„Es fehlt der Klang“ – Randnotizen zum Leipziger Streichquartett mit Gubaidulina und Halffter

Gestern, Do. 31.1.19, spielte das Leipziger Streichquartett samt seines umstrittenen Cellisten Matthias Moosdorf in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Hier meine Eindrücke! Ich nehme an, Moritz wird hoffentlich bald ausführlicher berichten.

  • Peter Michael Hamel moderierte das Programm an, verwies sogleich auf einen Artikel der Augsburger Allgemeinen zur Anti-Kulturpolitik der AfD, erläuterte, wie es zur Einladung des Leipziger Streichquartetts kam, das zu einem Zeitpunkt von Cristobal Halffter vorgeschlagen worden sei, wo ihm und der Akademie die AfD-Umtriebe des Cellisten Matthias Moosdorfs noch nicht bekannt gewesen seien.

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  • Hamel berichtete von seiner ersten Begegnung mit Sofia Gubaidulina im Moskau der Andropow-Starre, die damals als „westlich“ und „formalistisch“ Gebrandmarkte nicht oder kaum aufgeführt wurde und doch einen gefassten, gelösten Eindruck trotz ihres schwierigen Lebens auf ihn machte und sagte: „Moskau ist äußerlich grau, aber innerlich sind die Moskauer bunt; West-Berlin mag äußerlich bunt sein, dafür sieht es in den Seelen grau aus.“

  • Im Vorfeld wurden Flugblätter verteilt, nicht seitens der Akademie, wo die o.g. AfD-Umtriebe des Cellisten, die negative Pauschalisierung von ganzen Bevölkerungsgruppen wie z.B. der Muslime, etc. thematisiert wurde, im Treppenhaus erklang auf das Thema des 2. Satzes des Haydnschen Kaiserquartett der einzige Textbaustein „Moosdorf“. Einige ängstliche Akademie-Mitarbeiterinnen wollten das Flyerverteilen als „nicht abgesprochen“ vermeiden, mutig junge Komponisten aus Armenien und China verteilten sie dennoch weiter.

  • Als das feine 3. Streichquartett von Sofia Gubaidulina seinen Applaus bekam, war sie nur zögerlich auf die Bühne zu bekommen. Der Cellist erhielt besonders speziellen lauten Applaus, ironische Protestschilder wurden ihm entgegengehalten. Einigen Besuchern war das zu laut, ganz wenige hielten das für Pro-Moosdorf-Statements, was sich im Nachhinein des Konzerts aber schnell aufklärte und zum Teil in Zustimmung jener zu diesem Applaus-Protest mündete.

  • Im Gespräch mit Hamel sagte überraschenderweise sehr deutlich Frau Gubaidulina, dass sie bei der Interpretation ihrer Komposition einiges vermisst habe, mit ihr nicht geprobt worden sei: „Es fehlte der Klang!“.

  • Kleiner Einschub: ich denke, die Komponistin hatte ihre Gründe. Der lange und spannungsvolle Pizzicato-Beginn wurde eigentlich sehr schön ausmusiziert, die ersten expressiven Akkorde gelangen gut. Vielleicht hätte man sich noch mehr Zeit im Anfang lassen können und die kontrapunktischen Teile stärker wie die Lyrische Suite Bergs artikulieren können. Das 9. Streichquartett Halffters gelang jedenfalls glasklar, war akkurat in seinen Strukturen offengelegt, wurde mit der jeweils verlangten Kraft und Ruhe gemeistert. Dennoch verlangt die Musik Gubaidulinas vielleicht mehr ab, als hier von dem hochklassigen Quartett geboten werden konnte. Wie sagen über Kritik Erboste so gerne zu mir: weniger bloggen, mehr komponieren. Da kann ich heute getrost sagen: weniger für die AfD arbeiten, mehr üben und mehr Gigs an Land ziehen, um Routine zu bewahren, als politischer Verbohrtheit nachzugehen.

