Komponistinnen – wir brauchen Euch!

Lasst uns heute einmal über Komponistinnen nachdenken. Zappe ich mich 10, 20 Jahre zurück in meine eigene Studienzeit, hätte ich innerhalb von zehn Sekunden nur mühsam fünf Namen von Komponistinnen zusammengebracht: Adriana Hölszky, Kaja Saariaho, Olga Neuwirth, Sofia Gubaidulina, Younghi Pagh-Paan. Mein Kopf wäre hochrot gewesen. Denn damals wurde man von männlichen Professoren in der Mehrheit und auch besonders wertkonservativen männlichen Studenten schräg angesehen, wenn man das Thema Komponistinnen überhaupt anschnitt. Weiblichen Studentierenden des Faches Komposition begegnete man an Musikhochschulen, die im Durchschnitt zwei Kompositionsklassen mit sechs bis acht Studenten unterhielten, nur alle drei oder vier Jahre. Meist waren es dann Frauen, die nicht in Deutschland, genauer West-Deutschland geboren waren. Die oben aufgezählten fünf Namen waren also ganz typisch: vielleicht überwog im Nachwendedeutschland in Vergleich zu anderen Ländern, in denen damals komponiert wurde, die zahlenmäßige Präsenz an Komponistinnen. Von Kindheit in Deutschland aufgewachsene und ausgebildete komponierende Musikerinnen suchte man eigentlich vergebens. Bei Wiederholung der eingangs erwähnten Frage wären mir damals noch Violeta Dinescu, Susanne Erding-Swiridoff, Annette Schlünz eingefallen, wieder keine westdeutschen Namen. Da gab es damals nur Isabel Mundry, Iris ter Schiphorst. Später waren mir als jungen Studenten auch die Namen von Charlotte Seither und Juliane Klein geläufig. Selbst Galina Ustwolskaja war damals noch eine Neuentdeckung. Wenn man Anfang der Neunziger bei Frauen studieren wollte, ging dies spontan beantwortet nur bei Pagh-Paan oder Vivienne Olive. Hölszky, Mundry oder Dinescu wurden erst ab Mitte der Neunziger Professorinnen.

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Und wie sieht es heute aus? Weitere neue Namen von Komponistinnen im Feld der Neuen Musik sind dazugekommen und weitere ältere sind mir bekannter, besser gesagt, bewusster geworden. Ganz langsam scheint es normal zu sein, dass man in jeder Musikhochschule mehrere weibliche Studierende der Komposition antrifft. Blickt man in die Konzertprogramme der Klassenkonzerte, sind sie aber immer noch regelmäßig in der Minderheit, ja, eigentlich nur mit ein bis vier Personen in einer Zahl von durchschnittlich zwölf bis fünfzehn Kompositionsstudierenden pro Hochschule vertreten. Wenn es so wenige gibt, die letztlich wirklich komponierende Berufsanfängerinnen sein werden, stellt sich die Frage, ob zum Beispiel die wenigen Wettbewerbe, die nur für Komponistinnen offen sind, einen Sinn machen. Zwar schufen sie einmal einen besonderen Schutzraum, erhielten durch ihre Einschränkung auf Teilnehmerinnen eine gewisse mediale Aufmerksamkeit im Fachfeuilleton. Aber sie blieben und sind nochmals eine weitere Unternische der Nische Neue Musik. Auch etablierten sie kein System, das ihre Gewinnerinnen mit sicherer Zielstrebigkeit über die Grenzen dieses Subsystems hievten oder mit dem Gewinn eine Eintrittsgarantie für die von Männern dominierten Wettbewerbe und Auftragsmöglichkeiten darstellen. Der Weg auf die Konzertpodien läuft direkt nach wie vor über erfolgreiche Teilnahmen an Ferienkursen, Anschublorbeeren durch Professoren oder Preise wie die Siemensförderpreise sowie Aufträge von Biennalen oder Musiktagen. Aber wie an den Musikhochschulen trifft man bei diesen institutionalisierten Festivals der Rundfunkstationen und öffentlichen Hand nur ein, zwei weibliche Namen. So waren bei der diesjährigen Münchener Biennale und den Donaueschinger Musiktagen unter den „grossen Aufträgen“ überhaupt keine Namen vertreten. Mir ist als Co-Festivalmacher selbst klar, dass man nicht jedes Konzert quotenmäßig mit Frauen wie Männern beauftragen kann, dass es nach wie vor zu wenige komponierende Frauen gibt, dass man wirklich mal in Richtung fünfzig Prozent programmieren kann. Dazu kommt die Schwierigkeit bei Absage einer Komponistin diese Position auch wieder mit einer Komponistin besetzen zu können. Eigentlich ist das die reine Katastrophe, beschämend und erzeugt unnötig Erklärungsnöte z.B. gegenüber Förderern, die natürlich zu Recht immer mehr Komponistinnen fordern. Aber ausser diesem Fordern und feigenblattartigen Fördern singulärer Veranstaltungen, die nur Frauen aufführen und die in letzter Konsequenz nur geschlechtertrennend wirken, statt das Hauptfeld direkt konsequent weiter zu öffnen.

