Anonym

Tagebuch der Wörter (30)

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Anonym

30 Tage, 30 Wörter, 30 Artikel – dieses kleine Experiment hat mir sehr viel Spaß gemacht und hoffentlich die Geduld meiner geschätzten Leser nicht zu sehr strapaziert. Heute also die letzte Folge dieser Serie, und dafür haben wir uns etwas Besonderes aufgehoben.

Wir kennen alle die vielen Probleme, die durch Kommunikation im Internet entstehen – Missverständnisse durch falsche Wortwahl oder Kommentare, die in den falschen Hals kommen, haben alle von uns schon erlebt. Dann gibt es die Trolle, die meistens mit ihrem eigenen Namen agieren, die es aber genießen, jede sinnvolle Diskussion zunichtezumachen. Wenn man sie persönlich kennenlernt, sind es oft schüchterne und unsichere Menschen, und man fragt sich, was sie dazu bringt, so destruktiv zu agieren.

Auf der untersten Stufe des Internets schließlich stehen die, die nur noch anonym Hass verbreiten, beleidigen oder bedrohen. Sie stellen den Bodensatz der menschlichen Internet-Irrungen dar – zu feige, um sich kenntlich zu machen, gleichzeitig voller Frust über ihre eigene Existenz, die größtenteils nur noch dumpf glotzend vor irgendwelchen Bildschirmen verbracht wird und kaum noch normale menschliche Interaktionen kennt. Früher haben solche Leute vielleicht irgendwelche armen Frauen morgens um vier Uhr am Telefon angekeucht, heute schicken sie ihre Botschaften digital in die Welt, bedrohen JournalistInnen und PolitikerInnen, oder lassen ihren Dampf ab in anonymen Hasskommentaren, um sich damit irgendwelche erbärmlichen Triumphe einzureden, zum Beispiel die Welt noch ein bisschen unsympathischer gemacht zu haben, als sie meistens ohnehin schon ist.

Genau solch ein Wesen begleitet seit einiger Zeit den Bad Blog. Wessen Geistes Kind es ist, zeigen die erfundenen Emailadressen wie Heuchelnde@juden.net oder Kommentartitel wie „ImpfapostelnachIsraelabschieben“, da ist vom „jüdisch-freimaurerisch-pervers-satanischen Mainstream“ die Rede, und von den „kulturzerstörerischen Elementen“ im Blog, die alle „an der Impfung verrecken sollen“. Arno Lücker, Alexander Strauch und ich sind alles „Juden“ und dienen der „Judentyrranei“. Sogar Jobst Liebrecht wird für seine Artikel über die Beach Boys beschimpft, weil das kommentierende anonyme Wesen nicht richtig gelesen hat, dass diese Artikel gar nicht von mir waren, und es – wie oft bei rechten Hasskommentatoren – mit Lesen und Rechtschreibung eh nicht so wirklich gut bei ihm läuft.

Da Emailadressen bei Blogkommentaren bestätigt werden müssen, ist es nicht sehr schwer, diese Kommentare zu verhindern, die aber natürlich hinter den Kulissen für eine gewisse Erheiterung sorgen. Vor allem die Hartnäckigkeit des anonymen Kommentarwesens beeindruckt, und man freut sich natürlich auch darüber, dass es wirklich jeden unserer Artikel liest, während es ständig vorgibt, sie komplett schrecklich zu finden. Sowas erinnert mich immer ein bisschen an die Moralapostel von früher, die sich heimlich genau die Sexheftchen reinzogen, vor denen sie ständig alle warnten.

Ein bisschen enttäuschend war aber das jüngste Output, dem es an Farbigkeit und Einfallsreichtum – von vornherein schon nicht die Stärken des Kommentarwesens – immer mehr mangelte. Immer kürzer wurden die Kommentare (alle mit gefaketen IP-Adressen, die immer mit „88“, Nazicode für „Heil H…“ beginnen…lol), und seit 2 Tagen schweigen sie sogar ganz. Müdigkeit? Long Covid vom Coronaleugnen? Nein…

Den Grund dafür kennen wir natürlich. Denn was das anonyme Kommentarwesen nicht weiß: wir freuen uns tatsächlich über jeden seiner Kommentare, denn damit lässt sich die Beweiskette immer besser führen, wer es ist, das/der/die uns mit den Kommentaren belästigen will.

Denn das Kommentarwesen hat dann doch trotz einer gewissen stilistischen Hilflosigkeit bestimmte sprachliche Eigenheiten an den Tag gelegt, die wunderbares Anschauungsmaterial darstellen. Man kann dann nämlich einzelne Begriffskombinationen im Internet suchen und mit bestimmten Wörtern kombinieren, und hach, da wird man dann tatsächlich fündig. Nachdem wir diese Spur hatten, konnten wir unser Blogsystem gezielt anpassen.

