Die dumme Kunst

Die dumme Kunst

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Wenn es um die Kritik an Konzerten mit Personen geht, die offen oder auch versteckt die Kriegspolitik Putins unterstützen oder von dessen Geldgebern profitieren, gibt es inzwischen scheinbar nur noch zwei verhärtete Positionen: „Sanktionen müssen auch in der Musikszene Wirkung zeigen“ oder „Musik hat mit Politik nichts zu tun“.

Erbittert toben dann die Debatten in den Kommentarspalten und die Journalist:innen, die in dieser Thematik recherchieren und die zum Teil erschütternden Netzwerke der Geldgeber aufdecken oder kriegstreiberische Hass-Posts aus dem Kyrillischen entziffern, sehen sich immer wieder Angriffen und Beschimpfungen ausgesetzt. Die Debatten entzünden sich immer an den großen Namen, da diese ganz besonders im Rampenlicht stehen.

Das Thema ist ein einziges Minenfeld, denn für einen Teil des Klassikpublikums ist der Krieg ein unerwünschter steinerner Gast im Konzertsaal. Und warum soll man überhaupt von den „armen Künstlern“ verlangen, dass sie „Position“ beziehen? Sie sind doch „nur“ Musiker, helfen dem Frieden doch auf „andere Weise“ mit der „universalen Sprache der Musik“? So oder ähnlich klingen die Plattitüden, die gerne bemüht werden, wenn besonders beliebte Künstler wie z.B. Teodor Currentzis in der Kritik stehen. Umgekehrt ist es für die Kritiker nicht immer einfach, den eigenen moralischen Standard genau zu definieren – ab wann beginnt die Unmoral? Ab wann „stinkt“ Geld? Ist der Musikbetrieb nicht ohnehin schon auf gewisse Weise korrupt, sprich, es ist eh egal, wer da wem Geld gibt? Vielleicht, aber muss man deswegen aufhören, darüber zu reden?

Was bei diesen Diskussionen gerne vergessen wird ist, dass nur dann besonders erbittert geführt werden, wenn die betreffenden Künstler:innen sich nicht klar äußern oder nur vage Stellung beziehen. Könnte man nicht von einer öffentlichen Person erwarten, dass sie sich auch öffentlich äußert? Schließlich zwingt einen niemand, zu einer öffentlichen Person zu werden, dahinter steckt ein Wille, eine Öffentlichkeit zu haben (was auch eine Verantwortung ist).

Der ganze Streit um Currentzis z.B. entsteht nur deswegen, weil er zu dem ganzen Thema schweigt oder ihm ausweicht (so wie in dem inzwischen im Netz aus irgendeinem Grund nicht mehr in voller Länge auffindbaren unsäglichen Interview mit Ioan Holender bei „ServusTV“). Eigentlich würden alle lieber direkt mit ihm reden, anstatt immer nur Vermutungen über seine Motivation anzustellen.

Wenn man dagegen die Affäre um Gergiev vergleicht, war die Sache schneller klar – der schwieg zwar auch zuerst (inzwischen tut er es nicht mehr, weil er in Russland ist) aber es gab ein Statement der Stadt München und der komplette Rückzug Gergievs aus allen westlichen Konzertsälen und sein offenes Bekenntnis zu seinem Dienstherren Putin schaffte schnell die Konsequenzen, die im Fall Currentzis nach wie vor fehlen, aber sich zunehmend andeuten, siehe hier.

Currentzis ist auch besonders deswegen ein schwieriger Fall, da er – zwar künstlerisch nicht unumstritten und gelegentlich an der Scharlatanerie vorbeischlitternd – definitiv Meriten hat, was seine Programmgestaltungen angeht. Gerade in der Szene der Neuen Musik war er in den letzten Jahren eine Art Hoffnungsträger, was die Sache besonders bitter macht (und sein Schweigen umso enervierender). Aber wenn wir anfangen, künstlerische Qualitäten als Entschuldigung für jegliches Fehlverhalten zu bemühen, wird es eh finster, wir erinnern uns an nicht unähnliche Debatten zum Thema #metoo.

Zuallererst wurde bei Currentzis – wir erinnern uns – komplett bestritten, dass es bei ihm und seinem Ensemble auch nur im Entferntesten irgendwelche Abhängigkeiten von Geldgebern gibt, die unter die momentanen Sanktionen fallen. Dann kam durch unermüdliche Recherchen (dass überhaupt recherchiert wurde, wurde auch gerne kritisiert) immer mehr Ungutes zutage, und bei manchem bildete sich dann doch langsam eine Art Fragezeichen.