Nach wie vor hat die klassische und die zeitgenössische Musikausbildungsszene in Deutschland das Problem, dass für Dirigieren wie Komposition zu wenige Frauen positiv gefördert werden, diese Berufe zu ergreifen. Zwar gibt es für Frauen, die den Beruf dann hierzulande ausüben, inzwischen Förderung, ist trotz dem letztem Satze im vorigen Abschnitt der Mainstream auf alle Fälle offener als von vor zwei Jahrzehnten. Wer aber davon profitiert, sind Frauen, die entweder durch ihre Familien im In- oder Ausland oder ausländische Bildungssysteme auf Master-/Meisterklassenebene den Weg in den deutschen Markt schaffen. Komponierende, in Deutschland aufwachsende junge Frauen werden in der Kindheits- und Jugendausbildung viel zu wenig gefördert, wahrgenommen. Entweder ist es der reine Zufall oder eine über männliche Gleichaltrige weit herausragenden Begabung, die eine Förderung überhaupt ermöglicht. Ein Problem ist natürlich, dass die gesamte Musikgeschichte als Historie von komponierenden Männern vermittelt wird, auf Frauen explizit verwiesen werden muss, anstatt sie den Kindern erst einmal als selbstverständlich Musik schöpfende Menschen zu zeigen und erst viel später das soziale Problem der Geschlechterrollen zu vermitteln. Macht man grundsätzlich auf Komponistinnen als Ausnahme aufmerksam, so zeigt man mutige Vorbilder. Aber wieviel mehr Mut braucht es dann, sich als mutige junge Frau zu zeigen, die die männliche Gleichaltrigen- und Vorbildsdominanz überwindet? Das mag verzerrt erscheinen, sollte aber nicht aus den Augen verloren werden. Das Schönste wäre, vor allem Musik machende und schreibende Menschen und nicht dies in erster Linie vollführende Geschlechter zu vermitteln. Wer über Programmmusik spricht, muss auch über Amy Beach sprechen, wer über französische Musik lehrt sollte die beiden Boulangers nicht vergessen. Wer über Richard Wagner als Festspielgründer nachdenkt, sollte Cosima als Festspielleiterin nicht auslassen. Wer Mahler durchnimmt, sollte sein Komponierverdikt für Alma Mahler nicht verschweigen. Es gilt einerseits den bereits erungenen Normalzustand zu erhalten und auszubauen, andererseits den Geschlechterkonflikt so aufzubereiten, dass nicht weiter latente Schranken erhalten bleiben. Letztlich kann man den Kolleginnen nur zurufen: bleibt dran und bereichert uns. Und lasst uns alle vor allem Musik machende Menschen sein!

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Komponist*in

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6 Antworten

  1. Ergänzend: u.a. folgende Institutionen beschäftigen sich mit Komponistinnen, darunter v.a. das weltweit größte & bedeutendste Archiv für Musik von Frauen mit mehr als 24.000 Medienheiten, das Archiv Frau und Musik in Frankfurt/Main (http://www.archiv-frau-musik.de), mitten im Herzen von Deutschland, das aber nach Finanzstreichungen noch immer massiv in seiner Erhaltung bedroht ist!

    Der Verein musica femina münchen e.V. (http://www.musica-femina-muenchen.de) beschäftigt sich ebenfalls seit jetzt 26 Jahren mit der weiblichen Seite der Musik & fördert v.a. Komponistinnen aus dem Münchner Raum. Als Mit-Vorsitzende dieses Vereins halte ich am 3. Dez. im Stadtmuseum München einen Vortrag zur ersten Schönberg-Privatschülerin Vilma von Webenau, in dem 4 ihrer Werke als wohl deutsche Erstaufführungen nach rund 80 Jahren der Vergessenheit erklingen werden. Mit im Vortrag beleuchtet: die mehr als 50 (!) bislang von der Forschung verschwiegenen Kompositionsschülerinnen Schönbergs (Dunkelziffer wohl beträchtlich höher)…

    Der Furore Verlag (http://www.furore-verlag.de) gibt rein Kompositionen von Frauen heraus, div. Wissenschaftler/innen kümmern sich um die Aufarbeitung all des verschwiegenen, verkannten & unterschätzten Wissens, z.B. MUGI – Musik und Gender im Internet (http://www.mugi.hfmt-hamburg.de/) und auch ich, weil es mich immer wieder so wütend macht, all diese wunderbare Musik NICHT zu hören (http://www.susanne-wosnitzka.de)

    Div. Aktionen wie „wenigstens/mindestens ein Werk einer Komponistin in jedes Konzert“ sind wichtig…Komponistinnen müssen als Wegbereiterinnen auch unbedingt ins pädagogische Konzept an den Schulen…& es könnte so einfach sein, wenn man von all diesen Institutionen wüsste…leider haben auch viele Musikverlage die Strömungen der Zeit verpasst, weil man auf deren Suchseiten oft nur das Schlagwort „Komponist“ eingeben kann…sucht man hingegen nach „Komponistin“, erhält man oft 0 Treffer, & an dieser Stelle hören Laien & in der Recherche nicht so geschulte Menschen mit der Suche auf – auch das trägt zur Unsicht- & Unhörbarkeit von Komponistinnen bei.

