Kürzungen und Sparmaßnahmen im Bereich Kultur werden bald wieder an der Tagesordnung sein („Was uns erwartet, Teil 2“)
Was uns erwartet
Inzwischen sollten vielleicht auch die größten Zweifler begriffen haben, dass die Welt es bei Covid-19 nicht mit einer vorübergehenden übertriebenen Panik zu tun hat, sondern dass die Pandemie im Begriff ist, auf unabsehbare Zeit zu einem Dauerthema zu werden, das unsere Gesellschaft verändern und auch lange prägen wird. Hier jetzt detailliert vorherzusagen, was genau in den kommenden Jahren deswegen an Veränderungen passieren wird, wäre vermessen – zu groß sind die Ungewissheiten. Aber inzwischen leben wir schon lange genug mit der Situation, dass sich bestimmte Tendenzen absehen lassen. Nach einigen Monaten der Corona-Krise ist es vielleicht Zeit für eine vorsichtige Bestandsaufnahme, was auf Musikschaffende in zum Beispiel Deutschland zukommen könnte. Eine Serie.
Kürzungen und Sparmaßnahmen im Bereich Kultur werden bald wieder an der Tagesordnung sein
Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass die Auswirkungen der Coronakrise uns alle finanziell treffen werden, insbesondere die Freischaffenden. Die Effekte der Pandemie sind ähnlich wie bei einer Finanzkrise – ein Großteil der Branchen fährt momentan schwere Verluste ein und ist auf staatliche Hilfe angewiesen, damit fallen Aktienkurse, sinkt Liquidität, mehr Geld muss in Umlauf gebracht werden, um abzufedern, damit steigt die Inflation usw.
Wie das verlaufen könnte, kann man an der letzten großen Finanzkrise ablesen. Als Musiker las man davon zuerst einmal nur in der Zeitung. Die wenigsten Musiker besitzen große Aktienportfolios, also blieb diese Krise erst einmal für viele recht abstrakt. Ein, zwei Jahre war im Kultursektor kaum etwas zu spüren. Fördermittel werden normalerweise mindestens ein Jahr im Voraus entschieden, also lief erst einmal alles normal weiter. Erst mit Verspätung setzte dann plötzlich das Lamento „wir müssen sparen“ ein, und wir sahen Orchesterfusionen, Kürzungen und Sparzwang. Dies hielt auch noch eine Weile an, während sich die Wirtschaft schon längt wieder erholte. In den letzten Jahren erst hatte sich alles wieder einigermaßen normalisiert.
Man kann also damit rechnen, dass es diesmal ähnlich verlaufen wird, nur werden die Effekte wesentlich schlimmer sein. Mit jedem Tag, den die Pandemie andauert, werden die Nachwirkungen doppelt so lange zu spüren sein, aber sie setzen auch zeitverzögert ein. Auch wenn schon jetzt viele freischaffende Musiker am Limit sind und mit staatlichen Hilfen (wenn sie diese denn überhaupt bekommen können) nur noch notdürftig über die Runden kommen – die wirklich schweren Zeiten kommen dann, wenn zwar der Konzertbetrieb wieder anläuft, es aber dann kaum noch Mittel für zum Beispiel die Freie Szene gibt oder erneut hunderte von Orchesterstellen in allein Deutschland wegfallen werden. Dies wiederum hat dann wieder massive Auswirkungen auf die Ausbildungsinstitute für Profis – auch Musikhochschulen werden nicht mit steigenden finanziellen Zuwendungen rechnen können, eher das Gegenteil wird der Fall sein. Es wird vermutlich weitere Hochschul- wie auch Orchesterfusionen geben.
Ganz besonders schwere Zeiten werden vielleicht auf die Rundfunkorchester zukommen: zunehmend unter Legitimationsdruck gegenüber einer Öffentlichkeit, die dem eigentlich sehr wichtigen Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Medien immer indifferenter gegenübersteht, wird man nach Pandemie-Zeiten vielleicht zunehmend „neue Konzepte“ suchen. Je nachdem wie die Bundesregierung die Corona-Epidemie meistert könnte aber auch ein zunehmendes Vertrauen in staatliche Informationsmedien als Bollwerk gegen Desinformation und Fake News entstanden sein, das wiederum die öffentlich-rechtlichen unverzichtbarer als vorher macht. Das ist aber schwer vorauszusagen, vor allem wenn diese Medien ständig als Feindbild für Populisten herhalten und die Gebühren sich immer wieder neu rechtfertigen müssen. Und diese Rechtfertigung wird leider oft so versucht, in dem man sich einem gefälligen Massengeschmack unterordnet, den die privaten Sender meistens wesentlich erfolgreicher bedienen.
