Solange ukrainische Theater Bunker sind, müssen im Westen auftretende Russen Farbe bekennen oder daheim bleiben

Das Mariupoler Theater ist derzeit Bunker für die Bewohner:innen Mariupols statt Schauspiel wie noch bis zum 23. Februar 2022

Wir checken es nicht! Wir leisten uns Phantomschmerzdiskussionen um „Russophobie“ und „gecancelte russische Musiker“! War da nicht was? Krieg? Ein russischer Krieg, ein Überfall, ein russischer Landraub auf die Ukraine? Wir bemühen uns, einschliesslich mir, es einen Krieg Putins zu nennen. Es ist aber ein russischer Krieg und der beeindruckende innerrussische Widerstand dagegen richtet nichts aus, die russische Gesellschaft nimmt das momentan erst mal so hin. Derweil wird das Theater in Charkiw durch Brandbombardement beschädigt. Das Schauspielhaus in Mariupol ist eine Fluchtstätte für Zivilist:innen geworden. Es fallen Konzerte und Opernvorstellungen aus, derweil z.B. am St. Petersburger Mariinsky jede Bühne sonntags mehrfach bespielt wird.

Werbung

Wie gesagt: wir checken es nicht! Wir diskutieren darüber, ob man russische Künstler:innen hier auftreten lassen soll, egal wie sie zu Putin, zum Krieg, zu Menschenrechten stehen. Angeblich sei Musik ja unpolitisch und völkerverständigend. Ja, das kann sie sein, wenn alle friedlich und gleichberechtigt leben und musizieren können. Doch einige können das gerade überhaupt nicht: die ukrainischen Theater und Opernhäuser. Oder schlichtweg Personen.

Der ukrainische Regisseur Yevhen Lavrenchuk, der bis 2014, als die Krim durch Russland der Ukraine geraubt wurde, Chef des „Polnischen Theaters“ in Moskau war, wird aufgrund eines russischen Interpol-Haftbefehls einfach mal so 2021/22 ein paar Wochen in Italien, Neapel verhaftet. Russland wirft ihm finanzielle Unregelmäßigkeiten vor wie es das gegenüber Krill Serebrennikov tat und diesen vorgeschoben zu Hausarrest verdonnerte. Lavrenchuk kam nun Gott sei Dank wieder frei.

Oder blicken wir nicht nur nach Charkiw, sondern in das belagerte Mariupol am Asowschen Meer, wo sich gerade eine menschenvernichtende Tragödie Dank Russland abspielt. Man spielt längst nicht mehr im Theater. Man redet längst nicht von Wiederaufnahme des Betriebs oder zu heilenden Beschädigungen. Man redet vom Theater als Bunker, damit die Mariupoler Zivilist:innen sich vor todbringenden Kanonaden schützen können, da ihre Wohnquartiere nicht mehr sicher sind, Evakuierungen scheitern. Ein ukrainisches Magazin berichtet: „Das Donetsk Academic Regional Drama Theater im belagerten Mariupol zeigt derzeit keine Aufführungen. Während des Großen Krieges mit den russischen Besatzern fanden in seinen Mauern und Kellern etwa tausend Menschen Zuflucht, deren Häuser von den russischen Besatzern zerstört wurden.“

Das ist drastisch! Als ob ich aus meiner Sendlinger Bleibe in der neuen Isarphilharmonie Schutz suchen müsste. Aber wie man liest, sollen die Ukrainer nicht einmal mehr in Sakralbauten wie Moscheen sicher sein.

Oder nehmen wir das Schicksal von Nazar, einem Violin-Studenten aus Kiew, der nun statt mit der Geige mit der Waffe seine Stadt gegen Russ:innen verteidigt: „Mein Leben waren Bach, Paganini und andere Komponisten. Nun hat sich mein Leben komplett verändert. Ich kann keine Musik machen, wenn Menschen sterben“, hier der Link auf Facebook zu dem Snippet. Ich könnte nur noch heulen, wenn ich so etwas mitbekomme.

Nazar, Violin-Student in Kiew, nun Soldat: „Früher Bach, Paganini – nun kann ich nicht mehr Musik machen, wenn Menschen sterben.“ Screenshot von Facebook

Und wir wollen uns derzeit ernsthaft russische Musiker:innen leisten, die nicht klipp und klar NEIN zum Krieg sagen? Wenn sie es aus Rücksichtnahme vor Drangsalierungen in Russland nicht können, dann ist vielleicht an der Zeit, das Doppelspiel zu beenden? Man sagt, wir seien heuchlerisch, wenn wir frank und deutliche Bekenntnisse begrüßen. Aber wie heuchlerisch sind eigentlich die gastierenden Russ:innen drauf? Hier im „Westen“ spielen und kassieren wie daheim? Und kein Wort des Erbarmens ausser Wischiwaschi-Statements an Ukrainer:innen, die in ihren Theatern nun als Bunker um ihr Leben fürchten, die derzeit weder im Inland noch großartig ins Ausland reisend, ausser zur Flucht, auftreten können?

