Wie ich einmal (fast) Letzter in einem Schwimmmarathon wurde

Wie ich einmal (fast) Letzter in einem Schwimmmarathon wurde

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Alle Musizierenden kennen diesen Traum: Man kommt auf eine Bühne, bekommt ein Instrument in die Hand gedrückt das man nicht spielen kann, bekommt Noten vorgesetzt, die man noch nie gesehen hat, die Dirigentin gibt einen Einsatz und…

Meistens ist das nur ein Traum, aber für mich wurde es Wirklichkeit. Und dennoch wurde es ein wunderschönes Erlebnis!

Aber von vorne: Vor 5 Monaten bekam ich anhaltende Probleme mit einem Piriformis-Syndrom (Läufer werden wissen, was das ist) und meine liebste Physiotherapeutin Resi Streng gab alles, um mich wieder auf die Beine zu bekommen. Jeden Tag machte ich ihre Übungen, aber leider ging der Schmerz erst einmal nicht weg, denn Schuld waren einige ganz grundsätzliche Haltungsprobleme, die man nicht von einem auf den nächsten Tag bereinigt. Einige Wettkämpfe musste ich absagen und mit Laufen war erst einmal Pause.

Mein Couch Doug Stewart gab sich alle Mühe mich fitzuhalten, und verschrieb mir ein paar Schwimm-Sessions, meistens eine gesunde Workout-Form bei Verletzungen, um die Grundfitness zu erhalten. Brav schwamm ich also im meistens überfüllten Münchner Schyrenbad meine Bahnen, brustschwimmend natürlich. Schwimmen hatte mir schon immer Spaß gemacht, aber ich hatte das nie trainiert. Als Kind hatte ich bis zum Alter von ca. 6 oder 7 Jahren soliden Schwimmunterricht und kann mich düster sogar an einen Wettkampf erinnern (bei dem ich fast ersoff), dann nahm mich aber meine Mutter aus dem Training, da ich ständig mit einer Mittelohrentzündung nach Hause kam. Das wars dann schon mit meiner gesamten Schwimmerfahrung, ansonsten schwamm ich wie jeder andere Mensch ein paar Züge im Strandurlaub, vielleicht ab und zu auch mal eine kurze Kraulstrecke von maximal 10 Metern.

Wie es Sportler so machen, stoppte ich natürlich meine Zeiten im Schwimmbad, ohne dabei viel zu erwarten. Mit jeder Session wurde ich ein kleines bisschen schneller, weil ich mich wieder an die Züge gewöhnte, und baute bei jedem Training auch immer ein paar Bahnen Kraulen mit ein. Auch dabei wurde ich immer schneller, bis ich beim Vergleich der Zeiten auf einer Triathlonseite herausfand, dass ich zumindest Durchschnitt in meiner Altersklasse war und grundsätzlich den Schwimmpart eines Triathlons bewältigen könnte, wenn natürlich auch relativ gemächlich, aber immerhin.

Nebenher recherchierte ich im Internet Schwimmvideos, um die Feinheiten der Schwimmtechnik wieder zu erlernen, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr poliert hatte. Genau dies führt bei gleichzeitiger Benutzung von Facebook dazu, dass man plötzlich lauter Werbung für Schwimmevents bekommt. Irgendwann stand da plötzlich „Ultra Swim 33.3“, was mich als Ultraläufer natürlich neugierig machte. Aha, 33.3 Kilometer schwimmen an der schönen Küste in Montenegro. Was das für eine Strecke war, konnte ich kaum einschätzen, da ich bis dahin noch nie länger als 1-2 Kilometer geschwommen war. In einem Anfall von Leichtsinn meldete ich mich an.

Sehr schnell merkte ich, dass es sich um eine sehr aktive Community handelte, die sich für diesen Wettbewerb beworben hatte. Ich bekam gleich zahlreiche nette Mails, unter anderem von einem Michael Dieckmann aus München, der mir auch gleich anbot, mal im Dantebad ein paar Runden zu schwimmen. Ich glaube dieses Treffen diente auch dazu festzustellen, ob ich überhaupt schwimmen konnte, denn eine der Bedingungen für dieses Event war, 2,5 km in einer Stunde schwimmen zu können (was mir so gerade gelang). Wir starteten also gemeinsam eine Bahn, ich sah sofort nur noch seine Beine, kurz darauf kam er mir schon wieder entgegen. Vom Ende einer 50 Meter Bahn!