Die Zeitverzögerung wird seltsame Blüten treiben. So spielt zwar im Moment kaum ein Opernhaus und man könnte meinen, dass hier viel Geld verloren wird, aber tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall: da die Opernhäuser nur zu einem geringen Teil von Abendeinnahmen abhängig sind, sparen sie sogar im Moment Geld. Viele Gasthonorare werden momentan nicht bezahlt, auch nicht an teure Stars, Bühnenbilder werden nicht gebaut, Hotelkosten fallen weg, Kostüme werden nicht geschneidert, etc. Die Fixkosten sind also auf einem Minimum, da die Mitarbeiter meistens in Kurzarbeit sind. Für viele staatlich geförderte Orchester ist es teurer, unter Coronabedingungen mit Finanzierung besonderer Schutzmaßnahmen vor kleinem Publikum aufzutreten als gar nicht zu spielen. Die Etats für das nächste Jahr sind schon entschieden, also haben die Opernhäuser zum Beispiel 2021 vermutlich mehr Geld als normalerweise, können also theoretisch „klotzen“ und aufwändige Produktionen präsentieren (wenn sie überhaupt normal spielen können). Die Ernüchterung wird dann erst 2022 einsetzen. Allerdings wäre es möglich, dass die Regierung in einem großen Notfall schon genehmigte Kulturgelder per Sondergenehmigung kürzt oder zurückhält.
Zu glauben, dass Deutschland die Krise „nutzen“ wird, um Kultur und Kulturförderung grundsätzlich abzuschaffen, halte ich für panischen Pessimismus. Zu sehr ist dann doch das Verständnis als „Kulturnation“ tief in unserer Gesellschaft verankert, zu sehr ist es auch Teil der deutschen Präsentation nach außen im internationalen Vergleich: wir profitieren enorm davon, dass wir als „gebildetes“ und gut ausgebildetes Land gelten, da dies den Export stärkt. Dass deutsche Ingenieurskunst einen guten Ruf hat, hat auch mit Beethoven zu tun, so seltsam dies auch auf den ersten Blick klingt. Und da wir weniger mit spektakulären Stränden und Landschaften punkten können als viele andere Länder, ist ein Hauptargument für den Tourismus auch, dass man unsere Städte wegen eines reichhaltigen Kulturangebots besucht. Man wird also nicht bewusst gegen Kultur vorgehen und sie auch nach Möglichkeit erhalten, es werden aber Prioritäten gesetzt werden. Und gerade hier wird Lobbyarbeit wichtig sein – ich prophezeie, dass Verbände in den kommenden Jahren eine besonders wichtige Rolle spielen werden, um allzu großen Kahlschlag zu vermeiden und Förderungen in möglichst gerechte Bahnen zu lenken. Aber es wird hart, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Harte Zeiten kommen auch auf Verwertungsgesellschaften (GEMA) und Verleger und Agenturen zu. Bei vielen ist schon jetzt klar, dass sie diese Zeiten nicht überleben werden, die GEMA-Ausschüttungen der kommenden Jahre werden drastisch zurückgehen. Leider schlug die Corona-Krise zu, bevor wirklich gerechte Onlineverwertung für zum Beispiel Musik ermöglicht wurde: Gewinner der Krise sind genau die Pauschalanbieter, die einfach Kataloge von Titeln zum freien Streaming anbieten, die schlecht möglichste Verdienstart für individuelle KünstlerInnen.
Es ist abzusehen, dass Onlinemediennutzung den momentanen Erfolgszuwachs auch nach der Krise mitnehmen wird. Viele haben erst jetzt ein Apple Music oder idagio-Abo gebucht und werden es nicht gleich wieder kündigen, nur weil man wieder in Konzerte gehen kann. Musiknutzung wird noch fragmentierter werden und man wird sich zunehmend fragen, warum man überhaupt noch das Konzept „CD“ oder „Album“ benutzt, wenn die meisten Menschen sich eh nur noch Playlists individueller Titel zusammenstellen oder nur noch einzelne Youtube-Videos von KünstlerInnen kennen. Da wir alle in Coronazeiten fleißig umsonst aus unseren Wohnzimmern gestreamt haben, haben wir mit dazu beigetragen, Musik noch mehr zu entwerten. Jetzt dem Publikum beizubringen, dass sie doch besser wieder etwas dafür zahlen sollten, wird sehr schwierig sein.
