Donaueschinger Musiktage 2017/2: Wunderschönes & Weiß nicht & Frauen
Wie ich befürchtete, bin ich nun ausgetauscht. Aber nicht nur ich. Manche Komponisten erkannte man kaum wieder. Zuvor gab es aber was Schönes zu tun: die FEM-Nadel der Fachgruppe E-Musik im Deutschen Komponistenverband wurde im Rahmen der Musiktage im dortigen Rathaus an die – immer noch einzige und erste – wöchentliche Neue-Musik-Konzertreihe im Berliner BKA, die Unerhörte Musik und ihre beiden Gründer und Leiter Martin Daske und Rainer Rubbert verliehen, mit einer sehr ehrlichen und persönlichen Laudatio von Elenore Büning, die das gemeinsame Wirken der Beiden herausstellte, jeden aber auch als autonomen Künstler würdigte. Beide gehören keiner Schule an, machen einfach ihr Ding und eben ihre Konzertreihe, die mit über 1200 Konzerten seit ihrem Bestehen eine erste Plattform für hier lebende Musiker und Komponisten wurde, keine ästhetischen Bedenken kennt und Alles zulässt, was in ihrem Rahmen technisch und künstlerisch möglich ist. Einfach wunderschön!
Wunderschön startete das SWR Vokalensemble und Remix-Ensemble Konzert mit Minnegesang für Vokalensemble a capella von Emmanuel Nunes. Unter der eleganten Leitung von Emilio Pomarico entfaltete sich langsam eine Musik über die Terz e/gis mit eingebetteten Deklamationen aus Texten des frühneuzeitlichen Mystikers Jakob Böhme. Das wurde bis an den Rand der möglichen Spannung aufgefächert, bis dann ein harmonisch homphoner reichhaltiger Block das Werk eigentlich auflöste. Leider ging es dann wieder wie von vorne weiter. Es folgte dann die extrem lange, 65-minütige posthume Uraufführung von Un calendrier révolu – der Eindruck des Minnegesangs war nachhaltiger.
Nach Rennen oder Bustransfer in die Baarsporthalle ging das Orchesterkonzert mit dem SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Ilan Volkov mit Thomas Meadowcrofts The News In Music (Tabloid Lament) für Orchester los. Wirklich witzig reihte es pompöse, angelsächsische Nachrichtensendungen Intromusiken aneinander. Irgendwann war das dann aber auch dem letzten im Saal klar. Die Nachrichtensprecher und ihre irritierten Äusserungen, wenn mal ein Fauxpas im üblichen Infofluss passierte oder der Teleprompter verrückt spielte, sollten das Stück gliedern. Konsequent in der Machart sowie konsequent in der ultimativen Provokation des Musiktage-Fachpublikums mit dem Sound von Werbe- und Filmscoreschnipseln jener Nachrichtenintros. Eine Quintessenz zog das Stück daraus nicht, verklang in sehr langen Liegeklängen der wohl darin zusammengestauchten Intros. Jeder Anflug von Identität aka Positionierung des Komponisten sollte wohl vermieden werden.
Es folgte Berhard Langs Bassklarinettenkonzert DW 28 ‘Loops for Davis’ für Bassklarinette und Orchester mit Jazzcombo. Das war natürlich voll der Identität des Solisten Gareth Davis. Da spielte das Looping auch mit der Form, abwechslungsreicher als bei Meadowcroft. Doch fragt man sich, ob den einzelnen Musikern des Orchesters, die oft nur ellenlang Minifloskeln einwarfen, die traditionelle Virtuosität in The News in Music mehr Spass bereitete. Die Substanz war letztlich gar nicht soweit von Meadowcroft entfernt, statt Hollywood Jazzclub, statt identitätslos personalstilistisch unverkennbar durchdrungen.