Ich merkte also schnell, dass ich vielleicht noch ein bisschen trainieren sollte. Mein Coach erstellte mir einen Plan mit 4-5 Schwimmtrainings pro Woche und ich wurde ein regelmäßiger Gast im Schyren- bzw. Südbad. Nebenher beschäftigte ich mich intensiv mit dem Thema Schwimmen.

Zu keinem anderen Sport gibt es so viele Videos und Informationen im Internet. Es gibt einstündige Videos allein darüber, wie man den kleinen Finger seiner linken Hand hält beim Kraulen, so detailliert kann das werden. Da Schwimmen so ziemlich die langsamste Fortbewegungsart ist, die dem Menschen sportiv möglich ist, ist schon eine Verbesserung um eine Sekunde auf 100 Meter ein Riesenerfolg.

Ich machte langsame Fortschritte und fand vor allem heraus, dass langes Schwimmen mich grundsätzlich nicht belastet und ich mich danach auch fit und ohne Schmerzen fühlte. Das war schon mal hoffnungsvoll, denn natürlich kann man beim Schwimmen auch alles Mögliche falsch machen, sehr beliebt sind zum Beispiel Schmerzen in der Schulter.

Ich wurde ein wenig schneller, aber irgendwann erreichte ich eine Art Plateau und wurde sogar wieder langsamer. Wahrscheinlich, weil ich zu viel nachdachte, um möglichst alles perfekt zu machen. Tausende von Bewegungsabläufen schwirrten mir im Kopf herum, darunter auch vollkommen gegensätzliche, denn es ist nicht so, dass Schwimmcoaches sich absolut darüber einig sind, was einen perfekten Kraulstil ausmacht. Kopf nach unten oder geradeaus? Einer-, Zweier-, oder Dreierbeinschlag? Hoher Ellbogen oder mehr seitwärts? Je mehr ich an meinen Bewegungen zweifelte, desto langsamer wurde ich.

Irgendwann war es so weit und ich bestieg das Flugzeug. Ich hatte keinerlei Hoffnung auf einen der ersten Plätze, dazu waren die anderen Schwimmer sicherlich zu erfahren, vor allem, was das Schwimmen im offenen Meer angeht, das noch einmal ganz andere Herausforderungen bietet. Aber das Event war auch ein bisschen so angekündigt, dass auch Hobbyschwimmer ihren Spaß haben sollen (nun gut – welche „Hobbyschwimmer“ schwimmen mal eben 33,3 Kilometer in 4 Tagen), und ich dachte mir, dass ein Platz im unteren Mittelfeld eine schöne Sache wäre.

Da hatte ich mich sehr getäuscht.

Blau soweit das Auge reicht

Am ersten Tag standen zwei Strecken an, einmal 4 Kilometer, dann direkt danach noch einmal 5 Kilometer. Wir reihten uns also an einem Pier vor unserem Hotel auf, mit unseren kleinen rosa Schwimmbojen (um identifizierbar zu sein für Schiffe) und türkisen Badekappen. Ich hatte auch ein Wetsuit an – eigentlich nicht nötig, da ich mit Kälte nicht schlecht umgehen kann – aber beim Training hatte ich festgestellt, dass ich damit ein wenig schneller war, da es mir mehr Auftrieb und Wasserdynamik verlieh.

Mein erster Schwimmwettbewerb stand bevor und ich hatte keine Ahnung, wie man sich verhalten müsste. Gleich schnell und riskieren, außer Atem zu kommen (ziemlich ätzend im Wasser)? Mein Coach hatte mir erst einmal geraten, das Feld ziehen zu lassen, da man im Gewimmel von über hundert Schwimmern zu viel Energie verbrauchen würde.

Das Startsignal kam und wir sprangen ins Wasser. Innerhalb von Sekunden war ich umgeben von lauter tretenden Beinen und Armen, ich verstand sofort, was Doug gemeint hatte. Ich startete mit einem schnellen Zweierzug und hielt erst einmal gar nicht so schlecht mit. Langsam lichtete sich das Feld und ein Schwimmer nach dem anderen zog davon. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass ja vielleicht auch noch ein paar hinter mir sein könnten.

