Das Ende einer Scheune.

Eine seltsame Stimmung lag über der Stadt. Die Straßen waren noch wie ausgestorben, an diesem frühen, unschuldigen Morgen, an dem wir es noch nicht wussten.

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Haberstock hatte es als erster im Haus erfahren. Er war der erste, der morgens die Treppe heruntergekommen war und die druckfrische Morgenzeitung in den Händen hielt.
Zuerst hatte er es nicht glauben können.
„Das kann nicht sein“ sagte er immer wieder, kopfschüttelnd. „Das kann einfach nicht wahr sein.“
Seine Frau war die zweite, die es erfuhr. Ihre Lockenwickler bebten leicht, was immer nur passierte, wenn sie nervös oder aufgeregt war.
„Nein“, sagte sie einfach nur. Und nochmal: „nein“.

Schon wenige Stunden später wusste es das ganze Haus.

In der Stadt verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Manche Menschen blieben fassungslos stehen, starrten in die Leere. Andere mussten sich erst einmal auf eine Parkbank setzen, um das gerade Erfahrene zu verdauen.

Der Nachrichtensprecherin, die die Nachricht im Fernsehen verkündete, passierte es zum ersten Mal in ihrem professionellen Leben, dass ihr die Sprache stockte. „der….was? Wird abgesetzt? Wirklich?“. Sekundenlang starrte sie mit leerem Blick in die Kamera, bis das eingeblendete Testbild sie erlöste.

Am Nachmittag gab es schon die ersten Protestkundgebungen. Eine aufgebrachte Menschenmenge belagerte das Rathaus, hielt schnell und hastig bemalte Schilder hoch, auf denen die Farbe frisch und verschmiert war.

Auf der großen Allee bildete sich ein Stau. Ein Auto hatte einfach angehalten, vor der grünen Ampel, der Fahrer am Lenkrad in die Leere starrend. Als die ersten anfingen zu hupen, hatte sich ein kleiner Speicheltropfen gesammelt, der langsam sein frisch rasiertes Kinn herunterlief, direkt aus seinem offenen Mund. Der Notarzt stellte Herzstillstand fest. Auf dem Beifahrersatz lag die Morgenzeitung.

Am schwersten traf es die Altersheime. Schon am frühen Nachmittag hatten die ersten Alten begonnen, zu rebellieren. Mit ihren Rollatoren drängten sie auf die Straßen. Sie brüllten keine Parolen, skandierten keine Phrasen, nein, aus ihren Kehlen drang etwas wie ein archaisches verzweifeltes Ächzen, ein tiefer, kehliger Laut ähnlich einem kosmischen Lallen, einem cthulhuiden Stammeln eines tentakelbewehrten alten und längst vergessenen Gottes aus den Tiefen von R’lyeh. Entsetzlich und seelenzerschmetternd war es, dieses Geräusch, das immer mehr zu einem infernalischen Brüllen wurde.

Der Schrei füllte die vibrierende Luft zwischen den Strommasten, hallte von geöffnetem Fenster zu angelehnter Balkontür. Die ersten hatten sich schon aus den Fenstern geworfen und zerplatzten wie reife Melonen auf dem Asphalt, die Arme seltsam belanglos abgewinkelt. Kreischend warfen sich alte verwirrte Weiber auf die Leichen und rauften sich die Haare.

Als am Nachmittag die ersten Krankenwagen ausrückten, hatte die Kanzlerin schon den Notstand ausgerufen. Überall waren Panzer der Bundeswehr zu sehen, doch die Fahrer ließen ihre Gefährte stehen und wanderten durch die Straßen, mit leerem Blick.

Polizisten und Soldaten waren die ersten die sich erschossen, denn sie hatten die dafür notwendigen Waffen zur Hand. Andere richteten die Gewalt gegen andere, gegen Nachbarn, gegen Freunde, gegen Dinge.

Allein in Berlin wurden 10.000 Menschen durch aus den Fenstern geworfene Fernseher erschlagen. Auf den Autobahnen sammelten sich Menschenketten, die bis nach Belgien reichten. Am Abend war in fast allen Großstädten das Chaos ausgebrochen. Zornige Mobs verwüsteten die Stadt, brandschatzten, plünderten. Aber auf dem Land war es noch schlimmer.

Das was alle befürchtet hatten, das wovor alle Angst gehabt hatten, war eingetroffen. Das Unmögliche war geschehen, das Schrecklichste wahr geworden. Nichts mehr würde in Deutschland so sein wie es einmal wahr. Von einem Moment auf den anderen war die Zukunft nicht mehr das verheißungsvolle unentdeckte Land sondern ein kahles und niederschmetterndes Fanal der Trostlosigkeit geworden.

Es war der Tag, an dem Deutschland in seinen Grundfesten erschüttert wurde.
Es war der Tag, an dem jegliche Hoffnung starb.
Es war der Tag des Zorns, des Aufschreis gegen eine immer ungerechter gewordene Welt.

Und das alles. nur, weil diese Schweine vom ORF den Musikantenstadl abgesetzt haben.

Moritz Eggert

Musikantenstadlrot