Sportler:innen aus Russland turnten zuletzt sogar provozierend mit dem „Z“ der Invasionsverbrecher:innen auf internationalen Sportevents mit, bis endlich sie komplett davon ausgeschlossen wurden. Und wir fordern Extrawürste für die Kultur? Sehen wir nicht, dass Russlands Regierung ihre Kulturförderung trotz Krim-Krise oder nun Ukraine-Krieg als „Friedenswaffe“ einsetzt? Sei es als „Botschafter“ in eroberten Gebieten durch Valery Gergiev, sei es in Klavier-Wettbewerben, die mit der nationalen Etikettierung der Teilnehmenden sich nicht von Sport-Wettbewerben unterscheiden, wo Russ:innen nun unerwünscht sind.

Wenn man Musik, Kultur als völkerverständigend erachtet, dann müssen sich die Protagonist:innen auch DEUTLICH als Völkerverständiger:innen zu erkennen geben. Dann können wir mit Musik vielleicht eine Ausnahme für Russ:innen machen, auch wenn ihr Land ihren ukrainischen Kolleg:innen Herz, Nieren, Hirn und Lunge zerfetzen will, sie gerade eher Botschafter:innen an ukrainischen Frontlinien mit der Waffe zur Verteidigung in der Hand gegen russische Truppen sind und nicht „nur“ mit Musik und Kunst ihr Land verteidigen oder ihre Häuser, Wohnungen oder Kulturstätten kaputt geschossen werden oder nun „nur“ noch Bunker sein können. Es ist einfach herzzerreißend, was da passiert.

Das Mariupoler Theater ist derzeit Bunker für die Bewohner:innen Mariupols statt Schauspiel wie noch bis zum 23. Februar 2022

Daher: unsere Sorgen um russische Künstler:innen sind etwas unbegründet, wenn es um „West-Gastspiele“ geht. Wer sich nicht glasklar gegen den Krieg ausspricht, hat angesichts des Sterbens, Leidens und Kämpfens der überfallenen ukrainischen Künstler:innen hier nichts verloren. D.h. soll nicht zum Canceln von russischen Werken führen, im Gegenteil sollen die gespielt werden wie auch um so mehr ukrainische Werke. Doch lebende russische Künstler:innen, die hier und zugleich in Russland auftreten wollen, müssen Tacheles reden oder daheim bleiben, unsere heiligen Hallen nicht in Orte diskursiver Unsicherheit und Indifferenz verwandeln, ergo damit als Putins Propagandawaffe unsere Ehrlichkeit untergraben.

Das Vorbild ist nicht Furtwängler und sein Zaudern, das ihm nach 1945 erhebliche Probleme bereitete. Das Vorbild für Russ:innen ist Toscanini: der lavierte nicht lange zwischen den Demokratien oder den faschistischen Ländern, er beendete in Deutschland und Italien seine Karriere. Im Zweifel muß dies auch z.B. Teodor Currentzis mit seiner MusicaEterna tun: aus russischen Sitz und russischer Finanzierung in den „Westen“. Oder Yuri Bashmet: im „Westen“ spielen, wenn er in Russland sich nicht gegen den Krieg positionieren kann. Oder beide müssen es momentan mit dem Westen bleiben lassen.

Und diese Indifferenz von Agenturen, Veranstalter:innen oder auch Journalist:innen, die für Kultur und Musik eine Ausnahme im Gegensatz zu Sport und Wirtschaft reklamieren, denen selbst vielleicht sogar sanktionierte Oligarchen-Gelder als Fördermittel oder vielleicht sogar egal ist, ob ein Komponist seinen Geburtstag im Kreml feierte – das sollte bald sein Ende finden: solange Russland ukrainische Künstler:innen und Musiker:innen an die Front zwingt, deren Wirkstätten zerstört, diese mit Sandsäcken geschützt werden müssen oder zu Bunker werden, müssen sich russische Künstler:innen und Musiker:innen klipp und klar gegen den Krieg positionieren oder Konzerten, Theatern und Wettbewerben im „Westen“ fernbleiben.

