich von einem „ Little Bird“, das durch die Fensterscheibe betrachtet wird. „ Passing By“, ein Instrumental, klingt wie eine Warteschleife bei der besten Telefonfirma der Welt.  Das letzte Liede der Platte feiert die „ Transcendental Meditation“.

Was ist da los? Ist es Wahnsinn, hat es doch Methode. Die Methode des Eskapismus.

Eskapismus, ruft ihr mir zu, / vorwurfsvoll./ Was denn sonst, antworte ich, / bei diesem Sauwetter!-, / spanne den Regenschirm auf / und erhebe mich in die Lüfte.“ ( Hans Magnus Enzensberger, Der Fliegende Robert )

Denn nach dem Meilenstein „ Pet Sounds“ und dem größten Nummer 1- Hit ihrer Laufbahn „ Good Vibrations“ steckten die Beach Boys in der Krise. Die Musikwelt wartete seit 1966 vergebens auf das angekündigte Hauptwerk „ SMiLE“. Stattdessen lieferten Brian Wilson und die Band mit „ Smiley Smile“ und „ Wild Honey “ in kurzer Folge zwei Platten ab, die gelinde gesagt jede euphorische Erwartung der Öffentlichkeit gewaltig unterliefen. Nach der Opulenz von „ Pet Sounds“ entschloss sich Brian Wilson, zermürbt von Depressionen, Leistungsdruck, Versagensängsten und Drogen, aber auch positiv formuliert auf der Suche nach künstlerisch authentischen Auswegen  , in nächster Zukunft kein Studio mehr zu betreten. Die Beach Boys errichteten deshalb in Folge  ein eigenes Studio in seinem Wohnhaus („… to bring the mountain to Mahomet“), um dort ihre Arbeit auf andere Weise weiter zu führen. Und  wir hören auf „ Smiley Smile“ in den meisten Songs kunstvolles Nicht-Produzieren, Musik am Küchentisch, gespielt nur mit einfachen Instrumenten, gespickt mit Alltagsthemen größter Banalität. Es folgt mit „ Wild Honey“ eine Hommage an den Soul, ein weiterer die Fans verstörender kompletter Wechsel der Beach Boys-Tonlage. Damit es keine Missverständnisse gibt:  Diese Platten waren ein Stück weit Avantgarde und hatten durchaus ihre Fans und Follower – Jim Morrison von den Doors zum Beispiel liebte heiß und innig „ Wild Honey“ – aber sie sprachen nicht mehr zu der Masse, sie begaben sich mit einem Ausweichmanöver in eine Nische.

Wie lebt es sich dort bei Sauwetter?

Denn anders als die Beatles, die bis zu ihrer Trennung 1970 beispiellosen Erfolg hatten, ging es für die Beach Boys äußerlich bergab. Brian Wilson, der Garant all ihrer großen Hits, wurde psychisch immer kränker, war labil und unberechenbar.  Carl Wilson kämpfte monatelang gegen seine Einberufung nach Vietnam. Dennis Wilson befreundete sich mit dem späteren Massenmörder Charles Manson.  Mike Love ging nach Indien. Im Hintergrund schwelte weiter der Konflikt mit dem Vater der Wilson-Brüder, Murry Wilson, der sämtliche Rechte der großen Hits eigenmächtig an Capitol Records verkauft hatte. In der Fanlegende und Popgeschichtsschreibung wird dieses  allgemein als eine Phase des Niedergangs der Beach Boys überliefert.

Und in der Tat ist hier nicht alles sofort überzeugend, sofort so überwältigend wie in der ersten Zeit ihrer großen Hits. Aber ich möchte einladen zu einer positiven Betrachtung dieser Schaffensperiode, zu einer Würdigung von Freuden und Grenzen des Eskapismus. Ich gehe aus von einem Interview, das Brian Wilson 1976 in einer halbwegs gesunden Phase gegeben hat

Hier spricht Wilson in überzeugender Form davon, wie er als „ artist“, als Künstler, der Erfolg gehabt hat mit seiner Arbeit, der gehört wird, der etwas zu sagen hat, die immer erneuerte Verantwortung spürt , das „ comitment“, die Verpflichtung, den Menschen Gutes zu bringen, sie zu erfreuen, „ to please them“. Er spricht außerdem in sehr bestimmter Form davon, dass er immer auf der Suche sei nach dem in der Kunst, was „ delicate“, feinsinnig sei. Anders als die hymnischen Elogen zu „ Pet Sounds“ habe ihn damals ganz bodenständig am meisten interessiert, wie verschiedene Instrumente zu einem neuen Klang verschmelzen, wie es schöne neue Timbres gibt, wenn man die Tonspuren übereinander legt. Und, nun ja, in „ Friends“ zum Beispiel, da habe er das danach dann eben komplett anders machen wollen. Auch die Gesangsstimmen seien da immer solistisch und rein und pur aufgenommen worden.

