Musik und Gesellschaft und viele, viele Essays

 

Musikgeschichten gibt es ja zuhauf, doch was sich Judith Kemp, Alexandra Ziane und Frieder Reininghaus hier ausgedacht haben, ist dann doch etwas völlig Neues und sehr Erfreuliches.

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Anstatt wie üblich den Bogen streng chronologisch und meistens europazentriert vom Mittelalter zur Neuzeit zu spannen, haben die Herausgeber hier einen ungewöhnlichen Weg gewählt: Anhand von chronologisch angeordneten historischen Wegmarken wurden unzählige AutorInnen aus dem Musikleben gebeten, jeweils kurze freie Essays zu schreiben, die sich nicht nur mit der Thematik selber, sondern auch mit deren Auswirkungen auf die Gegenwart befassen. Das Resultat ist ein wahres Panoptikum von musikalischen Momentaufnahmen, das die AutorInnen passend „Marktplätze – Kampfzonen – Elysium“ nennen – ein Titel, der der Tatsache Rechnung trägt, dass Musik zwar immer wieder auch Vision und tröstender Zufluchtsort sein kann, sie dennoch nie komplett außerhalb gesellschaftlicher Entwicklungen betrachtet werden kann.

Die „Kampfzonen“ aus dem Titel beschreiben also nicht nur die historischen Kämpfe bestimmter Ästhetiken um Bedeutungshoheit, sondern auch heutige und dann doch gar nicht so neue Themen wie z.B. „metoo“, mit denen auch schon Musiker des Barock konfrontiert waren. Und die „Marktplätze“ beschränken sich nicht nur auf den Gegensatz von Anspruch kontra Kommerz, sondern beinhalten auch Betrachtungen über die veränderte Rolle von Musik im digitalen Zeitalter.

Dass eine Musikgeschichte z.B. des 20. Jahrhunderts nicht seriös geschrieben werden kann, wenn man nur den Tunnelblick auf die akademische Avantgarde wirft, hat Alex Ross in „The Rest is Noise“ unterhaltsam vorgemacht. Auch diese beiden Bände, mit „Von den Kreuzzügen zur Romantik“ und „Vom Vormärz bis zur Gegenwart“, enthalten daher zahlreiches Anschauungsmaterial aus musikalischen Genres, die nach wie vor an „klassischen“ Musikhochschulen eher zu kurz kommen.

Dass eine solche „Geschichte in Essays“ nie komplett sein kann, ist den Autoren sicherlich bewusst. Aber das Ganze ist so vergnüglich und abwechslungsreich zu lesen, dass dies kein Manko darstellt. Auch fehlt gänzlich der belehrende und mahnende Ton, der solchen Abhandlungen oft den gewissen Touch von Selbstgefälligkeit verleiht.

Und da die heutige Einschätzung historischer Entwicklungen sicherlich auch einmal selbst „historisch“ sein wird, macht dies diese beiden Bücher schon jetzt zu einem historischen Dokument: nämlich wie man Anfang des 21. Jahrhunderts die Musikgeschichte zu ordnen versuchte und welche Aspekte dabei als wichtig erachtet wurden.

Also: schnell bestellen und gut aufheben, zukünftige Generationen werden es euch danken!

Musik und Gesellschaft (2 Bände)

 

Moritz Eggert

 

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Eine Antwort

  1. Werner sagt:

    Danke für den Bericht aus dem 22. Jahrhundert. Es gibt also ein Leben nach Corona.