Konkurrenz mit der (Musik)Maschine (1)

Konkurrenz mit der (Musik)Maschine (1)

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Die Frage, die beim Thema KI und Mensch im Raum steht und die sich erst in den kommenden Jahren exakt beantworten lassen wird ist die, wie sich genau der Wert der menschlichen Arbeit im Wettbewerb mit den Algorithmen behaupten wird.

Im Moment fürchten viele, dass sie ihren Job verlieren und durch eine „Maschine“ ersetzt werden. Doch so klar ist das nicht – wir verlieren unsere Jobs nicht automatisch, sondern nur dann, wenn wir in einer direkten Konkurrenzsituation mit der Maschine den Kürzeren ziehen. In unserer kapitalistisch geprägten Gesellschaft herrschen strenge Gesetze, die durch Angebot und Nachfrage sowie die effizienteste Produktionsmethode mit maximalem Gewinn geprägt sind. Dabei gibt es aber verschiedene Abstufungen – ein Massenprodukt muss möglichst billig produziert werden, damit es möglichst billig von möglichst vielen Menschen gekauft werden kann. Ein Luxus- oder Nischenprodukt dagegen profitiert von seiner Seltenheit – es wird etwas aufwändiger produziert, kann aber dafür auch für wesentlich mehr Geld verkauft werden kann.

Eine Craft-Bier-Herstellerin zum Beispiel, die ihre Biere mit viel Liebe zum Detail in kleinen Margen nach eigenen Rezepturen braut und lokal vertreibt wird nie in Konkurrenz mit einem Massenhersteller treten, kann aber vielleicht dennoch sehr gut ihre wenigen Mitarbeiter bezahlen und von der kleinen Produktion leben. Vielleicht verdienen die Mitarbeiter der kleinen Brauerei sogar wesentlich besser als ein Fließbandarbeiter bei einer Großbrauerei. Die Chefin der Craft-Brauerei dagegen wird nur unwesentlich mehr verdienen und auch nicht nur annähernd so viel wie die CEOs der Großbrauerei.

Die Craft-Bier-Herstellerin braucht allerdings auch die Großbrauerei. Denn gäbe es keine Großbrauerei mit billigem und daher auch qualitativ schlechterem Bier, könnte sich die Craft-Brauerei nicht davon absetzen und hätte keinerlei Grund, mehr für ihr Bier zu verlangen. Es gibt also eine gegenseitige Abhängigkeit von durchschnittlichem, überdurchschnittlichen und natürlich auch unterdurchschnittlichem Angebot. Eine komplexe Balance, die immer wieder neu verhandelt wird.

Es ist bekannt, dass Top-Luxus-Artikel nach oben hin immer krassere Preissprünge unternehmen, die nicht unbedingt allein mit teureren Produktionsbedingungen zu tun haben. Eine Handtasche von Gucci kostet das vielfache einer massengefertigten Handtasche, ist aber vielleicht nur geringfügig teurer produziert und benutzt Einzelteile, die auch Teil einer Billighandtasche sein können oder sogar in derselben Fabrik produziert werden. Man kauft also nicht nur geringfügig bessere Qualität, sondern auch einen Namen und damit auch eine Art Storytelling. Der Name Gucci wird selbst zum entscheidenden Teil des Verkaufspreises – allein, dass ich mir die Tasche leisten kann, erhöht meinen gesellschaftlichen Status, es ist gar nicht so wichtig, dass sie wirklich so viel teurer gefertigt ist als die Durchschnittshandtasche.

Ich erzähle all dies, weil ich vermute, dass in dem durch KI veränderten Konkurrenzmarkt in zum Beispiel der Musik ähnliche Prozesse ablaufen könnten. Es wird eine Form von Massenware geben, die deutlich billiger und schneller durch KIs produziert/komponiert werden kann, als es je ein Mensch vermag. In exakt diesem Segment mit einer menschlichen Produktion konkurrenzfähig sein zu können, wird sehr schwierig bis unmöglich sein. Das zeigt sich schon jetzt in der Börsenbewertung von zum Beispiel Universal Music, die beim Aufkommen des Themas KI-Musik sofort von „outperform“ zu „underperform“ abgestuft wurde.

Es wird aber auch „besondere Marken“ geben, Künstlerpersönlichkeiten, mit denen bei den „Verbrauchern“ (zahlende Hörer:innen oder Auftraggeber:innen) entweder eine echte oder eventuell auch gehypte Art von Storytelling verknüpft ist, die einen bestimmten Status verleiht oder ein wenig extra Geld wert ist.