„ It´s a collection of folksongs and has a mellow vibe”   (Brian Wilson)

Wenn wir so, sozusagen mal alles Geschichtliche beiseite gewischt, unvoreingenommen das Album

„ Friends“ auflegen, so kann dieses bei häufigem Hören  in all seiner Bescheidenheit, seinem

Lo-Fi-Sound eine umwerfende Wirkung entfalten. Wir hören sozusagen Stimmen aus dem Off, aus dem „ Abseits als sicherem Ort“.

“ Listen once and you might think this album is nowhere. But it’s really just at a very special place, and after a half-dozen listenings, you can be there.“ ( Arthur Schmidt, Rolling Stone)

„ Pet Sounds is by far my very best album. Still, though, my favourite is Friends. ( Brian Wilson, 2001 )

Ich liste einige Vorzüge auf:

Die musikalische Form ist auf „ Friends“ noch geschliffener und komprimierter als auf den Erfolgsplatten. Man höre sich dazu nur den Eröffnungssong an: „ Meant For You“, einen der kürzesten Popsongs der Geschichte mit nur 41 Sekunden, in denen alles enthalten ist:

Anders als in der äußeren Vita von Krise und Niedergang vervollkommnet Brian Wilson nämlich für sich fortwährend seine Kunst. Insbesondere der Rhythmus bekommt eine immer glasklarere Struktur. Fast wie in einer Art Klassizismus komponiert Brian Wilson in dieser Periode zum Beispiel sehr viele Walzer (!) – NB. am Berkley College wird seitdem anhand des Titelsongs „ Friends“ gelehrt, wie man im Pop im Dreivierteltakt komponieren kann. Die Periodik der Taktgruppen seiner Songs wird auf höchst durchdachte, elegante und subtile Weise durch Unregelmäßigkeiten aufgebrochen und ziseliert.  Wilson bleibt auch seiner Vorliebe für reine Instrumentals  treu und legt mit „ Passing by“ und „ Diamond Head“ zwei Nummern vor, die immer noch reduzierter, noch experimenteller,  noch mehr sophisticated daherkommen.

Auch die Erforschung aller Neuigkeiten der Aufnahmetechnik wird von ihm immer weitergetrieben. Hier auf „ Friends“ wird zum Beispiel mit allen Arten von Gesangsverfremdung gearbeitet. Später kommt der gerade neu erfundene Moog Synthesizer hinzu.

Während die Themen der Erfolgsperiode der Beach Boys an  Pubertät und Adoleszenz gebunden waren, haben wir es jetzt mit „ erwachsener Musik“ zu tun. Es werden sowohl in Themenwahl als auch in musikalischer Umsetzung auch mit moralischer Absicht Entscheidungen getroffen, was dem Publikum wie auf welchem Weg präsentiert werden soll. Die Musik wird  in schwierigen Zeiten politischer.

Dieses Politische äußert sich auch in der demokratischen Entstehung. Anders als zuvor, als Brian Wilson alle musikalischen Fragen allein gestaltete, waren jetzt Gruppenprozesse Grundlage vieler Songs. „ Little Bird“ zum Beispiel ist ein Song von Dennis Wilson, gesungen mit seiner einmalig rauen und seelenvollen Stimme, aber der komplexe Mittelteil, die Bridge stammt von Brian Wilson, wie man sofort als Gegensatz wahrnimmt. Selbst das von vielen Fans verachtete Schlussstück des Albums „Transcendental Meditation“ und das erwähnte „ Anna Lee, the Healer“ dringen auf eine perfide nachhaltige Weise ins Ohr mit ihren von der indischen Musik beeinflussten Gesangsharmonien, die die Beach Boys auf dem Höhepunkt ihres Chorgesangs präsentieren – und sie sind Produkt der ganzen Community.

Basierte schon die Instrumentation von „ Pet Sounds“ auf umwerfend eigenwilligen Soundeffekten und ungewöhnlichem Einsatz der Instrumente, so wird dieses auf „ Friends“ gerade in seiner Reduktion und Schlankheit noch verstärkt vorgeführt.