Was wir tun können
Das alles klingt sehr hoffnungslos, aber das liegt vor allem daran, dass alte Strukturen und vielleicht auch Lebensmodelle nicht mehr funktionieren und sich überholt haben werden. Diese Entwicklung gab es auch schon vor Corona, aber Krisen neigen dazu, solche Entwicklungen zu beschleunigen. Gewinnen werden also neue Denkmodelle, neue Ansätze. Man kann sehr viel Energie darauf verwenden, krampfhaft etwas zu erhalten, was vielleicht dem Untergang geweiht ist. Oder man kann den Moment dazu nutzen, etwas Neues zu erfinden.
Gewinner der Krise werden vor allem diejenigen KünstlerInnen sein, die nach nüchterner Bestandsaufnahme dorthin gehen, wo etwas entsteht, nicht dorthin, wo etwas untergeht. Ich prophezeie, dass Crowdfunding und private Förderungen in Zukunft auch in der Musik wieder eine größere Rolle spielen werden. In gewisser Weise kehren wir damit in die Gründerzeiten der „klassischen Musik“ zurück, dem Aufstieg des Bürgertums im 19. Jahrhundert, als jedes Opernhaus mittels Spenden von engagierten Bürgern gebaut wurde. Nur dass wir noch nicht so richtig wissen, welche Gesellschaftsschicht dies heute leisten kann, vielleicht alle zusammen? Wir müssen neu denken, für wen wir Kunst eigentlich machen. Für uns selbst? Für ein Stipendium? Für die Anerkennung der KollegInnen oder eines Kritikers? Reicht das?
Kunst braucht ein Gegenüber, und wer dieses Gegenüber sein wird, wird eine der drängenden Fragen des 21. Jahrhunderts sein. Es geht dabei nicht um den Ausverkauf oder eine Absage an anspruchsvolle Inhalte, ganz im Gegenteil. Gerade wenn man zum Beispiel wieder für ein Gegenüber komponiert, das nicht nur ein abstraktes Konzept ist, wie z.B. eine Förderung durch ein Kulturamt, sind besondere Leistungen wieder gefragt. Bach legte sich für Friedrich den Großen ins Zeug, Beethoven für die Gräfin Erdödy, Haydn für Fürst Eszterhazy. Das kann man bewerten wie man will, ihrer Kunst hat es nicht im Geringsten geschadet.
Auch Streamingdienste müssen nicht unser Feind sein. Zum Beispiel könnte es für einen erfolgreichen Streamingdienst klassischer Musik ab einem bestimmten Zeitpunkt interessant sein, ein eigenes Orchester zu gründen. Genauso wie Netflix davon profitiert, Rechteinhaber eigenproduzierter Serien und Filme zu sein, könnte es für einen Streamingdienst interessant sein, eigene Aufnahmen zu produzieren und vielleicht sogar Kompositionsaufträge zu vergeben. Ein Helmut Lachenmann mag nie einen Nummer Eins-Hit landen, aber er hat Fans genug, dass ein ansehnlicher Auftrag zustande kommen könnte, wenn dies dem Prestige eines Streamingdienstes nützen könnte. Auch Netflix und HBO produzieren vieles nicht für die Quote, sondern um ein zahlungskräftiges Publikum an sich zu binden, das auch anspruchsvolle Inhalte schätzt, und aufgrund von Bildung und damit einhergehenden gesellschaftlichen Status auch als dauerhafte Abonnentenschar in Frage kommt. Im Grunde ist es nur eine Frage der Zeit, bis hier den öffentlich-rechtlichen Auftraggebern eine natürliche Konkurrenz anhand von Internetorchestern und Internetopernhäusern erwächst. Und Konkurrenz belebt das Geschäft.
Und einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es: Momentan ist es abzusehen, dass Europa gute Chancen hat, diese Krise im Vergleich zum Rest der Welt etwas besser zu überstehen. Wenn wir den Glauben an die Idee der EU, der Verantwortlichkeit des Staates für das Wohl der Bevölkerung und die Bedeutung von Kultur und Bildung als wichtigen Waffen gegen zersetzende Agitation und Populismus nicht verlieren, haben wir theoretisch die Möglichkeit, uns schneller als der Rest der Welt von der Pandemie zu erholen. Das könnte auch positive wirtschaftliche Folgen haben und die Rollen der Großmächte neu ordnen. Schon jetzt ist klar, dass z.B. auf die USA eher schwierige Zeiten zukommen. Aber genau vorhersehen kann man das natürlich nicht, es bleibt eine Möglichkeit.
Wie auch immer – der beste Moment einen Baum zu pflanzen ist genau dann, wenn viele Bäume gefällt wurden. Diese einfache Weisheit wird uns als MusikerInnen zwar nicht immer weiterhelfen mit dem täglichen Überleben (das wäre naiv), kann aber als trotziges und damit auch kräftiges Leitbild dienen, wenn man sich für die Zukunft der Musik in diesem Lande stark machen will.
Moritz Eggert
Komponist