Das Konzert der Zukunft

Das Konzert der Zukunft

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Über das Thema „Konzert der Zukunft“ werde ich immer wieder befragt. Kein Wunder – inzwischen wird es der klassischen Musikszene zunehmend bewusst, dass die im 19. Jahrhundert geprägten Konzertformate nicht mehr zeitgemäß sind. Das wäre auch eine historische Skurrilität – in der gesamten Geschichte der Musik haben sich die Konzertformate genauso kontinuierlich verändert wie auch die Ästhetiken. Ein Konzert im Jahre 1650 war etwas völlig anderes als ein Konzert im Jahre 1750 zum Beispiel. Seit ca. 1850 gab es aber keine Veränderung mehr, was leicht an den weiterhin vorherrschenden Konzertkleidungen von zum Beispiel traditionellen Orchestern zu sehen ist. Das sind nun schon fast zwei Jahrhunderte Stillstand. Selbst das musikalische Repertoire der klassischen Konzerte ist weitgehend gleich geblieben.

Inzwischen gibt es zahlreiche Ideen, das zu verändern. Aber wenn wir ehrlich sind: Das Repertoire bleibt bei allem vorgeschobenen Wagemut im Grunde dasselbe. Die immer gleichen Stücke werden immer wieder neu und „hip“ präsentiert. „Zauberflöte“ als Harry-Potter-Abklatsch und mit Musical-Sängern? Kein Problem, bitte schön! „Zauberflöte“ als postdramatischer Theaterdiskurs und mit Publikumspartizipation? Bitte sehr, auch das geht locker von der Hand. Zauberflöte, Zauberflöte, Zauberflöte. Und nochmal Zauberflöte. Und wenn man vorsichtig die Frage stellt, warum es denn immer die selben Stücke sein müssen, und ob es nicht wesentlich spannender wäre, heutigen Autorinnen und Autoren eine Chance zu geben, die über Themen von heute schreiben, bekommt man letztlich die immer gleichen ausweichenden Antworten.

Aber hierüber will ich ausnahmsweise heute gar nicht schreiben. Sondern eher darüber, welche Herausforderungen unsere heutige Gesellschaft an die Idee des „Konzerts“ hat, und welche Tendenzen wir wahrnehmen müssen, wenn wir über sinnige Konzepte nachdenken wollen.

In der Diskussion um Sendeformate des ÖRR tauchen immer wieder Begriffe wie „kuratiertes“ oder „nichtlineares“ Programm auf. Das ist nicht zufällig. Das Internet hat wie kaum eine andere Erfindung einen dramatischen Bruch zwischen den Generationen erzeugt. Die ältere Generation (mich eingeschlossen) ist mit einem grundsätzlich „kuratierten“ Angebot aufgewachsen, Sendungen zu bestimmten Uhrzeiten und zu bestimmten Themengebieten. Natürlich schaute man sich das alles nicht stumpf an, sondern traf eine Auswahl anhand von Programmzeitschriften. Aber die Partizipation beschränkte sich meist auf Briefe, in denen man das Programm lobte oder tadelte.

Das ist im Grunde dieselbe Generation wie die der Abonnenten klassischer Konzerte. Man kauft sich eine Jahreskarte für die Philharmoniker und erwartet dann ein bestimmtes Programmangebot. Dieses System ist mit der Grund dafür, dass die Programme meistens sehr konservativ sind – man will die Abonnenten nicht vergraulen und versucht eine junge Generation damit zu gewinnen, dass man ihnen das alte Abonnentenprogramm noch einmal aufgefrischt schmackhaft macht.

Aber nur auf diese Strategie zu setzen ist aus vielerlei Gründen zum Scheitern verurteilt. Der Grund dafür ist einfach zu erkennen: Außer, wenn es um Liveereignisse von großer Tragweite geht, nutzen inzwischen noch nicht einmal Enddreißiger das konventionelle lineare Programmangebot der ÖRR. Warum sollten sie dann bei Konzerten so agieren wie ihre Eltern? Wer einmal damit aufgewachsen ist, dass man fast alle Inhalte jederzeit verfügbar hat (wenn es die großen Streaming-Anbieter nicht haben, findet man es auf youtube, und wenn man es dort nicht findet, findet man es anderswo und vielleicht nicht immer legal), wird nie wieder in eine Verbraucherhaltung zurückkehren, in der man brav einem Programmangebot folgt. Man wird immer eine Art von Partizipation erwarten. Selbst wenn die Algorithmen von zum Beispiel youtube einem diese Entscheidung oft abnehmen (man bekommt das angeboten, das einen schon interessiert), die Befriedigung der „eigenen Entdeckung“ ist so elementar, dass man sie nie wieder aufgeben wird.

Die junge Generation ist auch ein anderes Konsumieren gewohnt. Sie schauen Spielfilme oder Serien in der U-Bahn, auf der Toilette oder beim Warten auf den Zahnarzttermin. Sie hören jede Art von Musik überall, wann immer sie wollen. Sie können sie jederzeit pausieren, langweilige Stellen überspringen oder gleichzeitig surfen oder ein Computerspiel spielen.