    Hinzu kommt noch nicht nur das in den Printmedien so beliebte gen. Maskulinum: wenn dauernd rein von „Komponisten“, „Künstlern“, „Architekten“ die Rede ist, sind schaffende Frauen nicht „mitgemeint“, sondern gehen schlicht unter.

  2. Komponistinnen, ‚wir‘ brauchen ‚euch’…

    Ja? – Wofür?
    Und wer ist ‚wir‘?
    Und, pardon: Wer spricht eigentlich hier?

    Vor allem – für wen?
    Das sollte hier steh’n.

    Brauchen und strauchen, gebraucht oder neu, die Jungen die Alten, die ohne Falten,
    Wer oder was und auch bitte, warum…
    danke dir trotzdem, sei es drum ;-) .

    Und hier noch ein ernsthafter Beitrag zur Sache:

    WER IST HIER HERR IM HAUS? ODER DIE MAGISCHEN 13%

    http://www.klangzeitort.de/index.php?page=neuemusikimdiskurs.html

  3. Max Nyffeler sagt:

    Es gibt noch manche Frauen, die komponieren können, nur scheint es eben eine sehr merkwürdige Wahrnehmungsfrage zu sein. Diese hier zum Beispiel wird seit Jahren in Deutschland mit System übersehen: http://www.bettina-skrzypczak.com

  4. Guntram Erbe sagt:

    Hm, und wie geht die musikalische Praxis und Öffentlichkeit mit Komponisten/Komponistinnen wie Karl/Kerstin Thieme um?
    Er war mal mein Lehrer, und ich sah sie später (viel zu spät) als verehrte Dame wieder.

    http://www.kompositionen-thieme.de/

  5. Strieder sagt:

    @Strauch: Hier muss ich aber nochmal auf diese Milchbübchenrechnung hinweisen bei der Du sagst, es gäbe für 50/50 Festivals bzw. Konzerte nicht genug komponierende Frauen (das mit der Absage wirkt geradazu wie ein Witz) …:

    Es gibt unzählige KomponistInnen (ich selbst lerne ständig neue, grossartige Komponistinnen kennen – umgucken muss man sich schon in einer Welt in der fast nur Männer sichtbar sind!) … Du brauchst doch für ein Festival mit 10 Komponisten nur 5 Komponistinnen, nicht 100!?

  6. Erstaunlicherweise passierten mir die Absagen von Frauen in den letzten Jahren immer in den Programmen, die genau den regionalen Aspekt zugrunde hatten, also aus Münchenbezug mitbringen. Da half mir die ganze Netz- und Listenrecherche nichts, gar nichts. Und wenn dann noch ästhetische, genretypische Dinge eine Rolle spielten, war es genau dann einfach aus. Bei Männern ist es nicht viel einfacher bei solchen Eingrenzungen. Nur da fällt dann der Ausfall Geschlechter typisch nicht auf. Und: ja, ich hätte gerne 100 Komponistinnen wie Komponisten zur Auswahl.

    Deshalb ist es ja wunderbar, dass es immer mehr Frauen gibt, die Komposition studieren. Aber wie gesagt: wenn es um hierzulande von Kindesbeinen ausgebildete Komponistinnen geht, würde der Mangel viel stärker an Frauen an den Hochschulen in Komposition auffallen, wenn nicht aus anderen Ländern Frauen die Klassen bereichern würden. Hier, wo man denkt die Neue Musik erfunden zu haben, wo Darmstadt die wichtigste Jugendbörse liegt, hier werden noch viel zu wenig Musik begabte Schülerinnen und Studentinnen bestärkt, ihren kompositorischen Interessen stärker nachzugehen. Als komponierender Mann von hier kann man durchaus nachlässig sein und doch weit kommen. Komponierende Frauen von hier sind bzw. müssen immer Überfliegerinnen sein, begabter, besser ausgebildet, taffer, schlagfertiger als ihre Kollegen. Komponisten gesteht man jegliche Form von Krisen zu, zeigt Verständnis, bei Frauen beim kleinsten Problem Unverständnis. Die Komponistinnen-Welt ist viel weniger rosig, unnachtragender als man es sich so gerne zurechtlegen mag, um den Fortschritt zu bejahen. Ich sehe das eher negativ, lieber Strieder. Wie gesagt: Komponisten mit psychischen Problemen bekommen sogar noch einen Heiligenschein mehr, Frauen in ähnlichen Lagen wird nichts verziehen…