Im offenen Meer gibt es drei Riesenprobleme: zuerst einmal natürlich Seegang – je nachdem woher die Wellen kommen, können sie einem beim Atmen einfach in den Mund schwappen, was eventuell sehr unangenehm sein kann, vor allem, wenn man das Wasser schluckt.

Dann die Sichtung: bei einer Wettkampfstrecke gibt es immer aufblasbare Bojen, die einem bestimmte Wegpunkte weisen. Dreiecke müssen umschwommen werden, verbunden mit einem Richtungswechsel. Kugeln muss man nah passieren und Würfel zeigen das Ziel an. Nur hat man seinen Kopf nur Millimeter über dem Wasser, da kann dann schon mal etwas dazwischen sein in der Sichtlinie, meistens eine Welle. Wenn man dann auch noch schlecht sieht wie ich, ist es oft nicht ganz klar, wo man hinschwimmen muss.

Schließlich gibt es noch die Strömung, die man oft nicht bemerkt. Ohne, dass man es will, wird man in irgendeine Richtung gespült, die nicht unbedingt die richtige ist. Man muss also dagegen anarbeiten, schwimmt also nicht gerade Linien, sondern eher eine Art Zickzack.

Mit all diesen Dingen kämpfte ich natürlich, aber nicht immer erfolgreich. Wir Schwimmer wurden von Kajaks begleitet, die aufpassten, dass niemand verloren geht. Immer wenn ein Kajak direkt neben einem auftaucht, wusste man, dass man in Tendenz in die falsche Richtung schwamm. Sagen wir mal so: Ich wurde sehr vertraut mit den verschiedenen Kajaks in den nächsten Tagen, wir waren quasi per Du. Meistens nahmen mich zwei in die Mitte, so ein bisschen, als ob man einen Hund an die Leine nimmt.

Ausdauermäßig kam ich mit der ersten Strecke nicht schlecht zurecht, fröhlich streckte ich mit jedem Zug meinen Arm nach vorne und genoss das kurze Gleiten, das einem Gelegenheit gibt, die Arme etwas auszuruhen und vielleicht auch einen Blick auf das Unterwasserleben zu erhaschen.

Inzwischen war es recht einsam geworden um mich herum, aber es tauchte dann doch eine Schwimmerin auf. Sie kraulte aber nicht, sondern schwamm Brust, unter Schwimmern bekannt als anspruchsvoller aber eben nicht sehr schneller Schwimmstil. Mühelos überholte sie mich, und so langsam wurde mir klar, dass vielleicht doch niemand mehr hinter mir war.

Als ich am Zielstrand ankam, durch ein kleines aufblasbares Portal schwimmend, waren alle anderen Schwimmer schon da. Alle? Nein, kurz hinter mir kam sogar noch eine Dame an. Nun gut, ich schob das auf meine Unerfahrenheit und versuchte die Pause zu nutzen, um mich zu stärken. Kaum hatte ich mich an einen Tisch gesetzt und ein Glas Wasser an die Lippen gehoben erklang aber schon wieder das Signal für die nächste Etappe. Kein Wunder: Ich hatte über 2 Stunden gebraucht, und jetzt ging es schon wieder los!

Also direkt wieder ins Wasser – diesmal überquerten wir einen Kanal mit starker Gegenströmung. Im Gegensatz zum ersten Start fühlte ich mich sehr bald einsam, absolut niemand war um mich herum zu sehen. Ich schwamm fröhlich meine Glide-Technik, die sich gesund und gut anfühlte. Irgendwann erreichte ich die andere Seite und bewegte mich an der Küste entlang, begleitet von meinen Freunden, den Kajaks. Dass ich nicht sehr schnell war, bemerkte ich daran, dass meine Kajak-Fahrer irgendwie gelangweilt in ihren Booten saßen und auf ihren Handys Spiele spielten. Hatte ich mich dann ein paar Meter weiterbewegt, bewegten sie kurz ihre Paddel und waren gleich wieder neben mir.

In wieder einmal über 2 Stunden kam ich am Ziel an, nicht besonders erschöpft, aber als ich tosenden Applaus am Ufer bekam, war mir sofort klar, dass ich der Allerletzte gewesen sein musste. Alle fragten mich, ob ich ok sei, ich konnte nur sagen, dass ich mich wunderbar fühlte, aber dass ich der Letzte im Ziel gewesen war, hatte mich dann doch überrascht. Wo waren die Hobbyschwimmer? Wo waren die Anfänger? Waren die alle schneller? Wenn man es genau nahm, war ich natürlich auch ein Hobbyschwimmer, ich hatte ja gerade erst vor 5 Monaten angefangen, überhaupt zu schwimmen.