Auf Facebook (wo sich die ältere Generation tummelt) wird dies als allgemeiner Sittenverfall wahrgenommen, aber vielleicht sollten auch wir Ältere uns erinnern wie einst das lineare Fernsehen als der Niedergang der Menschheit empfunden wurde und man vor einer gigantischen Volksverdummung warnte. Und genau mit diesem linearen Fernsehen sind wiederum wir aufgewachsen.

Statt also das Neue zu verteufeln, sollten wir eher darüber nachdenken, was für Chancen es uns bietet.

Ich war sehr überrascht, als mir neulich im Kino Steven Spielberg vor seinem (sehr schönen) Film „The Fabelmans“ dazu gratulierte, tatsächlich ins Kino gegangen zu sein und diese vom Verschwinden bedrohte Kunstform damit zu stärken. Ich bin ziemlich sicher, dass dieser Vorspann nicht in der Streaming-Version des Films zu sehen ist.

Klar, das ist ein wenig nostalgisch. Aber Spielberg hat Recht damit, dass es etwas Besonderes ist, sich auf einen Film im Kino einzulassen. Einmal nebenher nichts anderes zu machen, einzutauchen in eine andere Welt – das ist die Magie des Kinos, und ich glaube wie Spielberg daran, dass uns diese Magie trotz zahlreicher Alternativen erhalten bleiben wird, ebenso wie die Fotografie auch nicht die Malerei vernichtete. Ebenso etwas Besonderes ist es auch, sich auf ein Konzert einzulassen, ein Stück nicht nur über Kopfhörer auf dem Weg zum Bus zu hören, sondern sich ihm auch auszusetzen.

Wir müssen nicht in Konkurrenz treten zum nichtlinearen Angebot. Aber wir können eine Alternative bieten, die sehr anders ist, das wäre die Chance für die Konzerte der Zukunft.

Und vielleicht sind auch glückliche Synthesen aus beiden Welten möglich? Ich habe mich gefragt, wie es heute möglich wäre, wieder mehr Menschen ins Kino zu bekommen. Blockbuster sind eine Möglichkeit, aber ähnlich wie in der Klassik verkaufen diese oft die immer gleichen Geschichten und Klischees mit immer neuer Ästhetik. Also gar nicht so anders als die hundertste Auflage der „Zauberflöte“. Was funktioniert sind Festivals oder „Events“ mit einem guten kuratierten Programm. Aber es gäbe sicherlich auch einen Bedarf nach einem partizipativen Kinoprogramm.

Wie könnte das aussehen? Stellen wir uns vor es gäbe eine Website „Lieblingsfilme.de“ auf der man für einen selbst ausgesuchten Film stimmen kann, den man gerne mal auf einer großen Leinwand sehen würde. Sobald genügend Stimmen zusammen kommen, um eine Aufführung des Films in der eigenen Stadt zu ermöglichen, bekommt man eine Art „doodle“ geschickt, auf der man Wunschtermine eintragen kann. Und plötzlich findet man sich im Kino wieder und kann den Lieblingsfilm gemeinsam mit Menschen anschauen, die auch genau diesen Film sehen wollen. Und die Kinobetreiber freuen sich über ein risikoloses volles Haus.

Ein ähnliches Modell kann auch bei Konzerten funktionieren. Das hätte den Vorteil, dass die Musizierenden schon im Vorfeld wissen, dass ein Konzert verkauft ist. Plötzlich würde dies dann auch größere Besetzungen und aufwändigere Aufführungen attraktiver machen, denn nun wären sie durch verkaufte Karten abgesichert.

Diese Ideen ersetzen nicht die „kuratierten“ Programme. Partizipative Modelle sehe ich als Ergänzung zum momentanen Konzertleben, nicht als Ersatz. Wir alle haben Freunde oder von uns geschätzte Publikationen, auf deren Musik- oder Kulturtipps im Allgemeinen wir hören. Man kann nicht allein alles Interessante finden, man will sich auch austauschen und über Dinge diskutieren. Das alles gehört zum Kulturleben und kuratiertes Programm wird dahin auch weiterhin wertvoll bleiben. Aber dieses Programm muss dann auch wirklich Neues bieten, und nicht den Aufguss von etwas, das eh schon jeder kennt, denn das kann man sich auf „Lieblingsmusik.de“ bestellen.

Je mehr Alternativen wir bieten, desto reichhaltiger wird unser Kulturleben. Das sollte Basis aller Diskussionen über „Konzerte der Zukunft“ sein: Ansprechende und neue Inhalte im Zusammenspiel mit Modellen, die das Publikum direkt einbeziehen und es zum aktiven Partizipieren auffordern.

 

Moritz Eggert

 

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Eine Antwort

  1. Thomas sagt:

    Es ist ein Missverständnis, dass in der Nicht-Linearität der Streaming Welt ein ästhetischer Wert an sich besteht. Es ist ein reines Convenience Produkt. Es ist einfach praktisch und bequem, dass man den Film oder die Serie, die einen interessiert, schauen kann, wann man möchte. Am Ende schaue ich aber nur das, was mich interessiert, egal ob zur festen Sendezeit oder on demand.

    Entsprechend halte ich es auch für vergeblich in neue Konzertformate irgendwelche Hoffnungen zu setzen. Schreibt Stücke, die die Menschen interessieren, dann werden sie sie anhören und anschauen, egal in welchem Format.