Klar, das Verbergen von IP-Adressen mit VPN kennt jedes Kind, das im Internet unterwegs ist. Was aber nicht jedes Kind weiß: es gibt selbst bei guten VPNs Lücken und bestimmte Datenpakete, die trotzdem durchkommen, vor allem wenn man – wie es unserem Kommentarwesen einmal passiert ist – sich mittels eines Klicks auf einen Facebooklink auf unsere Seite begibt. Dummer Fehler, kann ich nur sagen. Inzwischen wissen wir dank unserer IT-Experten ziemlich genau, von wem die Kommentare kamen, und ich kann mir vorstellen, dass das Kommentarwesen vielleicht auch schon ahnt, dass wir dies wissen – zumindest ahne ich, warum.

Auch habe in den letzten Folgen lauter kleine Hinweise versteckt, die eigentlich die Identität des anonymen Schwurblers verraten, aber man muss dazu vielleicht ein bisschen Zeit investieren und vielleicht auch mal zwischen den Zeilen lesen. Allein schon die Themen meiner letzten Artikel waren da sehr bewusst gewählt.

Irgendwann hat aber jedes Spiel einmal ein Ende, und wir sollten fair genug sein, das Kommentarwesen wissen zu lassen, dass wir um seine Identität wissen. Und dass es vielleicht ein paar hübsche Überraschungen auf seinem Computer gibt, von denen es noch gar nichts ahnt. Aber mehr will ich da gar nicht verraten, hihi.

Nun, Kommentarwesen, gibt es zwei Möglichkeiten.

Die erste Möglichkeit wäre, sich mittels einer großzügigen Spende – am besten für ein Frauenhaus oder die Flüchtlingshilfe – das nötige gute Karma zu erkaufen, um die inzwischen tiefschwarze und hasserfüllte Seele ein bisschen reinzuwaschen. Quittung bitte an den Bad Blog, wir lassen es dann gerne gut sein.

Die zweite Möglichkeit wäre, weiterzumachen wie bisher. Das würde uns in die glückliche Lage versetzen, einfach noch mehr Material für eine Anzeige zu sammeln, die sich sicherlich nicht auf den kümmerlichen Rest von „Karriere“ positiv auswirken würde, die man dem Kommentarwesen mit noch ein bisschen guten Willen zugestehen könnte. Nur zu also – Offen zur Schau getragener verbaler Antisemitismus inklusive Todeswünschen ist tatsächlich strafbar, und das ist ja genau der Grund, warum die Anonymität gewählt wurde. Vielleicht kommt die Anzeige sofort, vielleicht warten wir noch ein bisschen, das hängt auch ein bisschen davon ab, was das Kommentarwesen sonst noch so treibt (und davon bekommen wir mehr mit, als es ahnt).

Du glaubst uns nicht, Kommentarwesen? Da kann ich nur gerne an die berühmte Szene aus Dirty Harry (ein rassistischer und reaktionärer Film von 1971, den Du bestimmt sehr magst) erinnern, Du weißt schon, die mit den berühmten Sätzen

„You have to ask yourself one question: Do I feel lucky? Well do you, punk?“

In diesem Sinne hier ein bisschen antirassistische-Gewaltmusik (nudge, nudge) von den Specials. Da stehe ich voll drauf,

Dein

Moritz Eggert

30.9.2021 Percha/Starnberg/München

Die sehr bewegende Beerdigung von Sebastian Hess ist der Grund, warum ich ein bisschen später dran war heute. Danach Konzertbesuch beim Zentaur-Quartett in der Schweren Reiter, wo sich erfreulich viele bekannte Gesichter tummelten. Es gibt nichts Schöneres, als zu sehen, wie die jungen ehemaligen Studierenden wachsen, gedeihen und immer selbstsicherer ihr Ding machen.

Der September ist vorbei. Vor vielen, vielen Jahren hatte ich eine liebe Freundin, die immer davon sprach, dass sie keine „Frühlingstriebe“ kennte, sondern stattdessen diese Gefühle im Herbst erleben würde. Da ich viel Zeit im Herbst mit ihr verbrachte, lernte ich bald auf angenehme Weise, dass das durchaus ernst gemeint war. Jeden Herbst muss ich an sie denken, und daran, dass Trübseligkeit und miese Stimmung in vielen Fällen auch eigene Entscheidungen sind, die jederzeit rückgängig gemacht werden können. Es gibt Menschen, die viele Gründe dafür haben, keine gute Laune zu haben, und für deren Trübseligkeit ich viel Verständnis aufbringe. Andere Menschen sind aber oft die einzigen, die an ihrer schlechten Laune schuld sind. Und da kann man schon dran arbeiten.

Nach kurzer Pause geht es auf jeden Fall hier im Blog bald weiter, wir freuen uns darauf.

 

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Eine Antwort

  1. 1. Oktober 2021

    […] September 29, 2021 Oktober 1, 2021 „Immer kürzer wurden die Kommentare (alle mit gefakten IP-Adressen, die immer mit „88“, Nazicode für „Heil H…“ beginnen…lol), und seit 2 Tagen schweigen sie sogar ganz. Müdigkeit? Long Covid vom Coronaleugnen? Nein…“ https://blogs.nmz.de/badblog/2021/10/01/anonym/ […]