Henzes Utopien

Wenige wissen, dass Hans Werner Henze ausser der Münchener Biennale für Musiktheater in München noch zwei andere wichtige Musikfestivals ins Leben rief. Das eine ist der Cantiere d’arte  („Kunstwerkstatt“) in Montepulciano, den es bis heute gibt, allerdings in einer sehr veränderten Form im Vergleich zu früher. Dieses Festival und die Stadt Montepulciano sind vielen Toskanabesuchern natürlich wohl vertraut.

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Das andere war das Jugendmusikfest in Deutschlandsberg (Österreich), das sich aus dem Umfeld des Steirischen Herbstes entwickelte. Man muss sagen „war“ – das letzte Jugendmusikfest fand 2004 statt. Beiden Initiativen gleich ist die sozial engagierte Idee dahinter.

In Italien wollte Henze (1976) beweisen, dass Menschen aus allen Schichten, auch den kulturell nicht vorgebildeten, zeitgenössische Kunst nahe gebracht werden kann, ja, dass in den Bewohnern eines kleinen Dorfes in der Toskana Talente und Begabungen für eigenes künstlerisches Schaffen schlummern, die nur leidenschaftlich erweckt werden müssten. Dieser Idee widmete sich Henze viele Jahre lang mit großer Leidenschaft – er lud bekannte Künstler aus aller Welt ein, die umsonst Konzerte und Meisterkurse gaben und neue Stücke komponierten. Die Dorfbewohner sangen im Chor oder spielten im Orchester, erfanden auch ihre eigene Theaterstücke, spielten in den Opern mit. Viele Jahre lang hatte das einen ganz besonderen Charme,  dem man sich kaum entziehen konnte, aber es war auch ein Kampf dahinter, der sehr an Henze und seinen vielen ebenso engagierten Helfern zehrte, denn jedes Jahr musste man quasi mit der Beschaffung von Ressourcen wieder von vorne beginnen.

Deutschlandsberg wiederum entstand 1984 aus einem ganz ähnlichen Impetus, diesmal allerdings mit einer besonderen Konzentration auf Kinder und Jugendliche. Unermüdlich engagierte Henze sich in den Kompositionswerkstätten und Konzertprojekten, unterstützt von bedeutenden österreichischen Kollegen wie z.B. Gerd Kühr, Künstlern wie Elfriede Jelinek und Wolfgang Bauer und natürlich der treuen Festivalleiterin Barbara Faulend-Klauser. Jedes Jahr wurde unter ein besonderes Thema gestellt, wobei die Jugendlichen und Kinder stets an der Ausarbeitung und Präsentation der Konzerte direkt beteiligt wurden. Eine gewisse Olga Neuwirth machte als Kind dort schon mit!

Man muss Henze schon bewundern – in den Achtziger Jahren betrieb er quasi diese drei Festivals zeitweise parallel: im Frühjahr die Biennale (wenn auch nur alle 2 Jahre), im Sommer den Cantiere, und im Herbst Deutschlandsberg. Ob alle seine Träume von der heilenden künstlerischen Kraft der Unschuld in Erfüllung gegangen sind – wir können ihn das nicht mehr fragen. Sicherlich nicht alle. Aber man muss feststellen, dass heute seine Visionen fast Alltagsgeschäft sind – es gibt inzwischen kaum ein Musikfestival, dass sich nicht intensiv mit Jugendarbeit oder der Erschliessung neuer Publikumsschichten beschäftigt. Das hat sich sicherlich seit den Siebziger und Achtziger Jahren geändert.

Warum ich an all dies erinnere?

Weil die Musikwissenschaftlerin Irene Suchy ein wunderschönes Buch über Deutschlandsberg zusammengetragen hat, das die Rolle der vielen Freunde und Förderer des Festes beleuchtet und alle dort aufgeführten Werke dokumentiert. Das Buch ist in der Edition Ausblick erschienen und ist hier erhältlich. Ich kann es jedem nur ans Herz legen!

Über Montepulciano gibt es nichts dergleichen. Lange hielt dort noch der Henze-Schüler Detlev Glanert den Ideen des Meisters die Treue, heute ist dort der französische Dirigent Vincent Monteuil Chef. Wer mehr wissen will, muss sich mit diesem kleinen wikipedia-Eintrag begnügen.

Um so besser, dass wir dieses schöne Buch über Deutschlandsberg haben!

Moritz Eggert (auch mal in Deutschlandsberg zu Gast, 2002 war’s…)

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