Wenn Türen singen

Im Haus meiner Großmutter in Ahrenshoop hängt schon seit Ewigkeiten ein kitschiges Plakat in der Küche mit dem Titel „Wenn Türen sprechen könnten“. Abgebildet sind lauter schön bemalte Haustüren aus Mecklenburg-Vorpommern.

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Immer wieder machte ich mich im Vorbeigehen in Gedanken über diesen Titel lustig: „wenn, wenn, wenn…ja was wäre, wenn Kloschüsseln, Tomaten oder Rasenmäher sprechen könnten, blablabla“ dachte ich mir, denn letztlich ging es den Verfassern dieses Titels ja nur darum, ihre schöne Sammlung von schönen Türbildern mit irgendeinem pseudopoetischen Titel aufzuwerten. Denn mecklenbug-vorpommernsche Türbemalungen jeglicher Art sprechen vor allem für sich selbst als schöne Türbemalung und sonst nicht viel. Denn was gäbe es da groß zu erzählen?

Nun belehrt mich ausgerechnet der Komponist Sergey Khismatov eines besseren.

Vor einem Jahr schrieb Sergey viele Musikerkolleg:innen an, sie sollten ihm doch bitte Videos von interessant knarrenden Türen schicken. Mir war das damals irgendwie zuviel und schändlicherweise steuerte ich nichts bei, aber jetzt bereue ich es doch sehr, denn bei diesem Projekt (von Sergey wie gewohnt mit großer Beharrlichkeit und Liebe zum Detail verfolgt) kam etwas heraus, was den Türen nun wirklich (in echt) eine „Stimme“ verleiht. Und so viel mehr als das, siehe hier:

(Wer sich jetzt darüber wundert, warum dieses Video grau angezeigt wird: es gibt wegen eines kurz zu sehenden nackten Busens einer Türbedienerin eine Altersbeschränkung und es kann nur auf youtube angeschaut werden – dennoch könnte man dieses Video jederzeit einem sechsjährigen Kind zeigen, da es im Gegensatz zu den meisten youtube-Videos keinerlei explodierende Zombies oder Darstellungen von Gewalt zeigt)

Das schöne Stück heißt „Rotonda“ und ist vermutlich das Originellste, was je mit knarrenden Türen gemacht wurde. Ach, was sag ich: hier muss man den Begriff „Tür“ in jeglicher Form interpretiert wissen, es quietschen nicht nur gewöhnliche Wohnungstüren sondern auch Kühlschränke, Gitter, Falltüren, Duschvorhänge und Handyhüllen. All dies in einer virtuosen achtstimmigen Choreografie, die die Videos der Interpret:innen zu einem Teil des Erlebnisses macht. Sehr oft ist der Komponist als Türspieler zu sehen, aber auch seine Frau, die Komponistin Anna Korsun, deren Familie, Freunde, Kinder, Musikerkollegen usw. und wer genau hinschaut, wird auch einiges über die Wohnungen lernen, in denen sich diese Türen befinden. Das macht auch einen der Reize des Stückes aus – einerseits ist die musikalische Wirkung großartig und klanglich immer interessant, gleichzeitig genießt man auch diesen unorthodoxen „Adventskalender“ der einem freche Einblicke in private und letztlich doch verschlossene Orte bietet, die die Spieler:innen oft mit einem verschmitzten Lächeln präsentieren (schließlich sind sie stolz auf ihre individuell quietschenden Türen).

Gerade die Einbindung der Videos erweist sich als originelle und effektvolle musiktheatralische Idee. Die immer wieder neuen Konstellationen, in denen Khismatov die Türgeräusche anordnet, bleiben durch die 25 Minuten Dauer durchgehend überraschend und originell. Immer wieder wenn man denkt, dass man die Machart des Stückes „verstanden“ hat, zeigt uns Khismatov wieder eine neue überraschende Volte von „Türmusik“, die man so nicht erwartet hätte. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Stück bei Festivals elektronischer Musik ein richtiger Publikumshit werden könnte, aber auch als youtube-Video funktioniert es hervorragend.

Man kann es nur teilen, empfehlen und bewundern. Ich halte „Rotonda“ für ein echtes musikalisches Meisterstück das wieder einmal beweist, dass Musik aus absolut allem erzeugt werden kann. Wenn man die richtige Idee dazu hat.

Bleibt nur noch, die Zuseher:innen hier noch einmal ganz eindrücklich zu warnen, dass ganz kurz ein nackter Busen zu sehen ist. Nicht, dass hier jemand vor Schreck umfällt…

Moritz Eggert

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