Wenn der Musikmassenmarkt vor allem KI-erzeugt sein wird, werden sich weiterhin Auftraggeber Menschen als eine Art „Luxus“ leisten. Sie werden vielleicht mit Namen angeben, so wie es die Besitzerin einer Gucci-Handtasche tut. Die Musik dieser „Luxuskomponisten“ ist vielleicht gar nicht besser als die Musik der KIs, sie brauchen länger dafür und haben „menschliche“ Schwächen, aber genau dies wird ihren Wert in den Augen ihrer Auftraggeber erhöhen, denn im Gegensatz zu den anonymen KIs haben diese Schöpfer einen Namen und eine Geschichte, die Menschen mit ihren Werken verbinden.

Wenn ich heute irgendwo z.B. den Namen „John Williams“ nenne, schwingen allein in der Nennung dieses Namens zahlreiche Assoziationen mit. Vielleicht das Kindheitserlebnis, den ersten „Star Wars“-Film im Kino gesehen zu haben und von der Musik überwältigt gewesen zu sein. Tränen der Rührung bei „E.T.“. Gruseln bei „Der Weiße Hai“. Erschütterung bei „Schindlers Liste“. Hier spielt nicht nur die Qualität seiner Musik eine Rolle, sondern auch die Erlebnisse, die man damit verbindet. Vielleicht hat man auch Mal gesehen, wie ihm ein Oscar überreicht wurde. Nach allem, was man hört, ist er ein sympathischer Mensch, der sich seinen Erfolg redlich mit harter Arbeit verdient hat, ein gutes Handwerk hat und auf eine lange und erfolgreiche Karriere zurückblicken kann. All dies spielt in jedem Moment eine Rolle, wenn wir seine Musik hören. Nicht zuletzt sind auf dem Album mit seiner Musik ikonische Bilder aus den Filmen zu sehen, die seine Musik verwenden. Auch diese erzeugen bestimmte Assoziationen – beim Hören des „Indiana Jones“-Motivs sehen wir sofort vor unserem inneren Auge abenteuerliche Action-Szenen oder sehen eine Weltkarte, über die sich Punkte zu exotischen Orten bewegen.

Nun stelle man sich folgendes Experiment vor: eine Probandin bekommt zwei Stücke Musik vorgespielt, die beide von einer KI komponiert wurden. Vor dem ersten Stück bekommt sie gesagt, dass es sich hier um ein KI-Stück handelt, das automatisch von einem Algorithmus erzeugt wurde. Vor dem zweiten Stück bekommt sie gesagt, dass es sich hier um ein Stück von John Williams handelt das er für einen Film schrieb, den man nicht kennt. Danach soll die Probandin beurteilen, welche Musik sie mehr bewegt hat.

Der nächste Proband bekommt genau das Umgekehrte gesagt: Das erste Stück ist angeblich von Williams, das zweite von einer KI. Ich bin sicher, dass das Ergebnis dieses Experiments immer sein würde, dass das angeblich von Williams erzeugte Stück „sympathischer“ klingt, weil man es mit einer lebenden Person assoziiert und ihm mehr Qualität unterstellt. Umgekehrt würde das Experiment auch funktionieren – eine tatsächlich von Williams geschriebene aber den Probanden unbekannte Musik würde schlechter bewertet werden, da man ihr „Massenware“ unterstellt.

Dieses etwas unfaire Experiment ist kein Beweis dafür, dass die Musik von Williams und die Musik der KI absolut gleich sind. Sicherlich ist die Musik des echten Williams näher an der menschlichen Erfahrung und an menschlichen Sehnsüchten. Vielleicht ist sie „künstlerisch wertvoller“ auf eine Weise, die wir heute noch nicht ganz verstehen, aber vielleicht in 20 Jahren, wenn KIs alltäglich geworden sind. Aber wir sollten uns nicht dem Irrglauben hingeben, dass es sich um wirklich extreme Qualitätsunterschiede handelt, siehe die Handtasche von Gucci. Und die KIs lernen immer mehr hinzu, da wir ja ihre Arbeit beurteilen und ihnen ständig sagen, was uns am besten gefällt.

Noch schreibt ChatGPT unsäglich langweilige und durchschnittliche Texte. Aber jedes Mal, wenn wir einen Text von ChatGPT teilen, können die Algorithmen lernen, welche Texte besser und welche schlechter ankommen, einfach nur dadurch, wie oft dieser Text geteilt wird. Es lernt, was wir lustig und was wir langweilig finden. Und es wird immer besser darin werden, etwas Lustiges zu schreiben, auch wenn die jetzigen Versuche erbärmlich sind.

