Amerikanisches Tagebuch, 9. Tag

Diesen Sommer verbrachte ich im August 2 Wochen in den USA, diesem seltsamen Land der Widersprüche, Abgründe und dennoch immer wieder auch Hoffnung. Der Grund: Musik. Ich besuchte sowohl die Musikfestivals in Tanglewood als auch in Staunton, Virginia, nur eine halbe Stunde von Charlottesville entfernt. Diese Aufzeichnungen sind eine Fortsetzung meines Komponistentagebuchs, Tag für Tag aufgezeichnet, nun schon in der Vergangenheit, aber nicht sehr weit entfernt von der Gegenwart.

Tag 9

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Sponsoring

 

Wie ist ein Festival wie Staunton in den USA möglich, wo das „National Endowment for the Arts“ kleine Summen für die ganzen USA zur Verfügung hat, die ungefähr dem Kulturhaushalt der Stadt Freising entsprechen?

Natürlich: mit Sponsoren. In keinem anderen Land der Welt sind Privatpersonen so am Kulturerhalt beteiligt wie in den USA. Und hierbei handelt es sich keineswegs allein um Ultrareiche und Millionäre sondern auch um ganz normale Durchschnittsbürger. So ist auch in Staunton jedes Konzert einem „Gönner“ gewidmet, es steht dann „undersigned by…“ auf dem Programm, wobei mancher Spender auch anonym bleiben will. Es wird viel Aufwand betrieben, um die privaten Gönner am Festival zu beteiligen – es gibt ständig irgendwelche „Receptions“, bei denen aufgeregte ältere Damen einen fragen, wie viel man denn am Tag so übe oder ähnliches. Vor jedem Konzert unterhält der stets gut aufgelegte Jason Stell ganze Hundertscharen von meistens Pensionären, die gerne ausführlichen Konzerteinführungen lauschen und danach dann um so begeisterter klatschen. Dann sprechen sie einen an und stellen weitere Fragen.

Man kann keine zwei Schritte in der Konzertpause tun, ohne von dutzenden von Zuschauern angesprochen zu werden. Überhaupt ist es Amerikanern viel wichtiger als Europäern, Künstler direkt nach dem Konzert anzusprechen, zu loben, Fragen zu stellen, etc.. Der typische Konzertbesucher kennt wenig Scheu – schließlich hat er höchstwahrscheinlich selber mit dafür gesorgt, dass das Konzert überhaupt stattfindet.

 

Konzertpause

 

Dieser kleine Film entstand in der Pause vor der zweiten Hälfte des heutigen Konzertes, einer szenischen Realisierung von Stravinskys Pulcinella-Suite mit Orchester. Man sieht ein bisschen den Altersunterschied zwischen den Musikern und Mitarbeitern des Festivals sowie deren Publikum.

Kirchen

 

Wie alle Konzerte fand auch dieses Konzert in einer Kirche statt. Von diesen gibt es in Staunton wesentlich mehr, als die kleine Einwohnerzahl vermuten lassen würde. Es gibt die First Presbyterian Church und – nur wenige Schritte entfernt – die Second Presbyterian Church. Dann gibt es die Methodist Church, die katholische wie auch protestantische Kirche, die Evangelisten, Adventisten….all diese haben Gemeinden, die nur wenige Meter voneinander entfernt sind. Es gibt tatsächlich hunderte von Kirchen in Staunton und seinen Ausläufern. Wenn man die Bevölkerungszahl der ganzen Stadt durch seine Kirchen teilt, kommt wahrscheinlich heraus, dass jede Kirche eine Gemeinde von ungefähr 5 Leuten hat. Natürlich ist das ein Überbleibsel besserer Zeiten, als Staunton das einzige Tor zu West Virginia war und damit ein Handelsmonopol hatte. Umso erstaunlicher, dass alle diese vielen Kirchen nach wie vor in Betrieb sind.

Auch gibt es einiges an Geschichte in dem kleinen Ort – Präsident Woodrow Wilson kam von hier (sein Vater war – wenig überraschend – Pastor in Staunton), auch die Sezessionskriegslegende „Stonewall Jackson“, der versehentlich von seinen eigenen Leuten erschossen wurde. Dennoch war Staunton bei der letzten Wahl fast geeint hinter einem ganz anderen Präsidentschaftskandidaten, als man vermuten würde, nämlich Bernie Sanders. Drumherum allerdings regiert ein anderer: Donald Trump. Dem nach wie vor 75% seiner Fans die Treue halten.

Moritz Eggert

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