Abschied von Sebastian Hess.

Sebastian Hess (Foto: Mara Eggert)

Tagebuch der Wörter (8)

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Abschied (von Sebastian Hess)

Gestern kam die Nachricht, dass mein langjähriger Freund und Duopartner Sebastian Hess in seinem Haus tot aufgefunden wurde. Er war schon drei Tage tot, und es tut mir in der Seele weh mir vorzustellen, was für ein schrecklicher Schock dieser Fund für seine nebenan wohnenden Eltern gewesen sein muss. Todesursache war eine plötzliche Gehirnblutung, so besteht zumindest die Hoffnung, dass er nicht lange leiden musste, sondern einfach einschlief.

Sebastian (der unglaublich viele Spitznamen für andere Menschen hatte, wir beide nannten uns gegenseitig konsequent „Schnucki“ aus irgendeinem Grund) war einer der ungewöhnlichsten Menschen, die ich kannte. Ich glaube niemand der ihn erlebte wird ihn so schnell vergessen, denn er füllte jeden Raum mit einer Präsenz, die nur wenige Menschen besitzen.

Die Bezeichnung „Cellist“ – und natürlich war er ein hervorragender Cellist, wie alle wissen, die Konzerte mit ihm gesehen oder Aufnahmen gehört haben – reicht für ihn ganz sicher nicht aus. Er war mehr: Arrangeur, Komponist, Alleinunterhalter, Stimmenimitator, Weinkenner, Koch, Hobbyprogrammierer, Autoexperte, Computerspieler, Flugzeugpilot, Musikproduzent, Schauspieler…und sicherlich habe ich noch eines seiner vielen Hobbies vergessen. Ich glaube er war ein Mensch, der absolut jeden Beruf auf diesem Planeten hätte ergreifen können und darin brilliert hätte, vorausgesetzt, dass er sich dafür interessiert hätte.

Sebastian war auch ein Genie der Kommunikation – er konnte allen Menschen, die er begegnete und die ihn interessierten sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, dabei jedes Mal mit einem erstaunlichen Wissen über genau die Fachgebiete hantierend, die diese Personen beschäftigen. So konnte er problemlos auf Gesellschaften mit den unterschiedlichsten Menschen auf eine Weise Konversation machen, die anderen unglaublich schwerfallen würde. Er konnte einem Kunsthistoriker den Eindruck vermitteln, tiefe Kenntnisse über italienische Renaissancekultur zu besitzen, direkt danach mit einem Literaten auf hohem Niveau über deutsche Nachkriegsliteratur sprechen und dann mit einem Lufthansapiloten über technische Details von Passagierflugzeugen fachsimpeln. Das alles immer voller Begeisterung, mit witzigen Anekdoten und Geschichten.

Ich bin sicher, dass er diese unheimliche, fast schon an Woody Allens „Zelig“ erinnernde Fähigkeit der Anverwandlung auch erfolgreich auf einem Pudelzüchter- oder Briefmarkensammlerkongress angewandt hätte – er konnte mit JEDEM Menschen über JEDES Thema sprechen.

Daher war sein Freundeskreis immer riesig, und er hielt auch immer Kontakt, außer er fühlte sich – was gelegentlich vorkam – von Menschen verraten oder schlecht behandelt.

Unvergessen auch sein Witz – Sebastian hatte die beneidenswerte Fähigkeit, jeden Tonfall, jeden Dialekt, jede Gestik sofort und perfekt imitieren zu können, sehr zur Erheiterung seiner Freunde. Ich bin sicher, dass er als Komiker oder Alleinunterhalter genau dieselbe Karriere hätte machen können wie als Cellist.

Dabei bewahrte sich Sebastian stets eine kindliche Freude an Dingen. Er hatte immer die neuesten Gadgets, die neuesten BMWs mit den neuesten Features, das neueste iphone, den neuesten Videobeamer oder den besten Korkenzieher. Er besaß in all diesen Bereichen immer ein hohes Fachwissen und wusste um alle aktuellen Entwicklungen. Ich weiß noch genau, wie er bei einer gemeinsamen Konzertreise einen riesigen Koffer dabeihatte und ein klobiges Teil herausholte, das alle 2 Minuten aufgeladen werden musste. Es war das erste erhältliche Mobiltelefon, und natürlich war Sebastian der erste, der eines hatte.