In diesem sehr interessanten und ausführlichen Interview mit dem CEO von ChatGPT wird deutlich, dass die Erfinder dieser KI schon längst nicht mehr verstehen, wie genau ChatGPT dazu lernt. Sie können nur noch vage Vorhersagen treffen, in welche Richtung sich das Programm weiterentwickeln wird. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis ChatGPTs neueste Version uns wirklich mit etwas überraschen wird, das wir als kreativ/absurd/außergewöhnlich empfinden und das nicht nur ein Abklatsch von schon Vorhandenem ist. Und das ist der Punkt, an dem wir nur noch mit Storytelling einen höheren „Wert“ des künstlerischen Produkts erlangen werden. Zumindest bis dahin, wenn plötzlich auch KI-Persönlichkeiten entstehen, mit denen wir bestimmte Geschichten und Bilder verbinden (was im K-Pop und auch anderswo schon teilweise gelungen ist).

Die „Vermenschlichung“ von Robotern und künstlichen Wesens ist nicht erst seit „Metropolis“ und „Frankenstein“ ein Thema. C3PO und R2D2 in Star Wars oder Data und der „Holographic Doctor“ in Star Trek sind nicht nur Statisten, sondern auch Träger von Emotionen und wichtige Charaktere, die wir lieben und verehren. Wir wollen, dass sie „menschlich“ werden, genau wie wir uns wünschen, dass aus dem armen Pinocchio ein richtiger Junge wird. Genauso könnte es sein, dass es „KI-Persönlichkeiten“ mit Namen und Geschichten geben wird, die einen unterschiedlichen „Stil“ vertreten und sogar in direkter Konkurrenz agieren. Vielleicht wird auch bei Algorithmen ein „Markenbewusstsein“ entstehen. Nehme ich die „Durchschnitts“-KI von Microsoft oder die „Edel“-KI von Apple? Die User werden entscheiden.

Wie werden wir Menschen mit dieser neuen Konkurrenz umgehen? Ganz einfach: wir werden das tun, was wir tatsächlich sehr gut können: Wir werden schummeln.

Mehr dazu nächste Woche!

 

Moritz Eggert

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Eine Antwort

  1. k. sagt:

    Was mir auch wichtig erscheint, ist die Rolle der musikalischen (Vor)Bildung der Menschen. Denn es geht letztendlich darum, wie die Musik von den Menschen rezipiert wird, ob die Menschen die Fähigkeit haben, (um beim Beispiel im Artikel zu bleiben) zwischen Gucci-Musik, Fake-Gucci-Musik, No-Name-Musik und Günstig-Massen-Marke im Blindtest überhaupt zu unterscheiden.

    Dafür muss auch ein Mensch von Kindheit an mit guter Musik gefüttert worden sein (es muss nicht mal gleich zeitgenössische Musik sein, denn ein Mensch durchläuft in seiner Entwickung auch sowas wie Musikgeschichte) und gelernt haben, was gute Musik ausmacht. Es ist nicht nur KI, die mit Inputs lernt, sondern auch ein Mensch lernt mit Inputs, Und für diese Inputs muss auch gesorgt werden, bevor man überhaupt über Outputs reden kann, vor allem wenn man über Zuhörer/Käufer/Konsumenten redet und nicht nur über Komponisten.

    Es wäre ja schade, wenn der einzige Unterschied zwischen Komponisten und KI der Lebenslauf und Story-Telling wäre, der Komponist wird ja schon wollen, dass man seinen Fingerabdruck in der Musik hört (es sei denn vielleicht, er arbeitet im Dienstleistungssektor wie „wir brauchen schnell Werbemusik, die irgendwie John Williams klingt aber anders ist, aus urgeberrechtlichen Gründen“, das wäre z.B. vermutlich ein Sektor, der durch KI direkt gefährdet ist).

    Die größere Gefahr sehe ich also darin, was passiert, wenn Menschen sich an KI erzeugte Musik gewöhnen, weil sie im Supermarkt, in der Warteschleife, in der Werbung usw. viel mehr davon hören als menschengemachte Musik. Ob man sich nicht abstumpft. McDonalds zum Kindergeburtstag ist lustig, aber wenn man jeden Tag McDonalds isst, wird der eigene Geschmack auch verengt, und da kann man nicht einfach drauf hoffen, dass man bei dem Menschen mit einem tollen frisch selbstzubereiteten Bio-Gericht punkten kann.

    Ich habe bereits Kindergartenkinder erlebt, die gingen zur Probestunde für den Klavierunterricht (bzw. wurden von Eltern dahin gebracht) und sagten dann „das ist so langweilig, wenn ich auf einem Klavier eine Taste drücke, kommt nur ein Ton raus – wenn ich zu Hause auf dem Computer eine Taste drücke, kommt ein ganzes Lied raus!“

    Es wäre wichtig, dass auch in diesem Bereich mehr passiert – sonst geht die eigene Entscheidungsfähigkeit bei den Menschen verloren. Und nur mit menschlichem Publikum macht Musik Sinn.