  • Desweiteren ließ sie das Publikum an ihrer großen Traurigkeit über die derzeit schmerzvollen Spannungsfelder wie Nation und Welt sowie Hegemonie und Freiheit teilhaben. Dennoch hofft sie auf Frieden und Freiheit, bewundert das vereinte Europa, liebt bei allem Dissens Russland. Cristobal Halffter legte seinen familiären Kosmopolitismus von Ostpreußen nach Spanien offen, nannte sich Spanier, Franzose, Deutscher, Russe. Weitere Traurigkeit kam auf, als Hamel Beide nach dem Klang des 21. Jahrhunderts fragte: nach der sinngemäß oben geschilderten Furcht um die europäische und globale Dissonanz, sprach Gubaidulina den Kontrast zwischen ihrer ruhigen, stillen Musik und der manchmal überquirligen Unterhaltungsmusik an, womit sich der Kreis in die graue Sowjetzeit mit ihrem bunten Inneren schloss.

  • Halffter stimmte dem am Ende zu: „Wahre Freiheit findet sich im Inneren.“ Für ihn überlebt der Mensch in der Erinnerung, nicht in Reliquien, wie z.B. sich mit Cervantes begab, als man vor wenigen Jahren dessen Knochenreste der spanischen Öffentlichkeit zeigte. Es geht nicht um das Greifbare, es geht um den Geist, der einer Sache innewohnt. Er erzählte, wie er als junger Rekrut Anfang der 50er trotz seiner bereits damals hohen musikalischen Ausbildung absichtlich falsch die Becken schlug, so dass man ihn von diesen Aufgaben entband und er an Stelle dessen den Prado besuchte und dort mehr über Kunst und Spanien lernte als im Militär. Oder wie sein preußischer Großvater in Andalusien zu einem Flamenco-Gitarre spielenden Doktor wurde, als der nach Spanien übersiedelte. Oder wie er im Franco-Regime statt wohlfeile Tonalität zu pflegen, zwölftönig komponierte, seine Neue Musik später mit der Tradition verband, so wie er im hier gespielten Quartett seinen Zorn über den Reliquienkult der spanischen Öffentlichkeit mit Cristobal Morales Renaissance-Musik verband.

  • Als das formale klare und emotional auf den Punkt gebrachte 9. Streichquartett Halffters verklungen war, wurden zum letzten Mal die Moosdorf-Protest-Schilder hochgehalten. Der Primarius Stefan Arzberger kam dann, ließ sich die Schilder zeigen und führte ein angeregtes Gespräch, derweil die Anderen des Quartetts nichts dazu sagten. Man muss sagen, Herr Arzberger ist wunderbarer und feiner Mann, mit einem großen Herzen für die Nöte derer, die an diesem Abend ihren Protest über die AfD-Umtriebe des Cellisten äußerten.

  • Nachdem man sich seitens der Akademie um die Proteste Sorgen gemacht hatte, war diese froh über die zurückhaltende Art dessen, die nicht das Konzert an sich störte. Man sprach entspannt und legte sich gegenseitig und anderen Nachfragenden die Motivation dar: möge es kein 2033 geben, wie man es 1933 erlebte. Also nochmals an den fehlenden Klang gemäß Gubaidulina erinnernd: lieber üben, Herr Moosdorf, als zu oft in Berlin zu ackern oder auf Facebook rumzuhängen!

Komponist*in

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4 Antworten

  1. S. Hetzel sagt:

    @Alexander: Vielen Dank für diese ausführliche Konzertbesprechung, die an subtiler Ironie, ja Boshaftigkeit nichts zu wünschen übrig lässt. „Weniger bloggen, mehr komponieren“: Selten habe ich etwas Blöderes gehört.

  2. Dr. Mark Mühle sagt:

    Anm. des Bad Blogs: Ihr Kommentar verstößt grds. gegen die Blogregeln, da Sie Ihre Email nicht bestätigten. Wir schalten Ihren Kommentar dennoch frei. Und fragen Sie nach der „Nazimentalität“ im Text und würden uns über eine ausführliche Begründung dessen freuen. Es wird nur geschildert, was im Umfeld und im Konzert stattfand. Nachdem der Moderator Hamel der Akademie mit dem Augsburger Allgemeine Zitat zur Anti-Kultur-Politik der AfD auch die AfD Moosdorfs kritisierte, Fr. Gubaidulina das Spiel des Quartetts kritisierte, das auch das Quartetts Moosdorfs ist, was also politische Haltung und künstlerisches Auftreten aus Mündern hochrenommierter Künstler bedeutet, zieht der Text hier zurecht die Konsequenz: weniger in Berlin ackern, weniger auf Facebook rumhängen, mehr üben, lieber Herr Moosdorf. Oder einfacher: weniger politisieren, mehr Zeit z.B. in gemeinsame Probe mit der renommierten Komponistin investieren. Nachdem Hr. Moosdorf der Organisator des Quartetts zu sein scheint, muss er für diese Proben-Organisation mehr Zeit finden, zur Not zu Lasten seines politischen Wirkens, wenn Musik noch der Hauptberuf ist. Bei der spürbaren Schwerpunkt-Verschiebung scheint aber doch eher seine Musik der Nebenjob zu sein. Wie hätte er sich sonst auf die Kandidatur um EU-Parlamentsmandat einlassen können, was scheiterte. In Brüssel hätte er viel Zeit verbringen müssen. Und viel Geld verdient: als Abgeordneter – Stand 2014 – netto monatlich 6250,37 Euro von brutto monatlich 8021 Euro nach Abzug der EU-Steuer. Dazu eine Büropauschale von monatlich 4299 Euro, 5 Jahre später als 2019 garantiert etwas erhöht. Damit wäre Cellist in einem Quartett zu sein kein Hauptberuf mehr. Ihnen noch ein schönes Wochenende. MfG, A. Strauch

    Hier der eigentliche Kommentar von Dr. Mark Mühle. Apropos: Herr Moosdorf empfahl in einem Posting auf Facebook vom 1.2.19, mich und meine Blog-Kollegen zu googeln. So googelte ich Sie, verehrter Herr Dr. Mark Mühle. Leider gab mir Google nichts zu Ihrer Identität preis und Sie verwenden mit anonymer Identität entweder Methoden des russischen Geheimdienstes oder wollen uns im Sinne von NS-Behörden Angst machen. Ich befürchte, dass „Nazimentalität“ auf Sie zurückfällt.

    Hier Ihr Kommentar:

    Mit menschenverachtender Nazimentalität einen angesehenen Künstler diffamieren ist kulturlose Niederträchtigkeit. Wünsche eine gute Besserung.

  3. Ivo Bauer sagt:

    Sehr geehrter Herr Strauch,
    als an der Aufführung beteiligter Bratscher kann ich Ihnen versichern, dass Frau Gubaidulinas Aussage, es fehle an Klang, sich einzig auf eine seitens des Quartetts missverstandene Interpretationsanweisung bezog. Das in weiten Passagen notierte „con le dite“ („mit den Fingern“) bezogen wir auf eine perkussive Ausführung mit den Fingern der linken Hand auf dem Griffbrett. Gemeint war, wie ich dem persönlichen Gespräch mit der Komponistin nach dem Konzert entnehmen konnte, ein Schlagen mit der rechten Hand auf die Saite bei links normal gegriffenen Tonhöhen, die ein deutlich gesteigertes Tonvolumen zur Folge gehabt hätte. Anregung an alle Komponisten: Schreiben Sie einfach eindeutig, welchen Effekt Sie meinen, dann ist allen geholfen ;-) Und zum Aufreger taugt die Artikelüberschrift damit eindeutig nicht.

    • Ivo Bauer sagt:

      Übrigens hatte sich zur zeitlich großzügig angesetzten Generalprobe nur Cristóbal Halffter angesagt. Frau Gubaidulina ließ ausrichten, dass sie sich lieber im Hotelzimmer ausruhen wolle. Tja.