Man muss sagen, dass die Community der Schwimmer wie auch die Organisatoren alles taten, um mich positiv zu unterstützen. Mark Turner, der Erfinder des Events, munterte mich immer wieder auf mit den Worten, dass die meisten Menschen dieses Planeten so ein Event überhaupt nie bewältigen würden, und dass allein schon das Antreten eine Art Sieg sei.

Er hatte natürlich Recht, aber dennoch…obwohl ich ohne großen Ehrgeiz in den Wettbewerb gegangen war, und es eher als eine Art erste Erfahrung im offenen Meerschwimmen verbuchen wollte, genau jetzt wurmte es mich doch. Was machte ich falsch? Ich fühlte mich fit, auch die Ausdauer war ok, aber warum war ich so langsam?

Mark Turner erklärt die Regeln des Wettbewerbs

Plötzlich zeigte mir jemand lachend auf meine Schwimmboje, die wie ein schwerer Sack herunterhing. „Kein Wunder, dass Du so langsam bist“ sagte Matt, einer der Schwimmer, und zog eine vollgefüllte 1,5 Liter-Aluminiumwasserflasche hervor, die ich naiv hineingepackt, aber nie benutzt hatte. „Das sind 1,5 Kilo, die Du hinter Dir herziehen musstest!“. Alle lachten, und mir stieg die Schamesröte ins Gesicht. Hiermit hatte ich einen perfekten Beweis für meine Unerfahrenheit gegeben. War aber in Ordnung, ich war ja tatsächlich unerfahren!

In vielen Gesprächen mit meinen durchweg sympathischen Mitschwimmern bekam ich immer mehr heraus. Zuerst einmal stellte ich fest, dass ich in einer neuen Art von Schwimmevent gelandet war, der die Weltelite der Schwimmer anzog. Unter den Teilnehmern waren einige der besten Schwimmerinnen und Schwimmer der Welt, die schon zahlreiche Preise gewonnen und Rekorde gebrochen hatten. Alle schwammen schon seit Ewigkeiten und seit frühester Jugend, waren durch nationale Förderprogramme gefördert worden und gingen täglich 1-2x trainieren (mindestens). Selbst mein Münchener Freund Michael war einer der besten Schwimmer seiner Altersklasse weltweit, hatte zahllose Meisterschaften gewonnen und führte jeden Tag das Feld an. Gegen diese Schwimmer fühlte ich mich ungefähr so kompetent, wie wenn man mir eine Geige in die Hand drückte und verlangte, ich sollte jetzt ein Violinkonzert spielen.

Also gar nicht.

Ja, es gab auch einige ganz wenige Anfängerinnen und Hobbyschwimmer, aber diese nahmen gar nicht am großen Wettbewerb teil, sondern schwammen entweder im Duo oder die „Experience“, also nur kleine Teilstrecken. Und selbst diese waren erfahrener (und schneller) als ich.

Am Nachmittag hatte ich eine Einzelstunde mit einem der besten Schwimmcoaches der Welt, Paul Newsome (der so nebenher auch noch ganz vorne mitschwamm und später den ersten Platz in der „Skins“-Kategorie – also ohne Wetsuit – errang, während Michael den ersten Platz in der Wetsuit-Kategorie schwamm und auch noch die schnellste Zeit erreichte).

Paul schaute sich meine jämmerlichen Züge auf Video und in Zeitlupe an und zeigte mir, dass mein wahrgenommenes Gleiten meistens darin resultierte, dass ich meine beiden Hände einfach gleichzeitig vorne ließ und damit Bewegungsenergie verlor. „Ich will Dir gar nicht viel sagen, weil Dich das nur verwirren würde“, sagte Paul, „aber achte darauf, dass Du einfach früher mit dem linken Arm Wasser fasst“.

Als wir am sehr frühen Morgen an einem weiteren Strand in Montenegro standen, nahm ich mir seinen Rat zu Herzen. Wie ein Wahnsinniger ließ ich die linke Hand sofort arbeiten, wobei ich natürlich die rechte hängen ließ. Aber auch dagegen gab es ein Rezept: einfach auf der anderen Seite atmen, denn dann machte ich anscheinend alles richtig. Begleitet von meinen Freunden den Kajaks schwamm ich tapfer an der Küste entlang, diesmal war die Strecke knapp 8 Kilometer, also etwas härter und am Stück.