Ehrlicher als die Beiden, da auch nur halb so lang mit gut 10 Minuten folgte nach der Pause Øyvind Torvunds Archaic Jam für Orchester mit Elektronik. Da ahmte das Orchester E-Gitarren-Rückkopplungen nach und wellte sanft von einer Rückkopplung zur nächsten, mal folgte das Orchester diesen, mal diese dem Orchester, das die auch mal einpfiff. Kaum begonnen, war es auch wieder vorüber. Mit den beiden anderen verband es die Suche nach dem traditionellen Orchesterklang, von dem sich am stärksten Lang abhob, um dann aber traditionell jazzig zu sein.
Als dann zuletzt Andreas Dohmens a doppio movimento für E-Gitarre, Harfe, Klavier und großes Orchester mit Yaron Deutsch, Andreas Mildner und Nicolas Hodges begann, verließen wie auf ein ausserirdisches Zeichen (doch Bodysnatchers in der City?) circa 30 Hipster den Raum, den sie eigentlich schon vor Start des Abschlussstücks hätten verlassen können. Es war dann das konziseste Werk in Form und dramturgischen Zug, machte ersichtlich Spass und nötigte selbst den verbliebenen Hipsters Anerkennung ab. Das Spiel der drei Solisten war schlichtweg ein Genuß, nur das Klavier war zu global denn monitoral verstärkt. Die Harfenpedalgeräusche von Mildner, was man sonst als zurecht abgefrühstückt betrachten würde, erzeugten ein wunderbares Grummeln, so dass man zuletzt die nur durch die Pedale angeregten Harfensaiten deutlich vernahm. Kritisch könnte man bemerken, dass eben typisch Neue Musik war und dem Musiktage-Tross so die Sicherheit wiedergab, die ihnen Meadowcroft genommen hatte. Letztlich sagte Meadowcroft dann aber doch über unser Heute aus als die letztlich aus der SWR Classic – so die Senderüberschrift auf dem Musiktageplakat – stammenden anderen drei Stücke.
Mit großen Erwartungen dann zu next generation, Konzert II. Es waren drei ambitionierte, hervorragend musizierende Ensembles zu erleben. Das echtzeitEnsemble der Musikhochschule Stuttgart führte unter dem genauso wie Pomarico federleicht schwebenden Dirigenten Christof M. Löser Particles_[Brute force] von Adrian Nagel auf, dem jüngsten der drei Komponisten. Die immer wiederkehrenden Klangchiffren wurden bei Einsatz erweiterter Spieltechniken, die an Rauschen rankamen, mit Videoeinspielungen von Visualisierungen unterschiedlichen Rauschens unterstützt. Das hatte was magisches, wenn auch längliches. Interessant war jedenfalls, wie z.B. der Geiger mit nur 2,5 Seiten 15 Minuten bestritt – waren da doch vielleicht Wiederholungen eingebaut?
Nuria Nunez Hierro erklang zum ersten Mal was von einer Frau, die just lieber ein Stipendium in Rom als ihr Debut live bei den Musiktagen antrat. So nebenbei: wie borniert sind eigentlich diese Residenzstipendien, wenn sie jungen Künstlern leibhaftige Auftritte auf einem der wichtigsten Musikfestivals überhaupt verunmöglichen? Schämt Euch! Unglaublich, wie da staatliche oder private Förderer ihre Pompadour zum Fenster raushängen und sich über das Schicksal ihrer Stipendiaten erheben. Gebt uns einfach das Geld und lasst uns daheim saufen und fressen. So, nun ist die Schlachtplatte verdaut.
Hierros Resilience erklang unter der Leitung von Sven Thomas Kiebler und dem Ensemble der Musikhochschule Trossingen. Auch hier kreisten die immer gleichen Strukturen mobilehaft, waren nicht ganz so entschlackt wie bei Nagel, waren eher zauberhaft als magisch, im Ablauf dafür flüssiger.
Zuletzt kam dann Columbia-Absolvent William Dougherty mit seinen Intersections für Ensemble und Sinustöne zum Zuge, vom Helix Ensemble der Musikhochschule Luzern gespielt. Das war ein spektralistisches Kleinod, wirkte aber auch wie der Ensembleauszug eines Haas-Orchesterwerks. Das war als Betthupferl (kurz vor Mitternacht) ganz hübsch, aber genauso wenig neuartig, wie die beiden anderen Werke. Solide Arbeiten, von Personen, die aber mit 27-37 doch schon was anderes als next generation sind.
