The Beach Boys Love You ( und spielen dabei auf dem MOOG )
The Beach Boys Love You ( und spielen dabei auf dem MOOG )
von Jobst Liebrecht
Was für ein tolles Instrument der analoge Moog-Synthesizer mit seinen fetten, brummenden und verrückten Tönen ist, und dass seine tiefen Klangregionen es locker mit einem ganzen Orchester aufnehmen können, konnten wir hier in Berlin im Januar beim Ultraschall-Festival bei Ying Wangs großartigem neuen Stück „528 Hz 8va“ erleben.
Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre hielt das neue Instrument Einzug in fast alle Aufnahmestudios der Pop-Industrie. Und vorn mit dabei die Beatles und die Beach Boys. Von letzteren war es Carl Wilson, der sich ein Exemplar kaufte und zu den Aufnahmen mitbrachte. Waren vorher bereits drei große Songs der Beach Boys durch die elektronischen Klänge des Theremin maßgeblich geformt worden („Good Vibrations“, „I Just Wasn´t Made For These Times“ und „Wild Honey“), so arbeiteten die Band und ihr strauchelnder Maestro Brian Wilson sich jetzt mehr und mehr in die revolutionäre Klangwelt des Moog-Synthesizers hinein. Zunächst vereinzelt auf dem Album „Sunflower“ ( 1970 ), dann prominent auf „Surf´s Up“ von 1971 in einem Song, den viele für einen der besten aus der Feder von Carl Wilson halten, „Feel Flows“.
Carl Wilson übernahm in dieser Zeit mehr und mehr das Kommando bei den Beach Boys, denn Brian Wilson zog sich nach dem „Holland“-Album zurück, und es begann die dreijährigePeriode, in der er meistens im Bett liegen blieb, fast 150 kg dick wurde, und den Erzählungen nach nur den einen Song der Ronettes „Be My Baby“ sich immer wieder anhörte.
(Diese Phase wurde in jüngerer Zeit von der kanadischen Popband Barenaked Ladies zum Thema eines eigenen Songs gemacht, der „Brian Wilson“ heißt:)
Eine von seiner Frau und der Band gemeinsam initiierte Therapie, die dann später andere fatale Folgen haben sollte, brachte Wilson vorübergehend weg von den Drogen und rettete ihm das Leben. Wie wiedergeboren kehrte er zurück, sogar musizierend auf die Bühne mit einer Kampagne „Brian is back“, und genau hier fand dann auch ein weiteres geniales Wunder der Erfindung im Beach Boys-Kanon statt. Wilson brachte das Material für mehr als zwei Platten neuer Songs zusammen. Er arbeitete wieder nüchtern und stundenlang im Studio herum, und es entstand u.a. diese so spezielle Platte „The Beach Boys Love You“, ursprünglich als Soloplatte „Brian Loves You“ betitelt, aber dann von der Band eingemeindet und im Jahr 1977 veröffentlicht.
Und auf diesem manchmal vergessenen Meisterwerk springt er einem gleich auf den ersten Tönen förmlich ins Gesicht: der Moog! In der schwergewichtigen Rocknummer „Let Us Go On This Way“ sind sie sofort da, diese unnachahmlichen Moog-Bässe, die dann kurz darauf ein Jahrzehnt der Synthie-Pop-Musik dominieren sollten. Hier eine Spielanleitung für Freaks aus dem Internet:
Brian Wilson fand hier den idiosynkratischen Ton für seine damalige Lebenslage, sowohl seelisch als auch körperlich. Er war mit Mitte 30 nicht nur ein erwachsener, schwerer Mann, sondern auch bereits schwer geschädigt und dauerhaft psychisch erkrankt. Seine Stimme war gewechselt vom euphorischen Falsett-Tenor der Jugendzeit zu einer gebrochenen, whiskygeschwängerten „Crooner“-Stimme, die fast an Frank Sinatra erinnerte. Bohrende, ostinate Erinnerungen lagen über ihm, von denen zum Beispiel der Phil Spector gewidmete Song „Mona“ auf der Platte mit nur vier stereotyp wiederholten Akkorden ein Zeugnis ablegt. Gleichzeitig sprach sein nicht abreißendes Schaffen von einer nicht zu stillenden Sehnsucht nach Experiment und Abenteuer, und er blieb in aller Malaise in den Songs immer wieder mit Witz und Grazie gesegnet.