Leider merkte ich irgendwann, dass entweder links oder rechts von mir ein Kajak auftauchte, und zwar je nachdem, auf welche Seite ich atmete. Das konnte nur eins bedeuten: wenn ich links atmete, driftete ich nach links, wenn ich rechts atmete nach rechts. Ich machte meine Strecke also sinnlos länger, obwohl ich vielleicht sogar etwas schneller schwamm als am Tag zuvor.

Als ich die Food Station erreichte (ein Boot im Wasser in einer Bucht) schaute ich zurück: war ich wieder der Letzte? Nein, hinter mir schwamm noch jemand! Beseelt schwamm ich weiter, vielleicht bestand noch Hoffnung.

Auch an Schiffswracks wurde vorbeigeschwommen

Die folgende Strecke war besonders schwer – gegen starke Gegenströmung schwamm man wie in Zeitlupe auf das Ziel zu. Inzwischen hatte ich herausgefunden, dass ein Dreierzug, bei dem man abwechselnd links und rechts atmete, dafür sorgte, dass ich einigermaßen gerade schwamm. Aber es nützte alles nichts – obwohl ich Schwimmer hinter mir wähnte, war ich wieder der Letzte, das lag allerdings daran, dass einige aufgegeben hatten, wie ich später erfuhr. Also war ich zwar einerseits der Letzte, dann aber wieder doch nicht.

Dennoch, der Tag hatte sich insgesamt besser angefühlt. Und das nun folgende lockere 1,9 Kilometer-Schwimmen um eine Hotelinsel, die direkt aussah wie aus einem James Bond-Film, machte sogar richtig Spaß. Diesmal wurde ich immerhin Drittletzter, aber da diese Strecke nicht zeitgemessen wurde, waren nicht alle volle Power geschwommen.

Inzwischen hatte ich einige Probleme mit sowohl meinem Wetsuit, den an meinen Händen befestigten Timern und meiner Sportuhr bekommen. Im Salzwasser reibt das alles an immer denselben Hautstellen und es bilden sich Abschürfungen bis hin zu offenen Stellen. Diese werden dann durch das Salzwasser immer wieder neu gereizt, ein Teufelskreis also, der in immer schlimmeren offenen Wunden resultiert, selbst wenn es am Anfang nur ein kleiner Kratzer war.

In der Zwischenzeit sah mein Hals so schlimm aus, dass mich jeder der mich sah, sofort bemitleidete. Gottseidank konnte ich es selbst nicht sehen, ansonsten wäre ich vermutlich ohnmächtig geworden. Meine Handgelenke anzuschauen war schon schlimm genug. Inzwischen scherzte ich schon, dass ich aussah wie ein mehrfach gescheiterter Selbstmörder – Hängemale am Hals und Schnittmale an den Pulsadern. Nachts wälzte ich mich stundenlang herum, um eine Position zu finden, in der nicht irgendeine wundgescheuerte Stelle mit dem Laken in Berührung kam.

Am nächsten Tag stand die längste Strecke an: 10 Kilometer. Mehr oder weniger direkt an der Küste entlang, ohne Kanalüberquerung. Die Länge machte mir keine Sorgen, dafür aber natürlich meine Geschwindigkeit. Ich schwamm motiviert los und versuchte die Lektion vom Vortag noch besser umzusetzen. Irgendwann merkte ich, dass ich nach wie vor versuchte, mit den Armen sehr viel Druck im Wasser auszuüben, in der irrigen Vorstellung, dass mehr Kraftaufwand einen auch schneller macht. Ich versuchte also einen eher leichten, aber dafür schnelleren Schlag mit möglichst kurzer Zwischenatmung, und das fühlte sich richtig gut an! An der ersten Food Station saß Andy Donaldson, einer der besten Schwimmer der Welt und Rekordhalter in Kanalüberquerungen (Ocean’s 7). „Ich möchte, dass Du Deine Arme mehr beugst, dann hast Du mehr Kraft“ sagte er einfach nur. Ich versuchte, das gleich umzusetzen, und tatsächlich: ich war wieder ein wenig schneller als vorher.

