KIs und die grauen Herren

 

KIs und die grauen Herren

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Über das Thema KI wird jetzt viel geschrieben, und das ist erst der Anfang. Wir befinden uns in einer ähnlichen Situation wie am Anfang des Internets: Damals wurde langsam klar, dass eine riesige Veränderung auf uns zukommt. Die Veränderungen unseres Alltags durch das Internet wurden erst unterschätzt („ich brauche doch gar kein Internet“), dann überschätzt (Dotcom-Blase), nun ist es mit all seinen Chancen und Problemen ein unauslöschlicher Teil unseres Alltags geworden. Wir können uns keine Welt ohne Internet mehr vorstellen. Sehr ähnlich wird es beim Sprung zu künstlichen Intelligenzen sein, die uns bei kreativer Arbeit unterstützen sollen.

 

Dass der Einsatz künstlicher Intelligenzen zahllose Jobs nicht nur (aber vor allem) in der Kreativbranche auslöschen wird, ist ein Thema, das immer mehr in den Fokus rückt. Es gibt aber einen Aspekt, über den bisher noch nicht geschrieben wird, und das ist der Aspekt, dass mit der Verwendung von KIs bei künstlerischer Arbeit ein historisch noch nie dagewesener Paradigmenwechsel stattfindet, dessen Auswirkung auf die menschliche Gesellschaft viel schwieriger einzuschätzen ist als die reale Gefahr von zunehmender Arbeitslosigkeit durch KIs.

 

Kultur und Sprache sind menschliche Errungenschaften, die quasi in der „Freizeit“ der ersten menschlichen Gemeinschaften entwickelt wurden, nämlich in der Zeit, die man nicht mit der Nahrungssuche oder dem nackten Überleben verbrachte. Je besser wir unser Überleben sichern konnten – zum Beispiel mit Ackerbau und den ersten menschlichen Siedlungen – desto weniger „Zeit“ hatten wir aber, obwohl uns jede neue technische Erfindung eigentlich versprach, uns nun Arbeit abzunehmen. Gesellschaften von Jägern und Sammlern haben relativ viel freie Zeit, was unser romantisches Ideal vom „Naturvolk“ befeuert. Aber mit der Komplexität einer Gesellschaft und des eigenen Anspruchs wachsen auch die Anforderungen, die sie an uns stellt. Eine eigene Wohnung zu haben, dauerhaften Besitz anzuhäufen, den eigenen Nahrungsvorrat zu verwalten sowie mit Geld zu handeln, hat unser Leben keineswegs einfacher gemacht.

 

Anfang des letzten Jahrhunderts war die Wäsche von Kleidungsstücken, das Reinigen der Wohnung oder dass Geschirrspülen ein extrem zeitaufreibender Prozess, dem viele Stunden am Tag gewidmet werden mussten. Man könnte nun meinen, dass Geschirrspüler, Waschmaschine und Staubsauger all diese Aufgaben so effizient erfüllen, dass man nun „mehr Freizeit“ hat. Tatsächlich wurde aber nichts gewonnen, denn trotz dieser technischen Entwicklungen ist das Leben keineswegs weniger stressig geworden, denn mit jeder Erleichterung des Alltags sind neue Herausforderungen hinzugekommen.

 

Dennoch kann man eindeutig sagen, dass der Hauptgrund für Erfindungen wie Geschirrspüler eine Vereinfachung unseres Alltags ist. Wir erfinden solche Maschinen und Systeme, weil wir Arbeit abgeben und delegieren wollen, oder weil die dazu benötigte Macht (zum Beispiel hunderte von Menschen mit einem Flugzeug tausende von Kilometern in großer Geschwindigkeit zu bewegen) unsere menschlichen Möglichkeiten übersteigt.

 

Bisher haben wir also Maschinen vor allem deswegen benutzt, um lästige oder uns unmögliche Aufgaben zu erfüllen. Das ist – neben angestrebter militärischer Überlegenheit – der Hauptgrund für jede technische Revolution in der Geschichte der Menschheit.