Wilson selbst erzählt häufig, dass er, was den Moog betrifft, maßgeblich beeinflusst wurde von Wendy Carlos, auf deren Album „Switched On Bach“ ( 1970 ) die Künstlerin in bahnbrechender Weise auf dem großen Moog-Synthesizer mit eigens, mühsam erzeugten elektronischen Klängen klassische Musik spielte.
(Hier zum Weiterverfolgen ein Link zu einem kurzen BBC-Porträt mit originalen Aufnahmen: https://www.youtube.com/watch?v=UsW2EDGbDqg )
Dieser Einfluss – er hörte diese Platte nach eigener Auskunft ständig rauf und runter – muss in Wilson die Idee eines Albums hinterlassen haben, auf dem er selbst einen Großteil seiner eigenen Klänge auf dem Moog komplett erzeugen könne.
Immer in Kontakt mit der Band, und auch mit ihren Geschäftsideen und ihrem Bestreben, wieder an die alten Erfolge anzuschließen, eröffnen einige großartige Rocknummern die damals erste Seite der Platte „Love You“: Auf „Let Us Go On This Way“ folgen „Roller Coaster Child“ und , besonders lapidar gelungen mit Alan Jardine an den Lead Vocals „Honkin´ Down The Highway“. Alle enthalten nicht nur äußerst schräge Texte, sondern vor allem durch den Moog-Bass eine ich möchte sagen irritierende Doppelbödigkeit. Ja, es sind zunächst fette und massive Lieder, sie werden von über 30jährigen amerikanischen Männern gesungen, sie trampeln förmlich in der Landschaft herum. Aber gleichzeitig sind sie eigentümlich seelisch gebrochen, sprechen von einer kindlich-unreifen Sehnsucht nach Teenie-Abenteuern, und haben, hauptsächlich durch den Moog, immer diese klinisch-künstliche Science Fiction-Ebene im Klang. Wie sehr es sich dabei um ein umfassendes Phänomen in der damaligen amerikanischen Unterhaltungs- und Fernsehkultur handelte, wird an einer weiteren umwerfenden Nummer schlagartig deutlich, „Johnny Carson“. Brian Wilson richtet eine vielleicht ernst gemeinte, aber dadurch nur noch entwaffnendere und auch entlarvende Hymne an den führenden Talkmaster des damaligen amerikanischen TV:
https://www.youtube.com/watch?v=Q65vGN_CnHQ
Brian Wilsons Kunst hat sich hier – immer mithilfe der Moog-Klänge – in eine neue Höhe, die des musikalischen REALISMUS emporgehoben. Sie spricht, ähnlich wie Gustav Mahler es tat: aus der Perspektive des Beiseite-Stehenden, mit unvermittelter Direktheit die Wahrheit aus über gesellschaftliche Vorgänge. Das Stereotype, das Antrainierte, das Muskulöse der synthetischen Massenkultur – präsentiert in c-moll!
(Brian Wilson hat äußerst selten Songs explizit in Moll komponiert. Die von mir in diesem Blog bereits angesprochene Mozart-ähnliche „Melange“ seiner Lieder entsteht meistens durch Eintrübungen von Dur, Einsickern von Mollakkorden und –Stimmungen in ursprünglich heitere Umfelder.)
Und auch im Text klingt es dann doch eher wie beißende Ironie: „ He speaks in such a manly tone…“.
(Der angesprochene Moderator Carson hat das dann versucht, wegzuwischen: ja natürlich habe er diesen BB-Song über sich mal gehört, aber das sei ja wohl nur ein „joke“, für KUNST halte er das nicht…)
Die spekulativ-verrückten Gehirnwindungen des Brian Wilson ließen sich mit dem Moog wunderbar abbilden. In „Solar System“ besingt er wie ein Alleinunterhalter vor einer Kinderschar das Planetensystem mit kalauernden Versen wie „If Mars had life on it / I might find my wife on it“ – im Walzer im ¾-Takt, begleitet von einer spacig klingelnden Synthie-Kapelle mit ausgefeilten Jazzharmonien.