Jetzt machte das Schwimmen trotz der langen Strecke richtig Spaß und es fühlte sich wie eine Art Epiphanie an. Ich war nach wie vor nicht schnell (wenn auch schneller als vorher), aber nun waren meine Bewegungen viel organischer und entspannter. Meine Herzrate ging auf 126 herunter, etwas, das mir in einem Straßenmarathon nie passiert wäre. Und ich wurde auch wagemutiger – irgendwann ging ich in Fünferschlag über, was mir im Training noch nie gelungen war. Ich wollte gar nicht, dass diese 10 Kilometer aufhörten, es war wunderbar.

Als ich am Ziel ankam, war ich fast enttäuscht. Und es gab einen eher kleinen Applaus, das konnte nur eines bedeuten: ich war tatsächlich diesmal nicht letzter! Und ja, nach mir kamen noch zwei Schwimmer ins Ziel, das war doch schon mal was.

Richtig beseelt ging ich in die Massage, wo mir eine walkürenhafte montenegrische Masseuse sehr schnell zeigte, dass es da doch einige schmerzende Stellen an der Schulter gab. Aber dennoch: ich war milde euphorisch!

Da scheuerte das Wetsuit noch nicht so

Auf meinem Handy erschien eine Nachricht von Michael: ob ich seine „Carbon Jammers“ ausprobieren wollte. Ich hatte zwar keine Ahnung, was das ist, vertraute aber seinem fachmännischen Rat. Im Schwimmbad des Hotels überreichte mir Michael feierlich eine Badehose, als sei es ein heiliger Gral – „Carbon Jammers“ sind ultrateure Spezialbadehosen für Wettkampfschwimmer, die für ein bisschen mehr Auftrieb im Rumpf sorgen. Man muss sie vorsichtig anziehen, denn sie dürfen nicht reißen. Ich schwamm ein paar Runden. Vielleicht war es psychologisch, aber ich fühlte mich tatsächlich ein wenig schneller.

Mein hinterer Hals bestand inzwischen nur noch aus rohem Fleisch, aber egal, im Wasser merkte ich es kaum. Nur noch ein letzter Schwimm stand bevor – da wir am letzten Tag einiges mehr als 10 Kilometer geschwommen waren, waren es diesmal noch knapp 5 Kilometer, allerdings teilweise über einen befahrenen Kanal mit starkem Seegang.

Wir sprangen an der kroatischen Küste ins Wasser. Diesmal startete ich gleich mit einem schnellen Dreierschlag, gab das aber schnell auf, da einem von beiden Seiten ständig Wellen in den Mund schwappten, und ein Zweierschlag zumindest statistisch bedeutete, dass man ab und zu mal Luft bekam. Ich dachte mir, dass eine hohe Kadenz ok sein könnte, denn ich fühlte mich fit.

Ich hatte mich schon daran gewöhnt, irgendwann allein zu sein, aber plötzlich bemerkte ich eine Schwimmerin neben mir, die ich noch nie gesehen hatte und die tatsächlich ungefähr dasselbe Tempo hatte wie ich. Das sah ich als gutes Zeichen. Zum ersten Mal konnte ich wirklich einmal das „Drafting“ ausprobieren, d.h. direkt hinter eine Schwimmerin schwimmen, um durch ihren Windschatten, bzw. „Wasserschatten“ zu profitieren. Denn das aufgewirbelte Wasser ist durchlässiger als normales Wasser und bietet weniger Widerstand. Tatsächlich spürt man sofort, wie der Energieverbrauch um 30 Prozent sinkt und man weniger Armschläge braucht, um dieselbe Distanz zurückzulegen. Nach einiger Zeit war sie verschwunden, aber dann verspürte ich leise Schläge an meinen Füßen und merkte, dass nun wiederum sie hinter mir schwamm.

So wechselten wir uns eine Weile gegenseitig ab und halfen uns durch die wirklich brutale und nicht enden wollende Kanalüberquerung. Als wir endlich an der Küste angekommen waren, schwammen wir in einen U-Boot-Hangar hinein, in dem die Organisatoren laute Musik dröhnen ließen. Und zu meinem großen Erstaunen waren da gleich mehrere Schwimmer auf gleicher Höhe wie ich, von denen ich einige sogar überholen konnte.

