Schon wieder – Musicaeterna in einem Atemzug mit dem russischen Ministerpräsident auf der Digital-Messe CIPR

Musicaeterna und Teodor Currentzis am 1.6.22 als erste Kulturveranstaltung der CIPR-Messe in Nischni Nowgorod, Bild von der VK-Seite des Gouverneurs Gleb Nikitin

Bisher wusste man nur von der Musicaeterna Gazprom-Tour im Mai diesen Jahres sowie über die Unterbrechung des Permer Diaghilew-Festivals Mitte Juni, um auf Putins Wirtschaftsforum in St. Petersburg für die sanktionierte VTB-Bank aufzutreten, deren CEO Andrei Kostin im russischen Kuratorium von Musicaeterna sitzt und dem Teodor Currentzis sein Festhalten an Russland versprochen haben soll, so Kostin am Rande des Wirtschaftsforums. Am 1. Juni 2022 trat Musicaeterna mit Teodor allerdings auch im Kulturprogramm der Messe „Digitale Industrie des industriellen Russlands“ (CIPR) in Nischni Nowgorod auf. Im Bericht der Messe (PDF!) sind sowohl Musicaeterna fals erste Kulturveranstaltung (S. 23) für den 1.6.22 als auch Panels mit dem russischen Ministerpräsidenten Mikhail Mishustin (S. 4/S. 15) am 3.6.22 dokumentiert. Noch vor dem St. Petersburger Wirtschaftsforum stellte der Nischni Nowgoroder Gouverneur Gleb Niktin dies als erste große Industrieshow im Zeitalter der Sanktionen seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine dar: „Tatsächlich ist CIPR die erste Großveranstaltung nach dem angekündigten Sanktionsdruck.“ Das Konzert fand als Rahmenprogramm für geladene Gäste des CIPR statt. Damit hat sich Musicaeterna erneut in den Dienst einer extrem regierungsnahen Veranstaltung begeben, gemeinsam mit dem Regierungschef Russlands angekündigt. Und wie bisher weder auf seiner Homepage noch auf den noch bespielten sozialen Medienauftritten VKontakte und Telegram auf die Teilnahme hingewiesen.

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Musicaeterna und Teodor Currentzis am 1.6.22 als erste Kulturveranstaltung der CIPR-Messe in Nischni Nowgorod, Bild von der VK-Seite des Gouverneurs Gleb Nikitin.

Wer auf die Veranstaltung hinwies war der o.g. Gouverneur Gleb Nikitin. Einer seiner Vorgänger war der Liberale, später ermordete Boris Nemzow. Nikitin wurde 2017 direkt durch den Präsidenten Wladimir Putin ernannt, war zuvor in der Föderationsregierung für Industrie zuständig und trat nach der präsidialen Ernennung der Putin-Wahlpartei „Einiges Russland“ bei.

Der russische Ministerpräsident mit dem Gouverneur auf der CIPR am 3.6.22.

Nikitin schrieb auf Vkontakte/Telegram über die Eröffnungsveranstaltung mit Musicaeterna und Currentzis der neuen Konzerthalle in historischen Lagerhallen, worüber die Prawda von Nischni Nowgorod berichtet: „Der Konzertsaal wurde eröffnet. Das Orchester musicAeterna unter der Leitung von Teodor Currentzis betrat als erstes die einzigartige Bühne mit Blick auf die Stadt. Der Gouverneur der Region Nischni Nowgorod, Gleb Nikitin, teilte dies den Abonnenten im Telegrammkanal mit. ,Acoustic Group war für den besonderen Sound verantwortlich. Das Unglaublichste ist das Panoramafenster in der Halle, dank dessen die Hauptdekoration zu einem herrlichen Blick auf die Strelka und Nischni Nowgorod wird! Besonderer Dank gilt unseren Kollegen, ohne die das Projekt nicht möglich gewesen wäre, den Unternehmen LUKOIL, NOVATEK, SIBUR’, schrieb der Leiter der Region im sozialen Netzwerk.“

Nikitin auf VK zum Currentzis-CIPR-Auftritt und zur neuen Konzerthalle.