Ich nenne einige dieser magischen Momente:

  • Das plötzliche Losschieben einer schunkelnden Hammondorgel mit Vibratoklang, wie man sie sonst nur im Eishockeystadion hört, in „ When a Man Needs a Woman
  • Der Einsatz einer Tuba, die den Tagesanbruch mit Marschmusikhüpfern markiert, in „ Wake the World
  • Die immer wieder von hinten nervös aufflackernden Röhrenglocken in „ Be Here in the Mornin`´”, die sowohl Türglocke als auch Ablauf der Zeit symbolisieren
  • Das fröhlich zirpende Banjo am Ende von „ Little Bird
  • Und natürlich immer wieder die Bass-Mundharmonika mit ihren unzerstörbaren Fundamenttönen wie im Titelsong „ Friends

Ebenso der Vokalklang wird verfeinert durch sowohl ganz genaues Aushören der einzelnen Solostimmen mit ihren Timbres, die mosaikartig über die Songs verteilt werden, als auch durch Verfremdungen des Tuttiklangs, die immer wieder für bizarre Momente voller Witz und plötzlicher Erleuchtung sorgen:

  • In „ Be Still“ hören wir im ganzen Lied nur Stimme und Orgel. Auf der Textzeile „ Live begins“ wird der Stimme plötzlich großer Hall beigegeben, was blitzartig eine momenthafte Aura erzeugt.
  • In „ Be Here in the Mornin´” findet bei bei der Textzeile „ making my live full“ der plötzliche Einsatz eines massiven Chorklang statt auf dem Wörtchen „ full“ , was wie eine perfekte Entsprechung wirkt zu einer Sprechblase in einem Roy Lichtenstein-Poster . Auch die plötzliche elektronische Verzerrung kurz darauf bei der Zeile bei „ No calls from Grothoff, Parks or Grillo“ ( Agenten und Manager der Band ) rückt das Ganze in die Nähe eines Comic.

Bei „ Passing By“ wurden alle ursprünglich gesungenen Textzeilen weggelassen und es bleiben reine Vokalisen übrig, die sich schleifenartig wiederholen.

Dieses alles sind Freuden des Eskapismus. Mit der „ Escape“-Taste beamt sich Brian Wilson aus der schlimmen Realität in eine musikalische Wirklichkeit voller Harmonie. Einzelne Momente seines täglichen Lebens, für sich genommen belanglos, ephemer, werden als lyrische Augenblicke zu einem Song verdichtet, für immer haltbar gemacht. War es so nicht immer in der Poesie?

Die Grenzen des Eskapismus liegen subkutan unter  der Oberfläche als dunkle Unterseite. Die Idyllik ist ein Stück weit selbstverordnet. Man wendet sich ab von Gewalt und Finsternis, will nicht hinsehen. Dieses ist auf „ Friends“ am deutlichsten am Beginn von „ Diamond Head“ zu hören: Geplant als paradiesische Schilderung einer chillenden Idylle auf Hawaii, sind am Anfang der Nummer rätselhaft elektronische Klänge zu hören, die wie Kriegsklänge, wie ein Echo der Bomben auf Vietnam, der Detonationen in Prag klingen. Sie werfen einen Schatten über die ganzen folgenden Klänge, ja sie werfen einen Schatten auf das ganze „ Friends“-Album. Und so ging es ja auch weiter, gejagt von Dämonen:  Brian Wilson verstrickte sich immer mehr in Drogenwelten und Psychosen, verließ in den 70er Jahren monatelang nicht sein Bett. Dennis Wilson wurde Alkoholiker und kam mit 39 Jahren  im Meer ums Leben. Mike Love auf der anderen Seite wurde jetzt am Ende seines Lebens zum Trump-Anhänger und singt auf Veranstaltungen der Waffen-Lobby. Hier genau warten die Dämonen und die Grenzen von Eskapismus und Harmoniesucht in der Kunst.

Und am Ende bleibt es ein Sauwetter.

( Jobst Liebrecht , Februar 2022 )

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Eine Antwort

  1. David Jones sagt:

    Murry Wilson, der sämtliche Rechte der großen Hits eigenmächtig an Capitol Records verkauft hatte,

    Verkauft hat Vater Wilson den Musikverlag „Sea Of Tunes“ (also „nur“ die Verlagsrechte), und zwar an Irving Almo Music, den Musikverlag von A&M Records.

    Brian Wilson hat seine Rechte als Komponist an den „Sea Of Tunes-Songs“ im Dezember 2021 an die Universal Music Publishing Group (mittlerweile Besitzer von Irving Almo Music) verkauft.