Nach dem Kanal ging es wieder die Küste entlang, nun in die entgegengesetzte Richtung wie am Marathon am Tag vorher. Die Strömung im Rücken erreichte ich ein erstaunliches Tempo und konnte nun auch wieder etwas seltener Atem holen. Unter mir flogen Felsen und Riffe nur so vorbei und ich war bester Laune, da die Tortur des Kanals nun endlich hinter einem lag. Ich schwamm weiterhin ein für mich hohes Tempo, und zum ersten Mal fühlte ich so etwas wie Müdigkeit in den Armen. Da ich ahnte, dass das Ziel noch in weiterer Ferne (ein Kilometer? Zwei Kilometer?) sein musste, schaltete ich einen Gang zurück. Die Schwimmerin aus dem Kanal überholte mich nun, sie schien fast zu sprinten. Nun denn, dachte ich mir, sie wird auch nicht unendlich Energien haben. Kurz darauf ging es  um eine Kurve in eine Bucht und sofort verstand ich, warum die Kollegin so vorgeprescht war: vor mir lag das Ziel! Ich hatte mich tatsächlich mit der Gesamtdistanz komplett verschätzt, das Rennen war schneller vorbei als geahnt. Nun legte ich auch einen Zahn zu.

Mit Andy Donaldson, Rekordschwimmer der 7 Meerengen

Wenn man das Ziel im Wasser sieht, braucht es dennoch eine gefühlte Ewigkeit, um es zu erreichen. Aber irgendwann hatte ich es geschafft, auch, weil Michael (der natürlich als Erster angekommen war) mich am Ufer anspornte.

Der Strand war leerer als gewohnt – ich war tatsächlich nicht der Letzte! Zuerst einmal ließ ich meine Wunde am Hals verarzten, die inzwischen wie Hölle brannte. Dann suchte ich meine Tasche und hielt ein Schwätzchen mit anderen Schwimmern. Und das Unglaubliche: während all diesen Aktivitäten kamen immer weitere Schwimmer an. Der Bann war gebrochen (vielleicht war das auch den Carbon Jammers zu verdanken) und ich war glücklich und zufrieden, mich so weit gesteigert zu haben.

Nach dieser Strecke wurden wir zu einem weiteren Strand gefahren, wo wir symbolisch noch einmal 250 Meter schwimmen sollten, um dann mit Champagner empfangen zu werden. Aufgrund meiner blutenden Wunde verzichtete ich diesmal und rannte stattdessen zu Fuß durchs Ziel. Nach Tagen, in denen mir das Essen wegen der eingesalzten Zunge nicht mehr geschmeckt hatte, war der Champagner tatsächlich wie eine unglaubliche Erfrischung.

Am Abend gab es dann ein Abschiedsfest und eine Siegerehrung. Ungefähr hundertmal musste ich eine Frage nach meinem Befinden beantworten – mein Nacken musste schlimm aussehen! Andererseits war genau dies das, was mich bei den anderen Schwimmern am meisten beeindruckte: man sorgte füreinander. Überhaupt war sowohl von der Organisation als auch von den Teilnehmern eine besonders herzliche und liebenswürdige Atmosphäre bei diesem Wettkampf, die niemand so schnell vergessen würde.

Nicht nur die schnellsten Schwimmer wurden geehrt, sondern auch die, die am „längsten“ geschwommen waren. Dazu gehörte ich tatsächlich nicht, aber ich bekam auch einen Preis, für den „best progress in competition“. Anscheinend hatte man mitverfolgt, wie ich mich von Strecke zu Strecke verbissen steigerte und wollte das honorieren.

Die ersten drei Plätze in der Skins-Kategorie, in der Mitte Meisterschwimmer Michael Dieckmann

Und während ich eine kleine Träne verdrückte, dachte ich mir, dass das dann vielleicht doch der schönste Preis war, den ich je bekommen habe. Was lernt man daraus? Dass es nicht schlimm ist, Letzter zu sein? Oder dass man nie aufgeben sollte? Vielleicht beides davon.

Manchmal ist es auch in der Musik so: es gibt unendlich viele Frustrationen und Rückschläge und sehr oft will man aufgeben. Aber am Ende zählt immer das, was auf der ganzen Strecke passiert ist, nicht der kleine Frust über die Teilstrecke.

Und daran hat mich Montenegro auf sehr schöne Weise erinnert.

Mein Spezialpreis für „best progress“

Wann Champagner am besten schmeckt

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