Nachdem er schon als Kind bemerkenswerte Computerkenntnisse erworben hatte, war er auch ein „early adopter“ des Internets. Kaum gab es Modems, programmierte er schon Webseiten für seine Freunde, unter anderem meine erste Website, wofür ich ihm immer dankbar sein werde. Das alles fiel ihm wahnsinnig leicht, wie eigentlich so ziemlich alles.

Woher Sebastian dieses unglaublich umfangreiche Wissen um viele Dinge hatte, wurde nie ganz klar. Ich habe ihn nie ein Buch lesen sehen, und er verbrachte auch nie lange Tage allein mit dem Studium irgendeiner Sache, lieber war er unter Menschen und saugte alles auf, was diese ihm erzählten. Ich glaube er hatte die geniale Fähigkeit, sich alles zu merken, was ihm andere Menschen sagten – Zitate, Fachwissen, Daten, alles speicherte er in seinem Kopf ab und allein durch Zuhören konnte er zum Experten werden.

Wir müssen natürlich über Sebastian als Musiker sprechen. Ich glaube, dass diese Fähigkeit des Assimilierens auch seiner musikalischen Tätigkeit zugrunde lag. Ich glaube, dass er Cello spielen nicht durch Fingersätze oder Tonleitern üben, sondern allein durch Zuschauen und Zuhören lernte. Sein Spiel hatte eine grundsätzliche Mühelosigkeit, ein Einssein mit dem Instrument, die alle sofort in den Bann zog. Das Ganze gepaart mit einer Urmusikalität und einer großen Spontaneität, die jede kammermusikalische Aktivität mit ihm zu einer wahren Freude machte. Man fühlte sich nach jedem Konzert mit ihm auf eine unglaublich positive Weise beseelt, denn er gab immer alles, hörte immer wahnsinnig gut zu, reagierte genial auf jede Idee aus dem Moment heraus. Ich werde unsere vielen gemeinsamen Konzerte immer in bester Erinnerung behalten und bin ihm auch dankbar, dass er hierfür immer wieder die Initiative ergriff. Und dennoch habe ich ihn bei unseren vielen Konzertreisen tatsächlich kein einziges Mal üben sehen, selbst das Proben für Konzerte war ihm eher lästig, da er ohnehin immer alles gab und deswegen ungern irgendetwas auf „Sicherheit“ proben wollte. Denn er liebte den Parforce-Ritt, das volle Risiko – Musik war für ihn etwas aus dem Moment Entsprungenes und Unwiederbringliches, auch an gemeinsamen CD-Aufnahmen werkelte er ungern lange herum, ewiges Editieren und kalter Perfektionismus waren seine Sache nicht.

Es überrascht daher nicht, dass irgendwann das Barockcello zu seiner großen Leidenschaft wurde. Denn in diesem Repertoire fühlte er sich am freiesten. Da er vor allem vom Blatt spielte, stieß er bei anspruchsvollem modernem Repertoire irgendwann an Motivationsgrenzen. Er konnte absolut alles spielen (und tat dies auch oft genug), aber was er hätte einsam studieren müssen, machte ihm wesentlich weniger Spaß als Musik, bei der er spontan und frei sein konnte. Auch in festen Strukturen fühlte er sich schnell unwohl – immer wieder liebäugelte er mit dem Quartettspiel und konzertierte weltweit mit renommierten Ensembles, auch Orchester und Musikhochschulen flirteten mit ihm. Aber am Ende kam immer irgendetwas dazwischen, was glaube ich an seiner grundsätzlichen Freiheitsliebe lag.

In den letzten Jahren lag über seinem Leben eine gewisse Traurigkeit, seine engen Freunde wissen, wovon ich spreche. Man hatte das Gefühl, dass die Leichtigkeit, mit der er sich immer wieder in allen Situationen präsentierte, immer schwerer errungen war. Ich kannte Sebastian sehr gut dreißig Jahre lang, und hatte viele lange Gespräche mit ihm, aber es gab einen privaten Bereich, in dem man selbst als enger Freund nicht eindringen konnte, irgendeine tiefe Verletzlichkeit, über die er nicht sprach und die er zunehmend mit immer blumiger von ihm beschriebenen Projekten kaschierte. Sebastian war ein Mensch, der nach außen hin immer gut gelaunt, erfolgreich und perfekt wirken wollte, selbst wenn es ihm eigentlich sehr dreckig ging. Und vielleicht umgab er sich in den letzten Jahren nicht immer mit Menschen, die ihm gut taten, sondern eher mit denen, bei denen Oberflächlichkeit und Angeberei punkteten.