Wer Vermittler:in sein will, muss sich schon erklären, wenn man seinen Geburtstag im Kreml feierte, nicht nur wie Anna Netrebko, sondern z.B. auch der in Deutschland lebende Komponist Rodion Schtschedrin 2017 zum 85. Geburtstag aus Putins Hand im Kreml Ehren empfing, drei harte Jahr nach 2014 und der Krim-Annexion und all den Unterstützer:innen dafür sowie Gegner:innen dagegen: auch Senior:innen haben Meinungen und Haltungen, die sie vertreten können müssen oder besser schweigen – wie gesagt, nicht Furtwängler, Toscanini ist das Vorbild, kassieren geht dann eben nur im Westen, nicht in Russland oder eben nur in Russland, wenn man sich gegenüber dem Krieg nicht ehrlich machen kann oder will, keine Sonderrolle für die Musik im Gegensatz zum Sport!

Rodion Schtschedrin erhält 2017 am 85. Geburtstag Ehren von Putin im Kreml, Screenshot von der Webseite des Kremls

 

 

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.
Komponist*in

Komponist*in

3 Antworten

  1. k. sagt:

    Danke!

    Das Ganze ist kompliziert und tragisch.

    Natürlich ist es wünschenswert, dass russische Künstler Farbe bekennen, denn es ist mittelfristig die einzige Rettung, dass es genug Druck von innen kommt gegen Diktatur, gegen Krieg.

    Das vorausgesetzt frage ich mich aber schon, wer denn hier als „russisch“ gilt (Wohnort, Pass, Abstammung, Geburtsort, Ausbildung, Rasse?) und wie es sich mit nicht-russischen Künstlern verhält. Letztendlich ist die Diskussion rund um den Themenkomplex „Kontaktschuld“, „Cancel Culture“, „Kunstfreiheit“, „Trennung von Kunst und Künstler“ usw. in der Kulturszene nicht neu – der einzige Unterschied ist, dass das jetzige Ereignis – Invasion eines Landes – viel offensichtlicher, dringender und weitreichender ist.

    Womit ich gerade persönlich sehr schwer tue, ist z.B. mit Künstlern, die öffentlich sagen, dass man nun sehr genau hinschauen sollte, mit wem man auftritt, welcher Sponsor das Konzert finanziert, um bloß Putin nicht zu unterstützen – aber gleichzeitig selber mit Vergewaltigern zusammen arbeitet. Oder wenn (sexuell, emotionell, körperlich, finanziell) machtmissbrauchende Künstler Benefizkonzerte gegen den Krieg spielen. Ich möchte damit nicht sagen, dass diese Künstler sich nicht gegen den Krieg oder für Ukraine öffentlich positionieren sollen – denn jede Stimme für den Frieden ist wichtig -, es hinterlässt schon einen bitteren Beigeschmack, es fühlt sich an wie „sich freikaufen“.

    Oder „Imagine“ von John Lennon in Rundfunkaktionen und auf Demos. Ich verstehe das, dass Lied populär ist und als Anti-Krieg-Lied gilt. Ich verstehe das Anliegen wirklich. Trotzdem fühlt es sich für mich nicht richtig an, insbesondere wenn man bedenkt, dass Lennon selber Gewalttäter war, gegen Frauen und sein Kind.

    Man kennt es aus der #metoo Problematik ja schon – da wollen Sexualtäter, Gewalttäter, Machtmissbraucher auch Frieden. Dieser Frieden soll hergestellt werden, indem die Opfer sich dem Mächtigen fügt, indem die Opfer mudtotgemacht werden, indem das Umfeld mitläuft, indem man die Taten vertuscht. Wirklich hingesehen wird erst, wenn es kracht – es hat auch Jahrzehnte gebraucht, bis die Gesellschaft Handlungsbedarf beim Missbrauch in der Kirche gesehen hat. In der Kultur sind wir noch erst am Anfang, es hat noch nicht genug gekracht.

    Man kann natürlich sagen, dass man Invasionskrieg und Vergewaltigung nicht vergleichen kann. Das Prinzip ist aber dasselbe – da werden Grenzen gewaltsam verletzt. Und man hat lang genug weggeschaut oder ist gar mitgelaufen, bis es gekracht hat.

    Putin ist auch nicht über Nacht plötzlich so mächtig und machtmissbräuchlich geworden. Es bedurfte Ich denke, viele im Westen hatten sogar am Anfang des Kriegs gehofft, dass die Ukraine dann eben Krim und Donbass an Russland abgibt und dann ist Frieden, auch wenn man natürlich die Invasion Russlands verwerflich findet. Der Wunsch ist aus Selbstschutzgründen irgendwo auch nachvollziehbar, man will die eigene Haut retten – genau so wie man verstehen kann, warum so viele Künstler bei der #metoo Thematik oder aber auch bei Dingen wie Untreue wegschauen, obwohl sie es eigentlich nicht gut finden, einfach weil sie die eigene Haut retten wollen (und da geht es meistens „nur“ um die Karriere und Existenz).