Interessant ist hier v.a. der Hinweis auf die drei Sponsoren: Novatek und Sibur werden maßgeblich durch den Kunstoligarchen Leonid Mikhelson beeinflusst, der mit seiner VAC Stiftung/GES 2 zwar vorerst die Dependance der Stiftung in Venedig nach Beginn des Krieges schloss, aber nun in Salzburg das Orff/Bartok-Projekt der Festspiele 2022 fördert. Das klingt als ein Zeichen von Unabhängigkeit, erkauft mit einer engen Kooperation mit dem sehr kritisch bewerteten und sanktionierten Putin-Spezl Gennadi Timchenko und der Beschäftigung von Putins Schwiegersöhnen in den Konzernen Novatek und Sibur. Denkt man an die Aufdeckungen des Teams Nawalny zu Putins Schwarzmeerpalast, der ihm offiziell nicht gehört, aber doch v.a. für ihn errichtet wurde und Schattenmänner und Schattenfirmen für ihn offiziell besitzen, sieht man, dass persönliche Verquickungen von Privatwirtschaft und Staat das System in Russland prägen, selbst progressiv bestgesinnte Oligarchen diesen Netzwerken nicht entkommen bzw. von ihnen profitieren. Damit sind die genannten drei Konzerne keine Garanten dafür, dass hier Kunst unabhängig und unter dem Radar stattfindet wie vielleicht kleine Kompositionskurse in St. Petersburg, die dann doch wiederum staatliche Unterstützung erhalten, in Putinfreund Gergievs Mariinsky Konzerte durchführen oder in Currentzis’ Dom Radio, das von einer Firma gehalten wird, dessen CEO Putins Lebensgefährtin ist. Der ehemalige Lukoil-Chef äußerte sich zwar kriegskritisch, trat dann von seinen Amt zurück, so dass das auch kein Zeichen für Unabhängigkeit ist, die zudem mit der Konzertsaaleröffnung eng mit dem CIPR, seinen Gästen und am Ende zu zwar getrennten Auftritten führt, die aber eben auch dem Ministerpräsidenten offenstehen.

In Salzburg erzählt man nun uns immer wieder davon, dass man Verständnis für das Sponsoring der sanktionierten VTB-Bank für Musicaeterna haben müsse, da so schnell kein neuer Sponsor gefunden werden könne und man als Festspiele nichts mit VTB-Bank zu tun habe. Wie aber im letzten Blog dargelegt, profitiert Salzburg sehr wohl vom musikalisch bestens im Dom Radio einstudierten und bereits in Perm aufgeführten Orff durch den Musicaeterna-Chor, wurde genauso die 14. Sinfonie Schostakowitschs mit dem Musicaeterna-Orchester im Dom Radio, das von der VTB-Bank finanziert wird, geprobt und ist durch die Aufführungen während der Gazprom-Tour bestens für die Aufführung Mitte August auf den Salzburger Festspielen präpariert.

Uns wird auch immer wieder durch Salzburg gesagt, dass man auf das mimetische Handeln Currentzis achten solle, auf die Zwischentöne. So habe er ukrainische Musik für seine SWR-Sinfonieorchester Musik per Umprogrammierung gespielt. Warum tut man das nicht in Salzburg dann genauso mit dem Gustav Mahler Jugendorchester oder anderen Orchestern, wenn das für Musicaeterna zu heikel ist? Warum widmet man nicht die 13. Sinfonie Schostakowitschs per deutlich addressierte Schweigeminute den Toten des Theaters Mariupol, was die Kölner Philharmonie mit dem SWR-Sinfonieorchester noch zustande brachte? Warum tut das nicht zumindest der Intendant ganz pauschal? Stattdessen spielt man Musik gegen NS-Verbrechen und Antisemitismus, derweil Currentzis Landesvater Putin genau mit ähnlichen Argumenten Krieg gegen die Ukraine führt, spricht der Bariton Ulyanov im Februar noch von Nazis in Lviv, weshalb der Krieg wohl stattfände, auch wenn er für Frieden betet.

Eine sichtbare Distanz von Musicaeterna und Currentzis zum russischen kriegsführenden Staat ist jedenfalls kaum erkennbar. Wägt man mimetisches Handeln im Westen gegen dies in Russland ab: Gazprom-Tour, Auftritt auf Putins Wirtschaftsforum, auf der CIPR-Messe mit dem Regierungschef und dem durch Putin direkt ernannten Gouverneur, vorgebliche Treueschwüre, Verschleiern und Verheimlichen all dieser Auftritte bzw. deren Sponsoring auf greifbaren Ensemble-Kanälen, dann ist das ein düsteres Spiel. Und in Salzburg redet man von Dingen, dies es mal mit dem SWR gab, die man aber selbst ausserhalb oder doch direkt innerhalb von Currentzis Auftritten und seines Ensembles nur schattenhaft, nicht deutlich hinbekommt samt umstrittener GES2/VAC-Gelder. Selbst russische Komponist:innen in Berlin diskutieren bereits, ob man überhaupt noch Musik im GES2 spielen lassen kann oder ob man eben notgedrungen das aus Freundschaft gegenüber in Russland Verbliebenen macht. Das und alles andere mag für Russland trotz engster Verquickungen zum Staat, vom Staat abhängigen Privaten vielleicht reichen, obwohl tausende Künstler:innen dieses auflösten und schlichtweg flohen, untertauchten. Für ein angemessenes Wirken im Westen geht das alles nicht, setzen die Veranstalter hier im Juli/August 2022 keine deutlich konturierenden Zeichen, die das abfedern bzw. schaffen weder klare Gedenkminuten noch mögliche Umprogrammierungen, nicht einmal mit anderen, unbelasteten Klangkörpern.

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