Schafft die Marketingsprache ab!

Unlängst wieder: Person x bekommt Stelle y. PR-Frau z muss Stimmen sammeln.

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Musiker A: „Herr B hat mit seinen innovativen Ideen, seinem Spirit viel für das Musikleben in Stadt C getan. Seine Leidenschaft und sein Charisma haben die zahlreichen Sinfoniekonzerte unter seiner Ägide bereichert.“

Dann: Opernhaus D kündigt die Premiere zur Oper E an: „Komponist F hat mit seiner Oper E ein faszinierendes Werk voller Leidenschaft, Temperament und veganer Fleischwurst geschaffen. In der magischen Inszenierung von Regisseur G erleben Sie eine fantastische Welt voller H.“

Sicher: Marketingsprache ist Marketingsprache. Aber wird man damit ernsthaft so häufig beballert, fragt man sich halt, was Sprache dann überhaupt noch zählt. Diese allgemeine Musik-Marketingsprache ist tot, langweilig, verlogen und noch einmal langweilig. Jede Aufführung wird zu einem Großereignis. Versprechungen über Versprechungen. Und ich muss das täglich lesen. Ehrlich: Auch ich bin nicht geschützt vor Formulierungen, die man häufiger hört. Lese ich mir aber nach Niederschrift eines Textes (dieser fällt nicht darunter, haha) diesen mal laut durch, dann – wissen Sie, was ich meine? – stocke ich immer da, wo ich so eine „Standard-Formulierung“ verwende, so etwas in der Art: „Das Orchester I folgt dem Dirigenten J mit Hingabe.“ Und dann streiche ich das – und suche nach einer Formulierung, die das Ganze viel plastischer und, ja, auch ehrlicher in Sprache fasst.

Apropos Ehrlichkeit: Wäre ich Intendant, ich würde die Leute halt nicht anlügen. Warum nicht mal etwas schreiben wie: „Herzlich willkommen, meine sehr verehrten Damen und Herren in der Spielzeit 2025/2026. Seien wir ehrlich: Vieles wird schiefgehen in dieser Saison. Vielleicht gibt es ein paar Abende, die für Sie ganz persönlich als ‚bleibend‘ in Erinnerung behalten werden. Vielleicht geht es Ihnen aber auch in ein paar Monaten (was wir weiß Gott niemals hoffen mögen) gesundheitlich so schlecht, dass Sie gar nicht mehr zu uns in den Saal kommen können. Da würden nun andere sagen: Die Kraft der Musik kann heilen! Bullshit, kann sie nicht! Aber vielleicht schicken wir dann einmal pro Monat ein Streichquartett aus unserem Orchester zu Ihnen ans Krankenbett. Allerdings nehmen wir nicht unsere Social-Media-Praktikantin für ein paar Fotos mit. Denn wir berichten darüber überhaupt nicht, sondern machen es einfach. Nun ja, vielleicht sehen wir uns. Ich hoffe einfach, dass es gut wird. Wir haben uns jedenfalls echt Mühe gegeben.“

Und dann würde das vielleicht jede/r machen – und wir könnten uns somit vielleicht auch an Ideen erfreuen, die nicht seit zwei Billionen Jahren an jedem Konzerthaus, an jedem Theater zum „Saisonthema“ („Liebe“: ernsthaft?) gemacht werden. Das wäre auch extrem niedrigschwellig. Und divers. Aber gut, wem erzähle ich das …

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

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