Ebenso die bei Wilson so spezielle Welt- und Liebesschmerz- Isolationsmusik, die in ihrer Tiefe wirklich an Franz Schubert erinnert, findet auf „Love You“ in zwei wunderbaren Balladen zu den „Pet Sounds“-Klängen zurück, neu präsentiert mit dem Moog und einer gläsernen, orgelhaften Gesamtatmosphäre: „The Night Was So Young“ und „I´ll Bet He´s Nice“ ( hier beachte man besonders die Moog-Orgelbässe!) . Wir sind hier am kompletten „High End“ von Wilsons Liedschaffen, mit jeweils einer traumhaften Gesangsperformance seiner Band.
Brian Wilsons Flugangst war bekannt – sie war ein wesentlicher Mitgrund für seinen zeitweilig kompletten Ausstieg aus den Tourneen der Band. Umso absonderlicher (…aber er hat ja auch niemals gesurft…) und bezaubernder wirkt da die mithilfe des Moog-Synthesizers sphärisch-abgehobene Nummer „Airplane“, die am Ende mit einem witzigen und turbulenten Gospelchor-Outro auf der Zeile „I can´t wait to see her face“ überraschend geerdet wird.
Zwei andere Songs – das Duett mit seiner damaligen Frau Marilyn Rovell „Let´s Put Our Hearts Together“ und der einzige Halbwegs-Hit der Platte „Love Is A Woman“ zeigen Brian Wilson auf der Suche nach einer neuen Identität als Jazz-Komponist, der auf Sänger wie Sinatra zielte und den Mainstream bedienen wollte. Interessanterweise gibt es Fans und Wilson-Experten, die auf der gesamten „Love You“-Platte nur genau diese beiden Jazz-Balladen wirklich goutieren. Bei beiden Songs handelt es sich aber wiederum um extrem doppelbödige Angelegenheiten: Brian und Marylin Wilson trennten sich ein Jahr nach diesem Duett, und für die etwas peinliche Titelgebung „Love Is A Woman“ schob Wilson später entschuldigend nach, da habe er wohl lieber „Love Is A Baby“ nehmen sollen. Und für alle diese Doppelbödigkeiten steht er ein: der Moog mit seinem brummenden oder auch mal quäkenden Grummelbässen.
In „I Wanna Pick You Up“, einer zauberhaft romantisch-verschrobenen Nummer mit Lead Vocals von Dennis Wilson, wird ein Baby angesungen wie eine Geliebte. Der Moog bringt hier nicht nur seine Bässe ein, sondern gegen Ende auch eine Art Posaunen-Melodie, bevor zum Einschlafen des Kindes noch einmal der Beach Boys-Chorgesang a cappella die Bühne behält.
Wer bist du? Diese Frage, an sich selbst gerichtet, begleitet Künstlerinnen und Künstler ihr ganzes Leben. Und zu Zeiten kommen sie ehrlichen Antworten näher als zu anderen Zeiten. Bei dem Album „Love You“ war Brian Wilson, begleitet vom Moog, sich sehr nah. Nicht nur, weil er alle Texte der Songs selbst geschrieben und sich damit deutlich und waghalsig aus der Deckung begeben hat – die literarische Qualität wurde kritisiert, die Inhalte der Lieder polarisierten, sie galten als stellenweise pubertär-naive Fantasien oder auch einfach nur als zu privat und zu banal – nein, auch weil er mithilfe des Moog-Synthesizers im Studio für sich seine eigene Klangfantasie direkt in die Aufnahme übersetzen konnte. Er selbst spielte alle Instrumente auf dieser Platte ein – so wie es ab dieser Zeit technisch möglich wurde und dann auch immer mal wieder in der Popmusik zu herausragenden Kunstwerken wie zum Beispiel bei Prince führte.
Zehn Jahre nach „Pet Sounds“, die sich wahrscheinlich wie ein halbes Menschenleben anfühlten, das er überlebt hatte, gibt Brian Wilson in „Love You“ ein umfassendes 70er Jahre-Porträt seiner inneren Person: wummernd, gleißend, klingelnd, scheppernd, säuselnd – bizarr, obskur, populär – wie der Moog!
( Jobst Liebrecht, Januar 2023 )
- Als Zeitdokument gibt es hier einen Review zu lesen, den Patti Smith 1977 über „The Beach Boys Love You“ geschrieben hat: