Eine Lanze für Frank Schöbel

Eine Lanze für Frank Schöbel

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Neulich fragte mich eine befreundete Musikwissenschaftlerin, ob es “peinliche” Musik gäbe, die mir gefiele. Ich dachte ein wenig darüber nach, wahrscheinlich da es relativ wenig gibt, was mir peinlich ist. Dann fiel mir aber doch ein Stück ein.

Schlager ist wahrscheinlich das Genre, zu dem sich garantiert kein E-Komponist bekennen würde. Ich tue es übrigens auch nicht – Im Mainstream ist Schlager zusammen mit “volkstümlicher Musik” so ziemlich das Schlimmste und Abgefuckteste, was man sich antun kann. Andererseits sollte man nie so arrogant sein zu ignorieren, dass es auch in den verhasstesten Musikstilen authentische Musik geben kann, die ihr eigenes Genre transzendiert.

Frank Schöbels “Wie ein Stern (in einer Sommernacht)” ist quasi der größte Schlagerhit der ehemaligen DDR gewesen. Ich lernte dieses Lied bei meinen Recherchen zu den Toneinspielungen meiner Oper “Linkerhand” kennen. Den Song kannte damals jeder, heute kennen ihn die meisten Wessis nur als Filmmusik in “Das Leben der Anderen”. Auch in der DDR galten die kommerziellen Gesetze, die aus irgendeinem Grund 3 Minuten als Maximallänge für einen Song fordern, daher ist der Song in seiner bekanntesten Version 2:37 lang, was vermutlich auch die (erfolgreiche) Verbreitung im kapitalistischen Westen fördern sollte. Wenige kennen aber die unglaubliche Langversion des Titels (6:19) um die es mir hier vor allem geht. Hans-Georg Schmiedecke schrieb die Musik nach einem eigentlich eher unauffällig sentimentalen Text von Dieter Lietz, es spielt das Orchester Walter Bartel.

Wenn es so etwas wie ein „Citizen Kane“ der Schlagermusik gäbe, also ein alles überragendes Meisterwerk, das „wie ein Stern in dunkler Nacht“ quasi alle meist eher erbärmlichen Versuche anderer Schlagerkomponisten in die Schranken verweist, dann wäre es dieses Stück. Ich finde es tatsächlich ein unglaubliches Stück, und ich stehe dazu. Der simple Satz „Mädchen, ich lieb Dich“ wurde noch nie mit so viel Sinn erfüllt, noch nie so hingebungsvoll und großartig gesungen.

Ich fordere alle Leser auf, sich dieses Stück komplett (in der Langfassung) anzuhören. Was ist das überhaupt für ein Konzept: ein Schlager der sich steigert wie eine Symphonie, voller (langer) Pausen und wiederholten Anläufen, sowie enormen und echten Steigerungen, die sich den typischen Schlagerklischees entgegenstemmen? Hauptinstrument sind zwei Altflöten? Soundmäßig eher an Pink Floyd oder Prog-Rock erinnernd?

Je öfter man den Titel hört, desto mehr liebevolle Details fallen einem auf. Es gibt irre Flangereffekte, die mangels der Effektgeräte in der ehemaligen DDR nur durch das Bewegen des Tonbandes mit dem Finger beim Überspielen möglich waren. Frank Schöbels Stimme wird von einer in den höchsten Lagen singenden Koloratursopranistin 2 Oktaven höher in Terzen verdoppelt. Unglaublich toll auch die letzte Schlusssteigerung, die aus dem harmonisch eher simplen Refrain wirklich das Letzte herausholt.

Kurzum: ich liebe es. Und ich stehe dazu. Ich liebe es, weil es den Menschen die diesen Song machten ernst damit war, und sie ein Höchstmaß an Liebe und Hingabe hineinsteckten. Dem Song fehlt jeglicher Zynismus und Verlogenheit, die sonst oft ein Teil des Schlagergeschäftes ist. Und damit ist es für mich authentische und überzeugende Musik.

Und ich werde den Gedanken nicht los: Wären alle Schlager so, würde man sich nie dafür schämen müssen, Schlager zu hören. Warum können Schlager nicht alle so verrückt sein, 6, 7, ja meinetwegen 8 Minuten lang? Danach würde ich mich sehnen.

Kitsch mit Seele und Herz und Verstand darf und muss es geben, sonst gäbe es kein Pixar, keinen Charlie Chaplin. Man braucht dafür nur ein bisschen Mut und Hingabe.

Eigentlich gar nicht so schwer.

Moritz Eggert