In den vergangenen Monaten hatte man das Gefühl, dass Currentzis und seine Musiker eine Art mysteriösen Freipass haben, der es ihnen problemlos ermöglicht quasi täglich zwischen Moskau, St. Petersburg, Berlin und Salzburg hin und her zu jetten und Konzerte zu geben. An einem Tag spielen sie für Oligarchen und sanktionierte Banken und Konzerne, am nächsten für ein westliches Festivalpublikum oder den SWR. Und ihr Flugzeug fliegt dabei an exakt den Gebieten vorbei, in denen gerade schrecklichste Kriegsverbrechen verübt werden und jeden Tag sinnlos Menschen sterben.

Und wie funktioniert das alles? Indem sie sich dumm stellen. Nichts sagen heißt ja auch: nichts Falsches sagen. Und wenn man auf allen Hochzeiten tanzt, kann man nur dann nicht anecken, wenn man stets lächelt und eine gute Miene aufsetzt.

Dass das auf Dauer nicht gut gehen kann, wissen eigentlich alle, vermutlich sogar diejenigen, die Currentzis bis jetzt erbittert verteidigen. Das Ganze ist ein Spiel auf Zeit, und fasziniert schaut man zu, wie lange das noch gut geht. Und es gibt auch Musiker, die ihre Meinung ändern – jüngstes Beispiel ist der Tenor Torsten Kerl, den die jetzige Situation der Mobilmachung zu einer Absage als „Tristan“ bei einem Currentzis-Konzert veranlasste. „Besser spät als nie“, so ein Facebook-Kommentar.

Mich ärgert es, wenn Kunst sich dumm stellt. Denn Kunst ist ein integraler Teil der menschlichen Kommunikation, sie ist nicht zu trennen von Umständen, von Situationen und der Gesellschaft, in der sie stattfindet.

Gerne wird angeführt, dass z.B. eine Symphonie „unschuldig“ ist, sie sei ja „nur“ Musik. Aber Musik ist nicht Schallwellen oder Partiturseiten, sie wird erst zur Musik, wenn sie auf menschliche Ohren trifft, die sie in einem Kontext interpretieren. Und dieser Kontext kann nie anders als gegenwärtig sein. Nur weil man Musik aus dem 19. Jahrhundert spielt, heißt das nicht, dass man sich im 19. Jahrhundert befindet.

Mir kann auch niemand erzählen, dass das Aussehen, die Gestik und die Persönlichkeit z.B. einer Dirigentin oder eines Dirigenten keinerlei Rolle bei der Bewertung von deren Musikschaffen spielt, ansonsten bräuchte man keinerlei Fotos von ihnen und könnte ihre Musik vollkommen anonym vermarkten. Wenn ich also in ein Konzert von Currentzis gehe, höre ich nicht nur eine Schostakowitsch-Symphonie, sondern sehe sie interpretiert durch eine heute lebende Persönlichkeit, die in einem gesellschaftlichen Kontext agiert und damit auch reagiert. Und wenn diese agiert wie eine stumme und willenlose Marionette, die für jeden bereitwillig tanzt, der die Münze springen lässt, ist Kritik erlaubt und berechtigt.

Musik ist ein Kraftakt – manuell, intellektuell und auch emotional. Wie kann es sein, dass jemand wie Currentzis die geistigen Kapazitäten hat, eine komplexe zeitgenössische Partitur zu entziffern, sich gleichzeitig aber vollkommen unwissend stellt, wenn es um dubiose Finanzierungen seines Ensembles geht? So unwissend, dass er dazu nichts aber auch rein gar nichts sagen kann? Und – was ich noch viel frappierender finde – wie kann man die „Freiheit“ der Kunst propagieren, gleichzeitig aber nichts anderes tun, als Abhängigkeit und Unfreiheit zu repräsentieren? Muss man jedes Konzert machen? Das Beispiel Torsten Kerl zeigt doch, dass man sehr wohl auch mal „nein“ sagen kann.

Sklaven erkennt man unter anderem daran, dass sie es nicht wagen, etwas gegen ihre Herren zu sagen. Und auch daran, dass sie einem nicht viel über Freiheit vermitteln können, da sie diese nicht kennen.

Ich glaube nicht, dass Currentzis „dumm“ ist. Sein Schweigen ist kalkuliert. Und ich weiß auch ganz sicher, dass Musik nicht einfach ein vegetativer Akt ist, so wie als ob man sein Geschäft verrichtet.

Obwohl – „Geschäft verrichten“ trifft die Currentzis-Situation eigentlich ganz gut.

 

Moritz Eggert