    Ich frage mich schon, wie viele der Veranstalter, die bestimmte russische Künstler ausgeladen haben, dies aus Überzeugung als Statement gemacht haben, und wieviele nur aus rein opportunistischen oder wirtschaftlichen Gründen – aus Angst, jetzt selbst als Putin-Unterstützer gebrandmarkt zu werden und selbst schlechtes Image zu bekommen. (Zur Klarstellung: damit will ich nicht propagieren, dass sie weiterhin Putin-Propaganda-Künstler zu engagieren, lieber späte Konsequenz als nie.)

    Was ich sagen will ist – müssten und sollten nicht auch westliche Künstler umdenken und bei sich schauen?

    • Alexander Strauch sagt:

      Es ist ganz simpel: das Theater ist nun weggebombt, höchstwahrscheinlich auch die Leben, s.o. z.B. das Beitragsbild. Wer Putin unterstützt, sich nicht davon absetzt, unterstützt auch das Gebombe. S. z.B. auch den Leiter der Gnessin-Musikschule mit dem „Z“ auf dem Shirt und dazu Beethoven 5, erster Satz samt „Z“ in MuZic am Ende als „Logo“ der Schule: https://www.youtube.com/watch?v=RujlyMjK8Vo. Man kann, soll, muss und darf zu russischen Musiker:innen akut etwas genauer und strenger sein, wenn sie nicht dezidierte Dissident:innen sind. Die Oberliga profitiert vom Putin-Musiksystem, vom Musiksystem des Westens, jettet(e) hin und her, verdiente das Geld der Oberliga, leistungsbezogen auch okay. Nun profitiert sie noch in Russland davon, solange die Sanktionen nicht Schluss mit der Förderung machen – z.B. sagte Dorny gerade MusicaEterna ab, wohl auch wegen den russischen Oligarchengeldern, die aber bald sowieso wegbleiben dürften. Wollen sie im Westen profitieren zu Lasten z.B. ukrainischer Musiker:innen, die derzeit nur hier auftreten können, wenn sie sowieso hier schon vor dem Krieg weilten, kann man schon erwarten, dass sie unserer Bühnen „würdig“ sind, der Lage ihres Landes in der Ukraine. Es ist eben nicht nur Putins Krieg, es ist derzeit der Krieg auch seiner Oberschicht, zu der auch seine von ihm abhängigen und deutlich treuen Musiker:innen gehören. Wer im Westen Engagements hat, könnte auch den Weggang erwägen. Nun, Gergiev springt dafür treu am Mariinsky ein, wo er nun in München hätte sein sollen und verliert sich in Rimsky-Korsakow. Zwar sollte man auch im Westen immer selbstkritisch sein. Doch geht das mit den zerbombten Dingen gerade NICHT zu unseren Lasten. Daher ist Selbstkritik JETZT auch irgendwie wirr. Deutlichkeit: It’s the Russian’s turn!

      • k. sagt:

        So einfach finde ich es nicht. Wer Putin unterstützt, unterstützt das Töten in Ukraine, so weit ist es klar. Gergiev geht gar nicht – das wusste man aber schon vorher. Man hat ihn auch im Westen gewähren lassen, bis es krachte, aus dem gleichen Grund, wie man auch Levine hatte gewähren lassen, bis es krachte, sehr wohl wissend um die Problematik. Ist jetzt alles gut, nur weil man ihn jetzt ausgeladen hat, nachdem es gekracht hat?

        Und – betrifft das nur Russen? Was ist mit deutschen, spanischen, oder aber auch eben griechischen Künstlern, die bisher vom Putin-Musiksystem profitiert haben? Und sind Russen nur diejenigen mit russischem Pass (junge russische Künstler sind teilweise in Kanada und Schweiz ausgeladen worden, obwohl sie sich deutlich gegen Putin und gegen den Krieg gestellt haben, sie sind auch noch zu jung, um wirklich zur Oberliga zu zählen, und auch garantiert keine Auftritte mehr in Russland bekommen würden. Und was ist mit russischen Talenten, die schon viel früher aus dem Karriereweg aussortiert wurden, weil sie systemkritisch waren, und von denen man hier gar nichts weiß, eben weil unbekannt geblieben)?

        Und sind hiesige Vergewaltiger, die Benefizkonzerte für Ukrainie spielen, wirklich für Frieden und Demokratie?

        Wenn man über System spricht, muss man auch sehen, dass das System des Wegschauens, des Mitlaufens in der Kulturszene, um selber weiter zu kommen, auch bei anderen Problemen existieren.