 

Oberflächlich betrachtet machen KIs ähnliches. Schon lange helfen sie bei der Verkehrssteuerung oder sind als Autopiloten im Einsatz. Und niemand würde sich beschweren, wenn sie beim Ausfüllen von lästigen Steuererklärungen oder langweiliger Formulare behilflich sein werden. Doch KI-Anwendungen wie ChatGPT oder DALL-E ersetzen keine lästigen Arbeit, sondern Arbeit, die ursprünglich aus einem rein spielerischen künstlerischen Impuls entstand: kreative Arbeit. Und das ist neu.

 

Ja, es gibt eine „Kreativbranche“, es gibt Werbetexterinnen und Jinglekomponisten. Kreativität wird oft als Dienstleistung beschrieben, und das ist auch wichtig, um zum Beispiel das Urheberrecht zu begründen und das Überleben von Urheber:innen zu sichern.

Und ja, künstlerische Arbeit ist nicht immer spaßig und fröhlich. Sie kann hart und schweißtreibend sein.

 

Dennoch kann mir niemand erzählen, dass er mit der Pistole gezwungen werden musste, „Komponist“ zu werden, genauso wenig wie man Kinder dazu zwingen muss, „kreativ“ zu sein. Alle Kinder tragen Kreativität als urmenschliche Fähigkeit in sich. Sie malen, zeichnen und singen von sich aus, weil es ihnen Spaß macht. Menschliche Kreativität macht unser Leben lebenswert. Mit Kunst und Kultur erschaffen wir Lebenswert. Mit den Geschichten, die wir erfinden, den Bildern, die wir malen und der Musik, die wir spielen, füllen wir unsere Freizeit mit Inhalt und können auf einmalige Weise unsere Existenz kontemplieren oder miteinander kommunizieren. Auch wenn nicht alle Menschen eine künstlerische Laufbahn einschlagen: In uns allen schlummert die Fähigkeit, sich z.B. eine Geschichte oder einen Witz auszudenken. Und selbst wenn wir dies nicht beruflich tun – spätestens bei der nächsten Hochzeit von Freunden werden wir ein selbstverfasstes Gedicht vortragen oder ein albernes Lied singen. Weil es uns Spaß macht, und weil es anderen Spaß macht.

 

Als Musiker geben wir Konzerte nicht nur, weil wir berühmt werden und bewundert sein wollen. Es macht uns Spaß. Und selbst wenn manche Komponierende von E-Musik gerne zur Schau stellen, wie wahnsinnig sie bei der Produktion ihrer Stücke leiden – hätten sie diesen Beruf je ergriffen, wenn ihnen das Komponieren keinen Spaß machen würde? Ganz sicher nicht.

Und das ist das, was ich vorher mit dem Begriff „Paradigmenwechsel“ meinte. Zum ersten Mal in der Geschichte lassen wir uns etwas abnehmen, das keineswegs eine lästige Arbeit ist, sondern etwas, das wir gerne betreiben und eine essenzielle menschliche Ausdrucksform ist: das Erfinden von Dingen.

Es ist ein gigantischer Unterschied, ob ich ein Notenprogramm z.B. dazu benutze, den Prozess des Notenschreibens (eher lästig und eine Arbeit, da immer langsamer als die Erfindung selbst) zu vereinfachen. Oder ein Textprogramm, um das Verfassen eines Textes zu beschleunigen. Erfinden muss immer noch ich.

Wenn ich aber nun eine KI damit beauftrage, sich etwas auszudenken, gebe ich quasi das als Arbeit ab, was mein Kerngeschäft ist, das Allerschönste und Wunderbarste daran: das Erfinden selbst.

Nun werden sicherlich einige mit Recht argumentieren, dass ja auch das menschliche Erfinden eine Art algorithmischer Prozess ist, den unser Gehirn vollführt. Hierbei spielen sicherlich auch zufällige Assoziationen wie auch unvollständige Erinnerungen eine Rolle. Aber jede kreative Arbeit ist – und das weiß jeder, der regelmäßig erfindet – immer auch ein Selbstfindungsprozess, eine Suche nach der „eigenen“ Stimme. Immer wieder wird man dabei von sich selbst überrascht oder gewinnt neue Erkenntnisse. Die schönsten „Flow“-Momente der kreativen Arbeit sind genau solche: wenn man von den eigenen Ideen so überwältigt wird, dass man das Gefühl hat, dass sich z.B. das Stück fast „von selbst“ schreibt.