Aber ich finde es immer sehr schwierig, über andere Menschen zu richten. Ich will nicht fragen, was gewesen wäre, wenn Sebastian Zielstrebigkeit und Selbstdisziplin perfekt entwickelt hätte, denn dann wäre er einfach nicht Sebastian gewesen. Ich glaube, dass er in jedem Moment liebte, was er tat, seine Begeisterungsfähigkeit und seine große Liebenswürdigkeit seinen Freunden gegenüber war nie gespielt. Man hatte ihn richtig gerne, wenn man ihn kannte, denn auch wenn Sebastian vielleicht manchmal eine Maske aufsetzte und Geschichten erzählte, bei denen man nicht immer ganz genau wusste, ob sie stimmen, so war er doch immer eins: ein guter Freund. Und natürlich einer der großartigsten und begabtesten Musiker, die ich je erlebt habe.

Ich erinnere mich auch jetzt in diesem Moment an ihn, voller Wärme und voller Dank an die vielen schönen gemeinsamen Momente, die ich nie vergessen werde und über die ich hier endlos schreiben könnte.

Mach’s gut, Schnucki.

 

Sebastian Hess‘ umfangreiches musikalisches Schaffen ist auf Labels wie Wergo, Naxos, Oehms Classics und vielen mehr zu finden. Ganze Archive von Aufnahmen existieren bei Sendern wie dem HR, BR, BBC und vielen mehr, bei denen Sebastian solistisch mitwirkt. Man könnte tagelang Radioaufnahmen mit ihm als Musiker senden, ohne sich je zu wiederholen. Er arbeitete auch immer gerne genreübergreifend, mit Künstlern wie z.B. Andy Ammer, FM Einheit und der Band notwist, für deren international erfolgreichstes Album „neon golden“ er Arrangements und Cellospiel beitrug. Noch kurz vor seinem Tod arbeitete er mit dem ebenfalls gerade verstorbenen Mikis Theodorakis zusammen und plante ein neues Starnberger Musikfestival mit Martina Veh.

Ich werde immer dankbar sein dafür, wie er meine Musik spielte – unvergesslich für mich unsere vielen Konzerte mit „Bad Attitude“, „Fast Forward“ und vielen anderen Stücken, begleitet von unseren Lieblingskomponisten Killmayer und natürlich Beethoven, die Sebastian auf ganz unnachahmliche Weise interpretieren konnte. Es ist schön, dass sein Spiel und seine vielen musikalischen Auftritte ausführlich dokumentiert sind, wenn auch ein Gesamtkatalog fehlt, denn Sebastian, der große Technikfreak, pflegte nie eine eigene Website. „Weil das Finanzamt mitliest“, erklärte er mir einmal.

 

8.9.2021 München/Lech am Arlberg

Dieser Tag gehört dem Gedenken an Sebastian.

Moritz Eggert

„Bad Attitude“ bei den Salzburger Osterfestspielen 1995

5 Antworten

  1. Mathias Richter sagt:

    BR-Klassik sendet heute um 22 Uhr Aufnahmen mit Sebastian Hess:
    https://www.br-klassik.de/programm/radio/ausstrahlung-2635184.html

  2. Kirsten sagt:

    Dieser Nachruf ist so unglaublich einfühlsam und treffend von dir geschrieben- du sprichst damit all denen aus dem Herzen, die sich Sebastian verbunden fühlten. Vielen vielen Dank dafür! Kirsten

  1. 8. September 2021
  2. 25. Februar 2022

    […] abgesagt. +++ Der plötzliche Tod des Cellisten Sebastian Hess schockierte die Klassik-Szene. Der sehr nahe Nachruf von Moritz Eggert beginnt so: „Sebastian (der unglaublich viele Spitznamen für andere Menschen hatte, wir beide […]

  3. 3. Mai 2022

    […] +++ Der plötz­liche Tod des Cel­listen Sebas­tian Hess scho­ckierte die Klassik-Szene. Der sehr nahe Nachruf von Moritz Eggert beginnt so: „Sebas­tian (der unglaub­lich viele Spitz­namen für andere Men­schen hatte, wir […]