So fragt man sich politisch zwei Dinge: warum sind Rubbert und Daske eigentlich mutiger oder können das sein? Warum bekommt nicht mal ein Fünfundzwanzigjähriger das Orchester? Schaut man in die Geschichte der Musiktage, wären gewichtige Werke von Boulez bis Henze nie erklungen. Waren diese mutiger, besser, innovativer als unsere heutigen Jungen? Ich bin mir da nicht so sicher. Die Zeit war die des Aufbruchs nach Verboten, Vertreibungen und Vernichtungen. Davon sind wir Gott sei Dank weit entfernt. Und begabter oder unbegabter sind die Persönlichkeiten allerdings nicht. Nur darf man irgendwie heute weniger Risikos verursachen als damals. Und Junge sind Risikofaktoren, die besser nichts riskieren, bis sie sich brav hierarchisch und in den Besetzungsformaten aufsteigend bewiesen haben. Wie aber kann ein Aufbruch passieren, wenn das System Neue Musik, das Aufbruch als in sich wesenhaft verankert betrachtet, dies gar nicht zulässt? Ich weiß nicht.
Und: Frauen fehlten fast – ein Risikofaktor oder ein quantitatives Problem? Unter jungen Autoren letzteres wohl eher nicht. Ich denke: fordert Euch noch stärker ein, stürmt die Gremien! Selbst in konservativen Parteien gab/gibt es Frauengruppen – nur im Musikleben fehlen sie in den Gesamtorganisationen. Sie gibt es als Nischenische – aber warum fehlt Ihr z.B. im Komponistenverband, bei der GNM, beim DTKV? Es geht ja nicht um Gruppen, die nur für sich existieren. Aber wenn Ihr Veränderungen wollt, dann nicht nur davon reden und letztlich Männerrunden Satzungen gendern und auch entgendern lassen, sondern das selbst mit in die Hand nehmen. Auf geht’s!
Komponist*in
Danke für die nett gemeinte Aufforderung, lieber Alexander. Wir haben das im Fall von Donaueschingen vehement versucht (spwphl für den Frauen- als auch für den Jungenanteil). Und sind damit immer wieder vehement abgeschmettert worden. Sooooo spannend ist denn aber dieses Donaueschingen nun doch nicht, dass man seine Energie in einen solchen Kampf noch weiter hinein buttert. Wenn es Dich interessiert, schreibe ich zum Thema gerne mal einen Artikel. Der wäre dann aber nicht nett ;-) Herzliche Grüsse aus Bern, Barbara Balba Weber
Also dass einen das Rom-Stipendium nicht zu den Musiktagen reisen lässt, ist ganz sicher Blödsinn (oder eine falsch kolportierte Ausrede) – es gibt diese ominöse „Anwesenheitspflicht“ nicht wirklich, aber wenn man grundsätzlich nie da ist, könnte das schon zu einem Stipendienabbruch führen, nicht aber, wenn man einzelne berufliche Konzertreisen macht…Ich habe noch nie gehört, dass irgendein Aufenthaltsstipendium eine Reise zu einer wichtigen Aufführung verboten hat!
Es geht um ein nicht deutsches Romstipendium. Nun, Villa Concordia war zur Zeit der ersten Direktion wohl schon auf den max. 30 Tagen beharrend. Da allerdings in der Villa 2001/02 umgebaut wurde, war ein Fernbleiben unproblematisch. Vielleicht war das hier nur eine Ausrede. Es wurde wo vom Dirigenten ins Publikum gesagt.
Hallo Barbara, auf Facebook wurde es ja grad etwas hitzig. In Fachgruppe E Musik wollen wir Diskutieren, es fehlt tatsächlich Material jenseits der Mitgliederstatistik und Erfahrungen über Besuch von Versammlungen und Besetzung von Gremien. Können wir da sein in Kontakt treten, Themen benennen, Schlüsse für Arbeit ziehen? Ich wäre zu Dank verpflichtet.