Und ausgerechnet diesen Prozess soll ich einer KI anvertrauen? Die Versuchung wird groß sein. Wie standhaft werden wir sein, wenn eine Deadline droht und uns nichts „einfällt“? Wie lange noch, bis man bei Kompositionswettbewerben die Stücke mühsam heraussuchen muss, die komplett ohne menschliches Zutun entstanden sind, einfach weil die KIs immer perfekter werden, bestehende Stile zu kopieren?

Sicherlich wird es auch interessante Nutzungen geben, bei denen man KIs zur Erweiterung kompositorischer Konzepte verwendet. Einer der Gründe, warum ein Ligeti nicht endlos Stücke wie zum Beispiel „Lontano“ schrieb ist simple Schreibarbeit – die komplexe Mikropolyphonie war beim Komponieren extrem zeitraubend und ich kann mir vorstellen, dass ihn diese Prozesse irgendwann langweilten. Was wäre nun, wenn mir polyphone Klangwolken quasi auf Knopfdruck endlos zur Verfügung stünden? In der zeitgenössischen Musik drohen uns daher sicherlich zunehmend „Konzeptstücke“, die nur noch aus Ideen bestehen, die dann von KIs realisiert werden, ohne dass ein einziger Ton selbst gefunden werden muss. Das Schöne beim Finden von Tönen ist aber, dass es wie beim Pilzesuchen im Wald ist: man stolpert dabei, findet Unvorhergesehenes oder verläuft sich. Genau das ist das Schöne daran, nicht die Perfektion der Umsetzung einer einzelnen Idee. Eine gute Komposition besteht aus mehreren Ideen und Konzepten, und wir folgen einer interessanten Persönlichkeit, die damit jongliert.

Werden wir irgendwann zu faul werden, kreativ zu sein? Werden wir uns damit zufrieden geben, dass uns KIs Schlaflieder für unsere Kinder erfinden oder immer und überall zur Stelle sind, wenn wir einen Text, eine Musik oder ein Bild brauchen? Für was benutzen wir dann die „gewonnene“ Zeit? Oder sind wir wie die grauen Herren in Michael Endes „Momo“ dazu verdammt, immer mehr zu Sklaven unserer eigenen Sehnsucht nach Zeitersparnis zu werden? Und ausgerechnet auf den Akt verzichten, der unser Leben lebenswert macht: nämlich die Fähigkeit, sich etwas Beliebiges auszudenken, zu träumen oder einfach nur mit eigenen Ideen zu spielen?

Diese Fragen werden uns in den kommenden Jahrzehnten auf jeden Fall beschäftigen, so viel ist sicher.

 

 

Moritz Eggert

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Eine Antwort

  1. Clara sagt:

    Hi Moritz… danke für Deine immer wieder aufschlussreichen und impulsenden Gedanken. Ich glaube daran, und möchte auch daran glauben, dass die Kreativität, die wir Menschen beim Musik erschaffen erleben und dann hörbar machen, nicht vollständig von KI ersetzt wird oder ersetzt werden kann…. wissen tu ich es nicht… aber ich vertraue darauf, dass wir als Individuen immer wieder etwas finden aus unseren tiefsten Emotionen heraus, was einfach „menschelt“ und sich damit anders weiterträgt als durch KI Erschaffenes. Wie sensibel man (bzw. die Zuhörenden ) dafür sein muss wird sich zeigen… und die KI zu nutzen um den Arbeitsprozess zu unterstützen, muss dabei auch kein Hindernis sein. Vielleicht ist es aber auch nur ein Wunschtraum, dass nur der Mensch erschaffen kann, was ein fühlender Mensch erschaffen kann. ;-) Ich bin gespannt und werde mit Sicherheit weiterhin so Musik und Texte erschaffen wie sie aus mir heraus kommen und werde wie schon immer Hilfsmittel verwenden, wenn mal irgendwo was hängt und ein Reim oder Synonym oder ein paar Ideen fehlen etwas zu vervollkommnen. Ich treffe die Entscheidung für mich weiterhin meine Kunst aus meinem Inneren zu erschaffen. was andere tun und wie es angenommen wird… es ist und wird interessant:
    Herzliche Grüße
    Clara